Prof. Andreas Ladner Zürich, 7. Mai, 2008

Slides:



Advertisements
Ähnliche Präsentationen
Neue Politische Ökonomie: Comparative Politics Vorlesung an der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg SS 2008 Prof. Dr. Lars P. Feld Ruprecht-Karls-Universität.
Advertisements

Stadt Frankfurt am Main – Der Magistrat / Bürgeramt, Statistik und Wahlen Ralf Gutfleisch Design und Umsetzungskonzept koordinierter kommunaler Umfragen.
Wiederholung: Einfache Regressionsgleichung
Die Schweizer Gemeinden – Exkurs: Size and Local Democracy Prof. Andreas Ladner FHS St. Gallen 6./7. November 2014.
Schweizer Geschichtsbuch 2 Handreichungen für den Unterricht Folie 0© 2011 Cornelsen Verlag, Berlin. Alle Rechte vorbehalten. 5. Das Europa der Nationalstaaten.
UNIVOX Umwelt Dezember 2015 gfs-zürich, Markt- & Sozialforschung Dr. Andreas Schaub.
Mit Zug schreiben lernen Basisschrift – Einführung im Kanton Zug Information der Abteilung Schulentwicklung, Amt für gemeindliche Schulen.
Der Subjektorientierte Bildungsansatz der Jugendarbeit Neue Anregungen für Globales Lernen in der Freizeit.
Symposium medicus mundi medico international schweiz Gesundheitsförderung durch Empowerment An der südlichen Atlantikküste von Nicaragua Bea.
Die Europäische Bürgerinitiative Europäische Kommission Generalsekretariat Referat G.4 Allgemeine institutionelle Angelegenheiten Rechtsrahmen Vorschriften.
Ablauf Informationen zum Schulsystem in Schweden
Lernen durch Musik Artenkenntnis einheimischer Bäume einmal anders.
1 Jugendstudie des Renner-Instituts Kurzinformation zur RI-Jugendstudie 2008 Mag. Karl Duffek, Dr. Barbara Rosenberg, Renner-Institut
Hören und Sprechen II Klasse:09. Hörübung Ein chinesischer Student schickt ein Päckchen nach China  H ö ren Sie den Dialog einmal und f ü llen.
Michael Seeger LV BsAs: vom Input zum Outcome SP Inhalte und Kompetenzen der Paradigmenwechsel in der Bildungswelt seit 2000 © 2007 Michael.
DEKRA Qualification. Eine Annäherung auf neun Seiten. entscheiden – machen – Wissen.
17 Ziele für eine zukunftsfähige Welt
Evaluierung von Zertifizierungseffekten bei Gemeinden Michaela Gstrein
Politikwissenschaften, Soziologie und Wirtschaftswissenschaften
Mögliche Auswirkungen von Cyberkriminalität auf das Geschäft von kleinen und mittleren Unternehmen (KMU) im Jahr 2016 Umfragebericht für Schweiz Oktober.
Fächer der Sozialwissenschaft
Kinder- und Jugendpartizipation
Das politische System der Schweiz
Gemeindeversammlung oder Gemeindeparlament
TOP 3: Ergebnisse der Umfrage im Teilprojekt Rodenberger Aue (UAN)
Industrielle Revolution
Arbeitsteilung Vorlesung Mikroökonomik
Kommunikation + Beziehung
Vom Stereotyp zur Diskriminierung
Modul Nationale und Internationale Tourismuspolitik
Forschendes Lernen Forschendes Lernen in der Mathematik
Wie handeln die Jugendliche?
Gesundheit ist nicht das wichtigste?
Die Güternachfrage von Haushalten
HEURISTIKEN.
Transformationskurve und Opportunitätskosten
Transformationskurve und Opportunitätskosten
KI in Computerspielen Tactical and Strategic AI
WRRL Maßnahmenumsetzung in Schwerpunktgewässern
Wie Globalisierung und Digitalisierung den Föderalismus stärken
Gemeinsames Lernen von Kindern mit und ohne Beeinträchtigung
Populäre Wahlen Mobilisierung und Gegenmobilisierung der sozialen Milieus bei der Bundestagswahl 2017 Text.
Mit YouTube Workshopimpuls von Lambert Zumbrägel.
Die 7 Wege zur Effektivität
UNIVERSITÄT HOHENHEIM
Kompetenzen. Kompetenzen Geschichtsbewusstsein Geschichtsbewusstsein ist die Gesamtheit der unterschiedlichen Vorstellungen und Einstellungen von.
Modul 1: Transkulturelle Kompetenz
BÜRGER(INNEN)RAT Mirijam Mock.
Herzlich willkommen, Begrüssung, Vorstellung
IT an Schulen - Ergebnisse einer Befragung von Lehrern in Deutschland - - November
Schulinterene Fortbildung der DFE/ Systemische Beratung
Vote électronique Top oder Flop? Wo steht Graubünden?
Referat Juliane Mathis Nora Schütze
Herzlich willkommen, Begrüssung, Vorstellung
CoR-Anträge D 1980 PDG Urs Klemm ARRFC CoL Delegate D 1980.
Herzlich Willkommen zur 5
Angebot sucht Nachfrage Nachfrage sucht Angebot
Schwerpunktmodulgruppe „Finanzmärkte“ Bachelor Studienphase 2
Dienstag den 29. Januar Immigration.
Wissenschaftliches Projekt
Die gesamte Macht des Staates in der Hand einer Person oder einer Regierung ist in modernen, demokratischen Staaten nicht akzeptierbar. Deshalb kennen.
Erasmus+ JUGEND IN AKTION ab 2021
Ein Modell zur Beteiligung von Kindern und Jugendlichen
Beispiel für eine Grafik gebundene Textproduktion – DaF B1+/B2
KOSCH Koordination und Förderung von Selbsthilfegruppen in der Schweiz
Förderung der Gleichstellung von LGBTI in derEuropäischen Union
Förderung der Gleichstellung von LGBTI in derEuropäischen Union
(Internationale Beziehungen)
Herzlich Willkommen zur 6
Fremdnützige Forschung an Einwilligungsunfähigen – ein Tabu?
 Präsentation transkript:

Prof. Andreas Ladner Zürich, 7. Mai, 2008 “Size and Democracy” Prof. Andreas Ladner Zürich, 7. Mai, 2008

Beispiel Ländervergleiche: Wahlbeteiligung USA (2004): 55.3 % USA (2006): 36.8 % D (2005) : 77 % Does size matter?

Durchschnittliche Wahlbeteiligung auf den drei Ebenen nach Gemeindegrösse Quelle: Gemeindeschreiberbefragung 2005

Teilnahme an Gemeindeversammlung Alle erfassten Gemeinden

Inhaltsübersicht Bedeutung der Fragestellung Die Grösse in der politischen Theorie und Philosophie Theoretische Grundlagen, Begriffe, Hypothesen und Operationalisierung Methodische Probleme und mögliche Lösungen Die Ergebnisse aus dem SLD-Projekt Zusammenfassung und Schlussfolgerung

1. Bedeutung der Fragestellung

Dahl/Tufte (1973): Size and Democracy: Zusammenhang zwischen „Demokratie“ und „Grösse“? Wie gross muss ein politisches System sein, damit eine Kontrolle durch die Bürgerschaft erleichtert wird? Vor- und Nachteile unterschiedlich grosser politischer Systeme?

Aktualität vor 30 Jahren: Bevölkerungsexplosion, Urbanisierungsprozess Kleine europäische Demokratien -> föderatives Europa Grass roots democracy, grössere Bürgernähe

Aktualität heute Gemeindefusionen Regionsmodelle Agglomerationen Kantonsfusionen EU

2. Die Grösse in der politischen Theorie und der Staatsphilosophie

Platon (427-347 v. Chr.) Die Vereinigung der Bürgerschaft soll so gross sein, dass alle einander kennen und sich möglichst freundlich gesinnt sind. Optimale Zahl: 5040 Familienoberhäupter. Laws, in The Dialogues of Plato. Vol. II: V, 738, 742; VI 771

Aristoteles (384-322 v. Chr.) Optimale Grösse der Polis: Mindestens so gross, dass sich die Bevölkerung selbst versorgen kann. Höchstens so gross, dass die Leute den Charakter der anderen noch kennen. Zudem sollte sich alle auf einem Platz versammeln können und den Sprecher noch hören. Politics, p. 292

Rousseau (1712-1778) Für Rousseau variieren die Möglichkeiten der Bürger sich effektiv an der Politik zu beteiligen umgekehrt mit der Grösse. Je mehr Bürger, desto kleiner wird der Anteil des Einzelnen an der Entscheidung. Gleichheit, Beteiligung, Kontrolle über die Regierung, politische Rationalität, Freundlichkeit und bürgerlicher Konsens gehen zurück, wenn die Bevölkerung und das Territorium eines Staates grösser werden. „Du Contrat social“, versch. Passagen

Montesquieu (1689-1755) “Si une république est petite, elle est détruite par une force étrangère; si elle est grande, elle se détruit par vice intérieur.” De l’Esprit des lois, Livre IX, Chapitre 1.

John Stuart Mill (1806-1873): „But since all cannot, in a community exceeding a single small town, participate personally in any but very minor portions of the public business, it follows, that the ideal type of a government must be representative.“ “Representative Government”

Critical juncture: Herausbildung der Nationalstaaten Der Stadt-Staat entspricht je länger je weniger der Wirklichkeit. Der Ort der Demokratie verlagerte sich von den kleineren Einheiten zum Nationalstaat.

Korrektive Elemente wie... Repräsentationsprinzip Gewaltenteilung Föderalismus  verhelfen den „grossen“ Demokratien zum Durchbruch vgl. Federalist Papers/Tocqueville/Montesquieu/Mill

Aber: Die klassische Vorstellung der alten Griechen und von Rousseau von der „wahren“ Demokratie, und damit auch von den Vorteilen der Kleinheit, ist nie ganz verschwunden. Sie findet sich bei den Gegnern einer Zentralisierung, den Anhängern autonomer lokalen Einheiten, den Anhängern der partizipatorischen, grass-roots Demokratie.

3. Theoretische Grundlagen Begriffe, Hypothesen und Operationalisierung

Theoretische Grundlagen (1) Define and measure democracy without being normative? (vgl. Problem Demokratiebarometer) Democracy: Input vs. Output orientation System capacity vs. Citizens effectiveness (democratic dilemma, Dahl and others)

Theoretische Grundlagen (2) Erklärung auf der Kontextebene - zwei theoretische Modelle: Decline of Community Politische Mobilisierung Verba and Nie (1978: 270 f.)

Erwartungen gemäss den beiden Modellen Decline of Communitiy Mobilization Null-Hypothese Grösse und politisches Interesse - + k. Z. Grösse und politische Informiertheit ...... Grösse und Partizipation

Begriff: Grösse Einwohner Raum Bevölkerungsdichte Verteilung der Bevölkerung (zentral – dezentral)

Wie kann die „Qualität der Demokratie“ operationalisiert werden? Zufriedenheit der BürgerInnen und Bürger ihr politisches Interesse Kenntnisse über die politischen Zusammenhänge, persönliche Voraussetzungen zur Politikbeteiligung wahrgenommene Möglichkeiten zur Politikbeteiligung Mobilisierungs- und Organisationsmöglichkeiten Partizipation. Aus Sicht der Bürgerinnen und Bürger!

Einflussfaktoren für Ausprägung und Qualität lokaler Demokratie

Hypothesen zum Einfluss der Gemeindegrösse je nach Modell Politisches Interesse Je grösser ein politisches System, desto kleiner das politische Interesse. Je grösser ein politisches System, desto grösser das politische Interesse. Politische Informiertheit Je grösser ein politisches System, desto schlechter sind die BürgerInnen informiert. Je grösser ein politisches System, desto besser sind die BürgerInnen informiert. ......... Politische Partizipation Je grösser ein politisches System, desto geringer ist die Wahlbeteiligung. Je grösser ein politisches System, desto grösser ist die Wahlbeteiligung.

4. Methodische Probleme und mögliche Lösungen

Problem 1: Kontextvariablen Die Grösse der Gemeinde korreliert mit einer ganzen Reihe von weiteren Kontextvariablen: Kulturelles Umfeld, institutionelles Umfeld, demographisches Konfliktpotential, Wirtschaftslage, politischer Wettbewerb

Parteilose in der Exekutive und Anteil Gemeinden mit Lokalparteien 2005

Gemeinden mit Problemen bei der Besetzung vakanter Exekutivämter, 2005 Kurvilinear!

Ökologischer Fehlschluss! Problem 2: Aggregatsdaten lassen im Prinzip keine Aussagen über individuelles Verhalten zu Ökologischer Fehlschluss! Individuen handeln, nicht Aggregate!

Vernachlässigung der Datenstruktur bei Aggregatsdatenanalysen Fiktives Beispiel: Marc Bühlmann

Problem 3: Bevölkerungszusammensetzung In kleinen Gemeinden wohnen andere Leute als in den Städten Bildung, Alter, Wohneigentum, usw.

Erweitertes Modell zur Erklärung der Qualität lokaler Demokratie

Mehrebenen-Analyse Verknüpft individuelle Merkmale mit Kontextmerkmalen. Schätzt den Einfluss der Variablen auf den beiden Ebenen simultan. Ermöglicht es, die Bedeutung von Kontext- (Grösse) und Individualmerkmalen zu erfassen.

Fully Random Zwei-Level-Modell mit random intercepts und random slopes X-Achse: Gemeindegrösse, Y-Achse: Politische Beteiligung

SLD (International vergleichendes Forschungsprojekt) Nationalfonds-Projekt N, NL, DK, CH Lokale Ebene, Individuen, 1680 Telefoninterviews Stichprobe CH: Föderalismus und Gemeindeautonomie (Auswahl der Gemeinden) (Kantonale „Fallstudien“ vs. „repräsentative“, vergleichbare Stichprobe). 56 Gemeinden. Geschichtete Stichprobe (Gemeindegrösse), kontrolliert nach Religion, Sprache und Wahlverfahren, 30 Personen pro Gemeinde (Zufallsprinzip).

5. Die Ergebnisse aus dem SLD-Projekt

Kurze Vorbemerkung Unterschiede zwischen grossen und kleinen Gemeinden heisst nicht zwingend, dass die Gemeindegrösse einen Einfluss hat. Zwei Analysemöglichkeiten A): Gibt es Unterschiede zwischen grossen und kleinen Gemeinden? B): Erklärt die Gemeindegrösse diese Unterschiede?

Interesse an lokaler, nationaler und internationaler Politik (nach Ländern)

Interesse an lokaler, nationaler und inter-nationaler Politik (nach Gemeindegrösse) Lokale Politik, Pearson corr =.028, sig. = .838, N = 56; nationale Politik, Pearson corr =.339*, sig. = .011, N = 56; internationale Politik, Pearson corr =.293*, sig. = .028, N = 56.

Interesse: Multilevelanalyse Kontextdaten

Interesse: Multilevelanalyse Individualdaten

Wissen: Name des Gemeinde-/Stadtpräsidenten (int. Vergleich)

Wissen: Name des Gemeindepräsidenten und Gemeindegrösse Ungewichtete Werte, signifikanter negativer Zusammenhang zwischen Gemeindegrösse und Anteil richtiger Antworten (pearson corr = -.338*, sig. = .011, N = 56)

Durchschnittliche Wahlbeteiligung auf den drei Ebenen nach Gemeindegrösse Quelle: Gemeindeschreiberbefragung 2005

Wahlbereitschaft und Gemeindegrösse (SLD) Signifikanter negativer Zusammenhang zwischen der Gemeindegrösse und dem Anteil an Personen, die sich fast immer oder immer an lokalen Wahlen beteiligen (pearson corr = -.264*, sig. = .050, N = 56), ungewichtete Werte.

Multilevelanalyse Kontextdaten: Wahlbereitschaft Lokale Wahlen

Multilevelanalyse Individualdaten: Wahlbereitschaft Lokale Wahlen (1)

Multilevelanalyse Individualdaten: Wahlbereitschaft Lokale Wahlen (2)

6. Zusammenfassung und Schluss- folgerung

Auswirkung Gemeindegrösse auf einzelne Indikatoren der Demokratiequalität

Fazit (1) Es gibt den kommunalen Sonderfall Schweiz, zumindest teilweise: Lokalpolitik geringe Bedeutung (!), Interesse hoch, Wissen tief, Vertrauen in Gemeinderat hoch, Zufriedenheit mit den Dienstleistungen hoch, Wahlbeteiligung tief.

Fazit (2) „Decline of Community“ Modell hat die besseren Karten

Vermutung Democracy Mobilization Decline of Community Size

Fazit (3) - Transfer Grössere Gemeinden und Kantone führen (ceteris paribus) nicht uneingeschränkt zu einer Verbesserung der Demokratiequalität.