Niklas Luhmann: Systemtheorie

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 Präsentation transkript:

Niklas Luhmann: Systemtheorie Soziopod

Niklas Luhmann: Systemtheorie Forschungsgebiete: Gesellschaftstheorie Systemtheorie Suhrkamp.de Niklas Luhmann 1927 – 1998

Rückblick: Parsons‘ Strukturtheorie Talcott Parsons: Analogie zu lebenden Organismen Gesellschaften: Komplexe Systeme, die sich von ihrer Umwelt abgrenzen Zu ihrem Überleben entwickeln Gesellschaften Strukturen Strukturen erfüllen spezielle Funktionen für die Bestandserhaltung des Gesamtsystems (Baumgart 2008)

Luhmanns Systemtheorie Luhmanns Kritik an Parsons: Die Analogie ‚Gesellschaften entsprechen natürlich-biologischen Organismen‘ hinkt Gesellschaften haben keinen ‚Lebenstrieb‘ wie Tiere oder Pflanzen Das strukturierende Prinzip muss bei Gesellschaften anders gedacht werden (Joas, Knöbl 2004)

Luhmanns Systemtheorie Anthropologische Annahmen: Mensch als Mängelwesen muss durch Kultur den täglichen Überlebenskampf mildern und Routinen aufbauen Gesellschaftliche Strukturen zielen auf Entlastung Soziale Systeme reduzieren Komplexität, verhindern Überforderung (Joas, Knöbl 2004)

Luhmanns Systemtheorie Menschliche Kommunikation entwickelt sich im Laufe der Geschichte Funktionen bilden sich heraus Systeme entstehen um diese Funktionen zu erfüllen Hauptfunktion: Entlastung, Reduktion von Komplexität

Luhmanns Systemtheorie Luhmann ‚dreht Parsons um‘: Funktionen folgen nicht Strukturen, um sie aufrecht zu erhalten Strukturen bilden sich, um Funktionen zu erfüllen Der ‚Strukturfunktionalismus‘ von Parsons wird zum ‚Funktionsstrukturalismus‘ von Luhmann (Joas, Knöbl 2004)

Luhmanns Systemtheorie Luhmann und die Biologie Maturana/Varela: Biologische Systeme sind operational geschlossen Biologische Systeme sind zwar physikalisch offen, sie nehmen Stoffe aus der Umwelt auf Die Verarbeitung dieser Stoffe folgt jedoch einer rein systemimmanenten Logik (Joas, Knöbl 2004)

Luhmanns Systemtheorie Luhmann und die Biologie Maturana/Varela: Auch das Nervensystem des Menschen ist ein geschlossenes System Lebende Organismen funktionieren als selbsterzeugende und sich allein auf sich selbst beziehende Systeme Lebende Organismen sind autopoietische Systeme (Joas, Knöbl 2004, Luhmann 1984, Scherr 2002)

Luhmanns Systemtheorie Aufgrund ihrer operativen Geschlossenheit sind soziale Systeme von außen nicht steuerbar Von der Welt dringen Irritation, Reizungen, Störungen zu dem System vor Das System transformiert selektiv diese Reizungen in Informationen Das System macht „order from noise“ (Joas, Knöbl 2004, Luhmann 1984, Scherr 2002)

Luhmanns Systemtheorie Reiz System verarbeitet die Reize zu Informationen > Order from Noise Reiz Reiz

Luhmanns Systemtheorie Luhmann überträgt die Erkenntnis der autopoietischen Systeme auf die Sozialwissenschaft Soziale Systeme sind ebenfalls autopoietisch, sie operieren nach eigenen, geschlossenen Regeln Moderne Gesellschaften bilden unterschiedliche autopoietische Systeme: Politik, Wirtschaft, Religion, Kunst, etc.

Luhmanns Systemtheorie Auch Menschen sind Systeme mit zahlreichen Subsystemen, die autopoietisch operieren: Das psychische System: Gedanken, Gefühle Das biologische System: Körperfunktionen Kommunikation bringt nur Kommunikation hervor, Biologisches nur Biologisches Zusammenspiel der menschlichen Funktionen: Person (Joas, Knöbl 2004, Luhmann 1984, Scherr 2002)

Was bedeutet ‚Sozialisation‘ systemtheoretisch?

Systemtheorie und ‚Sozialisation‘ Systemtheorie: Konstruktivistische Sozialisationstheorie Konstruktivismus: Menschen haben es nie mit der Realität selbst zu tun, sondern immer mit von Beobachtern konstruierter Realität Die Welt kann man nur durch Beobachten und Unterscheiden erkennen Unterscheidungen kommen vom Beobachter, nicht aus der Außenwelt Erkenntnisse sind Konstrukte

Systemtheoretische Sozialisation Heranwachsende können nie direkt beeinflusst werden Kommunikation ist nicht Informationsübertragung von einem psychischen System auf ein anderes Sozialisation bedeutet, Anregungen und Reize bereitstellen Diese Anregungen werden dann vom psychischen System des Heranwachsenden aufgenommen und verarbeitet (Joas, Knöbl 2004, Scherr 2002)

Systemtheoretische Sozialisation Dauerirritationen eines bestimmten Typus, etwa die wiederholte Irritation eines Kleinkindes durch die Auffälligkeiten der Sprache oder die Irritation einer auf Landwirtschaft beruhenden Gesellschaft (können) die Strukturentwicklung in eine bestimmte Richtung lenken. (Luhmann 1997 zitiert bei Scherr 2002)

Systemtheoretische Sozialisation Kinder erkunden und entdecken ihre Welt Kinder nehmen Informationen aus ihrer Umwelt auf Sie konstruieren aus den Elementen ihrer Umwelt gemäß ihres Entwicklungsstandes die Welt in sich Umwelt = Anregungen Sozialisation: Gesamtheit der Anregungsbedingungen Erziehung: Bewusst gewählte Anregungen

Literatur Baumgart, F. (2008): Theorien der Sozialisation. Bad Heilbrunn: Julius Klinkhardt. Gehlen, A. (1950): Der Mensch, seine Natur und seine Stellung in der Welt. Berlin: Junker und Dünnhaupt. Joas, H./Knöbl, W. (2004): Sozialtheorie - Zwanzig einführende Vorlesungen. Frankfurt: Suhrkamp. Luhmann, N. (1984): Soziale Systeme. Grundriß einer allgemeinen Theorie. Frankfurt: Suhrkamp. Luhmann, N. (1998): Die Gesellschaft der Gesellschaft. Frankfurt: Suhrkamp. Scherr, A. (2002): Soziologische Systemtheorie als Grundlage einer Theorie der Sozialen Arbeit? Neue Praxis Heft 3, S.258-267. Schimank, U. (2007): Ökologische Gefährdungen, Anspruchsinflationen und Exklusionsverkettungen - Niklas Luhmanns Beobachtung funktionaler Differenzierung. In: Schimank, U./Volkmann, U. (Hg.): Soziologische Gegenwartsdiagnosen. Wiesbaden: Springer Verlag, S.125-142. Bild: Suhrkamp.de