Antike: Die Bücher-Meyer-Kontroverse

Slides:



Advertisements
Ähnliche Präsentationen
DER WIRTSCHAFTSKREISLAUF UND SEINE TEILNEHMER
Advertisements

Düsseldorf, 20. März 2011.
Karl Marx.
Jesus – die Quelle allen Lebens
I. Das geschaffene Leben aus Gott
Übernatürliche Stärkung
Die wichtigste Frage des Lebens!
Nicht von dieser Schweiz!
I. Das Leben ist kein Spaziergang
Der Heilige Geist will bewegen
Eine süddeutsche Kaufmannsfamilie
1. Wir können es: Der gesellschaftliche Reichtum ist vorhanden
Vorlesung: Einführung in die Soziologie – Wintersemester 2007/08 PD. Dr. Joachim Renn 24. Okt. Dekomposition der Handlungseinheit (Motiv & Sinn der Handlung)
Vorlesung: Einführung in die Soziologie – WS 2009/10 Prof. Dr
Vorlesung Geschichte der Volkswirtschaftslehre
Grundkurs praktische Philosophie 10
Grundkurs praktische Philosophie 17
Tutorium: Wirtschaftliche Grundlagen für den Arbeitslehreunterricht
Die zwei Faktoren der Ware: Gebrauchswert und Wert
Zurück zum Tauschwert Geklärt werden soll die Genesis der Geldform.
Maßlosigkeit des Kapitals
Zirkulationsformen W–G–W einfache Warenzirkulation G–W–G
… und so fängt alles an: Der Reichtum der Gesell- schaften, in welchen kapitalistische Produktionsweise herrscht, erscheint als eine «ungeheuere Warensammlung»,
Die Umsetzung der europäischen Hochwasserrisikomanagement-Richtlinie in Rheinland-Pfalz und im Rheingebiet Dr.-Ing. Bernd Worreschk Ministerium für Umwelt,
Leben wie es Gott gefällt Sind wir auf dem richtigen Weg?
Was mit Fetisch nicht gemeint ist:
«Vorhang auf!» Einstieg in die Kapital-Lektüre mit PolyluxMarx
Görlitzer Kinderakademie
Exkurs: Eugen von Böhm-Bawerk
Effiziente Algorithmen
Entfalte dein Potenzial!
Serienlogo.
„Dem Wert auf der Spur…“ Karl Marx‘ Das Kapital - Erster Band
Jünger sind entschieden!
Unsere Kinder für das Reich Gottes gewinnen
Gnade hat ein Ziel. Gnade hat ein Ziel Gnade hat ein Ziel 11 Jesus kam in die Welt, die ihm gehört, und sein eigenes Volk nahm ihn nicht auf. 12 All.
Dialog Sokrates-Menon
Dein aus Gott geborener Geist ist vollkommen, heilig und rein.
Du wohnst im Himmel! Reihe: Unser Vater! (2/6) Matthäus-Evangelium 6,9.
Word des Lebens Mai 2010.
Mátyás Gritsch Corvinus Universität Budapest, Wildom
Rechtfertigung verstehen und fühlen
Friedensstifter Von König David lernen!.
Ich bin das Licht der Welt!
Lebst du mit oder ohne Gott?
Auf das Ziel konzentriert!
Von Unternehmen und Unternehmern
Von göttlichen Treuhändern und biblischem Finanzausgleich
6. Grundlagen des Wirtschaftens
Projektkurse.
8. Differentialrententheorie
Staatstheorien.
Klassische Politische Ökonomie
KONTROLLFRAGEN zu „Des Lebens Überfluss“
Wie Sünde „geistlich“ verharmlost wird
Warum wir nicht sündlos sind
Grundkurs praktische Philosophie 20. Dezember 2004 Politische Freiheit
Die heutige Kreditvergabe
Umverteilung von Unten nach Oben durch Subventionierung der Banken.
Lebt Gott in mir? 1.Johannes-Brief 4,11-16.
"Und wieso macht du das?" Wie kommen Antike, Mittelalter und Frühe Neuzeit aus der Revanzfalle?
Regionalökonomie Hochschule Neubrandenburg WS 2013/2014
Unser Herz zur Ruhe bringen! 1. Johannes 3,18-22 und 4,7-12.
Übung 2 Einführung in die Ökonomie 18. April 2016.
Lineare Optimierung Nakkiye Günay, Jennifer Kalywas & Corina Unger Jetzt erkläre ich euch die einzelnen Schritte und gebe Tipps!
Marxismus. Inhalt ● 1. Karl Marx ● 2. Friedrich Engels ● 3.Marxismus als Ideologie.
Faktormärkte Vorlesung Mikroökonomik
Faktormärkte Vorlesung Mikroökonomik
Faktormärkte Vorlesung Mikroökonomik
Faktormärkte und Einkommensverteilung Vorlesung Mikroökonomik 22. 1
 Präsentation transkript:

Böhm-Bawerk gegen Marx: Der Streit um das aristotelische Erbe Symposium "100 Jahre Böhm-Bawerk" Freitag, 17. Okt. 2014 Universität Wien Vortrag von Bertram Schefold Goethe-Universität Frankfurt am Main

Antike: Die Bücher-Meyer-Kontroverse Auseinandersetzung Ende des 19.Jhds. über die Deutung der antiken Wirtschaft Meyer: Hellenistische Wirtschaft ähnlich merkantilistischer Manufakturperiode, antiker Kapitalismus Modernistische Position (Rostovtzeff, heute z.B. Cohen) Bücher: Griechische Wirtschaft aus Selbstdarstellungen deuten, Oikoswirtschaft Primitivistische Position (Finley, heute z.B. Millett) Gegensatz Mittelalter – Frühe Moderne – Moderne Griechische Wirtschaftsgeschichte Antizipation

Aristoteles 384 v.Chr. – 322 v.Chr. Beispiele aus Aristoteles Werken Nikomachische Ethik (350 v.Chr.) Politik (350 v.Chr.) Oekonomica (Ursprung umstritten

Aristoteles Politik (1): Das „gute Leben“ Im Zentrum Aristoteles Wirtschaftsvorstellung: die Polis als „naturgemäßes Gebilde“ und autarke Gemeinschaft politischer Menschen Oikos, Oekonomik und die Sklavenhaltung Ziel der Oekonomik: Schaffung der materiellen Basis des „guten Lebens“ Gegen Platons Kollektivismus, Privateigentum wird befürwortet Unterscheidung Haushaltskunst und Beschaffungskunst  Verwendung und Beschaffung der im Haushalt zum Führen des „guten Lebens“ gebrauchten Dinge  Natürliche Beschaffungskunst Teil der Haushaltskunst  Unnatürliche Beschaffungskunst: Bereicherung als Selbstzweck (Chrematistik)

Aristoteles Politik (2): Haushalts- und Beschaffungskunst begrenzt unbegrenzt Haushaltskunst Häusliche Einzelherrschaft Beschaffungskunst Eheführung Kindererziehung Eigenerwerbskunst Chrematistik Sklavenführung Tauschkunst Gatte Jäger Landwirt Bergbau Kleinhandel Vater Fischer Schuster Holzwirtschaft Großhandel Herr Räuber Arzt Wucher Bauer Lohnarbeit Nomade

Aristoteles Politik (3): Chrematistik Gewinn nur in Verbindung mit Zwischenhandel Zins daraus nicht ableitbar, kein Erkennen des Mehrwerts Geld nur als Tauschmittel natürlich, kein Konzept von Geldkapital Sterilitätsargument: Geld gebiert keine Kinder Wucher als Hauptbeispiel der Verfehlung des guten Lebens Ungerechter Tausch

Aristoteles Tausch und Geld bei Aristoteles a = b als Setzung / Geldschätzung wegen Gleichsetzung des Werks (ergon) wegen Bedarf (chreia) als Tausch von Überschüssen (der oiken) Geld als Tauschmittel Metallismus (Aristoteles), Nominalismus (Platon) Geld als Reichtum Begründung für endogene Bestimmung des techn. Fortschrittes: Technischer Fortschritt hängt von ökonomischen Entscheidungen ab, da er von industriellen Innovationen kommt, die von profitorientierten Firmen gemacht werden und von Forschungsfinanzierung, Akkumulation von Humankapital und anderen solchen ökonomischen Aktivitäten abhängen. Insbesondere sinnvoll, da technischer Fortschritt langfristige W.-rate bestimmt. Einfaches Modell der vollk. Konkurrenz nicht ausreichend.  aggr. Prod. Fkt. weist konst. Skalenerträge auf  Euler  Faktoren bezahlt mit ihrem Grenzprodukt  nichts für Investitionen in Fortschritt übrig

Marbod von Rennes, ca. 1100 Dives avarus eget. Per quid? Quia cum petit usus, Tangere parta timet. Cur? Ne minuatur acervus. Cur metuit minui? Quia mavult crescere. Quare? Non esset vitium, si non ratione careret. Partum τόκος ? Aber: partum = Erwerb Also Tugend rational? Aber: ratio = Rechtfertigung Noch altchristlich: Wucher = Geiz

Scholastik Thomas von Aquin (1225 – 1274) Zins: Geld kein Gebrauchsgut, sondern Verbrauchsgut, da es im Tausch gegeben wird und damit vom Zahlenden „verbraucht“ wird. Bezahlung des Darlehens durch Rückgabe; kein zweiter Preis. Sterilitätsargument, Ablehnung des Zinses Gründe für die legitime Zinsnahme, v.a. bei den Nachfolgern: - damnum emergens - periculum sortis - lucrum cessans Aber: noch kein Erkennen der produktiven Rolle des Kapitals und des Zinses

Rogier van der Weyden „Medici-Madonna“ 1450-51, Städel, Frankfurt am Main Petrus, Johannes Cosmas (Cosimo de Medici) Damian (Giovanni de Medici, Sohn Cosimos)

Scholastik Antoninus von Florenz (1385 – 1459) Kriterium der Produktivität: Geldleihe und Kapitalanlage Geldleihe: unproduktiv, daher Ablehnung eines Gewinns, Ausnahmen: damnum emergens und lucrum cessans (enge Auslegung) Kapitalanlage: produktiv, dann Zins gerechtfertigt Wechselverkehr: Aufschläge gerecht, soweit dem Transport geschuldet Bankiers: vorwiegend Wechsler Geldwechsel sündig, weil grenzenlos Kompensierende Gegenleistung: Gaben für die Öffentlichkeit, Symbol: die drei Könige

Florenz, San Marco, Zelle 39, Die Anbetung der drei Weisen aus dem Morgenland - Benozzo Gozzoli, ca. 1440

Marx über Aristoteles Daß aber in der Form der Waarenwerthe alle Arbeiten als gleiche menschliche Arbeit und daher als gleichgeltend ausgedrückt sind, konnte Aristoteles nicht aus der Werthform der Waaren herauslesen, weil die griechische Gesellschaft auf der Sklavenarbeit beruhte, daher die Ungleichheit der Menschen und ihrer Arbeiten zur Naturbasis hatte. Das Geheimniß des Werthausdrucks, die Gleichheit und gleiche Gültigkeit aller Arbeiten, weil und insofern sie menschliche Arbeit überhaupt sind, kann nur entziffert werden, sobald der Begriff der menschlichen Gleichheit bereits die Festigkeit eines Volksvorurtheils besitzt. Das ist aber erst möglich in einer Gesellschaft, worin die Waarenform die allgemeine Form des Arbeitsprodukts ist, also auch das Verhältniß der Menschen zu einander als Waarenbesitzer das herrschende gesellschaftliche Verhältniß ist. Das Genie des Aristoteles glänzt grade darin, dass er im Werthausdruck der Waaren ein Gleichheitsverhältniß entdeckt. Nur die historische Schranke der Gesellschaft, worin er lebte, verhindert ihn herauszufinden, worin denn "in Wahrheit" dieß Gleichheitsverhältniß besteht. (MEGA2, II. 5, S. 636.)

Marx und Aristoteles: Indirekt und direkt Einflüsse Wertformenlehre: W – G – W‘, G – W – G‘ Substanz und Form Wertbestimmung durch Arbeit Kapitalakkumulation (Mehrwert heckender Wert) chematistisch Zins irrational G – W Arbeitskraft Produktionsmittel W‘ – G‘

Karl Marx: Transformation von Werten in Preise Aber: bisherige Analyse auf Basis der Arbeitswerte, nicht in Preisen Die Analyse von Marx gilt jedoch nur, wenn Austauschverhältnisse in Preisen wie in Arbeitswerten:  „Kommunismus des Kapitals“ Der Gewinn (=Mehrwert) wird, zur Bestimmung der Profitrate, vom Unternehmer zum eingesetzten Kapital in Beziehung gesetzt Profitrate in Werten: r = m/(c+v) Lohn vorfinanziert, daher im Nenner  Sraffa: Zu zeigen: M = P (Mehrwertsumme = Profitsumme) C + V + M = K + W + P (linke Seite: Werte, rechte Seite: Preise) Problem: unterschiedliche organische Zusammensetzung der Sektoren

Karl Marx: Transformation von Werten in Preise (2) Zwei Sektoren: Textil- und Eisenindustrie uniforme Mehrwertraten (Konkurrenz unter den Arbeitern) Unterschiedliche organische Zusammensetzung: unterschiedliche Wertprofitraten widersprechen der Konkurrenz Marx‘ Lösungsvorschlag: Umverteilung von Mehrwert bei der Transformation der Werte in Preise (Kommunismus des Kapitals) m2 mt me mt me m1 vt ve vt ve ct ce ct ce

M = P = Zins + Unternehmergewinn P = M in Spezialfällen: Standardware Input-Ouput Tabelle Zufallsmatrix, Arbeitsvektor und Numéraire unkorreliert – > Arbeitwertlehre gilt im Durchschnitt und P = M Es wird zum Gebrauchswert des Kapitals, Profit abzuwerfen Zins als Preis des Kapitals: eine „verrückte Form“ Band III, 345 „Zins als Preis des Kapitals ist von vornherein ein durchaus irrationeller Ausdruck. Hier hat eine Waare einen doppelten Werth, einmal einen Werth, und dann einen von diesem Werth verschiednen Preis, während Preis der Geldausdruck des Werthes ist....“ „Wie soll nun eine Werthsumme einen Preis haben außer ihrem eignen Preis, außer dem Preis, der in ihrer eignen Geldform ausgedrückt ist?“

Elemente der Böhm-Bawerkschen Lösung (1) Datierung der Güter wie in der späteren Scholastik Streitfrage: Wuchert, wer nach der Ernte Korn verleiht und vor der Aussaat dieselbe Menge zurück fordert? Darlehensvertrag = Vertrag über intertemporalen Tausch Zins = Agio, nicht Teil eines Mehrwerts Kapital als Wertsumme keine selbständige Entität (anders als bei Marx und bei Clark), sondern aufgelöst in vorgetaner Arbeit. Problem des irrationalen Ausdrucks „Preis des Kapitals“ entfällt.

Elemente der Böhm-Bawerkschen Lösung (2) Die Produktionsperiode wird verlängert, bis das Opfer zusätzlichen Kapitaleinsatzes durch künftigen Mehrkonsum nicht mehr kompensiert wird Dies ist nicht Abstinenztheorie, sondern Konsumallokation. Es ist nicht Produktivitätstheorie des Zinses, da solcher Tausch auch ohne Produktion vor sich gehen kann. Max Weber: Die große Wirtschaftshistorische Zäsur ist die Spaltung des alten produzierenden Hauses in konsumierenden Haushalt und produzierende Unternehmung

Elemente der Böhm-Bawerkschen Lösung (3) Die Unternehmung maximiert den Gewinn. Der Haushalt maximiert den Nutzen. Auch wenn die Unternehmung chrematistisch handelt, steht sie unter der gesellschaftlichen Kontrolle des Marktes. Der Arbeitseinsatz wird begrenzt durch das Arbeitsleid, der Konsum durch die Bedürfnisbefriedigung, die Akkumulation durch die Minderschätzung künftiger Güter. Hayek: Damit die Akkumulation einer gegebenen Bevölkerung begrenzt und ein stationärer Zustand erreicht wird, darf die Gegenwartspräferenz mit steigendem Reichtum nicht abnehmen. So dienen unternehmerische Produktion und Kreditvergabe einem natürlichen Erwerb.

Der Entwurf von Karl Marx Kapital, Bd. 2, S. 123 „Denn der Kapitalismus ist schon in der Grundlage aufgehoben durch die Voraussetzung, dass der Genuss als treibendes Motiv wirkt, nicht die Bereicherung selbst.“