Varianten und Störungen sexuellen Begehrens Thema Varianten und Störungen sexuellen Begehrens
Übersicht Einführung Probleme bei der Klassifizierung Sexuelle Funktionsstörungen Störungen der Sexualpräferenz / Paraphilien Störungen der Geschlechtsidentität
Was heißt sexuelle Störung? Einführung Was heißt sexuelle Störung? Seit dem 19. Jh. haben sich die Vorstellungen von natürlicher und widernatürlicher Sexualität ständig verändert Es gibt keine 100% richtige Antwort darauf, was genau eine sexuelle Störung ist
Blick in alte Literatur Einführung Blick in alte Literatur Lallemand (1836 - 42) Spermatorrhoe (bei Männern lief der Samen ohne Zeichen der Erregung) Krafft-Ebbing (1886) Geschlechtstrieb bei Kindern oder älteren Männern galt als cerebral bedingte Neurose Freud (1905) Oralverkehr galt als Perversion Frauen, die den „reifen“ Orgasmus nicht erreichen konnten, waren frigide 70er Jahre: Anorgasmie der Frau Heute: Lustlosigkeit, Impotenz
Probleme bei der Klassifizierung Beachte: Sexualität nie abgrenzbar von Kultur was ist normal/abnormal Vokabular immer problematisch, da meist bewertend (Bsp. „pervers“) Sinnvolle, widerspruchsfreie und erschöpfende Gliederung nicht möglich Klassifikationssysteme DSM/ICD meist symptomatologisch deskriptiv ABER: Klassifikation trotz allem sinnvoll (Pragmatik, Möglichkeit der Abgrenzung lebensnotwendig) Wichtig für die Therapie: Patient/in mit individueller Leidensproblematik ernst nehmen, dabei aber auch kulturelle Einbettung berücksichtigen Therapierende muss reflektieren können für welche Störung er/sie selbst als Therapierender ungeeignet ist
Sexuelle Funktionsstörungen Beeinträchtigung der sexuellen Funktionsfähigkeit beim (heterosexuellen) Geschlechtsverkehr Es muss ein Leidensdruck bestehen Funktionen nicht nur organisch, sondern auch durch Erleben beeinflusst Nicht jede Beeinträchtigung hat Krankheitswert intakte Funktion noch kein Zeichen für psychische Gesundheit Sigusch 1979: Dysfunktion (Organogenese) Sexuelle Funktionsstörung Sexualstörung (Psychogenese) In der Allgemeinpraxis machen sexuelle Funktionsstörungen den größten Anteil aller „Sexualstörungen“ aus
Sexuelle Funktionsstörungen Leitsymptome (Sigusch) Appetenzstörungen (Verlangen) Exzitationsstörungen (Erregung) Schmerzstörungen Orgasmusstörungen Ejakulationsstörungen Satisfaktionsstörungen Grundsätzlich: falls Störung nur in Interaktion auftritt, nicht aber bei Masturbation, Ursachen nicht organisch bedingt
Sexuelle Funktionsstörungen Leitsymptome (Sigusch) Beispiele: Appetenzstörungen Lustlosigkeit, Frigidität Aversion Inappetenz gesteigertes sexuelles Verlangen National Health and Social Life Survey USA, 1992 Lacked interest in sex 18-24 ♀ 32,0% ♂ 13,6% 55-59 ♀ 37,0 % ♂ 24,2% Anmerkung: Fehlen von Lust, wo welche sein sollte.
Sexuelle Funktionsstörungen Leitsymptome (Sigusch) Beispiele: Appetenzstörungen Exzitationsstörungen ♂ Erektionsstörung, Priapismus ♀ Lubrikationsstörung, Hypersekretion National Health and Social Life Survey USA, 1992 Anxiety about performance 18-24 ♀ 18,4% ♂ 21,3% 55-59 ♀ 4,4 % ♂ 11,4% Massachusetts Male Aging Study (MMAS, 1987-89): N=1290; Alter: 40-70 Komplette Impotentia erectionis in % 40-jährige 5,1% 70-jährige 15,0% mit behandelter Herzkrankheit Raucher 56,0% Nichtraucher 39,0%
Sexuelle Funktionsstörungen Leitsymptome (Sigusch) Beispiele: Appetenzstörungen Exzitationsstörungen Schmerzstörungen (Dyspareunie) ♀ Vaginismus, Klitorisschmerz ♂ Glansschmerz National Health and Social Life Survey USA, 1992 Pain during intercourse 18-24 ♀ 21,5% ♂ 5,7% 55-59 ♀ 8,7% ♂ 4,6%
Sexuelle Funktionsstörungen Leitsymptome (Sigusch) Beispiele: Appetenzstörungen Exzitationsstörungen Schmerzstörungen Orgasmusstörungen Anorgasmie (♂ mit/ohne Ejakulation) Physiologischer Orgasmus ohne Lustgefühl National Health and Social Life Survey USA 1992 Climax too early 18-24 ♀ 14,0% ♂ 26,6% 55-59 ♀ 7,6 % ♂ 35,2% Unable to orgasm 18-24 ♀ 26,0% ♂ 4,6% 55-59 ♀ 21,8 % ♂ 9,0%
Sexuelle Funktionsstörungen Leitsymptome (Sigusch) Beispiele: Appetenzstörungen Exzitationsstörungen Schmerzstörungen Orgasmusstörungen Ejakulationsstörungen Ejaculatio praecox (vorzeitig) Ejaculatio retarda (verzögert) Ejaculatio retrograda (rückwärts in die Blase) Ejaculatio deficiens cum orgasmo (keine, trotz Orgasmus) Spermatorrhoe (Herausfließen ohne sexuelle Erregung)
Sexuelle Funktionsstörungen Leitsymptome (Sigusch) Beispiele: Appetenzstörungen Exzitationsstörungen Schmerzstörungen Orgasmusstörungen Ejakulationsstörungen Satisfaktionsstörungen Gefühle der Gereiztheit, innere Unruhe, Weinkrämpfe, Schlafstörungen, depressive Verstimmung nach dem Verkehr Psychoneurotische, psychosomatische Symptome! Nicht nur auf Sexualstörung beziehen
Sexuelle Funktionsstörungen Kritische Betrachtung der Klassifikation nach DSM IV bzw. ICD-10
Sexuelle Funktionsstörungen Beispiel für die Therapie sexueller Funktionsstörungen Masters & Johnson, 1970 USA (verhaltenstherapeutischer Ansatz) Koitusverbot (Misserfolge vermeiden) „Sensate Focuse“: systematisch aufeinander aufgebaute Paar- Übungen zu hause (nichtsexuelles Streicheln ohne, später mit Genitalien… bis hin zum Koitus) Einzelübungen zur körperliche Selbsterfahrung (bis zur Masturbation) Erfahrungen mit den Übungen werden in der darauf folgenden Therapiestunde im Detail besprochen mindestens 25 Therapiesitzungen + „Hausaufgaben“ Ziel: Erfahrung eines angenehmen entspannten erregenden Körpergefühls
Störungen der Sexualpräferenz (ICD) /Paraphilien (DSM) Begriffsklärung Paraphilie (nach DSM-IV): Wiederkehrende sexuell erregende Phantasien, sexuell dranghafte Bedürfnisse oder Verhaltensweisen, die sich beziehen auf: Nichtmenschliche Objekte Das Leiden oder die Demütigung von sich selbst oder seines Partners Kinder oder andere nicht einwilligende oder nicht einwilligungsfähige Personen
Störungen der Sexualpräferenz (ICD) /Paraphilien (DSM) Begriffsklärung Perversion (Psychodynamik): innerpsychische Prozesse, die zu Symptombildungen führen, die von der Norm abweichen; enthalten Krankheitswert Devianz/Delinquenz: Abweichendes Verhalten, kann zu Straftatbestand werden Epidemiologie von Paraphilien Kaum Angaben enorm hohe Dunkelziffer
Störungen der Sexualpräferenz/Paraphilien Klassifikationsübersicht DSM-IV Paraphilias ICD-10 Störungen der Sexualpräferenz 302.4 Exhibitionism 302.81 Fetishism 302.89 Frotteurism 302.2 Pedophilia 302.83 Sexual masochism 302.84 Sexual sadism 302.82 Voyeurism 302.3 Transvestic fetishism 302.9 Paraphilia not otherwise specified F65.2 Exhibitionismus F65.0 Fetischismus nicht klassifiziert F65.4 Pädophilie F65.5 Sadomasochismus F65.3 Voyeurismus F65.1 fetischistischer Transvestitismus F65.6 multiple Störungen der Sexual-präferez F65.8 andere Störungen der Sexual-präferenz F65.9 nicht näher bezeichnete Störungen der Sexualpräferenz
Störungen der Sexualpräferenz/Paraphilien F65.0, F65.1 Fetischismus und fetischistischer Transvestitismus Das Hauptinteresse beinhaltet den Gebrauch von unbelebten Objekten (den „Fetisch“, meist Teile von Frauen oder des weiblichen Körpers) zur Erreichung sexueller Erregung
Störungen der Sexualpräferenz/Paraphilien F65.2 Exhibitionismus Es besteht ein dranghaftes Zur-Schau-Stellen der eigenen Genitalien vor meist gegengeschlechtlichen Fremden Die Betroffenen zeigen das Verhalten mit der Intention andere zu erschrecken Kann strafrechtlich verfolgt werden
Störungen der Sexualpräferenz/Paraphilien F65.8 Frotteurismus Das Hauptinteresse zur Erlangung von sexueller Erregung beinhaltet das Berühren und Sichreiben an einer nicht einwilligenden Person, in der Regel an überfüllten Orten
Störungen der Sexualpräferenz/Paraphilien F65.Pädophilie Das Hauptinteresse beinhaltet sexuelle Handlungen mit einem präpubertären gleichgeschlechtlichen oder gegengeschlechtlichen Kind Begriffsproblem: pädophil pädosexuell
Störungen der Sexualpräferenz/Paraphilien F65.Pädophilie Merkmale: Die Betroffenen müssen 16 Jahre oder älter sein Die Betroffenen müssen mindestens 5 Jahre älter als das Kind sein Kann sowohl eigene als auch fremde Kinder betreffen Oft werden die Kinder durch Erpressung (Geschenke) zur Geheimhaltung gezwungen Strafrechtliche Verfolgung sexueller Missbrauch
Störungen der Sexualpräferenz/Paraphilien Pädophilie – aktuelle Forschungsergebnisse durch fMRT (Prof. Braus) pädophil „normal“, heterosexuell
Störungen der Sexualpräferenz/Paraphilien Sexueller Missbrauch von Kindern Wird begriffen als „Gewalt und Zerstörung der psychischen Realität, Integrität und Sexualität des kindlichen Subjekts“ (Lilli Gast, 1993) Sexueller Missbrauch kann nicht über die Art und Weise des sexuellen Kontakts zwischen Erwachsenen und Kindern bestimmt werden (bspw. ist Sexuelles in Eltern-Kind-Beziehungen immer vorhanden) Der strukturierte Pädosexuelle zeichnet sich dadurch aus, dass er sich seiner sexuell-erotischen Interessen an Kindern bewusst ist und auf seiner sexuellen Orientierung eine Sexualform errichten möchte
Störungen der Sexualpräferenz/Paraphilien Folgen sexuellen Missbrauchs Sehr umstritten Traumatisierung Wer als Kind sexuellen Missbrauch erlebt hat kann mit sozialer Aufmerksamkeit und professioneller Hilfe rechnen ABER: Geständniszwang (sobald Ängste/Psychische Störungen zu erkennen sind) Dieser Geständniszwang geht davon aus, dass sexueller Missbrauch psychische Folgen hat, aus denen das Vorkommen eines solchen Ereignisses geschlossen werden kann Es gibt kein typisches klinisches Bild nach sexuellem Missbrauch
Störungen der Sexualpräferenz/Paraphilien F65.5 Sexueller Sadomasochismus Das Hauptinteresse beinhaltet entweder den realen Akt der Demütigung, des Geschlagen- bzw. Gefesseltwerdens oder sonstigen Leidens oder reale Handlungen, welche für die Personen durch psychisches oder physisches Leiden des Opfers (einschließlich Demütigung) sexuell erregend sind.
Störungen der Sexualpräferenz/Paraphilien F65.3. Voyeurismus Das Hauptinteresse beinhaltet die Beobachtung nichts ahnender Personen, üblicherweise Fremder, die nackt sind, sich gerade ausziehen oder sexuelle Handlungen ausführen
Störungen der Sexualpräferenz/Paraphilien Weitere Paraphilien (nicht spezifisch klassifiziert) Sodomie/Zoophilie - Sexualität zwischen Mensch und Tier Nekrophilie - Sexuelle Handlungen werden an Toten oder an Teilen von Toten vorgenommen Fallbeispiel
Störungen der Geschlechtsidentität Viel Unklarheit beim Begriff Transsexualität Hauptfrage: Inwieweit ist der Wunsch nach einer geschlechtsumwandelnden Operation eine notwendige und hinreichende Bedingung, um von Transsexualität zu sprechen? Begriffsproblem: Transsexualität Transidentität Epidemiologie: 1 Mann von 11900 betroffen 1 Frau von 30400 betroffen
Störungen der Geschlechtsidentität Transsexualität hat medizinische, psychische, soziale, sowie juristische Dimensionen. Nach den Kriterien der WHO gilt als diagnostische Leitlinie für das Bestehen und damit der Behandlung einer Transsexualität, dass: die transsexuelle Identität mindestens 2 Jahre durchgehend bestanden haben muss es nicht Symptom einer anderen psychischen Störung, wie z.B. einer Schizophrenie, sein darf ein Zusammenhang mit genetischen oder geschlechtschromosonalen Anomalien ausgeschlossen ist.
Störungen der Geschlechtsidentität Klassifikation von Geschlechtsidentitätsstörungen DSM-IV Gender identity disorders ICD-10 Störungen der Geschlechtsidentität 302.6 Gender identity disorder in children 302.85 Gender identity disorder in adolescents or adults Nicht klassifiziert 302.6 Gender identity disorder not otherwise specified F64.2 Störungen der Ge-schlechtsidentität im Kindesalter F64.0 Transsexualismus F64.1 Transvestitismus unter Beibehaltung beider Geschlechtsrollen F64.8 andere Störungen der Geschlechtsidentität F64.9 nicht näher bezeichnete Störung der Geschlechtsidentität
Störungen der Geschlechtsidentität F64.0 Transsexualismus Um von einer Geschlechtsidentitätsstörung zu sprechen, muss ein starkes und andauerndes Zugehörigkeitsgefühl zum anderen Geschlecht vorliegen, d.h. das Verlangen oder auch das Bestehen darauf, dem anderen Geschlecht anzugehören Vorliegen müssen Beeinträchtigungen in sozialen, beruflichen oder anderen wichtigen Funktionsbereichen
Das war`s