Umgang mit herausforderndem Verhalten im inklusiven Bildungssystem

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 Präsentation transkript:

Umgang mit herausforderndem Verhalten im inklusiven Bildungssystem Kritische Überlegungen und empirische Befunde Prof. Dr. Stephan Ellinger Universität Würzburg

Artikel 24: (1) Die Vertragsstaaten anerkennen das Recht von Menschen mit Behinderungen auf Bildung. Um dieses Recht ohne Diskriminierung und auf der Grundlage der Chancengleichheit zu verwirklichen, gewährleisten die Vertragsstaaten ein integratives [im rechtsverbindlichen englischen Original heißt es: inklusives, S.E.] Bildungssystem auf allen Ebenen [...]

(2) Bei der Verwirklichung dieses Rechts stellen die Vertragsstaaten sicher, dass a) Menschen mit Behinderungen nicht aufgrund von Behinderung vom allgemeinen Bildungssystem ausgeschlossen werden und dass Kinder mit Behinderungen nicht aufgrund von Behinderung vom unentgeltlichen und obligatorischen Grundschulunterricht oder vom Besuch weiterführender Schulen ausgeschlossen werden; b) Menschen mit Behinderungen gleichberechtigt mit anderen in der Gemeinschaft, in der sie leben, Zugang zu einem integrativen, hochwertigen und unentgeltlichen Unterricht an Grundschulen und weiterführenden Schulen haben; c) angemessene Vorkehrungen für die Bedürfnisse des Einzelnen getroffen werden; d) Menschen mit Behinderungen innerhalb des allgemeinen Bildungssystems die notwendige Unterstützung geleistet wird, um ihre erfolgreiche Bildung zu erleichtern; [...]

(4) Um zur Verwirklichung dieses Rechts beizutragen, treffen die Vertragsstaaten geeignete Maßnahmen zur Einstellung von Lehrkräften, einschließlich solcher mit Behinderungen, die in Gebärdensprache oder Brailleschrift ausgebildet sind, und zur Schulung von Fachkräften sowie Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen auf allen Ebenen des Bildungswesens. Diese Schulung schließt die Schärfung des Bewusstseins für Behinderungen und die Verwendung geeigneter ergänzender und alternativer Formen, Mittel und Formate der Kommunikation sowie pädagogische Verfahren und Materialien zur Unterstützung von Menschen mit Behinderungen ein.

Umgang mit herausforderndem Verhalten im inklusiven Bildungssystem 1. WHO-Klassifikation: Behinderung und Benachteiligung 2. Inklusion – und/oder/statt/gleich – Integration 3. Empirische Befunde zur inklusiven Beschulung von verhaltensauffälligen Kindern und Jugendlichen 4. Schlussfolgerungen für Möglichkeiten und Grenzen inklusiver Settings

WHO-Klassifikation: International Classification of Impairment, Disability and Handicaps. Fassung von 1980 und 1998 (vgl. Vernooij 2007) Fassung 1980 Fassung 1998 Schädigung - Körperliche Ebene - Impairment Impairment Fähigkeitseinschränkung - Personale Ebene - Disability Activity Aktivitäts- Möglichkeiten Handicap Participation Benachteiligung - Soziale Ebene- Teilhabe

WHO-Klassifikation: International Classification of funktioning, Disability and Health (ICF) Fassung 2001 (Vernooij 2007)

2. Inklusion – und/oder/statt/gleich – Integration Inklusion = bad practice of integration ? Inklusion = die optimierte Integration? Inklusion = die erweiterte Integration? Inklusion = die ultimative Integration? = Exklusion -> Segregation -> Integration -> Inklusion Rechte: Leben Bildung Teilhabe Gleichheit Inklusion = die menschenrechtsbasiert Integration „Inklusion / Integration“ !

Integrationsforschung Hans Eberwein/Sabine Knauer (2009)(Hg): Handbuch Integrationspädagogik: Kinder mit und ohne Beeinträchtigung lernen gemeinsam. 7. Auflage. Weinheim. Kontakthypothese Fritz Heider (1977) => Je früher und häufiger nichtbehinderte Personen Kontakt zu behinderten Personen haben, desto positiver wird ihre Einstellung ihnen gegenüber werden Kniel 1979 – Haeberlin 1990– Reinhard 1981 – Klauß 1993 – Jansen 1979 – Horne 1985 – Berges 1996 – Cloerkes 1996

Integrationsforschung Hans Eberwein/Sabine Knauer (2009)(Hg): Handbuch Integrationspädagogik: Kinder mit und ohne Beeinträchtigung lernen gemeinsam. 7. Auflage. Weinheim. Kontakthypothese Fritz Heider (1977) => Je früher und häufiger nichtbehinderte Personen Kontakt zu behinderten Personen haben, desto positiver wird ihre Einstellung ihnen gegenüber werden Kniel 1979 – Haeberlin 1990– Reinhard 1981 – Klauß 1993 – Jansen 1979 – Horne 1985 – Berges 1996 – Cloerkes 1996 Je angenehmer die emotionale Befindlichkeit ist, desto positiver ist die jeweilige Einstellung zueinander

(Risiko, abgelehnt zu werden 3 bis 5,5 mal höher) Befunde zur Integration verhaltensauffälliger Kinder und Jugendlicher in allgemeinen Schulen Das Selbstkonzept von Schülern mit Verhaltensstörungen (SmV) ist in der Förderschule besser als in der Regelschule Coleman 1983; Gresham et al. (1988); Haeberlin (1999) SmV erhalten viermal mehr Lehreraufmerksamkeit als Regelschüler und versuchen dreimal so häufig, die Aufmerksamkeit des Lehrers zu erlangen Slate / Saudergas (1986); Zigmond et al. (1988), Kauffman (1989); Huber (2006) SmV gehören in Regelschulen zu den Außenseitern und sind die am meisten abgelehnte und isolierte Gruppe von allen (Risiko, abgelehnt zu werden 3 bis 5,5 mal höher) Kauffman (1989); Sabornie (1983); Gottlieb (1971); Macerwain et al. (2002); Huber (2008); Gasteiger-Klicpera / Klicpera (1997); Haeberlin (1999)

Je heterogener die Gruppe, desto stärker die Ausgrenzung der SmV Befunde zur Integration verhaltensauffälliger Kinder und Jugendlicher in allgemeinen Schulen Schlechte Rahmenbedingungen (Klassengröße, überforderte Lehrkräfte, räumliche Ausstattung etc.) schlagen voll durch; optimale Rahmenbedingungen und zusätzliche Hilfen helfen soziale Integration zu ermöglichen Huber (2006; 2008); Barsch / Bendokat / Brück (2008); Preuss-Lausitz / Textor 2006 Je heterogener die Gruppe, desto stärker die Ausgrenzung der SmV Kauffman / Hallahan (2005); Huber (2006) Hyperaktive Kinder sind besonders bei Lehrern unbeliebt weil sie mehr als andere SmV das soziale Geschehen dominieren Madan-Swain / Zentall (1989); Campbell et al. (1977)

Der Einfluss von SmV auf das Verhalten von Regelschülern Kinder mit ADHS = negatives V-Modell (Huber 2006) Freundschaft mit SmV im Jugendalter begünstigt: - aggressives Verhalten (Vitaro et al. 1997) Alkoholmissbrauch (Bosari / Carey 2001) das Rauchen von Nikotin und Marihuana Alexander et al. (2001); Andrews et al. (2002) - Suizidalität (Printstein et al. 2001) => Bekannte Risikofaktoren für Dissozialität: (geringe Intelligenz, psychische Störungen der Eltern, sozioökonomische Probleme, Wohnort) Bloomquist / Schnell (2002); Huber (2008)

Kritik an der deutschen Integrationsforschung hinsichtlich der SmV in den letzten 30 Jahren Herbert Goetze (2008): „Die deutsche Integrationsforschung hat sich einer soliden, methodischen Standards genügenden, gut kontrollierten Forschung gegenüber abstinent verhalten“ Heinz Bach (1990): „Bei aller Achtung ... scheint die deutsche Integrationsforschung eher von weltanschaulichen Einstellungen und durch individuell geprägte Erfahrung getragen zu sein, als dass ihnen eine wissenschaftlich-empirische Basis zugrunde läge“ Christian Huber (2008): „Im Gegensatz zur international üblichen Sichtweise ... setzen deutsche Forscher den Fokus eher auf Einzelfallanalysen“

4. Schlussfolgerungen für Möglichkeiten und Grenzen inklusiver Settings Es gibt in Deutschland keine belastbaren empirischen Befunde, die integrative Beschulung von SmV in der Halbtagsschule nahe legen Es gibt positive Befunde und vielversprechende Ansätze in gebundenen Ganztagsschulen: „Studie zur Entwicklung von Ganztagsschulen zwischen 2005 und 2010“ (StEG) Klieme et al. (2010) Individuelle Entwicklung positiv (Selbstwertgefühl) Positiver Einfluss auf das Sozialverhalten belegt (weniger Gewalt und U-Störungen, mehr Verantw.-Übernahme) - Leistungssteigerung insbesondere bei benachteiligten S.

Studien zur gebundenen Ganztagsschule für Risikokinder Ellinger / Koch / Schroeder (2007); Ellinger (2002) Ganztagsschule für traumatisierte Kinder und Jugendliche Ellinger / Hoffart / Möhrlein (2009); Hoffart et al. (2008); Risikokinder und traumatisierte Kinder brauchen einen „sicheren Ort“ um zurecht zu kommen Unsichere Bindungsmuster sind am effektivsten im Rahmen einer ganztägigen Beziehung zu bearbeiten - Den beteiligten Berufsgruppen geht es psychisch gut

Stephan Ellinger Universität Würzburg http://www.sopaed-lern.uni-wuerzburg.de/startseite/