Einführung in die psychosomatische Medizin und Psychotherapie

Slides:



Advertisements
Ähnliche Präsentationen
Dr. Peter Dobmeier Lech-Mangfall-Kliniken gGmbH
Advertisements

Dipl.-Psych. Christoph Ehlert Psychologischer Psychotherapeut
Psychoonkologie in der MHH Die Mitarbeiterinnen
Die Versorgung bei psychischen Erkrankungen aus Sicht der Ersatzkassen
Die selbstunsichere Persönlichkeit
Schizophrenie und Seelsorge
Borderline-Störung im System DSM IV
Psychodynamische und tiefenpsychologische Psychotherapie
109. Deutscher Ärztetag, Magdeburg
Unzureichende Wahrnehmung / Diagnostik
Medizinische Psychologie
Transmission des Scheidungsrisikos
Klinische Bedeutung somatoformer Störungen
Errungenschaften der letzten 200 Jahre
Psychologische Hintergründe von Machtmissbrauch
Die präventive Psychomotorik nach Bernard Aucouturier
Wenn ich in eine Psychiatrie komme. 1. Keine Antworten auf Fragen 2
Alzheimer und andere Demenzerkrankungen
Wofür braucht die Jugendhilfe die Kinder- und Jugendpsychiatrie?
Dissoziation: Definition
Überlegungen zu einer am Versorgungsbedarf orientierten Psychotherapeutenausbildung Prof. Dr. Rainer Richter DGVT Tagung zur Zukunft der Psychotherapieausbildung.
Die psychoanalytischen Konzepte
Psychoedukation Dr. Katja Salkow Bipolar-Tagesklinik am Vivantes Humboldt-Klinikum, Klinik für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik (Leiter:
Trauma und Bindung Auswirkungen erlebter Traumatisierung
Klinikabend am Donnerstag, den um Uhr c.t.
Prof. Dr. Gian Domenico Borasio Lehrstuhl für Palliativmedizin
G. Gatterer Geriatriezentrum am Wienerwald
Psychosomatik & Arbeitswelt
Schadensminderung im Justizvollzug Zusatzmodul:
Cluster 3 – Psychische Erkrankungen und Pension (inkl. Begutachtungen)
Burnout Dr. Margot Peters FÄ f. Psychiatrie und psychotherapeutische Medizin.
Vernetzung in der Gewaltprävention
Das menschliche Gehirn - eine Einführung in die Neuropsychologie
Ambulante Psychotherapie und weitere psychotherapeutische Ansätze
Pädagogischer Tag Dr. med. Ute Tolks-Brandau
Die Therapeuten als Komplikationsfaktor der Psychotherapie
(„Aktueller Vortrag“)
Einführung in die klinische Medizin
Vorsorge- und Rehabilitationsmaßnahmen als Chance für die ganze Familie Bundesverband e.V, Mai 2007 Anna Hoffmann-Krupatz An der stationären Vorsorge-
Keine Panik auf der Titanic
Schritte im Prozess der Betreuung in der hausärztlichen Praxis
Ethische Aspekte der Diagnostik und Therapie depressiver Störungen
Die Zielsetzung der Psychotherapie
3. Vorlesung: Neurosenlehre
Prüfungskonsultation
Selbstregulation – (Körper)Psychotherapie – Entwicklungspsychologie aus der Sicht der analytischen Körperpsychotherapie.
HAUSOTTERSTRASSE – stationäre Jugendhilfe und Therapie
Prof. Dr. Hertha Richter-Appelt
Absetzen - aber wie? Fachtagung „Gratwanderung Psychopharmaka“
11. Vorlesung Neurosenlehre II.
Patientenverfügung Ist eine persönliche Willenserklärung, mit der Sie heute schon Ihre Behandlungswünsche für eine bestimmte Krankheitssituation festlegen.
Abteilung für Psychiatrie und Psychotherapie
„Hängen Gesundheit und Leistungs-fähigkeit unweigerlich zusammen?“
Welche Bedeutung hat das Ernährungsverhalten?
Arzt-Patienten-Beziehung
Ziele /Aufgaben der Psychologie
Dissoziative Störungen, Konversionsstörungen
110. Dt. Ärztetag, , Münster Deutsche Akademie für Kinder- und Jugendmedizin e. V. Prof. Dr. med. Dr. h. c. Dietrich Niethammer, Generalsekretär.
18. Mai 2015 Dr. med. Cyrill Jeger-Liu, Olten
KONVERSATIONEN MIT MIR ÜBER LÖSUNGSORIENTIERTE THERAPIE: 1978 BIS HEUTE.
Gesundheitliche Folgen von h ä uslicher Gewalt. Was interessiert wen? Beispiel ÄrztInnen  22% aller Frauen erleiden im Laufe ihres Lebens Gewalt in einer.
Übertragung H. Löffler-Stastka. Die Gesamtsituation Übertragung stellt eine emotionale Beziehung zum Analytiker dar, in der eine unbewusste Phantasie.
Gegenübertragung H. Löffler-Stastka
Psychische Abweichung: Krankheit oder Störung? Vorlesung „Psychische Störungen“ Prof. Dr. Ralph Viehhauser.
ALBERT-LUDWIGS- UNIVERSITÄT FREIBURG Einführung „Klinische Psychologie“ Tobias Stächele - Vertiefendes Seminar zur Vorlesung Klinische Psychologie - Institut.
CSG Methodenkompetenz: Beispielpräsentation Traumata CSG Methodenkompetenz: Beispiel-Präsentation Traumata bewältigen.
DIE VERGESSENE MEHRHEIT Die besondere Situation von Angehörigen Alkoholabhängiger H. Zingerle, S. Gutweniger Bad Bachgart – Therapiezentrum zur Behandlung.
Klaus M. Peters Orthopädie und Osteologie, Dr. Becker Rhein-Sieg-Klinik, Nümbrecht Klinisches Schwerpunktzentrum DVO Abschlussveranstaltung, ,
Psychologische und psychotherapeutische Behandlung bei Krebs Birgit Hladschik-Kermer Univ. Ass.,Mag.phil., Dr.rer.nat. Klinische und Gesundheitspsychologin/
01 Grundlagen der Psychiatrie
 Präsentation transkript:

Einführung in die psychosomatische Medizin und Psychotherapie Priv.-Doz. Dr. med. Dipl.-Psych. Grabhorn

Bereich Psychosomatik ... Bereich Psychosomatik Kranken- versorgung Lehre Forschung Kooperation Ambulanz Tagesklinik 15 Betten Station 7 16 Betten Station 8 Konsil/Liaison-dienst Zentrum für Psycho- traumatologie Sigmund-Freud-Institut Ausbildung: Medizinstudium Weiterbildung: Facharzt für Psychosomatik und Psychotherapie Fortbildung: Kolloquien Wissenschaftliche Konferenz Essstörungen Somatoforme Störungen Depressionen Psychotherapie- forschung Neurobiologie Zentrum für Essstörungen Trauma und Traumafolgestö-rungen

Sigmund Freud und die „Entdeckung“ des Unbewussten

Von der Neuropathologie zur Psycho-/Neurosenpathologie 1885/86 Forschungsaufenthalt bei Charcot an der Salpêtrière, Paris Berührung mit Hysterie & Hypnose: Anfälle, Körpersymptome, Erinnerungsausfälle, somnambule und posthypnotische Erscheinungen, irrational unverständliche Träume Die Existenz unbewusster seelischer Vorgänge wurde im Hypnotismus „zuerst leibhaft, handgreiflich und Gegenstand des Experiments“ (GW XIII, S. 407)

Dokumentation hysterischer Symptome unter Hypnose

Anna O. Diverse Lähmungen und Zustände psychischer Verworrenheit während der Pflege ihres Vaters. Im Wachbewusstsein konnte Anna O. nichts über die Entstehung der Symptome sagen, in Hypnose konnte sie diese Situationen erinnern. Konnte sie den in der Situation des ersten Auftretens unterdrückten Affekt abreagieren, verschwanden die Symptome. „Kathartisches Verfahren“: Bewusstmachung scheinbar vergessener Erlebnisse und Ausagierung unterdrückter Affekte unter Hypnose.

Das dynamisch Unbewusste: Abwehrkonzept Verdrängung: Der Mensch sträube sich dagegen, sich offen mit den unverträglichen Vorstellungen zu konfrontieren. Die Konversion seelischer Schmerzen in körperliche diene der Befreiung aus dem quälenden Konflikt zwischen Wunsch und moralischer Verpflichtung, dazu sich eines unerträglichen psychischen Zustands zu entziehen. Widerstand: Um es sich bewusst zu machen, musste der Arzt „eigene Anstrengung“ aufwenden, „der Kraftaufwand des Arztes war offenbar das Maß für einen Widerstand des Kranken“ (GW XVI, S. 54)

Zur Aktualität Freuds „Die wenigsten Menschen dürften sich klar gemacht haben, einen wie folgenschweren Schritt die Annahme unbewußter seelischer Vorgänge für Wissenschaft und Leben bedeuten würde.“ (1917, GW XII, S. 11)

Zur Aktualität Freuds Das Verstehen unbewusster Motive bleibt Kern des psychoanalytischen Arbeitens Das Setting bleibt die Matrix psychoanalytischer Erkenntnis Biographisches Verstehen und Entwicklungskonzepte bleiben klinisch bedeutungsvoll (vgl. Habermas, T., 2006)

Basisannahmen Die menschliche Psyche … • funktioniert zu großen Teilen unbewusst und ist • wesentlich durch Konflikte bestimmt.

Adverse Childhood Experience Study (ACE) Felitti et al. 2002 (USA, N=18.000) ACE-Prävalenz: - Seelische Mißhandlung 11% - Körperliche Mißhandlung 11% - Sexueller Mißbrauch 22% - Substanzabusus d. Eltern 26% - Psych. Kh. der Eltern/Suizid 19% - Gewalt durch Mutter 13% - Inhaftierung Eltern 3% Je höher ACE-Score desto höher Risiko für: Depressionen, fam. Gewalt, Drogen, Arbeitslosigkeit etc. aber auch Adipositas, Rauchen (COLD)

Das Trauma durchschlägt den Schutzschild, den die seelische Bedeutungsstruktur des Menschen bildet. Es wird dem Körper eingeschrieben und wirkt sich unmittelbar auf das organische Substrat seelischen Funktionierens aus. Bohleber, Psyche, 2004

Trauma Weder Kampf noch Flucht möglich Wechsel von Alarm- und Distanzierungs- Kapitulationsreaktion Eingefrorener Zustand

Frühe Erfahrungen, persönliche Entwicklung, Gesundheit und Krankheit Die wichtigsten basalen Erfahrungen des Menschen werden nur zum Teil bewusst, zum größten Teil unbewusst gespeichert. Schwierige primäre Erfahrungen hinterlassen als „biologische Narben“ geringere Stressresistenz, was sich z.B. in gesundheitlichem Risikoverhalten, emotionaler Instabilität oder höherer Verletzlichkeit in zwischenmenschlichen Beziehungen zeigt.

Was ist Psychosomatik heute? Die Psychosomatische Medizin beschäftigt sich mit den Wechselwirkungen zwischen körperlichen, seelischen und sozialen Prozessen im Bezug auf Entstehung von Gesundheit und Krankheit, ihren Verläufen und Bewältigungsmöglichkeiten.

Was ist das Organ der Psychosomatik ? Was Sie oft nur sehen, ist die Spitze des Eisbergs. Es ist immer eine individuelle Geschichte interpersoneller, somatischer und sozialer Wechselwirkungen.

Übertragung Wiederholung früherer (kindlicher oder adoleszenter) Beziehungsmuster in gegenwärtigen Beziehungen. Sowohl positiv als auch negativ. Bei seelischen Erkrankungen sind die Übertragungen verzerrt: Fixierung des Erlebens auf interindividuell „unangemessene“ Weise (z.B. übergroße Wut, übergroße Angst). In der psychodynamischen Therapie werden wesentliche Übertragungsmuster wieder belebt und bearbeitet.

Gegenübertragung Zentrale Bedeutung im allen klinischen Bereichen Wandlung vom „Störfaktor“ (Freud, 1910) zum bedeutsamen Instrument im therapeutischen Prozess (Heimann, 1950) Psychotherapie wird damit zu einem interaktiven Geschehen. Kernberg (1983): „die gesamte emotionale Reaktion des Analytikers auf den Patienten in der Behandlungssituation“ Relativ wenig Beachtung in der empirischen Psychotherapieforschung

Wichtigsten psychosomatischen Erkrankungen und ihr Vorkommen in der Bevölkerung Somatopsychischen Erkrankungen: Schwere körperliche Erkrankungen, deren Entstehung oder Verlauf durch psychische Faktoren beeinflusst werden, z.B. Colitis oder Asthma. Schwere körperliche Erkrankungen, in deren Folge es zu einer psychischen Störung kommen kann, z.B. Tumorerkrankungen. Essstörungen (Anorexie und Bulimie): 3 % Depressionen: 12,7 % Somatoforme Störung (z.B. Schmerzstörungen): 11 % Angst- und Panikstörungen: 14,9 % Posttraumatische Belastungsstörung 8 % Persönlichkeitsstörung: 3-10 % 41% aller Arbeitsunfähigkeitszeiten (der letzten vier Wochen) wegen psychischer Erkrankung (Wittchen et al. 2001)

Klassifikation psychischer Störungen nach der Ätiologie A ) psychotraumatisch PTBS, dissoziative Störungen, somatoforme Störungen, Persönlichkeitsstörungen usw. D ) Untersozialisation dissoziale Störungen B ) Übersozialisation neurotische Störungen C ) psychobiologisch genetisch, erworben Vier ätiologische Einflusssphären und deren wechselseitigen Verflechtungen nach Fischer

Jeder Arzt ein Psychosomatiker? 30-40% hausärztlicher oder internistischer Patienten leiden an psychischen bzw. psychosomatischenErkrankungen! Oft wird aber zunächst / nur eine körperliche Symptomatik geschildert Psychische Kausalfaktoren / Folgen bei vielen körperlichen Krankheiten bedeutsam

Psychosomatik Querschnittsfach + Spezialdisziplin Innere Medizin Psychiatrie Psychosomatik & Psychotherapie

Facharzt für Psychosomatik und Psychotherapie Spezialgebiet mit besonderer Expertise in der Erkennung und (insbes. psychotherapeutischen) Behandlung von krankheitswertigen Störungen leib –und seelischer Vorgänge Weiterbildung: 5 J. • 1 Jahr Innere Medizin • 3 Jahre Psychosomatik • 1 Jahr Psychiatrie

Zusammenfassung • Psychosomatik als ärztliche Grundhaltung bei jedem Patienten sinnvoll • Facharzt für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie mit spezifischem Profil • Verständnisgrundlage: Biopsychosoziales Modell • Spezielle psychosomatische Krankheitsbilder und Therapie…

Ergebnisse von Psychotherapie Insgesamt sind Psychotherapien außerordentlich wirksam Mittlere Effektgrößen aus Metaanalysen (Lipsey, Wilson 1993): Psychotherapie (allgemein) 0.85 Psychotherapie mit Erwachsenen 0.93 Einzelpsychotherapie 1.36 Gruppentherapie 1.19 Demgegenüber: AZT für AIDS 0.47 Bypass (Effekt auf Angina) 0.80 Cyclosporin (Organabstoßung) 0.39 Antikoagulation (Thromboserisiko) 0.30

Psychotherapie Indikation • Etwa 25% der Bevölkerung leiden unter einer psychischen Störung von Krankheitswert (Punkt-Prävalenz). • Etwa 40% der Bevölkerung sind lebenslänglich gesund, d.h. die Lebenszeit-Prävalenz für psychische Störungen liegt bei etwa 60%. • Psychotherapie ist bei fast allen psychischen Störungen indiziert. Epidemiologische Untersuchung von Schepank (1994)

„Psychotherapie ist ... Strotzka (1975) ein bewusster und geplanter interaktioneller Prozess, • zur Beeinflussung von Verhaltensstörungen und Leidenszuständen, die behandlungsbedürftig sind (Konsens), • mit psychologischen Mitteln (Kommunikation, verbal/averbal), • in Richtung auf ein definiertes, gemeinsam erarbeitetes Ziel (Symptomminimierung/Änderung derStruktur), • mittels lehrbarer Techniken, • auf der Basis einer Theorie von normalem/pathologischen Verhalten. • In der Regel ist dazu eine tragfähige emotionale Bindung notwendig.

Stationäre Psychotherapie Indikationen - Störungsmerkmale unzureichende Motivation u./o. fehlende Möglichkeit für ambulante Behandlung ( regionale Indikation) Symptomeinschränkungen verhindern ambulante Therapie (z.B. Agoraphobie; somatoforme Schmerzstörung) Ich-strukturelle Schwäche mit reduzierter Fähigkeit zu kontinuierlicher ambulanter therapeutischer Beziehung Milieugründe (Partnerschaftskrisen; familiäre Verstrickung etc.) Herauslösung aus pathogenem Umfeld z.B. bei somatoformen Störungen zur Erarbeitung einer Therapiemotivation zu diagnostischen Zwecken bei noch unklarer Einordnung des Beschwerdebilds bei indizierter komplexer bzw. multimodaler Behandlungsform (z.B. Ess-Störungen) Krisenintervention