Die Wiener Universität zu Beginn des 20. Jahrhunderts

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 Präsentation transkript:

Die Wiener Universität zu Beginn des 20. Jahrhunderts

Der Wiener Kreis

Der „erste“ Wiener Kreis: 1907 - 1912 Hans Hahn Moritz Schlick Richard von Mises Otto Neurath

Einflüsse auf den „Verein Ernst Mach“ Henri Poincaré 1854 - 1912

1924 - 1936

Ludwig Wittgenstein (1889-1951) 1922: Tractatus Logico-Philosophicus Ostwald's Annalen der Naturphilosophie

The house that Wittgenstein built, 1926-1928, for his sister, Margarete Stonborough-Wittgenstein: Kundmanngasse, Vienna. He found architecture more difficult than philosophy. The outside looks like a bunker, but the inside is highly original. Wittgenstein designed everything down to the doorknobs and hinges. bottom foto copyright Bernhard Leitner

Bertrand Arthur William Russell (1872 - 1970) Great Court, Trinity College Cambridge 1912

Russell zerreist öffentlich sein Labour-Parteibuch

Rudolf Carnap, (1891-1970) 1928: Der logische Aufbau der Welt. Berlin-Schlachtensee

Karl Raimund Popper (28.07.1902, Wien – 17.09.1994, London) 1918: vorzeitiger Abbruch der Mittelschule, Gasthörer an der Universität Wien (Mathematik, Geschichte, Psychologie, Physik und Philosophie 1920-22: kurze Zeit Hilfsarbeiter; Schüler am Wiener Konservatorium, Abt. Kirchenmusik; arbeitete an Alfred Adlers Erziehungsberatungsstellen in den Wiener Arbeitervierteln 1922: Tischlerlehre und Reifeprüfung als Privatschüler 1924: Prüfung an der Lehrerbildungsanstalt 1925: Student am Pädagogischen Institut. 1928: Promotion bei Karl Bühler (Psychologe, Sprachtheorie) Dissertation Zur Methodenfrage der Denkpsychologie 1930-35: Hauptschullehrer in Wien 1934: Logik der Forschung 1937: Emigration; Dozentur am Canterbury University College in Christchurch, Neuseeland

Karl Raimund Popper (28.07.1902, Wien – 17.09.1994, London) Winter 1944/45: Annahme eines Angebots, an der London School of Economics ab Januar 1946; Lehrtätigkeit als Außerordentlicher Professor 1949: Professor für "Logik und wissenschaftliche Methodenlehre“ an der Universität London. 1965 in den Adelsstand erhoben 1969: Emeritierung an der Universität London. Seit den 80er Jahren gilt Popper als "Klassiker" der Philosophie. Hauptwerk, 1934: Logik der Forschung Das Falsifikationsprinzip als Grundlage aller wissenschaftlichen Theoriebildung. Kein wissenschaftliches System und keine wissenschaftliche Aussage kann danach absolute Gültigkeit beanspruchen; es hat als Arbeitshypothese lediglich vorläufigen Modellcharakter.

Reaktion Poppers auf den „Wiener Kreis“ Anfang 20. Jahrhunderts: Zusammenbruch der klassischen Physik Suche nach sicheren Fundamenten der Wissenschaft. Wenn selbst Newtons Mechanik sich als falsche Theorie erweisen konnte, dann schien Theorien gegenüber Skepsis angebracht zu sein. Nur direkte Beobachtungen und Messungen schienen sicher zu sein; sie sollten die Grundlage zuverlässigen Wissens sein, auf der (mittels Induktion) weiter gearbeitet werden konnte. Das war die (positivistische, auf Verifikationen durch Beobachtungsaussagen setzende) Linie, des Wiener Kreises. Popper entwickelte in seiner «Logik der Forschung» einen Gegenentwurf: die streng fallibilistische Erkenntnistheorie. Er erklärte die vermeintliche Schwachstelle (die sich eventuell als falsch heraus-stellende Theorie) zur Stütze der Wissenschaft und zum Motor des Erkenntnisfortschritts.

Poppers „Kritischer Rationalismus“ Nur begründete Verwerfung (Falsifikation) einer Theorie und ihre Ersetzung durch eine Nachfol-gerin, die hoffentlich auch dort erfolgreiche Erklärungen liefern würde, wo die Vorgängerin versagt hatte, kommen wir zu neuem Wissen: Falsifikationen sind die Vehikel des Erkenntnisfortschritts. Wenn in einem Bereich mit unwiderlegbaren (sicheren) Theorien gearbeitet wird, dann ist das kein Gewinn, sondern es zeigt, dass es sich nicht um empirische Wissenschaft handelt. Gegen Widerlegung immune Theorien generieren kein wirkliches Wissen, sondern Pseudowissen. Die Theorien von Marx und Freud werden Poppers bevorzugte Beispiele für Pseudowissenschaften, weil sie die ihren Prognosen widersprechenden Fakten dialektisch beziehungsweise psychoanalytisch uminterpretieren und sich gegen empirische Widerlegung immun machen.

Kings College in Cambridge, England

Karl Raimund Popper (1902-1994) Thomas S. Kuhn kritisierte Poppers "Logik der Forschung" hinsichtlich des Zustandekommens wissenschaftlichen Fortschritts. Die rationale Beschreibung widerspreche der wirklichen Geschichte; kein vernünftiger Forscher ließe bei der erstbesten Falsifikation von seiner Theorie ab. Ein Fortschrittskriterium gebe es gar nicht, da alte und neue Theorien meist inkommensurabel seien. Paul Feyerabend verstärkte diesen Gedanken noch, indem er Wissenschaft und allerlei mythisches Denken für inkommensurabel und auch noch für gleichwertig erklärte.

Imre Lakatos (1922-1974) geb. als Imre Lipschitz in Ungarn als Sohn jüdischer Eltern 1944 graduiert an der Universität von Debrecen in Mathematik, Physik und Philosophie während des 2. WK: Mutter und Großmutter in Ausschwitz umgebracht; Lakatos wurde Kommunist 1947 vom ungarischen Erziehungsministerium beauftragt, das Erziehungswesen zu reformieren Auseinandersetzung mit der russischen Autorität 1950 Verhaftung und Internierung in Stalinistischem Gefängnis 1953 kam Lakatos frei 1954 Stelle am Mathematischen Institut durch Alfred Renyi Bekanntschaften mit Hayek und Popper; Flucht nach Wien, Auswanderung nach England

Imre Lakatos (1922-1974) 1961: Promotion in Cambridge 1960: Prof. für Philosophie an der London School of Economics 1963-1964: Publikation von Proofs and Refutations (4 Teile) 1974: Falsifikation und die Methodologie wissenschaftlicher Forschungsprogramme Criticism and the Growth of Knowledge enthält Diskussionen zwischen den führenden Gelehrten: Popper, Kuhn, Lakatos, Feyerabend über Wissenschaftstheorie

Criticism and the Growth of Knowledge Zusammenfassung: Wissenschaft ist ein Kampf konkurrierender Forschungsprogramme. Diese enthalten methodologische Regeln, negative und positive Heuristik. Negative Heuristik: verbietet, die Kritik gegen den harten Kern zu richten; Positive Kritik: Hinweise zur Gestaltung des widerlegbaren Schutzgürtels aus Hilfshypothesen des Forschungsprogramms. An die Stelle des Falsifikation tritt das Ziel, die Theorien durch Hilfshypothesen zu retten; dies kann zu wissenschaftlichem Fortschritt führen. Lakatos` raffinierter methodologischer Falsifikationismus verwandelt das Problem der Bewertung von Theorien in das Problem der Bewertung von Theoriereihen.

Criticism and the Growth of Knowledge Um zu beurteilen, welche Veränderungen wissenschaftlicher / pseudowissenschaftlicher Natur sind, müssen Theorien zusammen mit allen Hilfshypothesen und ihren Vorgängern beurteilt werden. Fortschritt wird als progressive Problemverschiebung bewertet. Jeder Schritt eines Forschungsprogramms soll gehaltvermehrend sein und gelegentlich eine progressive empirische Verschiebung aufweisen. Dauert die progressive Phase an, soll trotz scheinbarer Gegenevidenz am Forschungsprogramm festgehalten werden. Anomalien werden vorerst beiseite geschoben. Die Elimination eines Forschungsprogramms kann nur in einem langen Prozess vorgenommen werden. Erst im nachhinein kann ein Experiment sich als entscheidend erweisen und so zur Verwerfung des Programms führen. Diese Verwerfung ist nur dann möglich, wenn eine bessere Theorie, die neue Tatsachen antizipiert bereit steht.

Paul Feyerabend (13.01.1924, Wien - 11.02.1994, Genf) österreichischer Philosoph studierte ab 1946 Theaterwissenschaften und Gesang in Weimar, studierte Geschichte, Mathematik, Physik und Astronomie in Wien sowie Philosophie in London und Kopenhagen. Mitglied eines Diskussionskreises um Victor Kraft, in dem über philosophische Grundlagenprobleme der Naturwissenschaft diskutiert wurde. 1951: Promotion in Wien 1959-90: Professor an der University of California, Berkeley, USA Gastprofessor in Brighton, Kassel, Zürich 1979-91: auch Professor an der ETH Zürich (Schweiz) Feyerabend befasste sich vor allem mit Fragen der Wissenschaftstheorie, Erkenntnistheorie und den soziokulturellen Folgen der Wissenschaft.

Paul Karl Feyerabend, Bücher Wider den Methodenzwang (Against Methods) 1976 Erkenntnis für freie Menschen 1980 Wissenschaft als Kunst 1984 Irrwege der Vernunft 1989 Briefe an einen Freund (Hrsg. Von Hanns-Peter Dürr) 1995 Zeitverschwendung (Autobiographie) 1994

Andere Formen der Erkenntnis Nachdem er [Lakatos] seine „Rekonstruktion“ der modernen Wissenschaft abgeschlossen hat, wendet er sie gegen andere Gebiete, als wäre schon ausgemacht, dass die moderne Wissenschaft der Magie oder der Aristotelischen Wissenschaft überlegen ist und keine Scheinergebnisse enthält. Doch dafür gibt es nicht den Schatten eines Arguments. Die „rationalen Rekonstruktionen“ nehmen die „allgemeine wissenschaftliche Weisheit“ als selbstverständlich hin, sie zeigen nicht, dass diese besser ist als die „allgemeine Weisheit“ von Hexen und Zauberern“. Paul Feyerabend, Wider den Methodenzwang, 1983, S. 270

Wider den Methodenzwang (Against Method, 1974) Feyerabend bestreitet die These von Popper und Lakatos, dass es Regelmäßigkeiten in der Wissenschaft gibt. Wie die Forschungsgeschichte zeigt, beruht der Fortschritt in der Wissenschaft, gemessen an den Wissenschaftskriterien und der jeweils herrschenden Theorie auf Irrtümern, Irrationalitäten und abgelehnten Theorien. Wissenschaftsfortschritt konnte sich nur dort durchsetzen, wo geltende Wissenschaftsregeln und die soziopolitische Macht-situation ignoriert, psychologische Aspekte einbezogen und die herrschende Rhetorik durch eine neue Beobachtungssprache ersetzt wurden. Dies gilt nach Feyerabend sowohl für die kopernikanische Revolution als auch für die moderne Atomtheorie und die Wellentheorie des Lichtes. Es waren nicht die besseren Argument der Grund, dass sich die neuen Theorien durchsetzten, sondern günstige psychologische Bedingungen und Propaganda

Wider den Methodenzwang (Against Method, 1974) Es bleiben (nachdem wir die Möglichkeit des logischen Vergleichens von Theorien durch den Vergleich von Mengen abgeleiteter Konsequenzen ersetzt haben) ästhetische Urteile, Geschmacksurteile, metaphysische Vorurteile,religiöse Bedürfnisse, kurz es bleiben unsere subjektiven Wünsche“. Paul Feyerabend, Wider den Methodenzwang, 1983, S. 369.

Anything goes Feyerabend kritisiert die Wissenschaft als Ideologie ihrer (unbewussten) Voraussetzungen, welche die soziale Realität strukturieren. Tatsachen werden durch eine Theorie, ein bestimmtes Erkenntnisinteresse und durch Internalisierung ideell perzipiert. Ergebnis seiner Analyse des Wissenschaftsfortschritts ist ein epistemologischer Anarchismus, für den das Schlagwort Anything goes steht. Feyerabend postuliert einen bewahrenden, nicht eliminativen und radikalen Wissenschaftspluralismus, der Erkenntnispraktiken vom Orakel, chinesischer Medizin, vorantiker Astronomie und Navigation, aber auch die modernen Wissenschaften zulässt.

Anything goes Feyerabend war davon überzeugt, „dass der Anarchismus vielleicht nicht gerade die anziehendste politische Philosophie ist, aber gewiss eine ausgezeichnete Arznei für die Erkenntnistheorie und die Wissenschaftstheorie“. Erkenntnistheorie und Wissenschaftstheorie seien restriktiv und unangemessen geworden entsprechen nicht der komplexen Wirklichkeit

Anything goes „Sollen wir wirklich glauben, dass die naiven und biederen Regeln, von denen sich Methodologen leiten lassen, ein ... Labyrinth von Wechselwirkungen auflösen können?“ Nein. Fortschritt von Erkenntnis sei „nur einem rücksichtlosen Opportunisten möglich ..., der an keine bestimmte Philosophie gebunden ist und jede gerade geeignete Methode anwendet.“

Anything goes Die Geschichte der Wissenschaften sei „komplex, chaotisch, voll von Fehlern und unterhaltend“ Ein wenig Gehirnwäsche (macht) die Geschichte der Wissenschaft sehr viel flacher, simpler, einförmiger, ‘objektiver’ und strengen, unveränderlichen Regeln zugänglicher. Die wissenschaftliche Ausbildung, wie wir sie heute kennen, hat genau dieses Ziel. Sie simplifiziert die ‘Wissenschaft’“ durch eine Kette von Festlegungen, Ausgrenzungen, Definitionen, durch die der Eindruck einer fest-stehenden Welt und einer ebenso feststehenden Wissenschaft erzeugt wird. Die Regeln, die dieses verzerrte Weltbild beherrschen, wirken „verdummend“ und widersprechen dem eigentlichen Ziel er Wissenschaft. Sie funktioniert dann, aber sie bleibt unproduktiv und weiß dies nicht einmal.

Anything goes „Ganz wie ein gut dressiertes Haustier seinem Herren gehorcht, wie verwirrt es auch immer sein mag, genauso gehorcht ein gut dressierter Rationalist dem Vorstellungsbild seiner Herren, er hält sich an die Grundsätze des Argumentierens, die er gelernt hat, und zwar auch dann, wenn er sich in der größten Verwirrung befindet, und er kann überhaupt nicht erkennen, dass das, was er als die ‘Stimme der Vernunft’ ansieht, nichts anderes ist als eine kausale Nachwirkung seines Trainings.“

Anything goes „Es ist ... klar, dass der Gedanke einer festgelegten Methode oder einer feststehenden Theorie der Vernünftigkeit auf einer allzu naiven Anschauung vom Menschen und seinen sozialen Verhältnissen beruht. Wer sich dem reichen, von der Geschichte gelieferten Material zuwendet und es nicht darauf abgesehen hat, es zu verdünnen, um seine niedrigen Instinkte zu befriedigen, nämlich die Sucht nach geistiger Sicherheit in Form von Klarheit, Präzision, ‘Objektivität’, ‘Wahrheit’, der wird einsehen, dass es nur einen Grundsatz gibt, der sich unter allen Umständen und in allen Stadien der menschlichen Entwicklung vertreten lässt. Es ist der Grundsatz: Anything goes (Mach, was du willst).“

Thomas Kuhn, Paul Feyerabend, Paul Hoyningen-Huene