Vortrag für die Fachtagung „Machtausgleich mit

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 Präsentation transkript:

Durchsetzung von Rechts-ansprüchen in der Jugend-hilfe durch Ombudschaft Vortrag für die Fachtagung „Machtausgleich mit allen Mitteln“ am 23.05.2019 in Bad Boll Gila Schindler, Fachanwältin für Sozialrecht, KASU Kanzlei für soziale Unternehmen

Überblick Nicht jeder Konflikt hat mit Recht zu tun… Warum vom Rechtsstreit abzuraten ist und warum doch nicht. Besonderheiten im Rechtsstreit Grundlagen Macht durch Auslegung Gerichtliches Verfahren Argumente für ein gerichtliches Verfahren Besondere Hürden bei der Durchsetzung jugendhilferechtlicher Ansprüche Notwendige Kompetenzen im Verfahren

Warum Machtausgleich? Ein wesentliches Element der Ombudschaftstätigkeit ist die Konfliktbearbeitung in „asymmetrischen Konflikt- konstellationen“. Die Behörde Jugendamt hat zwar nur wenig unmittelbare Eingriffsrechte, aber entscheidet auch über Leistungen in wesentlicher Weise über biografische Aspekte. Leistungserbringer – insbesondere im stationären Bereich – bestimmen über alle Aspekte des täglichen Lebens. Klienten sind individuell und strukturell benachteiligt.

Zielsetzung Ombudschaft Ombudschaftliche Beratung umfasst auch die (fach- )politische Lobbyarbeit für eine bedarfsgerechte und adressat*innenorientierte Jugendhilfe und eine Sozialpolitik, die »positive Lebensbedingungen für junge Menschen und ihre Familien« (§ 1, Abs. 3, Satz 4 SGB VIII) schafft (Bundesnetzwerk Ombudschaft KuJ 2016, S. 4). Unabhängige Information, Beratung und Vermittlung in Konflikten mit dem öffentlichen oder freien Träger der Jugendhilfe im Kontext der individuellen Hilfen zur Erziehung

Ombudschaft in der Kinder- und Jugendhilfe Beschwerde- bzw. Schlichtungsbedarfe in der Kinder- und Jugendhilfe Das „Ob“ der Leistungsge- währung und -erbringung Das „Wie“ der Leistungsge- währung und –erbringung

Ombudschaft: Mehr als fachliche Beratung Eine Besonderheit ombudschaftlicher Unterstützung liegt in der Möglichkeit, Kinder, Jugendliche und Erwachsene neben der Beratung, wie sie ihre Anliegen selbst gut vertreten können, auch durch weiterführende Aktivitäten zur Seite zu stehen. Die Notwendigkeit der rechtsanwaltlichen Unterstützung spielt fast ausschließlich im Konflikt mit dem Jugendamt eine Rolle.

Die Bindung der Verwaltung an das Recht Das wesentliche Gebot der Rechtsstaatlichkeit heißt, dass Behörden an das Gesetz gebunden sind. Sie haben darüber hinaus auch die Bürger umfassend über Pflichten und Rechte zu beraten (§ 14 SGB I). Gesetzliche und unter- gesetzliche Normen bedürfen jedoch der Auslegung: was Recht ist, ist keineswegs offensichtlich.

Änderung von Recht durch Anwendung und Rechtsprechung Eine Rechtsnorm steht ständig im Kontext der sozialen Verhältnisse und der gesellschaftlich-politischen Anschauungen, auf die sie wirken soll; ihr Inhalt kann und muss sich unter Umständen mit ihnen wandeln (BVerfG 1973) Beispiel § 1666 BGB: Kindeswohlgefährdung

Bedeutung von Klageverfahren in der Kinder- und Jugendhilfe Bleibt der Zugang zur Klärung auf dem Klageweg verwehrt, so obliegt allein der Verwaltung die Auslegung der Rechtsnormen. Die Verwaltung ist nicht unabhängig, sondern verfolgt in der Sache, in der sie entscheidet, (auch) eigene Interessen. Die Verwaltungspraxis ist der Öffentlichkeit weitgehend entzogen. Nur durch Einbindung der normativen Praxis der Gerichtsbarkeit kann eine Verfahrenspraxis hergestellt werden, die auf Interessenausgleich gerichtet ist.

Problem: Rechtsstreitigkeiten als Konfliktverschärfung Kommt es bei einem Konflikt mit dem JA zu einer streitigen Entscheidung, so wirkt das nicht immer „befriedend“. Allein die Aussicht zu einer Leistung durch eine gerichtliche Entscheidung verpflichtet zu werden, wird teils als Angriff verstanden. Sofern die ombudschaftliche Beratung die Möglichkeit einer anwaltlichen Unterstützung bietet, entfacht dies teils heftigen Widerstand.

Problem: Verfahrensdauer Die Erfahrung zeigt, dass eine gerichtliche Klärung von Konflikten sehr lange dauert und mit zusätzlichen Belastungen verbunden ist. Selbst Eilanträge im Rahmen des § 123 VwGO erstrecken sich über mehrere Monate, die regulären Verfahren benötigen Jahre. Für Menschen, die sich in Situationen befinden, die einen spezifischen Jugendhilfebedarf begründen und dadurch schon hohen Belastungen ausgesetzt sind, ist dies oft ein absoluter Hinderungsgrund.

Problem: Kein Ausgleich für die Vergangenheit Die Ansprüche in der Kinder- und Jugendhilfe richten sich auf soziale Dienstleistungen, nicht auf Geld. Wurde die Dienstleistung in der Vergangenheit verweigert, so lässt sie sich nicht nachholen. Rechtsschutz ist effektiv nur möglich, wenn die Leistungsberechtigten die Möglichkeit zur Vorleistung haben oder ein Anbieter seinen Finanzierungsanspruch nicht durchsetzt

Problem: Kompetenz der anwaltlichen Vertretung Die Kooperation mit Anwält*innen ist eine zentrale Voraussetzung dafür, dass die Ressource »Rechtliche Klärung« den Ratsuchenden überhaupt zur Verfügung steht Die rechtlichen Grundlagen der Tätigkeiten in der Kinder- und Jugendhilfe gelten als Spezialwissen und es gibt nur wenige Anwält*innen, die über die notwendige Prozesserfahrung in diesem Feld verfügen.

Wüste Kinder- und Jugendhilfe in der Rechtspraxis Sozialrecht spielt in der juristischen Ausbildung keine Rolle. Kinder- und Jugend- hilfe spielt im Bereich des Sozialrechts keine Rolle – in der Ausbildung zur/zum Fachanwält*in kommt das SGB VIII nicht vor. Die anwaltliche Vergütung im Bereich Kinder- und Jugendhilfe behindert den Aufbau der notwendigen Kompetenz zusätzlich.

Problem: Interesse am Rechtsstreit Sind minderjährige Kinder und Jugendliche betroffen, so können sie ihre Rechte nicht alleine vor Gericht einklagen, sondern stehen die gesetzlichen Vertreter*innen in der Pflicht. Die Sorgeberechtigten als Inhaber des Anspruchs auf Hilfe zur Erziehung haben nicht unbedingt Interesse an der Durchsetzung dieses Rechtsanspruchs.

Problem: Wir können auch anders! Angst vor zukünftigen Repressionen durch das beklagte Jugendamt. Das gilt auch für interne Repressionen, wenn Amtsvormünder*innen die Interessen der leistungsberechtigten Minderjährigen vertreten. Auch wenn Amtsvormünder*innen nicht weisungsunterworfen sind – Sie müssen idR gegen die eigene Behörde vorgehen.

Sinn von Klageverfahren Im Einzelfall zielt ein Klageverfahren auf das Obsiegen der vertretenen Partei ab. Die Weiterentwicklung des Rechts bedarf aber darüber hinaus grundsätzlich der Beteiligung der unterrepräsentierten Gruppe der Adressat*innen der Kinder- und Jugendhilfe. Recht wird in besonderer Weise von der Auslegung durch Gerichte geprägt. Einfluss braucht also Ressourcen, um ein Anliegen vor die Gerichte zu tragen.

Grundsatzentscheidungen erzielen Die Herausforderung, die hier deutlich wird, liegt darin, zwischen den Interessen des Einzelfalls und den Interessen aller zukünftigen Einzelfälle zu vermitteln. Für die ombudschaftliche Beratungsarbeit bedeutet das, eine begründete Position zu finden, wie Ratsuchende im Einzelfall beraten und unterstützt und gleichzeitig Fälle identifiziert werden, mit deren Hilfe strukturelle Aspekte bearbeitbar sind.

Herausforderung: Gerichte überzeugen Richter*innen durchlaufen dieselbe Ausbildung wie Rechtsanwält*innen: es mangelt auch ihnen an dem erforderlichen Spezialwissen. Zuständig für die Streitigkeiten in der Kinder- und Jugendhilfe sind die Verwaltungsgerichte, die über die Anwendung öffentlichen Rechts entscheiden. Es handelt sich dabei überwiegend um ein stark „durchnormiertes“ Rechtsgebiet. Die Kinder- und Jugendhilfe gilt hier oft als „Prosa“.

Zwei Arten von Recht: Verfahrens-recht und materielle Ansprüche In der Regel wird vor allem auf materielle Rechtsansprüche fokussiert: besteht im Einzelfall der begehrte Anspruch auf HzE? Viel einfacher lassen sich Fälle jedoch über das Verfahrensrecht gewinnen. Beispiel: Folge einer unbefristeten Leistungsgewährung.

Überprüfbarkeit von Ansprüchen auf soziale Dienstleistungen Mit der Reform der Eingliederungshilfe, die auch und insbesondere die Jugendämter als Träger der Eingliederungshilfe nach § 35a SGB VIII betrifft, hat der Gesetzgeber mehr Transparenz für Leistungen umgesetzt, die in erheblichem Umfang auf Grundlage von Auslegung gewährt werden.

Konkretisierung durch Einführung von Verfahrenspflichten Mit § 13 SGB IX wird das JA verpflichtet, den Teilhabebedarf von Kindern auf Grundlage von Instrumenten zu erheben. Damit wird die Möglichkeit geschaffen, Bedarfe objektiver, transparenter und vor allem nachprüfbar zu machen. Die Begutachtung von Teilhabebedarfen durch unabhängige Experten (§ 17 SGB IX) sollte zum Verfahrensstandard werden.

Ausblick Verstößt ein Träger der öffentlichen Jugendhilfe nicht gerade gegen Verfahrensregelungen, so ist ein Rechtsstreit eine oft schwierige und langwierige Angelegenheit, die nicht immer von Erfolg gekrönt ist. Ohne gerichtliche Kontrolle nimmt die Gefahr einer nicht rechtskonformen Verwaltungspraxis zu, denn Einsparwünsche leiten immer häufiger auch die Jugendhilfepraxis. Die Unterstützung gerichtlicher Verfahren sollte vor diesem Hintergrund unbedingt eine wichtige Rolle für die Ombudschaft spielen.