„Sequentielle Traumatisierung“ - Flüchtling Sein – mehr als eine Kette von Ereignissen und Erfahrungen Dr. med. Helmut Rießbeck THZN e.V. Praxis - Schwabach.

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 Präsentation transkript:

„Sequentielle Traumatisierung“ - Flüchtling Sein – mehr als eine Kette von Ereignissen und Erfahrungen Dr. med. Helmut Rießbeck THZN e.V. Praxis - Schwabach

Gibt es spezifische Abläufe und was macht das mit der Entwicklung der Persönlichkeit? Welche Erfahrungen sind nützlich und wie können Sie integriert werden? ©Dr.H. Rießbeck2

Hans Keilson – deutsch-niederländischer Arzt, Musiker, Psychoanalytiker, Pädagoge, Schriftsteller ©Dr.H. Rießbeck3 12. Dezember 1909 bis 31. Mai 2011 Nach dem deutschen Überfall auf die Niederlande im Jahr 1940 Kümmerte er sich als Mitglied des niederländischen Widerstandes intensiv um jüdische Kinder, welche durch ihre Eltern vor der Deportation in niederländischen Familien in Sicherheit gebracht worden waren 1979 Dissertation: Sequentielle Traumatisierung bei Kindern.

Keilson´s Sequenz I: „präludierende Momente“ der Verfolgung (nach der Besetzung der Niederlande) : Abbröckeln des Rechtsschutzes Angriff auf die Würde und Integrität der Familie Vernichtung der wirtschaftlichen Existenz Verschwinden von vertrauten Menschen Panische Auflösung der vertrauten Umgebung ©Dr.H. Rießbeck4

Keilson´s Sequenz II: Lagerhaft oder Versteck des Kindes Rechtlosigkeit Direkte Lebensbedrohung Vernichtung mitmenschlicher Verhaltensweisen Fehlen von „basic needs“ Aufhören geregelter Lern- Spiel- und Bildungsmöglichkeiten ©Dr.H. Rießbeck5

Keilson´s Sequenz III: Auflösung der Geheimhaltung, Vormundschaften für Kinder Bürokratisch geordnete Zustände Auftauchen in eine andere Welt mit neuen Regeln Anpassungsdruck zu „rationalem Verhalten“ Realisieren des Verlustes primären Bindungspersonen und des alten Sozialbezugs ©Dr.H. Rießbeck6

Posttraumatische Symptome Unter Stress - Schwer vermeidbare sensorische Trigger unterbrechen angemessene Handlungen. Vorherrschen elementarer Handlungsautomatismen Komplizierte Dinge können beeinträchtigt sein z.B. Abrufen aus dem Gedächtnis, schwierigere Handlungen mit mehreren Schritten … ©Dr.H. Rießbeck7

Sequentielle Traumatisierung durch die neue soziale Umgebung nach der Erschütterung Erwartung rationalen Handelns unter Stress Unverständliche Sanktionierung scheinbar irrationaler Handlungen Demütigung Soziale Isolation ©Dr.H. Rießbeck8

Bindungsprobleme Das Bindungssystem ist in der dritten Sequenz des traumatischen Geschehens hoch aktiviert. Biologisch führt diese Aktivierung zu mehr eigner Hilflosigkeit und Suche nach umfassend schutzgebenden Personen. Neugier und Erforschung, die wichtigsten positiven Antriebe werden gehemmt. Wird dann plötzlich die Bindung erschüttert, kommt es wieder zu elementaren Reaktionen wie Kampf, Flucht, Freeze („die drei F“) und damit zur Wiederauferstehung der „traumatischen Zange“. Zuviel „mütterliche Hilfe“ ist also riskant ©Dr.H. Rießbeck9

Grundhaltung- maximaler Kontrast zur traumatischen Erfahrung (nach Wöller 2006) Traumatische SituationTherapeutische Situation Bedrohung, UnsicherheitSicherheit KontrollverlustKontrolle Fehlende EntscheidungsfreiheitEntscheidungsfreiheit, Wahlmöglichkeit Missachtung basaler BedürfnisseRespektieren basaler Bedürfnisse Ausschaltung der SelbstwirksamkeitUnterstützung von Selbstwirksamkeit UnterlegenheitGleichwertige Beziehungsgestaltung GrenzüberschreitungKlare Grenzen, Regeln Verwirrung, IntransparenzAufklärung, Transparenz Gefühl „ verrückt“ zu seinEntpathologisierung Gefühl des Alleingelassen SeinsReale Präsenz

Hans Keilson 1999 „Ich habe Deutschland 1936 verlassen und in den Niederlanden überlebt. Ich bin in der Fremde zuhause. Jedes Sein ist ein Sein im Exil. Man kann nicht mißtrauisch genug gegenüber den eigenen Fragen und Antworten sein, den Wörtern und Metaphern, die man gebraucht, wenn es um Wahrheit oder Lüge oder, gelinder gesagt, um Täuschung, und auch um Selbsttäuschung, geht. Die Zweifel bleiben.“ ©Dr.H. Rießbeck11

Selbst lesen und an Ärzte und Psychotherapeuten weiter geben Bundesweite Arbeitsgemeinschaft der Psychosozialen Zentren für Flüchtlinge und Folteropfer (BAfF e.V.) Paulsenstr Berlin Informationsbroschüre „Flüchtlinge in unserer Praxis“ Diese Broschüre der BAfF e.V. richtet sich an ÄrztInnen aller Fachrichtungen, Psychologische PsychotherapeutInnen und Kinder- und JugendlichenpsychotherapeutInnen, die in ihrer Praxis Flüchtlinge behandeln oder behandeln wollen ©Dr.H. Rießbeck12

Hans Keilson: Amsterdamer Lied 1937 Zu Amsterdam im vierten Stock mit einer Laus im Haar, da lebten wir, mein Schatz und ich, dreiviertel und ein Jahr. Wir liebten uns im Schwanenteich des Nachts im Vondelpark. Der Himmel glänzte: Leuchtmetall, die Erde roch so stark. Die Freiheit saß uns im Genick, zuvor die Polizei. In Amsterdam war es noch kalt im Tulpenmonat Mai. Weit draußen rauscht das große Meer bei Zandvoort und Zaandam. Doch dahinaus gelangt nur, wer es auch bezahlen kann. Es lebt sich in der schönsten Stadt selbst mit der liebsten Frau, wenn man dort keine Arbeit hat, am Ende ungenau. Denn wenn du nichts zu Beißen hast, sei’s auch in Amsterdam, dann nützt dir nichts das Ijsselmeer, Marken und Volendam. Kind, pack die Koffer wieder ein! Zu Ende ist die Jagd. Noch einmal über’n Rembrandtplein, dann schmeiß dich in die Gracht! ©Dr.H. Rießbeck13