Welche Auswirkungen haben sie auf Beziehungen? Dr. med. Ursula Wälty

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 Präsentation transkript:

Welche Auswirkungen haben sie auf Beziehungen? Dr. med. Ursula Wälty ADHS und Impulsivität Welche Auswirkungen haben sie auf Beziehungen? Dr. med. Ursula Wälty

ADHS polarisiert.... Zwei Beispiele ADHS polarisiert - In der Öffentlichkeit besteht ein grosse Ambivalenz. Die einen sehen im ADHS ein Erklärungsmodell für ihre Alltagsschwierigkeiten, und plötzlich diagnostiziert jeder zweite bei sich ein ADHS... Die andern, stark kritischen Stimmen merken an, dass eine Pathologisierung weiter Bevölkerungsteile im Gange sei und stellen es als gesellschaftliches Phänomen dar. Und beide Aspekte spielen eine Rolle. Ich muss gestehen, dass ich eher zur zweiten Gruppe, denen der kritischen Stimmen, gehörte. Aber wie so oft sind es die Betroffenen selbst, die mir zu einer differenzierteren Sicht verholfen haben. Dass so gerungen wird um einen Umgang mit dem Störungsbild ADHS hat meines Erachtens unmittelbar mit unserem Thema zu tun. Nicht ADHS polarisiert, sondern Menschen mit ADHS polarisieren und fordern heraus. ADHS wirkt sich in den Beziehungen der Betroffenen aus. Neben den enorm gewinnenden und kreativen Aspekten werden ihre Impulsivität, Wechselhaftigkeit und Emotionalität sehr ambivalent wahrgenommen. Mehr noch: ADHS-Betroffene nehmen sich selber äusserst ambivalent wahr, Schwanken oft zwischen Genialität und Selbstentwertung. Wir versuchen, in diesem Workshop einen Überblick zu gewinnen darüber, wie sich die ADHS-Symptome auf Beziehungen auswirken und ich möchte Ihnen auch in Ansätzen vorstellen, welche Bedeutung dies in der Behandlung hat.

ADHS-Symptome und ihre Auswirkungen auf Beziehungen Aufmerksamkeitsstörung Erhöhte Ablenkbarkeit Vergesslichkeit Häufiges Verlieren von Gegenständen Schwierigkeit, Gesprächen aufmerksam zu folgen Motorische Hyperaktivität Innere Unruhe Unfähigkeit, sich zu entspannen Bewegungsunruhe Wender PH 1995

ADHS-Symptome und ihre Auswirkungen auf Beziehungen Affektlabilität Stimmungsschwankungen, stark von äusseren Faktoren abhängig Affektkontrolle Reizbarkeit Wutausbrüche Desorganisiertes Verhalten Schwierigkeit, Arbeitsabläufe zu planen Schwierigkeit, Aufgaben zu Ende zu bringen Probleme mit Zeitstrukturierung und Selbstorganisation Probleme, Vorhaben überhaupt anzufangen Übermässige Unordnung Wender PH 1995

ADHS-Symptome und ihre Auswirkungen auf Beziehungen Impulsivität Ungeduld Dazwischenreden Temperamentausbrüche Riskantes Verhalten Emotionale Überreagibilität Geringe Stresstoleranz Gesteigerte vegetative Empfindlichkeit Schnell ängstlich und unsicher Kurze Übung: Diskutieren sie kurz mit ihrem Sitznachbarn: Aufgrund dessen, was sie bis hierhin über ADHS wissen, was für Auswirkungen hat die Störung auf die Beziehung von Betroffenen? Wender PH 1995

ADHS-Symptome und ihre Auswirkungen auf Beziehungen Auswirkungen auf Beziehungen: Betroffene... Gelten oft als unordentlich und unzuverlässig Wirken „unkooperativ“, scheinen Dinge auf ihre Art machen zu wollen Haben Mühe beim „Sich Abgrenzen“ und beim „Nein-sagen-können“ Neigung zu Eifersucht Beziehen vieles schnell auf sich und sind schnell beleidigt Haben oft das Gefühl, in ihrer Beziehung alles fasch zu machen und erleben sich als beziehungsunfähig Wirken unberechenbar und egoistisch oder selbstzerstörerisch Rossi 2006, Resnick 2000

ADHS-Symptome und ihre Auswirkungen auf Beziehungen Typische Kommunikationsmuster Reden ohne Punkt und Komma Sich beim Erzählen oft in Details verlieren Plötzlich von etwas reden, was nicht zum Thema gehört Dazwischenplatzen Sich schnell in Wortwahl und Tonfall vergreifen Spontan Personen oder Dinge laut, deutlich und offen bewerten nach Neuhaus 2005

Betroffene Beziehungsbereiche Klinische Verlaufsstudien zeigen, dass Betroffene... Öfter vorzeitig die Schule verlassen müssen Weniger oder keine Freunde haben Seltener eine begabungsentsprechende Arbeit ausüben Vermehrt asoziale Handlungen ausführen Häufiger Frühschwangerschaften aufweisen Häufiger an sexuell übertragenen Krankheiten leiden Vermehrt Autounfälle erleiden International Consensus Statement on ADHD 2005

Betroffene Beziehungsbereiche Arbeitsplatz Partnerschaft Erziehung der eigenen Kinder Sozialleben

Betroffene Beziehungsbereiche Arbeitsplatz Schwierigkeiten, administrative Arbeiten zu erledigen Probleme mit Langzeitprojekten Probleme mit der Arbeit in einer unruhigen Umgebung Schwierigkeiten mit Detailarbeit Probleme mit repetitiven Arbeiten Aber auch Grosse Kreativität Oft Fähigkeit, „intuitiv“ richtig zu entscheiden und schnell zu handeln Fähigkeit, die grossen Zusammenhänge zu sehen Im Zwischenmenschlichen Bereich bedeutet dies: Häufige Konflikte mit Vorgesetzten wegen unterschiedlichen Auffassungen von Zuverlässigkeit oder Arbeitsplanung Autoritätskonflikte Probleme mit Arbeitskollegen, da die Zusammenarbeit durch obengenannte Schwierigkeiten oft erschwert wird. Überforderung, da oft eine Diskrepanz zwischen kreativen Ideen und deren konkreten Umsetzung Nach Resnick 2004, Neuhaus 2005

Betroffene Beziehungsbereiche Frau Müller und Herr Kunz bei der Arbeit... Frau Müller: Ihren Traumberuf in der Pflege konnte Frau Müller nicht erlernen, da es schon im ersten Schnupperpraktikum grosse Schwierigkeiten gab. Sie wurde mehrfach von Pflegeschulen abgewiesen. Schliesslich absolvierte sie nach einigen Umwegen eine Lehre im paramedizinischen, kosmetischen Bereich. Es gab teilweise massive Konflikte mit ihrer Lehrmeisterin, die aber in den Worten von Frau Müller „mich aushielt..“ und ihr so einen erfolgreichen Abschluss ermöglichte. Kurz nach der Lehre löste sie ihre beruflichen Schwierigkeiten auf die Art, dass sie sich selbständig machte und ihre kleine Praxis eröffnete. Sie ist bei ihren Kunden wegen ihrer spontanen Art und ihrer guten Arbeit so beliebt, dass sie es sich leisten kann, an einem schlechten Tag kurzfristig alle Termine abzusagen. Wenn sie dann einen besonders guten Tag hat, dann bietet sie einfach kurzfristig Leute auf, meist aus dem Dorf, wo sie wohnt. Die für sie lästige administrative Arbeit übernimmt ihr Mann, ein äusserst gewissenhafter Buchhalter. Bei der Arbeit hat sich Frau Müller bestens mit ihrer ADHS arrangiert.

Betroffene Beziehungsbereiche Partnerschaft Gehäufte Missverständnisse aufgrund von Unaufmerksamkeit und Selbstbezogenheit Gefühlsausbrüche und Stimmungsschwankungen belasten die Beziehung Sexuelle Probleme Desorganisation erschwert gemeinsame Aufgabenbewältigung Tendenz zu abhängigen Beziehungen Aber auch Grosses Einfühlungsvermögen Starkes Engagement für eine Beziehung Sexuelle Probleme: Starkes sexuelles Bedürfnis Frauen: Probleme, sich auf den Geschlechtsverkehr zu konzentrieren Männer : Gehäuft riskantes Sexualverhalten Nach Resnick 2004, Neuhaus 2005

Betroffene Beziehungsbereiche Die Partnerschaften von Frau Müller und Herr Kunz Frau Müller: Während der Lehre hat Frau Müller ihren zukünftigen Ehemann kennen gelernt. Schon von Anfang an habe er zu ihr geschaut, habe sie durch die Lehre hindurch begleitet und sei für sie zum ruhenden Pol geworden. Ihr Mann, ein gewissenhafter kaufmännischer Angestellter, hat selber mit Ängsten zu kämpfen. Die zeitweise lebhafte und impulsiven Art seiner Frau bringt ihn oft an seine Grenzen. Über die Jahre entwickelt sich mehr und mehr die Dynamik, dass Frau Müller einerseits von ihrem Mann abhängig wird, da sie nichts mehr ohne ihn unternehmen kann. Anderseits wird sie oft gereizt und kritisiert ihn ständig, so, dass er sich immer mehr zurückzieht. Dies wiederum versetzt Frau Müller in Rage, so dass sie noch mehr auf ihm herumhackt, bis sich Herr Müller dann ganz verschliesst. Die Spirale drehte sich in dieser Art immer häufiger und immer schneller. Eine Trennung kam aber für beide nie in Frage, doch das Leiden in der Beziehung wurde gross.

Betroffene Beziehungsbereiche Erziehung der eigenen Kinder Erhöhtes Risiko, dass die Kinder an einer ADHS leiden Schwierigkeit, ein konstantes Erziehungsverhalten aufrechtzuerhalten Einbringen der eigenen Kindheitserfahrungen, die oft nicht positiv sind Streit zwischen den Eltern über Erziehung Aber auch Verständnis für die Problematik der betroffenen Kinder Oft „intuitiv“ guter Umgang mit der Impulsivität der Kinder Nach Resnick 2004, Neuhaus 2005

Betroffene Beziehungsbereiche Frau Müller und Herr Kunz in ihren Familien... Frau Müller: Aufgrund ihrer Probleme, die sie schon seit Kindheit gehabt hat, hat sie sich nie zugetraut, eigene Kinder zu haben. Manchmal schmerzt es, aber bereut, hat sie den Entscheid nie. Herr Kunz hat eine 11-jährige Tochter und einen 5-jährigen Sohn. Erst seit einem Jahr lebt die Familie zusammen, die vielen Aktivitäten von Herrn Kunz belasten das Familienleben. Seine wiederholten Arbeitsunterbrüche verunsichern. Herr Kunz selber hat Angst, die Verantwortung für seine Familie nicht tragen zu können und seine Idealvorstellungen von familiärer Harmonie nicht zu erfüllen. Sein Sohn zeigt ganz ähnliche Symptome wie Herr Kunz und wird demnächst abgeklärt.

Betroffene Beziehungsbereiche Sozialleben Risikoreiches Hobby Schwierigkeit, sich in der Freizeit zu erholen Wenige Freunde, viele „oberflächliche“ Kontakte Nach Resnick 2004

Betroffene Beziehungsbereiche Das Umfeld von Frau Müller und Herr Kunz Frau Müller: Herr und Frau Müller leben sehr zurückgezogen. Frau Müller findet mit ihrer spontanen und offenen Art schnell Kontakt, aber Missverständnisse, schnelle Kränkbarkeit und hohe Ansprüche führen dazu, dass sich Bekannte immer wieder distanzieren. Oder das Ehepaar Müller erlebt sich als so gekränkt, dass sie selber den Kontakt abbrechen. Richtige Ferien haben die beiden seit Jahren nicht mehr gemacht, dies wegen ihren Ängsten und den unterschiedlichen Vorstellungen darüber, was erholsam ist. Herr Müller möchte am liebsten die Beine strecken und nichts tun. Bei Frau Müller muss etwas laufen. Herr Kunz will überall helfen und engagiert sich stark ehrenamtlich. Dabei kommt die Familie oft zu kurz. Seine vielen Bekanntschaften sind oberflächlich, enge Freunde hat er sehr wenige. Er ist bei der Feuerwehr, liebt den Nervenkitzel, was früher auch durch illegale Handelsgeschäfte zum Ausdruck kam.

Multimodaler Behandlungsansatz Psychoedukation Anpassung der Umgebung Coaching Medikation Kognitive Verhaltenstherapie, speziell Neuro-kognitive Psychotherapie Training sozialer Fertigkeiten Selbsthilfegruppen Einbezug der Angehörigen und relevanten Bezugspersonen Das ist eine Zusammenstellung der heute gängigen Empfehlungen in der Behandlung bei ADS. Ich möchte heute nur auf diejenigen Aspekte eingehen, die speziell bei Beziehungsproblemen eine Rolle spielen. Natürlich kann man die Komponenten und die vielfältigen Auswirkungen im Praxisalltag nicht so künstlich voneinander trennen. Aber ich möchte es doch der Übersicht halber tun und die Aspekte wie Medikation , Coaching und andere hier nicht weiter vertiefen, da sie auch andernorts am heutigen Tag noch zur Sprache kommen. Ich werde mich konzentrieren auf die Schwerpunkte Psychoedukation, kognitive Therapien und den Einbezug von Angehörigen. Nach Nadeau 2006, Ramsay 2005, Resnick 2004

Multimodaler Behandlungsansatz Einbezug der Angehörigen und relevanten Bezugspersonen Angehörige sind immer Mitbetroffene Das Leiden bei ADHS entsteht oft durch die Folgen im zwischenmenschlichen Bereich Die Beziehungsdynamik führt oft zu einer Aufrechterhaltung der Probleme Im Mehrpersonensetting lassen sich die durch syndromtypische Kommunikationsprobleme bedingten Missverständnisse verringern Angehörige können, im Einverständnis mit dem Betroffenen, hilfreich unterstützend wirken Angehörige sind immer Mitbetroffene: wenn man Angehörigen vermitteln kann, dass man in diesem Sinne auch Verständnis hat für ihre Nöte, ist das einerseits sehr entlastend. Es kann aber auch ein Schlüssel sein dafür, dass sich Angehörige nicht bedrängt fühlen, in eine Behandlung miteinbezogen zu werden. Unter diesem Vorzeichen ist klar, dass es nicht darum geht,Schuldige zu suchen.

Multimodaler Behandlungsansatz Psychoedukation Die umfassende Information des Betroffenen und ihrer Angehörigen über die Störung ist ein zentraler Aspekt der Behandlung Das Verständnis für die Störungen, die dem problematischen Verhalten zugrundeliegenden, kann für Betroffene und ihre Partner entlastend sein Die Kenntnisse über die Störung können bei ADHS wesentlich dazu beitragen, die Selbsthilfe zu fördern Übung: Diskutieren Sie mit ihrem Sitznachbarn, Wie man einen Betroffen über ADHS informieren kann, so, dass es wertschätzend ist und alle wesentlichen Punkte erwähnt sind. Ein Betroffener sollte darüber informiert werden, dass bei ADHS eine neurochemische Störung vorliegt, die die Gehirnaktivität beeinträchtigen kann. Er sollte die wichtigsten Symptome kennen und, dass sich das Muster und die Intensität der Symptome von Mensch zu Mensch unterscheiden. Er muss wissen, dass es sich um ein chronisches Problem handelt, das alle Lebensbereiche betreffen kann. Wichtig ist auch, dass es familiär gehäuft auftritt und dass die meisten Menschen mit ADHS damit geboren worden sind (nicht Erziehung...). In einen Ratgeberbuch tönt das z.B. so: Sie haben nicht ADS, sie sind ADS ADS ist die Art und Weise, wie sie verdrahtet sind Es steckt mehr in ihnen als ADS Sie haben Macht über ihr Leben, wenn sie wissen, wie ihr ADS sich auf sie auswirkt ADS ist keine Ausrede es ist eine Erklärung Sie können Verantwortung für ihr ADS übernehmen Nach Neuhaus 2005, Nadeau 2006

Multimodaler Behandlungsansatz Kognitive Verhaltenstherapie/ Neuro-kognitive Psychotherapie Aspekte der kognitiven Therapie wie Neu- und Umbewertung, Identifikation und Veränderung automatischer Gedanken, u.a. Ansätze zur Bewältigung der Probleme z.B. durch Verbesserung der kognitiven Funktionen unter Berücksichtigung der neurobiologischen Aspekte der Störung Aspekte der kognitiven Therapie: Viele Erwachsene mit ADS leben mit einer tief verwurzelten Grunderwartung des Scheiterns, die sich dann auch auf ihre Beziehungsgestaltung auswirkt. Erkennen der zerstörerischen Auswirkungen negativer Selbstüberzeugungen Entwicklung von konstruktiveren positiven Gedankenmustern Neuro-kognitive Aspekte: Verständnis der Symptome als Ausdruck der Exekutivfunktionen (Bsp. Geringe Motivation und Desorganisation) Funktionelles Verständnis von ADHS Verbesserung der kognitiven Funktionen Entwicklung von Kompensationsstrategien Strukturierung der Sitzung: Notizen wh. Der Therapie Kurze Wiederholung der letzten Sitzung Hilfen, um beim Thema zu bleiben Verknüpfen von psychologischen und lebenspraktischen Aspekten Nadeau 2006

Multimodaler Behandlungsansatz Kognitive Verhaltenstherapie/ Negative Selbstüberzeugungen Misstrauen „ Ich kann mich nicht auf mich selbst verlassen“, „ Ich bin unberechenbar“ Versagen „Ich habe nicht meinen Erwartungen entsprochen“ Unfähigkeit „ Ich bin grundsätzlich unfähig“ Ausgeschlossensein „Ich bin anders und werde anders behandelt“ Defekt sein „ Ich bin nicht, wie ich sein sollte“

Schwerpunkte in der Behandlung Probleme am Arbeitsplatz Psychoedukation Anpassung der Umgebung Günstige Arbeitsplatzbedingungen Ablenkungen zwischendurch Berufsspezifisches Coaching Training sozialer Fertigkeiten Unterstützung in Kommunikation und Entscheidungsfindungen Nach Nadeau 2006

Schwerpunkte in der Behandlung Probleme in der Partnerschaft Psychoedukation Besprechen von „Vorfällen“ in emotional ruhigen Momenten Aushandeln von Absprachen für eskalierende Situationen Thematisieren der Paardynamik aufgrund von Temperamentausbrüchen, Selbstwertproblematik und Hypersensibilität Frau Müller: Zu Beginn der Behandlung stand die Therapie der Angststörung im Vordergrund. Frau Müller war auch Aspekten der Paarproblematik gegenüber sehr misstrauisch, da sie in vorangehenden Beratungen wiederholt zur Trennung ermutigt wurde und dies für sie keine Option darstellte. Der Ehemann war aber bereit, im Rahmen der Behandlung seiner Frau ab und zu einbezogen zu werden. Später dann, als die Ängste in den Hintergrund rückten, Frau Müller Vertrauen gefasst hatte und die Paarsituation durch eine schwere Erkrankung des Ehemannes noch verschärft wurde, änderte sich der Fokus. Frau Müller hat sich in der Zwischenzeit intensiv mit der ADHS-Problematik auseinandergesetzt. Aktuell ist der Schwerpunkt in der Therapie die Paarproblematik. Beide wünschten nun gemeinsame Gespräche. Frau Müller hat gelernt, in Eigenverantwortung mit ihren Medikamenten umzugehen, und wenn ein stressiger Tag vor ihr liegt, passt sie die Dosierung morgens an. Sie ist im Moment daran zu üben, anstatt dem Mann hinterher Vorwürfe zu machen, zu versuchen, ihn im Vorfeld konkret um Dinge zu bitten. Dies entlastet den Ehemann, da er nun besser einschätzen kann woran er ist. Der Ehemann hat verstanden, dass er akzeptieren muss, wenn seine Frau sich in spannungsgeladenen Situationen zurückziehen möchte, da es für sie ein Selbstschutz vor einer gefühlsmässigen Explosion darstellt.

Zusammenfassung Die Beziehungsprobleme bei ADHS finden sich vor allem bei der Arbeit, in den Partnerschaften und der Erziehung der Kinder. Sie bestimmen im Wesentlichen das Leiden, das durch die Störung verursacht wird. Die Auseinandersetzung mit dem Störungsbild, der Einbezug der Angehörigen und Aspekte aus der kognitiven Therapie sind wesentliche Pfeiler in der Behandlung bei Beziehungsschwierigkeiten. ADHS bedeutet nicht nur Probleme, sondern auch Ressourcen!

Literaturverzeichnis I Ebert D, Krause J, Roth C (2003); AWMF-Leitlinien ADHS im Erwachsenenalter. Nervenarzt 10:939-946 Krause KH, Krause J, Trott GE (1998); Das hyperkinetische Syndrom (Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung) im Erwachsenenalter. Nervenarzt 69:543-556 Neuhaus C (2005); Lass mich, doch verlass mich nicht, ADHS und Partnerschaft. Deutscher Taschenbuch Verlag, München Ramsay R J, Rostain L (2005); Treating Co-Morbid Adult ADHD by combining Medication and Cognitive Therapy. APA, May 26, 2005 Resnick RJ (2004); Die verborgene Störung-ADHS bei Erwachsenen. Klett-Cotta Ryffel M; Deutsche Übersetzung International Consensus Statement on ADHD. In Internetseite: ADD-Online: Stand 2005, abgerufen am 2.10.2006: http//www.adhs.ch/add/consensus.htm

Literaturverzeichnis II Wender PH (1995); Attention-deficit hyperactivity disorder in adults. Oxford University Press, New York-Oxford Weiss L (2003); ADS im Job. Brendow u. Sohn Verlag GmbH, Moers Winkler M, Nadeau K G; Deutsche Übersetzung Neuro-kognitive Psychotherapie für Erwachsene mit ADHS. In Internetseite ADD-online: Stand 2006, abgerufen am 2.10.1006: http://www.adhs.ch/add/neuro-kognitiv.htm Winkler M; ADHS bei Erwachsenen- Grundlagen und klinische Symptomatik der Aufmerksamkeitsdefizit-Syndroms im Erwachsenenalter. In Internetseite: ADD-Online. Stand 2006, abgerufen am 2.10.2006:http://www.adhs.ch/add/grundlagen_1.htm