Wahrnehmung in Partnerschaften (Felser in Grau & Bierhoff, 2003)

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Für dich: Weil wir Freunde sind Osterbuch, 16.Aug. 2009
 Präsentation transkript:

Wahrnehmung in Partnerschaften (Felser in Grau & Bierhoff, 2003) Zum Thema Partnerwahrnehmung gehören jene Punkte in der Partnerschaft, in denen die Deutung der (sozialen) Umwelt bzw. der subjektive Anteil in einem Urteil oder einer Wahrnehmung wirksam werden. z.B. subjektive Idealvorstellungen Wahrnehmungsverzerrungen der Blick durch die „rosa Brille“ Wahrnehmungsdiskrepanzen zwischen den Partnern

Selbst- und Fremdwahrnehmung Beispiel (vgl. nächste Seite) Gerhard soll vorhersagen, wie sich seine Partnerin Doris anhand einer Merkmalsliste beschreibt. Hierzu steht ihm eine Skala von 0 (gar nicht) bis 8 (sehr) zur Verfügung (siehe Abbildung): Differenzen (hier sehr hoch: 1.75) Korrelation r = .76, p < .01, hoch signifikant Korrelationsmaß ist nicht sensibel ist für die (meist unwichtige) Frage, auf welchem Niveau eine Person ihre Kreuzchen anbringt. Die Korrelation bildet vor allem Profilähnlichkeit ab, das Differenzmaß Niveauähnlichkeit.

Partnerwahrnehmung: ideal oder korrekt? „Aufwertungs-Theorie“: Je positiver, desto besser „Konsistenz-Theorie“: Je näher am eigenen Selbstbild, desto besser Bei Personen mit positivem Selbstbild machen beide Theorien gleiche Vorhersagen, unterscheiden sich aber in ihren Vorhersagen für Personen mit negativem Selbstwertgefühl. Personen mit geringem Selbstwert berichten geringe Partnerschaftsqualität; allerdings ist die dann noch geringer, wenn der Partner sie zudem auch noch ‚verkennt’, indem er ihnen positive Merkmale zuschreibt. Der wahrnehmende Partner berichtet dagegen eine höhere Partnerschaftsqualität. Zu Beginn der Partnerschaft besteht noch nicht der Anspruch, dass die Partner einander kennen. Die Idealisierung kann in dieser frühen Phase noch ganz als Ausdruck der Wertschätzung und Zuneigung gelten. Genau das kann sie bei einer lange bestehenden Beziehung nicht mehr.

Partnerwahrnehmung: ideal oder korrekt? Eine wesentliche Rolle spielt auch der Grad, bis zu dem jemand die Merkmale seines Partners für veränderlich hält. Es ist einfacher, Schwächen des anderen zu akzeptieren, wenn man gleichzeitig glaubt, diese Schwächen könnten prinzipiell auch wieder abgelegt werden. Ob eine Idealisierung durch den Partner angenehm ist, wird wohl auch damit zusammenhängen, welche Ideale der wahrgenommene Partner hat. Wenn ich zum Beispiel gerne einfühlsamer wäre als ich bin, dann ist es vielleicht angenehm, wenn mein Partner mich bereits für einfühlsam hält. Zumindest ist diese Situation weniger problematisch, als eine andere, in der mich mein Partner für sportlich hält, was ich aber weder zu sein glaube noch sein möchte.

Das Michelangelo-Phänomen Wenn mein Partner mich so sieht, wie ich selbst gerne wäre, dann besteht die Möglichkeit, dass sich das „Michelangelo-Phänomen“ einstellt. Michelangelo Buonarroti soll in großer Bescheidenheit die Arbeit des Bildhauers darin gesehen haben, dass er lediglich die Ecken und Kanten aus dem Steinblock entferne, die die darin enthaltende Figur verbergen. So sollen Partner, die den anderen so sehen, wie er idealerweise gerne wäre, den anderen auf der Verhaltensebene in diesem Ideal bestätigen. Dies soll dazu führen, dass der andere seine Selbstwahrnehmung im Laufe der Zeit seinem Ideal annähert

Empathie und Perspektivenübernahme Wer weiß, wie der eigene Partner urteilt, dem bleiben eine Menge Probleme in der Partnerschaft erspart. Konflikte lassen sich leichter vermeiden oder doch wenigstens vorhersehen. Verständnis ist das zentrale Merkmal, das Menschen sich in der Partnerschaft erhoffen. Wenn die Partnerschaft scheitert, wird sehr häufig fehlendes Verständnis dafür verantwortlich gemacht. Es wird nun vermutet, dass hinter dem Verständnis eine bestimmte Fähigkeit, ein bestimmtes Merkmal steht, das Personen dazu disponiert, andere entweder gut oder weniger gut zu verstehen (‚Empathie‘=mitfühlendes Verstehen, ‚Perspektivenübernahme‘=korrekte Vorhersage).

Ein korrektes Vorhersagen des Partnererlebens hängt ab von: Ähnlichkeit der Partner (Projektion der eigenen Meinung; Korrektur: eigene Meinung herauspartialisieren) Durchschnittlichkeit der Merkmale (Korrektur: Herauspartialisieren der Ergebnisse einer beliebigen Stichprobe) Offenheit und Kommunikation (Verstanden wird, wer offen ist). Einfühlungsvermögen und Personwahrnehmungskompetenz

Felser, 2002 Ähnlichkeit der Partner Durchschnittlichkeit der vorherzusagenden Merkmale Offenheit und Kommunikation Einfühlungsvermögen Personwahrnehmungs- kompetenz Verstehen (korrekte Vorhersage von Partnererleben) Felser, 2002

Die Enge der Beziehung und das Verstehen Verstehen ist in lang andauernden Partnerschaften geringer als in kurzen. Gründe: Partner beobachten einander immer weniger Stereotype und Vorurteile sind oft valider als wir glauben In manchen Situationen ist es Partnern sogar ganz recht, wenn sie nicht genau wissen, was der andere denkt und fühlt Möglichkeit der Validierung durch andere Personen fällt wegen der Intimität der Inhalte oft weg.

Geschlechtseffekte Für eine grundsätzliche Überlegenheit der Frauen in diesem Kompetenzbereich findet sich bei einer meta-analytischen Betrachtung vorgängiger Forschungsergebnisse keine Evidenz (Eisenberg & Lennon, 1983). Starke Geschlechtseffekte zeigen sich allenfalls bei sehr reaktiven Maßen für Empathie und Perspektivenübernahme. Geschlechtsunterschiede lassen sich möglicherweise deshalb nicht nachweisen, weil Frauen den Männern gleich auf zwei Gebieten der interpersonellen Wahrnehmung überlegen sind: Einerseits sind sie bessere Personwahrnehmer, andererseits sind sie aber auch expressiver und teilen sich anderen eindeutiger mit. Überprüfung möglich bei gleichgeschlechtlichen Dyaden.

Prototypen einer Liebesbeziehung Hassebrauck (1995) untersuchte in einer Prototypenanlyse, welche Merkmale zum Konzept einer „guten Beziehung“ gehören. 1. welche Merkmale fallen Ihnen ein? (Studie 1) 2. wie zentral sind diese Merkmale? (Studie 2) Unterschiedliche Ergebnisse für Häufigkeit und Zentralität: Ähnlichkeit, Toleranz häufig, aber nicht zentral Vertrauen häufig und zentral

Wahrnehmungsverzerrungen Verzerrte Wahrnehmung, Wahrnehmungsverzerrung: Von einer verzerrten Wahrnehmung kann man sprechen, wenn diese Wahrnehmung von anderen Personen nicht geteilt wird, wenn sie bei unwesentlichen Änderungen der Situation (z.B. beim gleichen Gegenstand zu einem späteren Zeitpunkt) völlig anders ausfällt, oder wenn sie dem wahrnehmenden Subjekt schadet.

Irrationale Vorstellungen von gelingender Partnerschaft Eidelson und Epstein (1982) beschreiben fünf irrationale Ideen Männer und Frauen sind grundverschieden. Zwischen ihnen liegt ein unüberwindlicher Graben. Mein Partner ist, wie er ist. Ändern kann er sich nicht. Wenn es zum Streit kommt, ist alles verloren. Eine Auseinandersetzung bedeutet einen katastrophalen Misserfolg für unsere Beziehung. In einer guten Beziehung muss man einander auch ohne Worte verstehen. Unser Sexualleben muss 1a sein! Alles, was schlechter ist, würde beweisen, dass unsere Beziehung ein Fehlschlag ist.

Realismus und „rosa Brille“ Eine unverzerrte Wahrnehmung der Realität gilt oft als Zeichen der seelischen Gesundheit. Andererseits: gerade depressive Personen geben in gewissen Situationen validere und realistischere Urteile ab als nicht depressive. Belastete und glückliche Paare erinnern negative Partner-Interaktionen präziser als positive. Während Personen aus belasteten Partnerschaften positive Informationen unterschätzen, neigen Personen aus glücklichen Partnerschaften zu einer deutlichen Überschätzung der Positiv-Interaktionen. Die Befunde zeigen aber auch, dass die Wahrnehmungsverzerrung keineswegs in erster Linie bei belasteten Personen stattfindet. Simpson meint, dass Partner einander gezielt immer dann missverstehen, wenn ein korrektes Verstehen die Beziehung gefährden würde. Zudem werten glückliche Partner alternative Beziehungen stark ab, was funktional für die Beziehung ist.

Zusammenfassung Wenn Partner einander wahrnehmen, übersehen sie gerne die Schwächen und negativen Eigenschaften des anderen. Diese Wahrnehmungstendenz hat für den wahrnehmenden Partner positive Seiten. Der wahrgenommene Partner dagegen erlebt dieselbe Situation als ambivalent. Eine übertrieben positive Wahrnehmung des anderen kann aber auch ein Klima schaffen, in dem sich der wahrgenommene Partner in Richtung auf das Ideal weiterentwickeln und positive Anlagen entfalten kann. Wenn Partner voneinander wissen, was sie denken und fühlen, dann verdanken sie das unterschiedlichen Bedingungen (Ähnlichkeit, Durchschnittlichkeit, Kommunikation, Perspektivenübernahme).

Zusammenfassung Die Kenntnis des Partners verbessert sich über die Zeit hinweg nicht so stark, wie die Dauer der Partnerschaft erwarten ließe. Entgegen dem geläufigen Geschlechtsstereotyp finden sich kaum empirische Belege für die Erwartung, dass sich Frauen wesentlich besser in andere einfühlen können als Männer. Die Vorstellungen, die man von einer Beziehung mitbringt, bestimmen auch gleichzeitig die Beziehungsqualität. So sind etwa Partnerschaftsideale, die auf Individualität und persönliche Freiheit abzielen, der Beziehung weniger zuträglich als zum Beispiel Ideale, die vom Wunsch nach Zuwendung und Intimität geprägt sind.