Berlin, 5. und 6. Juni 2007 LIBERALISIERUNG UND PRIVATISIERUNG ÖFFENTLICHER DIENSTLEISTUNGEN – FOLGEN FÜR TARIFPOLITIK Erfahrungen aus Österreich Christoph Hermann Forschungs- und Beratungsstelle Arbeitswelt, Wien
LIBERALISIERUNG UND PRIVATISIERUNG IN ÖSTERREICH Inhalt Entwicklung Marktstruktur Österreichische Tarifpolitik Liberalisierung u. Auswirkung auf Tarifpolitk Zentrale Merkmale Tarifvertragspartner Tarifverträge Folgen Gegenstrategien
LIBERALISIERUNG UND PRIVATISIERUNG IN ÖSTERREICH Elektrizität - Entwicklung 1988 Verbund wird zur Aktiengesellschaft u. 49% der Aktien werden an der Börse verkauft Seit den späten 1990er Jahren Umsetzung der EU-Richtlinien: Entkoppelung von Produktion, Übertragung, Vertrieb u. Handel Einrichtung eines Stromregulators Einstieg ausländischer Investoren (RWE, EDF) u. Aufflammen ausländischer Konkurrenz (Billiganbieter) Unternehmen werden in AG’s umgewandelt bleiben aber mehrheitlich im öffentlichem Besitz (starke regionale Segmentierung) Verbund als mit Abstand größter Produzent steigt in den Stromhandel ein
LIBERALISIERUNG UND PRIVATISIERUNG IN ÖSTERREICH Elektrizität - Marktstruktur Verbundgesellschaft: Mit Abstand größter Stromproduzent, Netzbetreiber u. seit neuestem im Stromhandel aktiv 9 Landesgesellschaften und 5 städtische Gesellschaften vor allem in der Übertragung, Verteilung und im Handel aktiv
LIBERALISIERUNG UND PRIVATISIERUNG IN ÖSTERREICH Post - Entwicklung 1996 Überführung in privatrechtliches Unternehmen 1997 Einrichtung eines Postregulators 1999 Ausgliederung und Verkauf der Telekom Schrittweise Reduzierung des Briefmonopols 2001 Ausgliederung der Postbus (inzwischen Teil der Bundesbahnen) 2002 Verkauf der Postsparkasse (inzwischen in Besitz eines amerikanischen Investmentfonds) 2001/2 und 2004/5 Schließung von ca. 1000 Postämtern 2006 49% der Post werden an private Investoren verkauft
LIBERALISIERUNG UND PRIVATISIERUNG IN ÖSTERREICH Post - Marktstruktur Adressierte Briefe: 98% Österreichische Post AG Unadressierte Briefe: 80% Post AG, 18% FEIBRA, 2% Redmail Paketdienste: Neben Post AG alle großen Paketzusteller (DHL, TNT, UPS etc.)
LIBERALISIERUNG UND PRIVATISIERUNG IN ÖSTERREICH ÖPNV - Entwicklung Ausgliederung städtischer Transportunternehmen und Überführung in AGs oder GsmbHs Seit 1999 Wiener Linien GmbH als Teil der Wiener Stadtwerke Holding AG Postbus 1999 Postbus GmbH als Teil der Post AG 2001 Ausgliederung und Überführung in die ÖIAG 2003 ‘Verkauf’der Postbus and die ÖBB
LIBERALISIERUNG UND PRIVATISIERUNG IN ÖSTERREICH ÖPNV - Marktstruktur Regionalverkehr: 85% ÖBB-Postbus, 5% Dr.Richard, der Rest einige hundert kleine Unternehmen Städtischer Verkehr: Städtische Transportunternehmen. Wiener Linien bspw. größtes österr. ÖPNV-Unternehmen
LIBERALISIERUNG UND AUSWIRKUNG AUF TARIFPOLITIK Tarifvertragssystem – zentrale Merkmale Sektortarifverträge – 95% der Beschäftigten. 3% Haustarifverträge Ausnahme Angestellte ArbeitgeberInnen nahezu 100% organisiert ArbeitnehmerInnen ca. 40% organisiert
LIBERALISIERUNG UND AUSWIRKUNG AUF TARIFPOLITIK Elektrizität – zentrale Merkmale Organisierungsgrad der ArbeitgeberInnen: nahezu 100% Organisierungsgrad der ArbeitnehmerInnen: ca. 80% Reichweite der Tarifverträge: nahezu 100% Alle größeren Unternehmen haben einen Betriebsrat Die Tarifverträge der Elektrizitätsversorgungsunternehmen gehören zu den den Besten in Österreich
LIBERALISIERUNG UND AUSWIRKUNG AUF TARIFPOLITIK Elektrizität - TarifvertragspartnerInnen ArbeitgeberInnen: Verband der Österreichischen Elektrizitätsunternehmen Gemeinden ArbeitnehmerInnen: Gewerkschaft Metall, Textil, Nahrung (GMTN), Gewerkschaft der Privatangestellten, Druck, Journalismus Papier (GPA-DJP) Gewerkschaft der Gemeindebediensteten (GDG)
LIBERALISIERUNG UND AUSWIRKUNG AUF TARIFPOLITIK Elektrizität - Tarifverträge Tarifvertrag für ArbeiterInnen und Angestellte in den Elektrizitätsversorgungsunternehmen Tarifvertrag für Angestellte im Stromhandel Tarifverträge für kommunale Elektrizitätsunternehmen Gehaltsschema für Beamte in kommunale Elektrizitätsunternehmen
LIBERALISIERUNG UND AUSWIRKUNG AUF TARIFPOLITIK Elektrizität - Folgen Eigener Tarifvertrag für die Beschäftigten im Stromhandel Neue Haustarifverträge Manche Unternehmen haben den Tarifvertrag gewechselt Unterschiedliche Regelung für unterschiedliche Beschäftigungsgruppen Verschlechterungen für neue eintretende Beschäftigte Kündigung von Betriebsvereinbarungen
LIBERALISIERUNG UND AUSWIRKUNG AUF TARIFPOLITIK Post – zentrale Merkmale Organisierungsgrad der ArbeitgeberInnen: 100% Organisierungsrad der ArbeitnehmerInnen: Post AG: ca. 80% der Beschäftigten Rest: max. 40% der Angestellten Reichweite der Tarifverträge: 100% Post AG, Feibra, DHL und TNT haben einen Betriebsrat 60% der Beschäftigten bei der Post sind Beamte oder haben einen gleichwertigen Status Ein Großteil der ZustellerInnen bei den privaten Anbietern sind selbständig beschäftigt
LIBERALISIERUNG UND AUSWIRKUNG AUF TARIFPOLITIK Post - TarifvertragspartnerInnen ArbeitgeberInnen: Österreichische Post AG Bundeskammer der österreichischen Wirtschaft ArbeitnehmerInnen: Gewerkschaft der Post- und Fernmeldebediensteten Gewerkschaft der Privatangestellten, Druck, Papier Journalismus (GPA-DJP) Gewerkschaft Handel Transport Verkehr (HTV) – neuerdings Teil von vida
LIBERALISIERUNG UND AUSWIRKUNG AUF TARIFPOLITIK Post - Tarifverträge Beamtengehaltsschemata der Postbediensteten Tarifvertrag zwischen der Gewerkschaft der Post- und Fernmeldebediensteten und der Post AG Tarifvertrag für Werbung und Marktkommunikation (in Wien) Tarifvertrag für ArbeiterInnen in Speditions- und Lagereibetrieben Tarifvertrag für Angestellte in Speditions- und Lagereibetrieben Tarifvertrag für Expeditarbeiter, Redaktions- und Verwaltungsgehilfen, Zusteller und Austräger
LIBERALISIERUNG UND AUSWIRKUNG AUF TARIFPOLITIK Post – Folgen Zunehmende Fragmentierung der Tarifvertragsstruktur Grosse Unterschiede zwischen dem ehemaligen Monopolisten und den privaten KonkurrentInnen Unterschiedliche Regelungen für unterschiedliche Beschäftigungsgruppen innerhalb der Post AG Umgehung von Tarifverträgen durch die Verwendung von selbständig Beschäftigten Verschlechterung der Mitbestimmungsrechte bei der Post AG
LIBERALISIERUNG UND AUSWIRKUNG AUF TARIFPOLITIK ÖPNV – zentrale Merkmale Organisierungsgrad der ArbeitgeberInnen: 100% Organisierungsrad der ArbeitnehmerInnen: ÖBB, Postbus und kommunale Unternehmen: ca. 80% Rest: max. 40% Reichweite der Tarifverträge: 100% ÖBB, Postbus, kommunale Unternehmen und große private Unternehmen haben einen Betriebsrat Ca. 50% der Beschäftigen in den öffentlichen Unternehmen sind Beamte oder haben einen gleichwertigen Status
LIBERALISIERUNG UND AUSWIRKUNG AUF TARIFPOLITIK ÖPNV - TarifvertragspartnerInnen ArbeitgeberInnen: Postbus AG Gemeinden Bundeswirtschaftskammer Sektion für Busunternehmen ArbeitnehmerInnen: Gewerkschaft der Eisenbahner (GDE) – jetzt Teil von vida Gewerkschaft Handel, Transport, Verkehr (HTV) – jetzt ebenfalls Teil von vida Gewerkschaft der Post- und Fernmeldebediensteten (GPF) Gewerkschaft der Gemeindebediensteten (GdG)
LIBERALISIERUNG UND AUSWIRKUNG AUF TARIFPOLITIK ÖPNV - Tarifverträge Gehaltsschemata für BeamtInnen bei ÖBB, Postbus und bei kommunalen Transportunternehmen Haustarifverträge für ÖBB, Postbus und kommunale Transportunternehmen Tarifvertrag für private Busunternehmen Tarifvertrag für Privatbahnen
LIBERALISIERUNG UND AUSWIRKUNG AUF TARIFPOLITIK ÖPNV – Folgen Starke Fragmentierung der Tarifvertragsstruktur Große Unterschiede zwischen den öffentlichen und privaten Unternehmen Große Unterschiede zwischen Beschäftigungsgruppen innerhalb der öffentlichen Unternehmen Verschlechterungen für manche Beschäftigungsgruppen Kündigungen von Betriebsvereinbarungen
LIBERALISIERUNG UND AUSWIRKUNG AUF TARIFPOLITIK Inwieweit stellen Tarifverträge langfristig sicher, dass der Wettbewerb nicht über die Arbeitskosten ausgetragen werden? Elektrizität Post ÖPNV Hoher Organisationsgrad Unterschiedlicher Organisationsgrad Hohe Zentralisierung der Tarifstruktur Zweispaltung der Tarifstruktur Dezentralisierung und Zersplitterung Hoher Schutzfaktor Mäßiger Schutzfaktor Geringer Schutzfaktor
LIBERALISIERUNG, PRIVATISIERUNG UND INTERESSENVERTRETUNG Folgen für die Gewerkschaften Schwächung von Gewerkschaften durch Verlust von Mitgliedern Fragmentierung der Tarifvertragsstrukturen Keine oder schlechtere Verträge für die neuen AnbieterInnen Konflikte zwischen Gewerkschaften Verschlechterungen in Mitbestimmungsrechten Von Betriebs- zu Branchengewerkschaften
LIBERALISIERUNG, PRIVATISIERUNG UND INTERESSENVERTRETUNG Gegenstrategien Anti-Privatisierungskampagnen Neue Koalitionen mit NGO‘s Neue Sektorkollektivverträge – bspw. Post Zusammenlegungen von Gewerkschaften Einfluss auf Regulierung
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