Befristung von Arbeitsverhältnissen im Spiegel der Rechtsprechung Regensburg, 2. Juli 2015 Kristina Schmidt
Befristetes Arbeitsverhältnis Befristung eines Arbeitsverhältnisses ist die Vereinbarung, dass der Arbeitsvertrag zu einem bestimmten Datum oder mit einem bestimmten Ereignis „automatisch“ enden soll. sog. „atypische Beschäftigungsform“
Befristungsrecht als Konkretisierung von Verfassungsrecht Grundgesetz Art. 2 Abs. 1 Art. 12 Art. 5 Abs. 1 Satz 2 Art. 5 Abs. 3 Art. 3 Abs. 1
Befristungsrecht als Umsetzung von Unionsrecht EGB-UNICE-CEEP Rahmenvereinbarung über befristete Arbeitsverträge im Anhang der Richtlinie 1999/70/EG des Rates vom 28. Juni 1999 (Rahmenvereinbarung) Charta der Grundrechte der Europäischen Union GRC EuGH 26. Februar 2013 - C-617/10 - (Åkerberg Fransson) effet-utile-Grundsatz
Rahmenvereinbarung § 1 Buchst. b) § 5 „Maßnahmen zur Missbrauchs-verhinderung“ § 8 Nr. 1 „Mindestschutz“ § 8 Nr. 3 „Verschlechterungs-verbot“ § 1 Buchst. b) (Anwendungsbereich) „Rahmen schaffen zur Verhinderung von Missbrauch durch aufeinanderfolgende Arbeitsverträge“
Rahmenvereinbarung § 5 Nr. 1 a) sachliche Gründe, die die Verlängerung solcher Verträge oder Verhältnisse rechtfertigen; b) die insgesamt maximal zulässige Dauer aufeinanderfolgender Arbeitsverträge oder -verhältnisse; c) die zulässige Zeit der Verlängerungen solcher Verträge oder Verhältnisse.
TzBfG als nationales Gesetz § 14 Abs. 1 Satz 1 TzBfG: befristeter Arbeitsvertrag bedarf der Rechtfertigung durch einen sachlichen Grund § 14 Abs. 1 Satz 2 TzBfG: (nicht abschließender) Sachgrundkatalog § 14 Abs. 2: kalendermäßige Befristung ohne Sachgrund
TzBfG - Grundzüge § 14 Abs. 1 und Abs. 2 TzBfG: Zulässigkeit befristeter Arbeitsverträge § 14 Abs. 4 TzBfG: Befristung bedarf zu ihrer Wirksamkeit Schriftform (nicht bei Verweis auf TV vgl. BAG 23. Juli 2014 - 7 AZR 771/12 -) § 16 TzBfG: Befristung rechtsunwirksam - Arbeitsvertrag gilt als auf unbestimmte Zeit geschlossen § 17 Satz 1 TzBfG: dreiwöchige Klagefrist § 17 Satz 2 TzBfG iVm. § 7 KSchG: Befristung gilt als rechtswirksam
Sachgrundlose Befristung § 14 Abs. 2 TzBfG nur bei kalendermäßiger Befristungsabrede längstens für zwei Jahre höchstens dreimalige Verlängerung kein „Zuvorarbeitsverhältnis“ mit „demselben“ Arbeitgeber Dauer/Verlängerung: abweichende Festlegungen durch Tarifvertrag möglich
weder im Hinblick auf Rahmen-vereinbarung BAG 22. Januar 2014 - 7 AZR 243/12 - § 14 Abs. 2 Satz 1 TzBfG begegnet keinen unionsrechtlichen Bedenken weder im Hinblick auf Rahmen-vereinbarung noch im Hinblick auf Art. 30 GRC
Kein Zuvorarbeitsverhältnis - „Anschlussverbot“ zeitlich beschränktes Verständnis (drei Jahre) BAG 6. April 2011 - 7 AZR 716/09 - Verfassungsbeschwerden anhängig !
„derselbe Arbeitgeber“ „Arbeitgeber“ nach § 14 Abs. 2 Satz 2 TzBfG ist der Vertragsarbeitgeber (grdl. BAG 18. Oktober 2006 - 7 AZR 145/06 -) Rahmenvereinbarung verlangt kein anderes Verständnis des „Arbeitgeber“begriffs (BAG 4. Dezember 2013 - 7 AZR 290/12 -) Gebot des effet utile zwingt zu keiner anderen Interpretation des § 14 Abs. 2 Satz 2 TzBfG (BAG 19. März 2014 - 7 AZR 527/12 -)
„derselbe Arbeitgeber“ unionsrechtlich vorgegebener Missbrauchs-kontrolle ist mit Prüfung nach § 242 BGB Rechnung getragen (BAG 4. Dezember 2013 - 7 AZR 290/12 -) abgestufte Darlegungs- und Beweislast (BAG 4. Dezember 2013 - 7 AZR 290/12 -) Rechtsfolge einer missbräuchlichen Vertrags-gestaltung ist die Unwirksamkeit der Befristungsabrede (BAG 15. Mai 2013 - 7 AZR 525/11 -)
Sachgrundlose Befristung - Tarifvertrag - § 14 Abs. 2 Satz 3 TzBfG Nach § 14 Abs. 2 Satz 3 TzBfG können durch Tarifvertrag nicht nur entweder die Anzahl der Verlängerungen befristeter Arbeitsverträge oder die Höchstdauer der Befristung, sondern kumulativ beide Vorgaben abweichend von § 14 Abs. 2 Satz 1 TzBfG geregelt werden. Die tarifliche Dispositionsbefugnis ist allerdings nicht völlig schrankenlos (Grenzen offen gelassen). grdl. BAG 15. August 2012 - 7 AZR 184/11 - und zuletzt BAG 18. März 2015 - 7 AZR 272/13 -
Befristete Arbeitsverträge mit älteren Arbeitnehmern Die Regelungen in § 14 Abs. 3 Sätze 1 und 2 TzBfG in der ab 1. Mai 2007 geltenden Fassung sind, jedenfalls soweit es um deren erstmalige Anwendung zwischen denselben Arbeitsvertrags-parteien geht, mit Unionsrecht und mit nationalem Verfassungsrecht vereinbar. BAG 28. Mai 2014 - 7 AZR 360/12 -
Sachgrundbefristung § 14 Abs. 1 Satz 2 TzBfG Nr. 1: Bedarfsbefristung Nr. 2: Absolventenbefristung Nr. 3: Vertretungsbefristung Nr. 4: Eigenartbefristung Nr. 5: Erprobungsbefristung Nr. 6: Personenbefristung Nr. 7: Haushaltsbefristung Nr. 8: Vergleichsbefristung
Sachgrund Vertretung § 14 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 TzBfG vgl. zuletzt BAG 11. Februar 2015 - 7 AZR 113/13 - a) Kausalzusammenhang (auch „Vertretungs-zusammenhang“) zwischen zeitweiligem Ausfall des Vertretenen und Einstellung des Vertreters b) Prognose des Arbeitgebers über den voraussichtlichen Wegfall des Vertretungsbedarfs
a) Kausalzusammenhang
„Gedankliche Zuordnung“ Kausalität bei Vertretungsbefristung auch (+), wenn Arbeitgeber rechtlich und tatsächlich in der Lage, dem vorübergehend abwesenden Mitarbeiter im Falle seiner Anwesenheit die dem Vertreter zugewiesenen Aufgaben zu übertragen und Arbeitgeber bei Vertragsschluss mit dem Vertreter dessen Aufgaben einem oder mehreren vorübergehend abwesenden Beschäftigten nach außen erkennbar gedanklich zuordnet
b) Prognose bezogen auf: nur vorübergehenden Bedarf für den befristet Eingestellten / voraussichtlichen Wegfall des Vertretungsbedarfs keine „Erkundigungspflicht“ des Arbeitgebers über berufliche/private Planungen bei ausgefallener Stammkraft die wiederholte Befristung steht der Prognose des künftigen Wegfalls des Vertretungsbedarfs nicht entgegen
„Kettenbefristung“ Ausgangsverfahren: Mitarbeiterin im öffentlichen Dienst - 13 befristete Arbeitsverträge in 11 Jahren (zur Vertretung) Vorabentscheidungsersuchen zum EuGH nach Art. 267 AEUV BAG 17. November 2010 - 7 AZR 443/09 (A)
Fragen an den EuGH BAG 17. November 2010 - 7 AZR 443/09 (A) - § 14 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 TzBfG auch im Falle eines ständigen Vertretungs-bedarfs? Ggf. anders wegen sozialpolitischer Zielverfolgung (§ 21 BEEG)?
Antwort des EuGH 26. Januar 2012 - C 586/10 - (Kücük) Aus bloßem „Dauervertretungsbedarfs“ folgt weder, dass kein sachlicher Grund gegeben ist, noch das Vorliegen eines Missbrauchs. Bei der Beurteilung, ob die Verlängerung befristeter Arbeitsverträge durch einen sachlichen Grund gerechtfertigt ist, müssen die Behörden der Mitgliedstaaten jedoch im Rahmen ihrer jeweiligen Zuständigkeiten alle Umstände des Falles einschließlich der Zahl und der Gesamtdauer der in der Vergangenheit mit demselben Arbeitgeber geschlossenen befristeten Arbeitsverträge oder -verhältnisse berücksichtigen.
Rezeption von „Kücük“ BAG 18 Rezeption von „Kücük“ BAG 18. Juli 2012 - 7 AZR 443/09 - und - 7 AZR 783/10 - Bei Sachgrundprüfung „alles wie bisher“, aber ggf. (!!!) zusätzliche Prüfung, ob Arbeitgeber missbräuchlich auf befristete Arbeitsverträge zurückgreifen. Diese zusätzliche Prüfung ist im deutschen Recht nach den Grundsätzen des institutionellen Rechtsmissbrauchs (§ 242 BGB) vorzunehmen.
Institutionelle Rechtsmissbrauchskontrolle - Kriterien - Würdigung sämtlicher Umstände des Einzelfalls Von besonderer Bedeutung (alternativ und kumulativ): Gesamtdauer der befristeten Verträge Anzahl der Vertragsverlängerungen Grundrechtlich gewährleistete Freiheiten (Art. 5 Abs. 1 und Abs. 3 GG) Ferner: Laufzeit der einzelnen befristeten Verträge („Kongruenz“ von Befristungsdauer und zu erwartender Vertretungsbedarfszeit) Länge ggf. zeitlicher Unterbrechungen branchenspezifische Besonderheiten (Saisonbetriebe)
Institutioneller Rechtsmissbrauch - Orientierungshilfen - Ansatz: „Grenzwerte“ von § 14 Abs. 2 Satz 1 TzBfG „gravierend überschritten“ mehr als 11 Jahre und 13 Verträge (7 AZR 443/09 v. 18.07.2012) „erheblich überschritten“ etwas mehr als 6 ½ Jahre und 13 Verträge (7 AZR 225/11 v. 13.2.2013) „nicht um Mehrfaches überschritten“ 7 Jahre/9 Monate und 4 Verträge (7 AZR 783/10 v. 18.7.2012) Missbrauch indiziert – ArbGeb kann durch Vortrag besonderer Umstände entkräften Missbrauchkontrolle geboten (ArbN hat ggf. weitere Umstände vorzutragen) (noch) keine Anhaltspunkte für Gestaltungsmissbrauch
Befristete Arbeitsverträge in der Wissenschaft Das WissZeitVG bestimmt in seinem § 1 Abs. 1 Satz 1 seinen persönlichen Geltungsbereich eigenständig. Es kommt nicht auf Begriffs-bezeichnungen oder Zuordnungsdefinitionen nach den landeshochschulrechtlichen Regelungen an BAG 1. Juni 2011 - 7 AZR 827/09 -
Befristung einzelner Arbeitsvertragsbedingungen TzBfG auf die Befristung einzelner Arbeits-bedingungen nicht - auch nicht entsprechend - anwendbar; aber unbeschränkte Inhaltskontrolle nach § 307 BGB BAG 10. Dezember 2014 - 7 AZR 1009/12 - jedenfalls bei befristeter Arbeitszeitaufstockung in erheblichem Umfang bedarf es iRd. § 307 Abs. 1 S. 1 BGB solcher Umstände, die gesonderten befristeten Vertrag nach § 14 Abs. 1 TzBfG rechtfertigen würden BAG 15. Dezember 2011 - 7 AZR 394/10 -
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