Die ordnungsgemäße Anhörung des Betriebsrats insbesondere vor Kündigungen Lübeck – 13. Juli 2015
I. Grundsätzliches Anhörungsrelevante Mitbestimmungsrechte Insbesondere: Kündigungsanhörung Insbesondere: Anhörung nach § 99 BetrVG Verschwiegenheit und Geheimnisschutz Informationstiefe und Unterlagenvorlage
I. Grundsätzliches
Mitbestimmung setzt stets Information voraus Nichteinhaltung von Anhörungsrechten kann allgemeine Pflichtwidrigkeit sein Auswirkungen der Nichteinhaltung von Anhörungsrechte je nach Mitbestimmungsrecht unterschiedlich ausgestaltet Initiativpflicht liegt i.d.R. beim Arbeitgeber
II. Anhörungsrelevante Mitbestimmungsrechte
personelle Einzelmaßnahmen (Kündigung / § 99 BetrVG) Betriebsänderung „echte“ Mitbestimmung personelle Einzelmaßnahmen (Kündigung / § 99 BetrVG) Beratung Information
III. Insbesondere: Kündigungsanhörung
§ 102 BetrVG „Der Betriebsrat ist vor jeder Kündigung zu hören. Der Arbeitgeber hat ihm die Gründe für die Kündigung mitzuteilen. Eine ohne Anhörung des Betriebsrats ausgesprochene Kündigung ist unwirksam.“
Kündigungsentschluss Anhörung des BR Reaktionsfrist: fristlose Kündigung – 3 Tage Reaktionsfrist: ordentliche Kündigung – 1 Woche Kündigung
Reaktionsmöglichkeiten des Betriebsrats: Zustimmung Fristablauf (Zustimmungsfiktion) Bedenken rein rechtliche/soziale Ausführungen Widerspruch (nur ordentliche Kündigung)
Widerspruch des Betriebsrats (nur ordentliche Kündigung): binnen Wochenfrist nur aus den im Gesetz ausdrücklich genannten Gründen (§ 102 Abs. 3 BetrVG) hindert nicht die Möglichkeit des Ausspruchs der Kündigung durch den Arbeitgeber
Widerspruchsgründe: Soziale Gesichtspunkte (nur Sozialauswahl!) Verstoß gegen Auswahlrichtlinie § 95 BetrVG Weiterbeschäftigungsmöglichkeit im Betrieb oder Unternehmen Umschulung- oder Fortbildungsmöglichkeit Weiterbeschäftigung nach Vertragsänderung bei Einverständnis des Arbeitnehmers
Auswirkungen des (wirksamen) Widerspruchs: BR-Widerspr. Klage Urteil Kündigung zum 31.07. 31.07.
Widerspruch sichert Weiterbeschäftigungsanspruch: kann vom Arbeitnehmer verlangt werden (muss nicht böswilliges Unterlassen i.S.v. § 615 Abs. 1 BGB?) ist mit einstweiliger Verfügung durchsetzbar kann vom Arbeitgeber nur durch einstweilige Verfügung abgewehrt werden (§ 102 Abs. 5 S. 2 BetrVG; keine „Gegenfreistellung“ möglich)
Entbindung von der Weiterbeschäftigungspflicht (§ 102 Abs. 5 S Entbindung von der Weiterbeschäftigungspflicht (§ 102 Abs. 5 S. 2 BetrVG) nur bei: fehlender hinreichender Erfolgsaussicht oder Mutwilligkeit der Klage unzumutbarer wirtschaftlicher Belastung offenkundig unbegründetem Widerspruch des BR
Häufigste Fehler im Widerspruch des Betriebsrats: Widerspruch bei fristloser Kündigung kein Widerspruchsgrund des § 102 Abs. 3 BetrVG genannt und begründet Hinweis auf nicht qualifikationsgeeignete Weiterbeschäftigungsarbeitsplätze (Ziff. 3) Formulierung nur allgemeiner sozialer Gesichtspunkte (Ziff. 1)
Obliegenheit zur Aushändigung einer Abschrift des Widerspruchs bei Kündigung des Arbeitnehmers (§ 102 Abs. 4 BetrVG)
Rubrum Sozialdaten Maßnahme Gründe
Rubrum Name Beschäftigungsarbeitsplatz
Sozialdaten Lebensalter Betriebszugehörigkeit Unterhaltsverpflichtungen Schwerbehinderung
Maßnahme fristlose Kündigung ordentliche Kündigung zum ... P: „hilfsweise zum nächst zulässigen Zeitpunkt“ P: „fristlos, hilfsweise ordentlich zum nächst zulässigen Zeitpunkt“
Gründe substantiierte Geschichtserzählung (Wer? Wann? Was? Wo? Welche Folgen?) keine Auslassung wesentlicher Umstände müssen zutreffend sein
Sonderfall: Probezeitkündigung Anhörung des BR erforderlich (!) verkürzte Begründungspflicht falls sachlich begründet Wahrheitserfordernis falls „menschlich“ begründet nur nachvollziehbare Schilderung
Sonderfall: Widerholungskündigung nur neue Eckdaten zu schildern, wenn enger zeitlicher Zusammenhang zu Ausgangskündigung keine hohen Anforderungen an Begründung bloßer Verweis auf Vor-Anhörung ausreichend
Sonderfall: Verdachtskündigung Anhörung des Mitarbeiters vor Kündigungsausspruch zwingend erforderlich entlastende Einlassungen müssen überprüft und ggf. erneut vorgehalten werden umfassende Mitteilungspflicht ggü. BR hinsichtlich Ermittlungen und Einlassungen des Arbeitnehmers
Form der Anhörung: keine besondere Formvorschrift mündlich ist ausreichend (Beweiswert!) schriftlos vorzugswürdig mündliche Ergänzung möglich und sinnvoll
Anhörungsfristen: fristlose Kündigung 3 Kalendertage ordentliche Kündigung 1 Woche Frist nur verkürzbar, wenn BR vor Fristablauf erklärt, dass die Stellungnahme abschließend ist
Anhörungsumstände: keine Zustimmung durch Zuruf des BR-Vorsitzenden Anhörung setzt Beschlussfassungverfahren des BR voraus Ausnahme: Fristablauf
Verwendung von Anhörungsformularen: grundsätzlich geeignet, Abläufe zu standardisieren hilft bei der Abarbeitung der erforderlichen Informationen häufiger Fehler: Verkürzung von Darstellungen durch Formularnutzung
Häufigste Anhörungsfehler des Arbeitgebers: Erwähnung von Abmahnungen und Gegendarstellungen vergessen (VB) Verteidigungsvorbringen des Mitarbeiters nicht geschildert (VB) zu knappe Schilderung des kündigungsrelevanten Sachverhalts Vergessen kündigungsrelevanter Hauptinformationen
IV. Insbesondere: Anhörung nach § 99 BetrVG
§ 99 Abs. 1 BetrVG „.. hat der Arbeitgeber den Betriebsrat vor jeder Einstellung, Eingruppierung, Umgruppierung und Versetzung zu unterrichten, ihm die erforderlichen Bewerbungsunterlagen vorzulegen und Auskunft für die Person der Beteiligten zu geben; ...“
Reaktionsfrist: 1 Woche Zustimmung (ggf. durch Fristablauf) Entschluss zur PEM Anhörung des BR Reaktionsfrist: 1 Woche Zustimmung (ggf. durch Fristablauf) Ablehnung
aus gesetzlichen Gründen nach § 99 Abs. 2 BetrVG „nur so“-Ablehnung keine Zustimmungsersetzung durch das Gericht Zustimmungsersetzung durch das Gericht
Reaktionsmöglichkeiten des Betriebsrats: Zustimmung Fristablauf (Zustimmungsfiktion) Zustimmungsverweigerung (auch „untechnisch“)
Zustimmungsverweigerung des Betriebsrats: binnen Wochenfrist nur aus den im Gesetz ausdrücklich genannten Gründen (§ 99 Abs. 2 BetrVG) hindert die Möglichkeit der Umsetzung der Maßnahme selbst dann, wenn der BR sich überhaupt nicht substantiiert auf einen gesetzlichen Widerspruchsgrund berufen hat !!!
Zustimmungsverweigerungsgründe: Verstoß gegen Gesetz, TV, BV u.s.w. bei Richtlinienverstoß § 95 BetrVG Nachteile für bereits beschäftigte Arbeitnehmer Nachteile für betroffenen Arbeitnehmer wegen unterbliebener Ausschreibung nach § 93 BetrVG bei „Betriebsstörern“
Anhörung des BR zur vorläufigen Durchführung Zustimmung vorläufige Durchführung Ablehnung weiterer Antrag § 100 BetrVG an das ArbG Sachentscheidung faktisch unerheblich
Vorläufige Maßnahmendurchführung nach § 100 BetrVG: erfordert Begründung an BR, warum „Maßnahme aus sachlichen Gründen dringend erforderlich“ erfordert – weiteren – Antrag an das Arbeitsgericht Entscheidung des Arbeitsgerichts faktisch folgenlos
Rubrum Sozialdaten Maßnahme Gründe Auswirkungen !!!
Rubrum Name Beschäftigungs-/Einstellungsarbeitsplatz
Sozialdaten Lebensalter Betriebszugehörigkeit Unterhaltsverpflichtungen Schwerbehinderung
Maßnahme z.B. Versetzung: Von wo, nach wo, ab wann, für wie lange? z.B. Einstellung: Auf welchen Arbeitsplatz?
Gründe ggf. kurz, falls selbsterklärend länger, falls komplexe Maßnahme oder Maßnahmenkette
Auswirkungen nicht selbsterklärend insbesondere bei Versetzungen abgebende Abteilung bedenken sollte selbst dann kurz beschrieben werden, wenn weitgehend aus Maßnahmenbeschreibung ersichtlich
Häufigste Anhörungsfehler: keine Ausführungen über die Auswirkungen der geplanten Maßnahme keine Vorlage von Unterlagen über die Auswirkungen
V. Verschwiegenheit und Geheimnisschutz
Allgemeine arbeitsvertragliche Verschwiegenheitspflicht Datenschutzvorschriften Geheimnisschutz § 79 BetrVG Persönliche Geheimnisse § 99 Abs. 1 S. 3 BetrVG
Datenschutzvorschriften Informationserteilung und Datenschutz: Informationserteilung an den Betriebsrat im Rahmen von personellen Einzelmaßnahmen nach § 32 BDSG grundsätzlich statthaft kein Einfluss auf Verschwiegenheit und Geheimnisschutz
Geheimnisschutz § 79 BetrVG Voraussetzungen für strafbewehrten Geheimnisschutz: Vorliegen von Betriebs- oder Geschäftsgeheimnissen ausdrückliche Geheimhaltungserklärung des Arbeitgebers bei Verstoß: § 120 BetrVG
Geheimnisschutz § 79 BetrVG Ideale Absicherung von Betriebs-/Geschäftsgeheimissen: Unterlagenübergabe gegen Quittung mit Belehrung nach § 79 BetrVG
Persönliche Geheimnisse § 99 Abs. 1 S. 3 BetrVG Stillschweigensverpflichtung betrifft Informationen, die im Rahmen der BR-Tätigkeit zur Kenntnis gelangt sind
VI. Informationstiefe und Unterlagenvorlage
Umfassende Information: in der Weise, dass der BR sich in hinreichendem Maße ein Bild von der konkreten Sachlage verschaffen kann kein taktisches Zurückhalten kein Fachchinesisch
Nicht vorhandene, aber abrufbare Informationen: Erhebungs- und Verschaffungspflicht i.d.R. keine Beschaffung von Dritten keine Pflicht bei extremen Kosten
Vorlage von Unterlagen: i.d.R. nur im Rahmen der allgemeinen Aufgabenerfüllung, § 80 Abs. 2 S. 2 BetrVG setzt „Verlangen“ des BR voraus bei ausdrücklicher Anordnung des Gesetzes bei §§ 102 BetrVG nicht vorgesehen
Vorlage von Unterlagen: kein genereller Anspruch auf Unterlagenvorlage kein allgemeiner Vertragskontrollanspruch kein generelles Verschriftlichungserfordernis
Vorlage von Unterlagen bei § 99 Abs. 1 BetrVG: Vorlage aller Bewerbungsunterlagen Vorlage von Unterlagen betreffend die Auswirkungen der geplanten Maßnahme
Was sind „Unterlagen“? schriftliche Aufzeichnungen Fotos und Skizzen Datenträger PDF-Dateien abhängig von konkreter Sachlage