Integrierte Sucht- und Traumabehandlung

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 Präsentation transkript:

Integrierte Sucht- und Traumabehandlung Dr. Katja Reuter

Geschichtlicher Hintergrund Kriegszitterer, Kriegsneurose, Kompensationsneurose Erste systematische Beschreibungen Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrh. (Eisenbahnunglücke, 2 Weltkriege, Holocaust, die sich alle ähnelten (Syndromebene) Post Traumatische Belastungsstörung (PTBS) 1980 erstmals im DSM III als „Krankheit“ aufgeführt

TRAUMA "Potentielle oder reale Todesbedrohungen, ernsthafte Verletzung oder eine Bedrohung der körperlichen Unversehrtheit bei sich oder anderen, auf die mit intensiver Furcht, Hilflosigkeit, oder Schrecken reagiert wird" (DSM-IV: American psychiatric Association)

Häufigkeiten belastender Ereignisse

Klassifikation von Traumen (1) Menschlich verursachte Traumen ("man made disasters") Sexuelle und körperliche Misshandlungen in der Kindheit Kriminelle und familiäre Gewalt Vergewaltigungen Kriegserlebnisse Zivile Gewalterlebnisse (z.B. Geiselnahme) Folter und politischer Inhaftierung Massenvernichtung (KZ, Vernichtungslagerhaft) 

Klassifikation von Traumen (2) Katastrophen, berufsbedingte und Unfalltraumen Naturkatastrophen Technische Katastrophen (z.B. Giftgaskatastrophen) Berufsbedingte Traumen (z.B. Militär, Polizei, Feuerwehr) Arbeitsunfälle Verkehrsunfälle

Kurzdauernde traumatische Ereignisse (Typ I-Traumen, einfach) Klassifikation von Traumen (3) Kurzdauernde traumatische Ereignisse (Typ I-Traumen, einfach) Naturkatastrophen Unfälle Technische Katastrophen Kriminelle Gewalttaten wie Überfälle, Schusswechsel Längerdauernde, wiederholte Traumen (Typ II-Traumen, mehrfach) Geiselhaft Folter Kriegsgefangenschaft Wiederholte sexuelle oder körperliche Gewalt, Kindesmissbrauch, Kindesmisshandlung sowie wiederholte Vergewaltigungen

AKUTE BELASTUNGSREAKTION "Schockzustand", "Nervenzusammenbruch" Tritt unmittelbar nach einem traumatischen Ereignis auf. Symptome der generalisierten Angststörung wie körperliche Unruhe oder Benommenheit, Zittern, Herzrasen, Schwitzen, Schwindel, Mundtrockenheit, etc. Einengung der Aufmerksamkeit, Desorientierung, Verzweiflung, außergewöhnliche Trauer Dauer zwischen 2 Tagen und höchstens 4 Wochen.

Posttraumatische Belastungsstörung PTBS - Posttraumatische Belastungsstörung PTSD - Post Traumatic Stress Disorder

Posttraumatische Belastungsstörung "Vitales Diskrepanzerlebnis zwischen bedrohlichen Situationsfaktoren und den individuellen Bewältigungsmöglichkeiten, das mit Gefühlen von Hilflosigkeit und schutzloser Preisgabe einhergeht und so eine dauerhafte Erschütterung des Selbst- und Weltverständnisses bewirkt." (Gottfried Fischer)

Antwortverhalten auf traumatische Ereignisse nach Meichenbaum 1994 Emotionale Reaktion: z.B. Ärger, Wut, Schuld Kognitive Veränderung: z.B. antizipierte Hilflosigkeit, Konzentrationsmangel Biologische-physiologische Störung: z.B. Schlafstörungen Behaviorale Konsequenzen: z.B. Vermeidungsverhalten Charakteristische Copingstile: z.B. Schuldzuweisungen

DIAGNOSTISCHE KRITERIEN (1) ICD-10/DSM-IV A. Die Betroffenen waren einem Ereignis von außergewöhnlicher Bedrohung oder mit katastrophalem Ausmaß ausgesetzt, das nahezu bei jedem tiefgreifende Verzweiflung auslösen würde. (Ereigniskriterium) B. Anhaltende Erinnerungen oder Wiedererleben der Belastung durch aufdringliche Nachhallerinnerungen (Flashbacks), lebendige Erinnerungen, Bilder, Gedanken, Wahrnehmungen (sog. Intrusionen), Wiederkehrende belastenden Träume oder Albträume, Handeln oder Fühlen, als ob das Ereignis wiederkehrt

DIAGNOSTISCHE KRITERIEN (2) C. Umstände, die der Belastung ähneln oder mit ihr in Zusammenhang stehen, werden tatsächlich oder möglichst vermieden. D. Teilweise oder vollständige Unfähigkeit, sich an einige wichtige Aspekte der Belastung zu erinnern und / oder Anhaltende Symptome erhöhter Erregung wie: a. Ein- und Durchschlafstörungen b. Reizbarkeit oder Wutausbrüche c. Konzentrationsschwierigkeiten d. Hypervigilanz e. erhöhte Schreckhaftigkeit

DIAGNOSTISCHE KRITERIEN (3) E. Die Kriterien B,C und D treten innerhalb von 6 Monaten nach dem Belastungsereignis oder nach Ende einer Belastungsperiode auf.

WICHTIG!! HIER UND JETZT Es fehlt eine Zeitperspektive Die traumatischen Ereignisse werden so erlebt, als ob sie im HIER UND JETZT geschehen würden!

Was heißt das? Das charakteristischste Symptom der PTBS ist das ungewollte Wiedererleben von Aspekten des Traumas. Die Betroffenen haben die gleichen sensorischen Eindrücke (z.B. Bilder, Geräusche, Geschmack, Körperempfindungen) und gefühlsmäßigen und körperlichen Reaktionen wie während des Traumas!

KOMPLEXE TRAUMATISIERUNG Subsyndromale Form der PTBS (DESNOS = „Disorder of Extreme Stress Not Otherwise Specified“ ) I) Störungen der Regulation von Affekten und Impulsen - Stimmungsschwankungen mit Unfähigkeit sich selbst zu beruhigen - Verminderte Steuerungsfähigkeit von aggressiven Impulsen - Autodestruktive Handlungen und Selbstverletzen - Suizidalität -Störungen der Sexualität - Exzessives Risikoverhalten

KOMPLEXE TRAUMATISIERUNG II) Störungen der Wahrnehmung oder des Bewusstseins - Amnesien, Dissoziative Episoden und Depersonalisation III) Störungen der Selbstwahrnehmung - Unzureichende Selbstfürsorge - Gefühl, dauerhaft zerstört zu sein - Schuld- und Schamgefühle - Gefühl, isoliert und abgeschnitten von der Umwelt zu sein - Bagatellisieren von gefährlichen Situationen

KOMPLEXE TRAUMATISIERUNG IV) Störungen in der Beziehung zu anderen Menschen - Unfähigkeit, zu vertrauen - Reviktimisierungen - Viktimisierung anderer Menschen V) Somatisierung - Somatoforme Beschwerden - Hypochondrische Ängste VI) Veränderungen von Lebenseinstellungen - Fehlende Zukunftsperspektive - Verlust von persönlichen Grundüberzeugungen und Werten

Epidemiologie (1) Häufigkeit traumatischer Ereignisse mit den DSM-IV- Kriterien fanden Stein et al. (Mannheim), dass 81% der Männer und 74% der Frauen "traumatischen Erlebnissen" ausgesetzt waren.

Epidemiologie (2) Männer 8% Frauen 20% Risiko für PTBS nach einem traumatischen Erlebnis Männer 8% Frauen 20%

Häufigkeiten von verschieden Traumen und von PTBS Art Traumahäufigkeit PTBS Vergewaltigung 5,5 55,5 Sexuelle Belästigung 7,5 19,3 Krieg 3,2 38,8 Waffengewaltandrohung 12,9 17,2 Körperliche Gewalt 9,0 11,5 Unfälle 19,4 7,6 Zeuge (Unfälle, Gewalt) 25,0 7,0 Feuer / Naturkatastrophe 17,1 4,5 Misshandlung in der Kindheit 4,0 35,4 Vernachlässigung in der Kindheit 2,7 21,8 Andere Lebensbedrohliche Situationen 11,9 7,4 Andere Traumen 2,5 23,5 Irgendein Trauma 60,0 14,2 (Nach Kessler et al. 1995, in einer repräsentativen amerikanischen Stichprobe, Frauen und Männer gemittelt)

Verlauf einer PTBS 50% der Pat. zeigen eine Spontanremission 1/3 der akuten PTBS werden zu einer chronischen PTBS

PTBS und Komorbidität ca. 80 % aller Fälle 1. Depression 2. Angsterkrankungen 3. Suchterkrankungen 4. Somatisierungsstörung 5. Sexuelle Störungen

Und was hat Trauma mit Sucht zu tun?

PTBS und Sucht (1) Komorbidität von PTBS und Sucht bei Vietnam-Veteranen: 64-84 % für alkoholbedingte St. (nach Escobar, 1983) Alkoholabusus (und Abhängigkeit) ist die häufigste komorbide Störung bei „traumatisierten“ Männern (sowohl Kriegs- als auch Ziviltraumatisierte) Jacobsen, 2001

ungefähr 2mal höher als bei Männern ohne PTBS. PTBS und Sucht (2) Bei Männern mit PTBS ist die Wahrscheinlichkeit einer Alkoholabhängigkeit ungefähr 2mal höher als bei Männern ohne PTBS. (Helzer et al., 1987: 1,9 / Kessler et al., 1995: 2,1)

PTBS und Sucht (3) Bei Frauen mit PTBS ist die Wahrscheinlichkeit einer Alkoholabhängigkeit 2½ bis fast 3mal höher als bei Frauen ohne PTBS. (Kessler et al., 1995: 2,5 / Helzer et al., 1987: 2,8)

Zitat einer Patientin „ Je mehr ich konsumiere, desto weniger fühle ich den Schmerz. Der Schmerz ist so groß, dass ich einfach nur sterben will. Es gibt keinen anderen Ausweg. Darüber zu sprechen würde zu sehr weh tun. Also behalte ich mein Geheimnis für mich. Niemand erfährt davon.“ „Nüchtern würde ich vollkommen verrückt werden und verstecke mich unter dem Bett“.

bei schwerer sexueller Traumatisierung sogar um den Faktor 5,7 PTBS und Sucht (4) Traumatische Erfahrungen in der Kindheit und Jugend erhöhen das Risiko einer späteren Abhängigkeitserkrankung um das Dreifache bei schwerer sexueller Traumatisierung sogar um den Faktor 5,7 S. Kendler 2000

Alkoholpatienten in Behandlung (Langeland et al. 2004) N=155 modifiziert nach Ingo Schäfer Zentrum für interdisziplinäre Suchtforschung (ZIS) der Universität Hamburg

PTBS und Sucht (4) Nach einer epidemiologischen Studie von Perkonigg (2000) lag der Beginn einer Alkoholabhängigkeit (oder Missbrauch) in 55 % der Fälle nach dem Beginn der PTBS Die Suchterkrankung scheint in hohem Maße sekundär zu sein.

Behandlungsstudien zur Sucht (Brown 2000, Quimette 2000, Abueg und Fairbank 1991) Suchtpat. Mit PTSB reagieren weniger günstig auf fokussierte Suchtbehandlungen Sucht- und PTSB Pat. haben häufigere und schwerere Rückfälle PTSB stört die Rehabilitation der Sucht Deswegen ist eine kombinierte Behandlung notwendig