Vulnerabilität und Resilienz Themenblock I: Theorien der klinischen Entwicklungspsychologie Vulnerabilität und Resilienz SoSe 2008 21.04.2008
Forschungsparadigma der Entwicklungspsychopathologie Zentrale Annahme Normale und abweichende kindliche Entwicklung; gelungene und misslungene individuelle Anpassungsprozesse können innerhalb eines einheitlichen theoretischen Bezugsrahmens beschrieben und erklärt werden. Anwendungsfeld Untersuchung von Risikokindern Ziel Ermittlung von Bedingungen, die für die große Heterogenität individueller Reaktionen auf Risikobelastungen verantwortlich sind.
Definition „Risikofaktor“ (nach Garmezy, 1993) probabilistisches Konzept Bedingung, die bei einer Gruppe von Individuen, die Wahrscheinlichkeit des Auftretens einer Störung im Vergleich zu einer unbelasteten Kontrollgruppe erhöht. zunächst: Beschränkung auf den Bereich der Geburts- und Neonatalmedizin (Sameroff & Chandler, 1975) heute: zwei große Gruppen von Risikofaktoren Merkmale des Individuums: Vulnerabilität genetische Belastungen, biologische Belastungen, schwieriges Temperament Merkmale der Umwelt: Stressoren materielle Notlage; Kriminalität; Krankheiten der Eltern; chronische Disharmonie in der Familie
Mängel des epidemiologischen Risikofaktorkonzepts keine individuelle Prognose möglich, keine kausalen Schlussfolgerungen möglich, spezifische Risiken führen nicht zu spezifischen Entwicklungsabweichungen... statisches Wirkmodell lässt sich nicht aufrechterhalten!! Ein Stressor hat nicht bei allen exponierten Individuen den gleichen schädigenden Effekt...
Definition „Schutzfaktor“ positiver Gegenbegriff zu dem der Risikofaktoren gesunde Entwicklung und Betrachtung gesundheits-förderlicher und krankheitsvorbeugender Faktoren steht im Vordergrund zwei Gruppen von Schutzfaktoren: personale Ressourcen: Resilienz positives Temperament überdurchschnittliche Intelligenz positives Selbstkonzept soziale Ressourcen: Unterstützung günstige familiäre Lebensverhältnisse Vorhandensein einer Vertrauensperson gute externale Netzwerke
Probleme mit dem Schutzfaktorkonzept konzeptuell: klare Abgrenzung gegenüber Risikofaktoren; nicht nur Definition als deren „Kehrseite der Medaille“ schützende Effekte dürfen nicht durch ihre Konfundierung mit Risikoeffekten zustande kommen. methodisch: Prüfung der Spezifität von Schutzfaktoren Moderatoreffekt muss belegt sein d.h. die katalytische oder die „Pufferwirkung“ tritt ausschließlich oder v.a. in Verbindung mit einem Risiko ein.
Schema risikoerhöhender und risikomildernder Faktoren Risikoerhöhende Bedingungen Risikomildernde Bedingungen kindbezogen (primäre Vulnerabilität) umweltbezogen (Risikofaktor) sekundäre Vulnerabilität (Schutzfaktor) entwicklungs- förderliche Bedingungen Resilienz Kompetenz Ressourcen Phasen erhöhter Belastungen Bilanz: Belastungen vs. Ressourcen Gesamt-Belastbarkeit des Kindes und seiner Familie Anstrengungen zur Belastungsbewältigung Entwicklungsprognose des Kindes: Anpassung vs. Fehlanpassung
Erfassung der Entwicklungsgeschichte Anamnese und Exploration
Anamnese und Exploration Besondere Bedeutung in der Pädagogik bei der Feststellung sonderpädagogischen Förderbedarfs Klasse von diagnostischen Methoden zur Datengewinnung mit dialogischer Ausrichtung Informationen zur Biografie Informationen zur aktuellen Befindlichkeit Beziehungsaufbau am Anfang des diagnostischen Prozesses Ableitung einer Arbeitshypothese
Anamnese und Exploration Definition und Abgrenzung Sammlung und Systematisierung von Informationen aus der Vor- und Entwicklungsgeschichte Exploration Erfragen der aktuellen Situation oder Problematik Subjektive Wahrnehmung der aktuellen Situation Interview Zielgerichtete Kommunikationsform, bei der ein Diagnostiker Informationen zu einem inhaltlich vorab festgelegten Gegenstand erfragt.
Anamnese und Exploration Formen und Klassifikationen Strukturierungsgrad (Aufbau des Erhebungsinstruments) Standardisierungsgrad Formen der Gesprächsführung und – auswertung einschließlich der Erhebungsbedingungen Befragungsmodus Mündlich vs. schriftlich Einzelgespräch vs. Gruppengespräch Befragungsstil Weich: offene Atmosphäre (klinische Interviews) Neutral: Kontrolle unerwünschter Einflüsse (Forschungsinterview) Hart: Herausfordern von Reaktionen durch Provokation oder Überrumpelung (Einstellngsinterviews, Eignungsdiagnostik, Forensik)
Anamnese und Exploration Standardisierung Unstandardisiertes Gespräch Offene Fragen in nicht festgelegter Reihenfolge Vorteil: Subjektive Sichtweisen und Interpretationen des Befragten stehen im Zentrum Nachteile: Interindividuell kaum vergleichbare Ergebnisse Themen können bewusst vermieden werden verzerrte Information
Anamnese und Exploration Standardisierung Halbstrukturiertes Interview Der Ablauf der Datensammlung wird durch einen Gesprächsleitfaden bestimmt. Die Antwortformate sind nicht vorgegeben und lassen dem Befragten Raum für persönliche Erklärungen.
Anamnese und Exploration Standardisierung Standardisiertes Gespräch Festgelegtes Vorgehen (Inhalt, Reihenfolge der Fragen, Antwortformate und Auswertungskategorien) Vorteile: Daten von verschiedenen Personen lassen sich miteinander vergleichen. Ökonomische Anwendung und Auswertung. Bessere Fehlerkontrolle Nachteil: Relevante Informationen über die persönliche Sichtweise des Befragten werden vernachlässigt.
Befragungsformen im Vergleich
Anamnese und Exploration Durchführung und Aufzeichnung Beachtung der organisatorischen und inhaltlichen Rahmenbedingungen Termin, Ort Thema, Form des Gesprächs, Leitfaden Fragebogen Befragter Interviewer Situation Das Interview ist grundsätzlich und vor allem eine soziale Situation zwischen Interviewer und Befragtem.
Anamnese und Exploration Durchführung und Aufzeichnung Genaue Dokumentation der Aussagen Schriftliches Fixieren, Ton- und Videoaufnahmen. Auswertung inhaltsanalytisch, Schemata (verbal, numerisch, thematisch) Interpretation, Schlussfolgerungen Hier ist ein reflektierter Umgang mit eigenen impliziten Vorannahmen, Voreinstellungen etc. unerlässlich!!
Fehlerquellen im Interview nach Typen
Fehlerquellen Sprachliche Verständigungsschwierigkeiten Kognitive Überforderung Voreinstellungen des Interviewers Selbst- und Fremdwahrnehmung sozialer Merkmale (Geschlecht, Alter, Erscheinungsbild, Körpersprache, Stimme) Eigene Entwicklungs- und Lerngeschichte Eigene Bedürfnisse Kultureller Hintergrund (Normen, Erwartungen, Aufgeschlossenheit)
Fehlerquellen Interviewereffekte treten häufiger auf bei Einstellungs- als bei Verhaltensfragen, bei offenen als bei geschlossenen Fragen, bei komplizierten als bei einfachen Fragen, bei geringem Interesse des Befragten und hohem Interesse des Interviewers an der Thematik. Je neutraler die Haltung des Interviewers, desto höher die Validität der Datenerhebung!!!
Vielen Dank für die Aufmerksamkeit!