Fachveranstaltung Mühlhof Lokremise St. Gallen 24. November 2016 Zieloffenheit in der Suchttherapie: Menschenorientierte Alternative oder Illusion?
Zieloffene Suchtarbeit im stationären therapeutischen Rahmen: erste Schritte und Erfahrungen im Mühlhof St.Gallen, 24.11.2016 Felix Schneider, Leiter Therapie und Rehabilitation im Mühlhof
Inhalt Zieloffene Suchtarbeit im stationären Rahmen – noch immer die Ausnahme Zieloffene Suchtarbeit in der stationären Suchttherapie: Erste Schritte Erste Erfahrung mit der Umsetzung Was sagen die Klientinnen und Klienten dazu? Wo steht das Mühlhofteam? Der neue Ansatz im Spiegel von Fachleuten und Umfeld Fazit und Ausblick
Zieloffenheit im stationären Rahmen: Noch immer die Ausnahme Zieloffene Suchtarbeit im stationären Rahmen – noch immer die Ausnahme Zieloffene Suchtarbeit in der stationären Suchttherapie: Erste Schritte Erste Erfahrung mit der Umsetzung Was sagen Klientinnen und Klienten dazu? Wo steht das Mühlhofteam? Der neue Ansatz im Spiegel von Fachleuten und Umfeld Fazit und Ausblick Zieloffenheit im stationären Rahmen: Noch immer die Ausnahme Zieloffene Suchtarbeit bedeutet, mit Menschen an einer Veränderung ihres problematischen Suchtmittelkonsums zu arbeiten, und zwar auf das Ziel hin, das sie sich selbst setzen Prof. Dr. J. Körkel, 2015
Zieloffene Suchtarbeit im stationären Rahmen – noch immer die Ausnahme Zieloffene Suchtarbeit in der stationären Suchttherapie: Erste Schritte Erste Erfahrung mit der Umsetzung Was sagen Klientinnen und Klienten dazu? Wo steht das Mühlhofteam? Der neue Ansatz im Spiegel von Fachleuten und Umfeld Fazit und Ausblick Wohnheime für Menschen mit sozialen, psychischen und oder Suchtproblemen sind traditionellerweise meist abstinenzorientiert geführt haben damit eine klare Haltung, müssen in der Praxis aber Kompromisse eingehen, z.B. damit leben, dass die BewohnerInnen ausserhalb der Institution offen oder heimlich konsumieren. werden Menschen, die nicht ohne Suchtmittel-konsum leben können/wollen nicht gerecht. Diese finden keine Aufnahme oder es wird ihnen bei häufigem Konsum gekündigt. Sie verstossen offen oder heimlich gegen die Regeln und leben somit immer im moralischen Dilemma.
Wohnheime mit anderen Konzepten: Zieloffene Suchtarbeit im stationären Rahmen – noch immer die Ausnahme Zieloffene Suchtarbeit in der stationären Suchttherapie: Erste Schritte Erste Erfahrung mit der Umsetzung Was sagen Klientinnen und Klienten dazu? Wo steht das Mühlhofteam? Der neue Ansatz im Spiegel von Fachleuten und Umfeld Fazit und Ausblick Wohnheime mit anderen Konzepten: Schloss Herdern: Kontrollierter Alkoholausschank im internen Beizli seit mehr als 20 Jahren mit positiven Erfahrungen www.schlossherdern.ch Sonnenburg Weinfelden: neues Konzept Zieloffene Suchtarbeit bewährt sich www.sonnenburg.ch
Zieloffene Suchtarbeit im stationären Rahmen – noch immer die Ausnahme Zieloffene Suchtarbeit in der stationären Suchttherapie: Erste Schritte Erste Erfahrung mit der Umsetzung Was sagen Klientinnen und Klienten dazu? Wo steht das Mühlhofteam? Der neue Ansatz im Spiegel von Fachleuten und Umfeld Fazit und Ausblick Zieloffene Suchtarbeit in der stationären Suchttherapie: Erste Schritte Der Mühlhof bietet stationäre Therapie und Rehabilitation für alkohol- und medikamenabhängige Menschen an. Weitere Informationen dazu: www.muehlhof.ch Wir vom Mühlhof gehen davon aus, dass Suchtmittelkonsum oft ein Versuch ist, mit belasteten Lebenssituationen umzugehen. Therapie und Rehabilitation muss alle diese Themen im Fokus haben: Gesundheit, Beziehungen, Finanzen, Arbeit, Sucht, Psyche usw.
Abstinenzorientierung Zieloffene Suchtarbeit im stationären Rahmen – noch immer die Ausnahme Zieloffene Suchtarbeit in der stationären Suchttherapie: Erste Schritte Erste Erfahrung mit der Umsetzung Was sagen Klientinnen und Klienten dazu? Wo steht das Mühlhofteam? Der neue Ansatz im Spiegel von Fachleuten und Umfeld Fazit und Ausblick Abstinenzorientierung Bis im Juli 2015 arbeitete der Mühlhof klar abstinenzorientiert. Therapieziel für alle KlientInnen und Klienten war somit: Führen eines vollständig abstinenten Lebens Wer in den Mühlhof wollte, musste sich zu diesem Ziel bekennen Rückfälle wurden zwingend öffentlich gemacht und thematisiert, sowohl in Einzelgesprächen, in Gruppen als auch gegenüber der ganzen Klientenschaft Schutz wurde mittels Kontrolle und Sanktionen (z.B. Streichen des Wochenendurlaubes) angestrebt. Diese standen stark im Vordergrund.
Zieloffene Suchtarbeit im stationären Rahmen – noch immer die Ausnahme Zieloffene Suchtarbeit in der stationären Suchttherapie: Erste Schritte Erste Erfahrung mit der Umsetzung Was sagen Klientinnen und Klienten dazu? Wo steht das Mühlhofteam? Der neue Ansatz im Spiegel von Fachleuten und Umfeld Fazit und Ausblick Anlass für die Neuorientierung Nach einer Initialveranstaltung mit Professor Körkel im Februar 2015 hat sich eine Projektgruppe aus initiativen MitarbeiterInnen des Mühlhof mit der Entwicklung einer neuen Haltung zur Suchttherapie auseinandergesetzt und die neuen Grundsätze entwickelt. Anlass dazu waren Themen wie: Respekt vor der Person und deren Autonomie (Analog den Entwicklungen im Erwachsenenschutzrecht) Offenheit für KlientInnen, die nicht (oder noch nicht) dauerhafte Abstinenz anstreben «Rückfälle» von ihrer moralischen Schwere zu befreien und zu primär wertfreien «Konsumereignissen» werden zu lassen Konzentration auf Erreichtes und zu Erreichendes (anstelle Fokussierung des Misserfolges)
Neue Ziele Folgende neue Ziele ergaben sich daraus: Zieloffene Suchtarbeit im stationären Rahmen – noch immer die Ausnahme Zieloffene Suchtarbeit in der stationären Suchttherapie: Erste Schritte Erste Erfahrung mit der Umsetzung Was sagen Klientinnen und Klienten dazu? Wo steht das Mühlhofteam? Der neue Ansatz im Spiegel von Fachleuten und Umfeld Fazit und Ausblick Neue Ziele Folgende neue Ziele ergaben sich daraus: Veränderung des Suchtmittelkonsums auf das gewünschte Ziel hin (meist ist dies Abstinenz) Stärkung der Autonomie Verbesserung der psychischen, sozialen und physischen Lebensbedingungen Daraus entwickelte sich ein Modell, wie die Therapie im Mühlhof zu verstehen ist. Es ist auf der folgenden Folie dargestellt (ausführlicher beschrieben im Dokument: Grundverständnis stationärer Suchttherapie und Grundhaltungen)
Zieloffene Suchtarbeit im stationären Rahmen – noch immer die Ausnahme Zieloffene Suchtarbeit in der stationären Suchttherapie: Erste Schritte Erste Erfahrung mit der Umsetzung Was sagen Klientinnen und Klienten dazu? Wo steht das Mühlhofteam? Der neue Ansatz im Spiegel von Fachleuten und Umfeld Fazit und Ausblick
Zieloffene Suchtarbeit im stationären Rahmen – noch immer die Ausnahme Zieloffene Suchtarbeit in der stationären Suchttherapie: Erste Schritte Erste Erfahrung mit der Umsetzung Was sagen Klientinnen und Klienten dazu? Wo steht das Mühlhofteam? Der neue Ansatz im Spiegel von Fachleuten und Umfeld Fazit und Ausblick Konkrete Änderungen Im Blick auf die Therapie wurden vor allem die folgenden drei zentralen Veränderungen eingeführt: Zieloffene Haltung im Blick auf die zukünftige Konsumausrichtung: Die KlientInnen formulieren ihre Konsumziele (Abstinenz oder Reduktion) Die intensive Arbeit mit diesen Zielen bestimmt die Therapie. Keine zwingende Thematisierung bei Konsumereignissen (früher Rückfällen): Die KlientInnen haben die Möglichkeit, solche Ereignisse selbstbestimmt an den für sie richtigen Orten zu bearbeiten. Kein zwingender Abstinenzschutz nach Konsumereignissen: Mögliche Massnahmen zum Schutz werden vom Team thematisiert und mit den KlientInnen besprochen. Dabei führt die eigene Erfahrung und daraus die Einsicht häufig zu passenden und selbstbestimmten Lösungen.
Zieloffene Suchtarbeit im stationären Rahmen – noch immer die Ausnahme Zieloffene Suchtarbeit in der stationären Suchttherapie: Erste Schritte Erste Erfahrung mit der Umsetzung Was sagen Klientinnen und Klienten dazu? Wo steht das Mühlhofteam? Der neue Ansatz im Spiegel von Fachleuten und Umfeld Fazit und Ausblick Bewährtes bleibt Konsumverzicht während der ganzen Therapiedauer: Damit Abstinenz oder reduzierter Konsum angestrebt werden können, braucht es die nüchterne Auseinandersetzung mit sich selber sowie die Erfahrung, dass es möglich ist, auf den Konsum von Alkohol zu verzichten. Deshalb erwarten wir während der ganzen Therapiedauer Konsumfreiheit, zumindest aber die ernsthafte Bemühung, dies umzusetzen Absolutes Konsumverbot im Mühlhofareal: Nichteinhalten führt zum Abbruch der Zusammenarbeit. Dies dient dem Schutz aller KlientInnen und Klienten. Abstinenzkontrollen finden regelmässig statt Zielvorgaben von speziellen Zuweisern (z.B. Justiz) werden mit diesen geklärt und in der Therapie berücksichtigt.
Erste Erfahrungen mit der Umsetzung (1) Zieloffene Suchtarbeit im stationären Rahmen – noch immer die Ausnahme Zieloffene Suchtarbeit in der stationären Suchttherapie: Erste Schritte Erste Erfahrung mit der Umsetzung Was sagen Klientinnen und Klienten dazu? Wo steht das Mühlhofteam? Der neue Ansatz im Spiegel von Fachleuten und Umfeld Fazit und Ausblick Die neue Ausrichtung ist nun seit einem Jahr in der Therapie des Mühlhof leitend. Erste Beobachtungen zeigen vermehrte Offenheit und Gesprächsbereitschaft: Insbesondere entfällt der moralische Druck nach einem «Rückfall». Die KlientInnen müssen ihre Energie nicht auf das bei abhängigen Menschen so häufige Versteckspiel richten. verstärkte Übernahme von Eigenverantwortung, z.B. in Bezug auf Schutzmassnahmen. gezielte Individualisierung der Therapie im Mühlhofrahmen im Sinne des passenden Angebotes für jede Klientin/jeden Klienten Die zukünftige Konsumausrichtung kann thematisiert werden im Blick auf den Austritt. Die KlientInnen werden damit besser befähigt, ihre Ziele auch umzusetzen.
Erste Erfahrungen mit der Umsetzung (2) Zieloffene Suchtarbeit im stationären Rahmen – noch immer die Ausnahme Zieloffene Suchtarbeit in der stationären Suchttherapie: Erste Schritte Erste Erfahrung mit der Umsetzung Was sagen Klientinnen und Klienten dazu? Wo steht das Mühlhofteam? Der neue Ansatz im Spiegel von Fachleuten und Umfeld Fazit und Ausblick Es zeigte sich zudem, dass Abstinenz Ziel der Klientinnen und Klienten bleibt: Bei 30 KlientInnen gaben 23 das Ziel Abstinenz an, nur 7 planten direkt nach dem Austritt kontrolliert zu trinken. Ebenfalls konnte keine Zunahme des Konsums bzw. von Konsumereignissen festgestellt werden. Vereinzelt «Umdeutung» der Regeln: KlientInnen be-zeichnen einen Konsum am Wochenende nachträglich als bewusstes kontrolliertes Trinken (was so im Konzept nicht vorgesehen ist und oft wohl eher ein Erklärungs-versuch darstellt). Herausfordernd sind auch Situationen, wo KlientInnen in Bezug auf ein Suchtmittel (z.B. Alkohol) abstinent sein wollen, bei einem anderen (z.B. Cannabis), welches sie als für sich problemlos bezeichenen, jedoch bereits während der Therapie Konsumabsicht haben.
Was sagen Klientinnen und Klienten dazu? Zieloffene Suchtarbeit im stationären Rahmen – noch immer die Ausnahme Zieloffene Suchtarbeit in der stationären Suchttherapie: Erste Schritte Erste Erfahrung mit der Umsetzung Was sagen Klientinnen und Klienten dazu? Wo steht das Mühlhofteam? Der neue Ansatz im Spiegel von Fachleuten und Umfeld Fazit und Ausblick Was sagen Klientinnen und Klienten dazu? Die Befragung von fünf KlientInnen, welche schon mehr als drei Monate im Mühlhof sind (oder zum 2. Mal hier sind), haben folgendes Bild ergeben: Sie befürworten die Zieloffenheit (auch bei eigener Abstinenzausrichtung) deutlich Wichtig bleibe aber die Erwartung der Konsumfreiheit während Therapie Sie fühlen sich ernst genommen und weniger unter Druck Den Schutz bezeichnen sie als genügend Eine Überforderung entstehe nicht, trotz hoher Eigenverantwortung Mühe haben sie dort, wo KlientInnen relativ offen über ihre Konsumpläne (z.B. im Blick auf das nächste Wochenende) berichten. Dies sei belastend und löse Suchtdruck aus. Eine rasche und klare Reaktion des Mühlhofteam dürfe - trotz Zieloffenheit – nicht ausbleiben.
Wo steht das Mühlhofteam? Zieloffene Suchtarbeit im stationären Rahmen – noch immer die Ausnahme Zieloffene Suchtarbeit in der stationären Suchttherapie: Erste Schritte Erste Erfahrung mit der Umsetzung Was sagen Klientinnen und Klienten dazu? Wo steht das Mühlhofteam? Der neue Ansatz im Spiegel von Fachleuten und Umfeld Fazit und Ausblick Die Auseinandersetzung im Team war und ist intensiv, bedeutet doch der neue Ansatz eine sehr grundlegende Haltungsänderung. Zusammenfassend kann gesagt werden, dass das Team die Zieloffenheit und die damit verbundene Haltung befürwortet die damit verbundenen Ansprüche und die Arbeitsweise als herausfordernd wahrnimmt in manchen Momenten die einfacheren Regeln und den Sanktionenkatalog des früheren abstinenzorientierten Models vermisst, da es damit einfacher war, Klarheit zu schaffen einen erhöhten Verständigungs- und Absprachebedarf feststellt, da die Ziele vermehrt das Handeln bestimmen müssen und weniger die Regeln
Der neue Ansatz im Spiegel von Fachleuten und Umfeld Zieloffene Suchtarbeit im stationären Rahmen – noch immer die Ausnahme Zieloffene Suchtarbeit in der stationären Suchttherapie: Erste Schritte Erste Erfahrung mit der Umsetzung Was sagen Klientinnen und Klienten dazu? Wo steht das Mühlhofteam? Der neue Ansatz im Spiegel von Fachleuten und Umfeld Fazit und Ausblick Die Fachleute reagieren mehrheitlich interessiert und wohlwollend. Viele Organisationen beschäftigen sich mit ähnlichen Überlegungen und sind deshalb an den Entwicklungen im Mühlhof interessiert … aber auch kritisch: Einerseits gibt es nach wie vor Organisationen und Fachleute, welche die Abstinenz als einzigen Weg für alle Abhängigen sehen (obwohl dies empirisch widerlegt ist). Andererseits besteht im Umfeld noch nicht immer vollständig Klarheit darüber, wie das Konzept des Mühlhof denn genau funktioniert. Dies führt dann zu Verunsicherung Angehörige halten oft an Abstinenzerwartung fest, da sie die Hoffnung auf eine andere Lösung aufgegeben haben. Für die KlientInnen ist es jeweils sehr schwierig, ihre Ziele den Angehörigen gegenüber zu vertreten (sofern es nicht das Abstinenzziel ist)
Fazit Zieloffene Suchtarbeit im stationären Rahmen – noch immer die Ausnahme Zieloffene Suchtarbeit in der stationären Suchttherapie: Erste Schritte Erste Erfahrung mit der Umsetzung Was sagen Klientinnen und Klienten dazu? Wo steht das Mühlhofteam? Der neue Ansatz im Spiegel von Fachleuten und Umfeld Fazit und Ausblick Ziele, die damit verbundene Haltung und die Rückmeldungen der Klientinnen und Klienten sprechen deutlich für den neuen Ansatz! Zieloffene Arbeit ist anspruchsvoller: Klärung von Ziel und Methoden sowie verstärkte Kommunikation sind notwendig
Zieloffene Suchtarbeit im stationären Rahmen – noch immer die Ausnahme Zieloffene Suchtarbeit in der stationären Suchttherapie: Erste Schritte Erste Erfahrung mit der Umsetzung Was sagen Klientinnen und Klienten dazu? Wo steht das Mühlhofteam? Der neue Ansatz im Spiegel von Fachleuten und Umfeld Fazit und Ausblick Ausblick Das Augenmerk im Mühlhof liegt in der Festigung des Erreichten, dies insbesondere darum, weil die Entwicklung der notwendigen Haltung Zeit braucht. Weiterentwicklungen (z.B. konkrete Angebote zum kontrollierten Konsum) sind denkbar, das Konsumverbot im Mühlhof darf davon nicht tangiert werden Regelmässige Nachbefragungen ab 2017 sollen Aussagen zur Nachhaltigkeit möglich machen