Begriff „Nativismus“ „’Nativistisch’ nennt man in der modernen Ethnologie kollektive Bewegungen bei kolonial beherrschten Gesellschaften, die einen emanzipatorischen.

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 Präsentation transkript:

Begriff „Nativismus“ „’Nativistisch’ nennt man in der modernen Ethnologie kollektive Bewegungen bei kolonial beherrschten Gesellschaften, die einen emanzipatorischen Geist atmen. Sie zielen nicht notwendig auf politische Selbstständigkeit, wir können sie daher noch nicht ‚nationalistisch’ nennen. Sie sind überhaupt nicht notwendig ausdrücklich ‚politisch’, sondern mindestens in ihren Anfängen mehr religiös oder auch reformerisch. Im Nativismus beginnt der Eingeborene, um einen neuen Selbstausdruck zu ringen. Unverkennbar ist das Bestreben, aus der Bevormundung durch den weißen Mann heraus- und mit einem eigenen Beitrage hervorzutreten.“ (323) etwas plastischer: „In den meisten Fällen […] zielen Nativismen konkret auf die Wiederherstellung alter […], unterdrückter Sitten und Bräuche, auf die Restitution der ‚guten, alten Zeit’…“ (323)

Dieses Bestreben hat zunächst religiösen Charakter - 2 Gründe für diesen religiösen Charakter: (vgl. 323): 1.) Der Eingeborene kann sich nur in der missionschristlichen Gemeinde geistig eigenproduktiv entfalten, 2.) das mythische Denken (der Eingeborenen): es kommt zu einer geistigen Produktion einer „glücklichen Zukunft“, die identisch [nicht etwa gleich] mit der „Urzeit“ (dem Urzustand) ist; und verbunden wird mit der Wiederkehr von Heilbringern und Ahnen allgemein: „Es ist das bekannte Selbstmißverständnis aller Re-Bewegungen (Reformationen, Renaissancen, Revolutionen), die trotz scheinbarer Rückkehr zu den ‚Ursprüngen‘ faktisch etwas neues hervorbringen.“ (323)

Nationalismus hat eine oberflächliche und eine Tiefendimension: (vgl. 324): Oberflächlich ist Nationalismus das Feld von Dogmen, Ideologien und ideologiegespeisten Programmen. Die hier (an der Oberfläche) formulierten Hoffnungen, Pläne und Dogmen basieren auf einer „…Emotionalschicht von Stimmungen und Aktionsbereitschaften…“ = Tiefendimension Eigenschaften der Tiefenschicht a) sie ist relativ unveränderlich b) aus ihr gehen in Krisensituationen die „nationalistischen Explosionen“ hervor

erste These (– eigentlich 3 Thesen vgl. 324): 1a) Diese Tiefenschicht ist in nativistischen Bewegungen deutlicher erkennbar, weil die Ideologien sie hier noch nicht so sehr verdecken. 2a) Nativismen bilden die konstante und volkstümliche Basis in den Nationalismen. 3a) Nationalismus kann sich von seiner Basis abheben und ein reines Oberflächenphänomen werden (= eine Ideologie ohne Substanz).

zweite These: Nativistische Bewegungen sind bei zeitgenössischen Naturvölkern im Kern „chiliastisch“. Chiliasmus: Erwartung des 1000-jährigen Reiches Christi auf Erden nach seiner Wiederkunft vor dem Weltende (Offenbarung 20, 4f.). „Das Entscheidende für eine soziologische Definition des Chiliasmus ist die kollektive Aufbruchbereitschaft zur Erlangung oder Verwirklichung eines heiß ersehnten ‚paradiesischen’ Glückszustandes auf Erden. In der christlichen Form wird dieser Zustand als tausendjährige Endzeit begriffen. Aber der gewünschte Zustand kann auch als ein Fernziel im Raume gedacht werden […]. Maßgebend scheint uns in der Tat die Aufbruchsbereitschaft zu sein, oder das Sich-rüsten, Sich-bereitmachen für das kommende Heil.“ (325) Duden Fremdwörterbuch, 5.Aufl., Mannheim/Wien/Zürich: 1990, S. 143.

Propheten und ihre Dogmatik „Typisch ist das Auftreten von Propheten (oder Prophetinnen), welche die eschatologischen Hoffnungen entfesseln, indem sie weissagen, daß eine glücklichere Zukunft bevorstehe, in der die weißen Herren (oder die Ausbeuter, die herrschende Schicht allgemein, das herrschende Fremdvolk usw.) verschwinden werden. Dann werden Reichtum, Überfluß und Glück herrschen, die Menschen werden frei sein von Krankheiten und Ungemach.“ (327)

Zwei wesentliche Aspekte der neuen Lehren der Propheten: (vgl. 328f.): 1.) extrem eschatologische Aufforderungen: unter dem Motto: „Sorget nicht für den morgigen Tag“  Einstellen der Arbeit, Zerstörung der Felder etc. = politische Dimension: Verweigerung der Zusammenarbeit mit den Herrschenden = religiöse Dimension: Beweis der Glaubenskraft 2.) Aufforderung zu Reformismus und Purismus: - Ablehnung der Kultur der Herrschenden - Rückkehr zu den Sitten und Bräuchen der Väter (auch um von den Schäden durch die fremden Einflüsse zu heilen)

Bedingungen für das Auftreten des Chiliasmus: „Die geistig nicht bewältigte, in ihren Zusammenhängen nicht durchschaubare eigene Gegenwartssituation ist eine wichtige Vorbedingung für das Auftreten eschatologischer Hoffnungen und Aspirationen. [und so sieht Mühlmann seine Methode gerechtfertigt:] Man sagt ja das gleiche Defizit dem modernen Menschen nach; an den Naturvölkern aber wird es in der Situation des Kulturkontaktes geradezu experimentell greifbar. So können die Nativismen die Gefahren erhellen, denen wir selbst ausgesetzt sind.“ (333)

Das „charismatische Milieu“ Kennzeichnend für dieses „charismatische Milieu“ ist eine „…Binnen Intellektualität und Binnen-Moral, affektiv überhitzt nach innen, gereizt, eiskalt und erbarmungslos nach außen, mit Scheuklappen für alles, was nicht in das festgelegte eigene Glaubenssystem paßt; völlig unfähig, Außengruppen in den richtigen Proportionen zu sehen. Im Extremfall ein aufgeblähtes Größenbewußtsein (‚kompensatorische Megalomie’) der eigenen Gruppe, die zur Achse des Weltgeschehens wird.“ (333f.)

wesentliches Merkmal des Chiliasmus: Das dualistische Weltbild „Die Aggressionsbereitschaft nach außen wird gestützt durch dualistische Konstruktionen, die Unterscheidung von Gott und Satan, guten und bösen Geistern. Die Fähigkeit, gute und böse Geister unterscheiden zu können, gehört zu den Kriterien des Propheten Charisma, - aber auch schon des Schamanen der Naturvölker! Nur ringt dieser um sein Wissen, der Prophet hingegen […] weiß alles durch die ihm allein zuteil gewordene Offenbahrung. Die Dämonisierung der nicht konformen Umwelt bestimmt völlig die Einstellung zu den Außenstehenden, vor allem, wenn diese zugleich im Besitze der Macht sind.“ (334)

Dieser Dualismus zeigt sich auch im Motiv der Säuberung: (334ff.): - Die Wiederherstellung des ‚reinen Urzustandes’ verträgt keine Störung durch fremde Einflüsse  alle fremden Einflüsse müssen notfalls liquidiert werden! - Unterteilung in „wir“ [die Guten, Auserwählten etc.] und „sie“ [die Bösen, Fremden, Ungläubigen, Anti-Christen]  „…typisch chiliastisches Motiv des ‚eschatologischen Krieges’ bzw. der Endschlacht gegen die Sie-Gruppe“ (335) Mühlmann nennt dies „…das insulare Weltbild der Wir-Gruppe, die sektarische Einengung des Bewußtseinshorizontes, das geschlossene System der wenigen Auserwählten, die allein gerettet werden, während die ganze übrige Menschheit der Verdammnis anheimfällt…“ (339)

Koreri-Prophezeiungen der Papua: „Yams und Kartoffeln werden auf Bäumen wachsen, die Kokosnüsse hingegen in der Erde; die Landtiere werden im Meere leben und umgekehrt. Die soziale Zuspitzung aber lautet: ‚Die Schwarzen werden weiß, und die Weißen werden schwarz’ mit der Konsequenz: ‚Die weißen werden für uns arbeiten, wie wir bisher für sie.’“ (336)

Vier Ursachen für das Umschlagen von Erwartung in direkte Aktion: (vgl 330f.) 1.) Die gegenwärtige Lage wird als unerträglich empfunden.  Die chiliastische Gruppe kann einfach nicht mehr warten und schreitet zur Tat. 2.) Dementi der Weissagungen durch die Tatsachen: Der gesetzte Termin der Erlösung wird nicht erfüllt.  Die Initiative geht aus den Händen Gottes, der nicht interveniert hat, in die Hand der Menschen über – das Heil soll herbeigezwungen werden. 3.) Die herrschenden Mächte schätzen die Gefährlichkeit der chiliastischen Bewegungen falsch ein.  falsche oder keine politischen Gegen-Maßnahmen 4.) Im Laufe einer chiliastischen Bewegung kann die Führung von religiös motivierten Initiatoren auf politische Agitatoren übergehen, die gewaltsame Lösungen suchen.

„Mit der leiblichen Zerstörung soll auch der Name des politischen Feindes ausgetilgt werden. Kein Andenken soll an ihn bleiben. Aber ebenso regelmäßig folgen auf die Bilder der ewigen Finsternis, des Dunkels und der Verlorenheit die Bilder des Lichts und der Erlösung. Ein Zitat aus dem Moskauer Prozeßbericht in den Säuberungen 1938: ‚Aber über uns und unserem glücklichen Land wird nach wie vor unsere Sonne mit ihren hellen Strahlen klar und freudig leuchten. Wir, unser Volk, werden nach wie vor, geführt von unserem geliebten Führer, dem großen Stalin, den vom letzten Schmutz und Unrat der Vergangenheit gesäuberten Weg gehen, vorwärts und immer vorwärts dem Kommunismus entgegen.’“ (10f.)

Hans-Günter Hockerts: „Bei der Wahl der Formelemente bediente sich der braune Kult im Repertoire sehr verschiedener Traditionen. Massenaufmarsch und Gedenkumzug, Chöre und Musik, Appell und Gelöbnis, Fahnen, Fackeln, Feuerschalen, was immer Wirkung versprach verleibte er sich ein. So entstand ein Ritualgemisch, das Anleihen aus der christlichen Liturgie mit militärischen und folkloristischen Traditionen verband. Dazu kamen Übernahmen aus dem Formenkreis der Jugendbewegung, der Operndramaturgie (Richard Wagner) und der antiken Mythologie.“ (12)

Franz Werfel (1932): „Wir haben dargetan, daß die beiden größten Bewegungen der Gegenwart, Kommunismus und Nationalismus, antireligiöse, jedoch religionssurogierende Glaubensarten sind und keineswegs nur politische Ideale, sie sind echte Kinder der nihilistischen Epoche und deshalb auch nicht weit vom Stamm gefallen. Wie ihr Vater kennen sie keine transzendente Verbundenheit, wie er hängen sie im Leeren. Sie geben sich aber mit dieser Leere nicht mehr zufrieden, sondern veranstalten in ihr Exzesse, um sie zu überwinden.“ (16)

Einerseits (Pro) ▪ Beispiel von J. Linz, der 1933 deutsche Christen traf, die ihr Tischgebet auf Hitler umtexteten – d.h., die ihr täglich Brot nicht Gott, sondern dem Führer verdankten: Das Beispiel ist ein Indiz dafür… daß es unter den Anhängern Lenins, Mussolinis, Hitlers, Maos „religiös bewegte“ Menschen gab, die in diesen Diktatoren religiöse Figuren sahen, die man verehrte und deren Lehren als religiöse Botschaften interpretiert wurden. ▪ Ohne diesen religiösen (oder jedenfalls religions-ähnlichen) Eifer sind - die hohe Loyalität und Gehorsamsbereitschaft (die nicht allein aus Terror und Angst erklärt werden kann) - die Unempfindlichkeit gegenüber Kritik und Zweifeln - das Gefühl, eine historische Mission zu erfüllen - und die enorme Leidensbereitschaft nicht zu erklären (vgl. 17f.).

Andererseits (Contra) ▪ Instrumentalisierung und Funktionalisierung: Religiöse Elemente wurden von den Anführern totalitärer Bewegungen ausschließlich als Mittel zum Zweck benutzten. Ziel der Instrumentalisierung: - Verbreiterung der eigenen Legitimationsbasis - Ausschaltung nicht oder schwer kontrollierbarer Fremdlegitimationen religiöser Art. Das politische Regime sollte von Legitimationen außerpolitischer Art (Kirche) gänzlich unabhängig werden. „Allgemein gilt: die spontanen religionsähnlichen Gefühle und Wallungen der Massen werden ‚von oben‘ in Dienst genommen und funktionalisiert – als Sekundärtugenden, die dem Bestand des Regimes nützliche Dienste leisten.“ (19)

Michael Rohrwasser: „Ungeachtet dieser ‚Irreligiösen Kritik’ und ungeachtet ihres modernen Charakters sind beide Ideologien – Nationalsozialismus und Marxismus – ganz offensichtlich durch starke militant-religiöse Züge gekennzeichnet, was kaum verwunderlich ist, da revolutionäre Mentalität sich durch den intensiven Glauben auszeichnet, die totale Erlösung sei möglich (Erlösung aus eigener Kraft statt durch göttliche Hilfe: eine prometheische Variante) und stehe im absoluten Gegensatz zum gegenwärtigen Zustand […], und durch den Glauben, die totale Erlösung sei das einzige wahre Ziel der Menschheit, was die totale Verneinung der bestehenden Welt einschließt.“ (19)