Der Fremde in der Stadt: Die Großstadt als Integrationsmaschine ?

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 Präsentation transkript:

Der Fremde in der Stadt: Die Großstadt als Integrationsmaschine ? S Zuwanderung - Stadtentwicklung 3. Sitzung (05.11.08) TU Chemnitz Professur Soziologie des Raumes Wintersemester 2008/09 Dipl.-Soz. Ronny Reißmüller

Programm für heute Stadtkultur als Kultur der Differenz Die Figur des Fremden in der stadt-soziologischen Theorie: zwei Klassiker Zum Integrations-Begriff Die Großstadt als Integrationsmaschine – gilt das noch immer ? Zuwanderung im ostdeutschen Kontext: Fremdheit trifft auf Unerfahrenheit

Stadtkultur als Kultur der Differenz „Es war schon immer ein Kennzeichen der Stadt, die Koexistenz von Differentem zu ermöglichen, unterschiedliche soziale Gruppen, Dinge und Lebensstile an einem Ort verdichtet zusammenzuführen.“ (Schroer 2006: 233)

Stadtkultur als Kultur der Differenz Großstädte sind Ende des 19. Jh. durch Zuwanderung entstanden (Phase der Industrialisierung) in Europa: Städtewachstum durch Zuwanderer in den Vereinigten Staaten von Amerika: Städtegründung und Verstädterung durch Zuwanderer „Das Zusammenleben von einander Fremden war die neue Erfahrung, die mit der Großstadtbildung verbunden war.“ (Häußermann 2005: 24) Heterogenität als konstituierendes Merkmal von Großstädten >> Großstadt als Magnet für Zuwanderer >> Großstadt ist Resultat von Zuwanderung

Die Figur des Fremden in der (stadt-) soziologischen Theorie „Der Prototyp des Städters ist der Fremde.“ „Stadt ist der Ort, wo Fremde zusammenleben.“ (Siebel 1997: 31) „Stadt als Ort der Begegnung mit dem Fremden.“ (Siebel 1997: 34)

Die Figur des Fremden in der (stadt-) soziologischen Theorie: Zwei Klassiker 1. Georg Simmel (1858-1918): Aufsatz ‚Exkurs über den Fremden‘ 2. Robert Ezra Park (1864-1944): Figur des ‚marginal man‘ in der Großstadt (vgl. Siebel 1997; Häußermann 2005)

Georg Simmel: Exkurs über den Fremden (1908) Idealfigur: der Fremde als ‚objektiver Mensch‘ die sozialen Beziehungen zwischen Großstädtern besonders für Integration von Fremden geeignet Gründe: - Beziehungen auf funktionale Zwecke begrenzt - hoher Grad von Anonymität - soziale Kontrolle in der Großstadt gering Großstadt schafft Raum für Differenzen, die großstädtische Gesellschaft ist offener für Neues

Robert E. Park: Figur des ‚marginal men‘ (1928) theoretischer Hintergrund: Vertreter der Chicago School empirischer Hintergrund: Stadtentwicklung von Chicago (USA) in den 1920er Jahren durch Zuwanderer bestimmt = Einwanderer-Stadt entwickelte Figur des ‚marginal man‘ = weitgehend auf sich selbst gestellte Randpersönlichkeit, die zwischen zwei Kulturen steht und Konflikten ausgesetzt ist > löst diese Konflikte, indem er Nischen besetzt und innovative Lösungen entwickelt (z.B. ökonomische) > findet dadurch Akzeptanz und Anerkennung in der Aufnahmegesellschaft; sichert seinen Lebensunterhalt > bleibt ein distanzierter Beobachter in prekärer Position

Robert E. Park: Figur des ‚marginal men‘ (1928) Original-Aufsatz zum Nachlesen: Park, Robert E. (1928): Human Migration and the Marginal Man. In: American Journal of Sociology 33 (6): 881-893.

Die Großstadt als ‚Integrationsmaschine‘ ? bisher: positive Rolle der Großstadt bei der Integration von Fremden Simmel: Kommunikation stark zweckbezogen; soziale Beziehungen sehr unpersönlich Park: ‚marginal man‘ findet Nischen ethnische Differenz und Heterogenität als Qualität des urbanen Raumes Funktion der Großstadt als ‚Integrationsmaschine‘ (Häußermann)

Was ist eigentlich Integration ? theoretische Annäherung Integration der Gesellschaft = Stabilität der Gesellschaft als Ganzes Zusammenspiel der Subsysteme (funktionale Integration - Konsensbildung) Kernfrage: Was hält eine Gesellschaft zusammen bzw. treibt sie auseinander ? Integration in die Gesellschaft = gelungene ‚Eingliederung‘ von Individuen oder Personengruppen Ausmaß der Gleichberechtigung – Grad der Partizipation Kernfrage: Wer ist drinnen (gehört dazu), wer ist draußen (gehört nicht dazu) ?

Integrations-Begriff: heutiges Verständnis Integration als multidimensionaler, wechselseitiger Lern- und Veränderungsprozess Definition der Unabh. Komm. ‚Zuwanderung‘ (2001) Integration als „dauerhafte politische und gesellschaftliche Aufgabe, die alle im Land lebenden Menschen betrifft und ihnen gleichberechtigte Teilhabe am gesellschaftlichen, wirtschaftlichen, politischen und kulturellen Leben unter der Berücksichtigung ihrer jeweiligen kulturellen Eigenart gewährleistet“

Integrations-Begriff: unser Interesse Ein ‚erfolgreicher‘ Ablauf des Integrations-Prozesses hängt in hohem Maße von gesamtgesellschaftlichen Entwicklungen, den jeweiligen städtischen Strukturen und sozialräumlichen Rahmenbedingungen ab !

veränderte Rahmenbedingungen in der Stadt I Arbeitsmarkt hat seine grundlegende Integrationsfunktion verloren Grund: nicht mehr aufnahmefähig; ökonomischer Strukturwandel (Prozess der Deindustrialisierung) weitreichender Ausschluss der Migranten vom Bildungssystem (Sprache; soziale Herkunft…) anhaltender Abbau von Sozialleistungen (prekäre Haushaltssituation der Kommunen)

veränderte Rahmenbedingungen in der Stadt II Verschärfung der sozialräumlichen Polarisierungs-Prozesse a) Realität: sozialräumliche Entmischung der Wohnbevölkerung nach sozialen, ethnischen und demografischen Merkmalen (Segregation) b) Entwicklung: Entspannung der Wohnungsmärkte in schrumpfenden Städten wird Dynamik selektiver Migrations-Prozesse erhöhen = Abwanderung aus weniger attraktiven Städten bzw. Stadtteilen

veränderte Rahmenbedingungen in der Stadt III Beispiel: Suburbanisierungs-Prozess = Verlagerung der Wachstumsdynamik in das Umland der Kernstädte (Bevölkerung, Industrie, Einzelhandel/DL) - soziale Neusortierung der Bevölkerung in den Stadtquartieren - selektive Abwanderungen: einkommensstärkere Haushalte verließen die Kernstadt (v.a. familienzentrierte Mittelschicht), einkommensschwächere Haushalte blieben (Alte, Alleinerziehende, Arbeitslose, Ausländer…)

veränderte Rahmenbedingungen in der Stadt IV teilweise Ausschluss von der politischen Mitbestimmung (Ausländer sind nicht wahlberechtigt) zunehmende Bedeutung der Religion z.B. Islamisierung der türkischen Bevölkerung in Deutschland - symbolische Repräsentation im Stadtraum (z.B. Bau von Moscheen) kann provokant auf (einheimische) Bevölkerung wirken - ausgeprägte Religiosität erhöht (bewusste) soziale Distanz zur Aufnahmegesellschaft

Schlussfolgerungen genannte Entwicklungen führen zu einer sozialen Spaltung in den Städten und damit zu einem Verlust der Integrationsfähigkeit der Stadt Großstadt verliert zunehmend Funktion als ‚Integrationsmaschine‘ z.B. Heitmeyer (1998); Häußermann (2005)

Spezifika der Zuwanderung in Ostdeutschland 1. der niedrige quantitative Umfang der Zuwanderung 2. die andere Zuwanderungs-Geschichte Die DDR als monokulturelle Gesellschaft ? 3. die andere ethnische Herkunft der Personen mit Migrationshintergrund 4. die spezifischen Rahmenbedingungen in Ostdeutschland

Zuwanderung im ostdeutschen Kontext Fragen: Ist Zuwanderung ein relevantes Thema für Ostdeutschland ? Was bedeutet der geringe quantitative Umfang der Zuwanderung für den Integrations-Bedarf in Ostdeutschland ?

verwendete Literatur Häußermann, Hartmut (2005): Integration und Urbanität – eine problematisch gewordene Beziehung. In: DIFU (Hg.): Zukunft von Stadt und Region. Band 1: Integration und Ausgrenzung in der Stadtgesellschaft. Wiesbaden: VS: 19-51. Häußermann, Hartmut & Siebel, Walter (2004): Stadtsoziologie. Eine Einführung. Frankfurt am Main/New York: Campus. Schroer, Markus (2006): Räume, Orte, Grenzen. Auf dem Weg zu einer Soziologie des Raumes. Frankfurt am Main. Siebel, Walter (1997): Die Stadt und die Zuwanderer. In: Häußermann, Hartmut & Oswald, Ingrid (Hg.): Zuwanderung und Stadtentwicklung. Opladen: Westdeutscher Verlag: 30-41 (Leviathan Sonderheft 17). Simmel, Georg (1983, zuerst 1908): Exkurs über den Fremden. In: Ders.: Soziologie. Untersuchungen über die Formen der Vergesellschaftung. Berlin: Duncker & Humblot: 509-512.