ADHS – Modediagnose oder klinische Realität ?

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 Präsentation transkript:

ADHS – Modediagnose oder klinische Realität ? Dominique Eich-Höchli PUK Zürich, Sektor Ost „Wenn Zappelphilipp erwachsen wird, ...“ 17. Riehener Seminar, den 24.10.2006

„Die Pathologisierung des Lebens beginnt bereits im Kindesalter .... ......Doch die Medizin befriedigt die Bedürfnisse der Eltern nach Erklärungen für jedes Verhalten und alle Launen des Nachwuchses. So sind mittlerweile nicht nur Hyperaktivität und Aufmerksamkeits-defizit (jetzt auch für Erwachsene!) zu Modediagnosen mit epidemischen Ausmassen geworden...“ Werner Bartens: „Süsse Sorge um das Selbst“ NZZ Folio, Nr. 3, März 2004, S.18

ADHS - Nomenklatur Zappelphilipp Hyperkinetic Reaction of Childhood Hanns Guck-in-die-Luft Hyperkinetic Syndrome Frühkindliches POS Hyperactive Child Syndrome Aufmerksamkeits-Defizit- Minimal Brain Damage Störung Minimal Brain Dysfunction Minimal Cerebral Dysfunction

Wenn Kinder erwachsen werden ... Berufsausbildung / Studium Einstieg ins Berufsleben / Anstellung sozioökonomischer Status / soziale Anerkennung Bürgerpflichten: Gesetze, Verkehrsregeln einhalten; Steuern zahlen Freizeitaktivitäten Verlassen der Herkunftsfamilie Partner-Beziehungen / Familiengründung Konsumgewohnheiten

Auftreten von Störungen  Schizophrenien  Angststörungen  Alkohol- + Drogenmissbrauch / -abhängigkeit  Tourette / Tics  Störungen des Sozialverhaltens  Lernstörungen  Persönlichkeitsstörungen  Entwicklungsstörungen  Affektive Störungen ADHS 10 20 30  Soziale Anpassungsstörungen / Delinquenz  Schul- und Ausbildungsschwierigkeiten Key points Je nach psycho-sozialem Entwicklungsstand des Kindes kann eine unbehandelte ADHS zu Schwierigkeiten im sozialen und schulischen/akademischen Umfeld führen. Mögliche Symptome im entwicklungspsychopathologischen Verlauf können sein (aus: Herpertz-Dahlmann, Resch, Schulte-Markwort, Warnke, Entwicklungspsychiatrie, Schattauer-Verlag, Stuttgart 2003): Säuglingsalter: unausgeglichen, schlecht adaptiert, Ess- und Schlafprobleme, instabiles psychophysiologisches Aktivitätsniveau; Kindergarten: ausgeprägte motorische Hyperaktivität und dadurch bedingte erhöhte Unfallgefährdung, mangelnde soziale Integration und soziale Kompetenz, oppositionelle Verhaltensweisen gegenüber Eltern, aggressive Reaktionen gegenüber Gleichaltrigen, Entwicklungsrückstände (Motorik, Sprache, visuelle Wahrnehmungsfähigkeit); Schule: Aufmerksamkeitsdefizit, Impulsivität, Folgen sind Klassenwiederholungen, Schulverweise, Schulabbrüche; Jugendalter: vor allem in Zusammenhang mit vorliegenden Komorbiditäten können sich externalisierende Verhaltensstörungen mit aggressiven und dissozialen Symtomen entwickeln (erhöhtes Risiko für spätere Delinquenz, Substanzmissbrauch und die Entwicklung einer Antisozialen Persönlichkeit).  Probleme bei der Organisation von Alltagspflichten  Probleme am Arbeitsplatz  Instabile Beziehungen Soziale Auswirkungen  Erziehungsprobleme 18 D. Eich, 2006

HKS und ADHD ICD DSM ICD-8 (1974) Hyperkinetisches Syndrom der Kindheit (308.3) ICD-9 (1979) Hyperkinetisches Syndrom des Kindesalters (314) mit Entwicklungsrückstand / mit Störung des Sozialverhaltens ICD-10 (1991) : HKS Hyperkinetische Störung (F90) ADHS (F90.0) Unaufmerksamkeit (6/9); Überaktivität (3/5); Impulsivität (1/4) DSM DSM-III (1980): ADD Attention-Deficit-Disorder (314) DSM-III-R (1987): ADHD Attention-deficit-Hyperactivity-Disorder (314.01); 8/14 Kriterien Schweregrad: leicht / mittel / schwer Ausschlusskriterien: Autismus DSM-IV (1994); ADHD Attention-Deficit / Hyperactivity Disorder (314); Kriterien: 6/9 + 6/9 combined / inattentive / hyperactive- impulsive Type / ADHD NOS

Subtypen von HKS und ADHS nach ICD-10 F90.0 Einfache Aktivitäts- und Aufmerksamkeitsstörung = ADHS (ohne Störung des Sozialverhaltens) F90.1 Hyperkinetische Störung des Sozialverhaltens F90.8 Andere hyperkinetische Störung F90.9 Nicht näher bez. hyperkinetische Störung F98.8 Aufmerksamkeitsstörung ohne Hyperaktivität Ausschluss: tiefgreifende Entwicklungsstörung F84 manische Episode F30 depressive Episode F32 Angststörung F41

Adultes ADHS: Leitsymptome nach P. Wender 1. Aufmerksamkeitsstörung 2. Motorische Hyperaktivität 3. Affektlabilität (zykloid) 4. Desorganisation in Verhalten und Aktivitäten 5. Mangelhafte Affektkontrolle (Wutausbrüche) 6. Impulsivität (Dazwischenreden) 7. Emotionale Überreaktionen P. Wender, Oxford University Press, 1995

Bereiche der Beeinträchtigung Schlechte Schul- bzw. Arbeitsleistung verpasst oft Fristen häufiges Verlegen v. Dingen kommt oft zu spät zur Arbeit/ zu Verabredungen geringer akad. Erfolg trotz Begabung Anpassungsprobleme wenig Geschick mit Geld zahlt Rechnungen zu spät überzieht das Konto chaotisch in persönlichen bzw. familiären Belangen Emotionale Probleme neigt zu emot. Ausbrüchen fühlt sich demoralisiert wg. permanentem Misserfolg (aktuell weniger) Geringere soziale Fähigkeiten schlechter Zuhörer Freundschaften pflegen  rasch erzürnbar verbal ausfällig, wenn wütend R.A. Barkley, ADHD, 1998

Auswirkungen von ADHS auf die Gesundheitskosten Patientenkohorte: n=4119  ADHD p .01 vs. Non-ADHD grössere Unfälle + 10 % * stationäre Hospitalisat. + 8 % * ambulante Therapien + 8 % * Notfallaufnahmen + 7 % * C.L. Leibson, JAMA 285,1997

Krankheitskonzept von ADHS Ursachen +/- Pathogenese +/- Pathologie und Dysfunktion +/- Klinisches Syndrom ++ Verlauf ++ Ergebnis + Therapieantwort + Falls die obigen, epistemiologischen Kriterien nicht erfüllt sind, wäre die Diagnose als Arbeitshypothese zu verstehen. N. Sartorius, CINP Paris, 2004

ADHS: Schlussfolgerung ADHS ist eine häufige, chronische Erkrankung, die bei etwa 50% der Patienten auch noch im Erwachsenenalter Auswirkungen zeigt. ADHS findet sich auch bei Eltern und Geschwistern von Kindern mit ADHS und hat neurobiologische Korrelate. Kernsymptome und Begleitprobleme beein-trächtigen viele Bereiche des täglichen Lebens. Bei ADHS-Patienten sind assoziierte Störungen (umschriebene Entwicklungsstörungen, psychiatrische Störungen) eher die Regel als die Ausnahme. D. Eich, 2006