Vorlesung Behindertenrecht HS 12 Dr. iur. Caroline Hess-Klein.

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Vorlesung Behindertenrecht HS 12 Dr. iur. Caroline Hess-Klein

Vorlesung 10 Behindertenrecht im Bereich Aus- und Weiterbildung

Kompetenz Bund/Kantone

Grundschulunterricht

Art. 19 BV Anspruch auf Grundschulunterricht Der Anspruch auf ausreichenden und unentgeltlichen Grundschulunterricht ist gewährleistet.

Art. 62 BV Schulwesen 1 Für das Schulwesen sind die Kantone zuständig. 2 Sie sorgen für einen ausreichenden Grundschulunterricht, der allen Kindern offen steht. Der Grundschulunterricht ist obligatorisch und untersteht staatlicher Leitung oder Aufsicht. An öffentlichen Schulen ist er unentgeltlich. 3Die Kantone sorgen für eine ausreichende Sonderschulung aller behinderten Kinder und Jugendlichen bis längstens zum vollendeten 20. Altersjahr. (…)

BGE 129 I 12 E4.2 S. 16f. „Die Anforderungen, die Art. 19 BV an den obligatorischen Grundschulunterricht stellt ("ausreichend"), belässt den Kantonen bei der Regelung des Grundschulwesens einen erheblichen Gestaltungsspielraum. Die Ausbildung muss aber auf jeden Fall für den Einzelnen angemessen und geeignet sein (...) und genügen, um die Schüler auf ein selbstverantwortliches Leben im modernen Alltag vorzubereiten; (...). Der Unterricht muss grundsätzlich am Wohnort der Schüler erteilt werden; die räumliche Distanz zwischen Wohn- und Schulort darf den Zweck der ausreichenden Grundschulausbildung nicht gefährden. Behinderte Kinder haben ebenfalls Anspruch auf eine kostenlose, ihren Fähigkeiten angepasste Schulung (...). Damit ergibt sich bereits aus Art. 19 BV ein Anspruch auf eine den individuellen Fähigkeiten des Kindes und seiner Persönlichkeitsentwicklung entsprechende, unentgeltliche Grundschulausbildung (...). Der Anspruch wird verletzt, wenn die Ausbildung des Kindes in einem Masse eingeschränkt wird, dass die Chancengleichheit nicht mehr gewahrt ist, bzw. wenn es Lehrinhalte nicht vermittelt erhält, die in der hiesigen Wertordnung als unverzichtbar gelten (...).“

BGE 130 I 352 E3.3 S. 354f. „Der Anspruch auf Grundschulunterricht, wie er sich aus Art. 19 BV ergibt, umfasst jedoch nur ein angemessenes, erfahrungsgemäss ausreichendes Bildungsangebot an öffentlichen Schulen. Ein Mehr an individueller Betreuung, das theoretisch immer möglich wäre, kann mit Rücksicht auf das staatliche Leistungsvermögen nicht gefordert werden.“

Art. 20 BehiG 1 Die Kantone sorgen dafür, dass behinderte Kinder und Jugendliche eine Grundschulung erhalten, die ihren besonderen Bedürfnissen angepasst ist. 2 Die Kantone fördern, soweit dies möglich ist und dem Wohl des behinderten Kindes oder Jugendlichen dient, mit entsprechenden Schulungsformen die Integration behinderter Kinder und Jugendlicher in die Regelschule. 3 Insbesondere sorgen sie dafür, dass wahrnehmungs- oder artikulationsbehinderte Kinder und Jugendliche und ihnen besonders nahe stehenden Personen eine auf die Behinderung abgestimmte Kommunikationstechnik erlernen können.

Rechtsprechung BGE 130 I 352: Einführungsklasse in der ordentlichen Schule vs Sonderschulung. Kindeswohl. Urteil Verwaltungsgericht Kanton Zürich VB (2007): Sonderpädagogische Förderung in der Regelschule (Art. 8 Abs. 2 und 19 BV; BehiG [!])

Rechtsvergleich mit Deutschland BVerfGE 96, 288 (307) – Integrative Beschulung „Nur die Überweisungsverfügung, die den Gegebenheiten und Verhältnissen des jeweils zu beurteilenden Falles ersichtlich nicht gerecht wird, ist durch Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG untersagt. Eine solche Entscheidung ist nicht nur dann anzunehmen, wenn ein Kind oder Jugendlicher wegen seiner Behinderung auf eine Sonderschule verwiesen wird, obwohl seine Erziehung und Unterrichtung an der allgemeinen Schule seinen Fähigkeiten entspräche und ohne besonderen Aufwand möglich wäre. Eine Benachteiligung im Sinne des Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG kommt vielmehr auch dann in Betracht, wenn die Sonderschulüberweisung erfolgt, obgleich der Besuch der allgemeinen Schule durch einen vertretbaren Einsatz von sonderpädagogischer Förderung ermöglicht werden könnte.“

Rechtsvergleich mit Deutschland Stellungnahme vom 11. August 2010 Monitoring Stelle des Deutschen Instituts für Menschenrechte betreffend Beschluss des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs „5. Differenziertes Verständnis der UN-BRK (…) „Danach sind – auch im Bereich der wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte – bestimmte Bestandteile des Übereinkommens sofort anwendbar und werden deshalb aus dem Bereich der Progressivität, das heißt dem Kreis der nur nach und nach voll zu verwirklichenden Rechte, ausdrücklich ausgeklammert. Beim Recht auf Bildung betrifft dies den Anspruch auf diskriminierungsfreien Zugang zu Regelschulen unter Einschluss der im Einzelfall zu treffenden angemessenen Vorkehrungen. (…) 7. Kritik am Beschluss des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs vom – 7 B 2763/09 (…). Der Hess. VGH verkennt diesbezüglich, dass sich der Maßstab für die Auslegung des Artikel 3 Absatz 3 Satz 2 GG infolge der UN-BRK in Richtung Inklusion verschoben hat. Denn die UN-BRK legt rechtsverbindlich fest, dass auf dem gesamten Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland die allgemeine Schulbildung nur dann diskriminierungsfrei stattfinden kann, wenn der Schulbetrieb dem Inklusionsansatz folgt. Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahre 1997, wonach eine nachteilige Sonderschulzuweisung noch durch besondere Förderung kompensiert werden konnte, entspricht deshalb nicht mehr dem völkerrechtlichen Diskriminierungsverständnis entsprechend der inzwischen in Kraft getretenen UN-BRK, die vom Modell der inklusiven Regelschule ausgeht.“

Art. 24 UNO Übereinkommen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen (1) Die Vertragsstaaten anerkennen das Recht von Menschen mit Behinderungen auf Bildung. Um dieses Recht ohne Diskriminierung und auf der Grundlage der Chancengleichheit zu verwirklichen, gewährleisten die Vertragsstaaten ein integratives Bildungssystem auf allen Ebenen und lebenslanges Lernen (...) (2) Bei der Verwirklichung dieses Rechts stellen die Vertragsstaaten sicher, dass a) Menschen mit Behinderungen nicht aufgrund von Behinderung vom allgemeinen Bildungssystem ausgeschlossen werden und dass Kinder mit Behinderungen nicht aufgrund von Behinderung vom unentgeltlichen und obligatorischen Grundschulunterricht oder vom Besuch weiterführender Schulen ausgeschlossen werden; b) Menschen mit Behinderungen gleichberechtigt mit anderen in der Gemeinschaft in der sie leben, Zugang zu einem integrativen, hochwertigen und unentgeltlichen Unterricht an Grundschulen und weiterführenden Schulen haben; c) angemessene Vorkehrungen für die Bedürfnisse des Einzelnen getroffen werden; d) Menschen mit Behinderungen innerhalb des allgemeinen Bildungssystems die notwendige Unterstützung geleistet wird, um ihre erfolgreiche Bildung zu erleichtern; e) in Übereinstimmung mit dem Ziel der vollständigen Integration wirksame individuell angepasste Unterstützungsmassnahmen in einem Umfeld, das die bestmögliche schulische und soziale Entwicklung gestattet, angeboten werden. (...)

Übrige Aus- und Weiterbildung

Art. 63 BV Berufsbildung 1 Der Bund erlässt Vorschriften über die Berufsbildung. 2 Er fördert ein breites und durchlässiges Angebot im Bereich der Berufsbildung.

Art. 63a BV 1 Der Bund betreibt die Eidgenössischen Technischen Hochschulen. Er kann weitere Hochschulen und andere Institutionen des Hochschulbereichs errichten, übernehmen oder betreiben. 2 Er unterstützt die kantonalen Hochschulen und kann an weitere von ihm anerkannte Institutionen des Hochschulbereichs Beiträge entrichten. 3 Bund und Kantone sorgen gemeinsam für die Koordination und für die Gewährleistung der Qualitätssicherung im schweizerischen Hochschulwesen. Sie nehmen dabei Rücksicht auf die Autonomie der Hochschulen und ihre unterschiedlichen Trägerschaften und achten auf die Gleichbehandlung von Institutionen mit gleichen Aufgaben. (…)

Art. 64a BV Weiterbildung 1 Der Bund legt Grundsätze über die Weiterbildung fest. 2 Er kann die Weiterbildung fördern. 3 Das Gesetz legt die Bereiche und die Kriterien fest.

Art. 3 BehiG Geltungsbereich Das Gesetz gilt für: (…) f. Aus- und Weiterbildung;

Art. 2 Abs. 5 BehiG 5 Eine Benachteiligung bei der Inanspruchnahme von Aus- und Weiterbildung liegt insbesondere vor, wenn: a.die Verwendung behindertenspezifischer Hilfsmittel oder der Beizug notwendiger persönlicher Assistenz erschwert werden; b.die Dauer und Ausgestaltung des Bildungsangebots sowie Prüfungen den spezifischen Bedürfnissen Behinderter nicht angepasst sind.

Art. 8 Abs. 2 BehiG 2 Wer durch das Gemeinwesen im Sinne von Artikel 2 Absatz 5 benachteiligt wird, kann beim Gericht oder bei der Verwaltungsbehörde verlangen, dass das Gemeinwesen die Benachteiligung beseitigt oder unterlässt.

Rechtsprechung Bundesebene BGE 122 I 130 E3c)aa)-bb) S. 136f. „ Der Staat ist weder aufgrund der Rechtsgleichheit noch aufgrund spezifischer Grundrechte verpflichtet, sämtliche faktischen Ungleichheiten zu beheben. Das schlägt sich zwangsläufig auch in der Möglichkeit nieder, bestimmte Berufe zu ergreifen. Viele Berufe erfordern besondere Eigenschaften und Fähigkeiten, die nicht alle Menschen im gleichen Masse besitzen. Der blosse Umstand, dass einzelne Personen ohne eigenes Verschulden diese Fähigkeiten nicht besitzen, kann nicht dazu führen, dass die Anforderungen reduziert werden müssten. So können körperlich behinderte Personen bestimmte Berufe, die eine volle körperliche Leistungsfähigkeit verlangen (z.B. Polizist, Bergführer, Turnlehrer), nicht ergreifen. Die Handels- und Gewerbefreiheit kann keinen Anspruch darauf geben, dass solche Berufe von allen Personen ungeachtet ihrer individuellen Fähigkeiten ergriffen und ausgeübt werden dürfen. bb) Aus der menschenrechtlichen Komponente, die der Handels- und Gewerbefreiheit insbesondere in der Ausgestaltung der Berufswahlfreiheit innewohnt (…), ergibt sich hingegen, dass der Staat die Berufszulassung nicht unnötigerweise von Voraussetzungen abhängig machen darf, die Behinderte nicht erfüllen können.“

Urteil Bundesgericht 2D_7/2011 (2011) 2.2 Art. 3 lit. f. BehiG unterstellt die "Aus- und Weiterbildung" dem Geltungsbereich des Behindertengleichstellungsgesetzes. Eine Benachteiligung bei Inanspruchnahme der Bildung liegt gemäss Art. 2 Abs. 5 BehiG vor, wenn die Verwendung behindertenspezifischer Hilfsmittel oder der Beizug notwendiger persönlicher Assistenz erschwert werden (lit. a) oder die Dauer und Ausgestaltung des Bildungsangebotes sowie Prüfungen den spezifischen Bedürfnissen Behinderter nicht angepasst sind (lit. b). 2.3 Gemäss Art. 62 Abs. 1 BV sind für das Schulwesen die Kantone zuständig. Sie sorgen für einen ausreichenden, an öffentlichen Schulen unentgeltlichen Grundschulunterricht, der obligatorisch ist und allen Kindern offen steht (Abs. 2). Diese Pflicht beschränkt sich auf die Primar-, Real- und Sekundarschule (BGE 133 I 156). 2.4 Nach Art. 8 Abs. 4 BV sieht das Gesetz Massnahmen zur Beseitigung von Benachteiligungen der Behinderten vor. Danach sind die Gesetzgeber von Bund und Kantonen gehalten, in ihrem jeweiligen Zuständigkeitsbereich tätig zu werden. Der Bundesgesetzgeber hat dies im Bereich seiner Zuständigkeit mit Erlass des Behindertengleichstellungsgesetzes getan. Aus Art. 8 Abs. 4 BV kann jedoch keine allgemeine Bundeskompetenz zur Regelung des entsprechenden Bereichs abgeleitet werden (…). An der bundesstaatlichen Zuständigkeitsordnung ändert sich damit nichts (…). Das Behindertengleichstellungsgesetz erfasst somit grundsätzlich nur Bildungsangebote im Zuständigkeitsbereich des Bundes (...). Auf die kantonalen Bildungsangebote ist das Gesetz - vom Bereich der Grundschule abgesehen (…) - dagegen nicht anwendbar. Das Behindertengleichstellungsgesetz findet folglich auf die unter kantonaler Hoheit stehende Universität Zürich keine Anwendung.

Urteil Bundesgericht 2P.140/2002 (2002) E7.5. Nachträgliche Notenkorrektur. „ Eine indirekte Diskriminierung ist vorliegend zu verneinen. Der Besuch eines Gymnasiums, dessen Ziel der Erwerb der Hochschulreife ist, stellt höhere Anforderungen an Schüler als der Besuch einer Volks- oder Sekundarschule. Dazu gehört unter anderem auch die Fähigkeit, unter Stressbedingungen Gedankengänge richtig zu erfassen und in einer korrekten Formulierung zum Ausdruck zu bringen, zumal dies in allen Schulfächern von Wichtigkeit ist. Diese Fähigkeit darf auch von Behinderten erwartet werden. Es verletzt demnach das indirekte Diskriminierungsverbot nicht, wenn die kantonalen Behörden es abgelehnt haben, mit Rücksicht auf die Behinderung des Beschwerdeführers die zu stellenden Anforderungen an die Aufnahmeprüfung zu senken respektive die Bewertung seiner Arbeit zu verbessern.“

Urteil Bundesverwaltungsgericht B-7914/2007 (2008) E4.5. „Es seien deshalb keine Erleichterungen zu gewähren hinsichtlich der Anforderungen, die der Prüfungsstoff verlangt. Qualifiziere eine Prüfung für einen Beruf, der gewisse körperliche oder geistige Fähigkeiten erfordert, müsse gewährleistet sein, dass die persönlichen Defizite auch dort noch hinreichend ausgeglichen werden könnten. Bei der Frage nach Art und Umfang des Ausgleichs müsse geprüft werden, welche Erleichterungen notwendig sind, damit ein behinderter Kandidat die gleichen Chancen habe, die Prüfung zu bestehen, wie wenn seine Behinderung nicht vorhanden wäre (...). In Bezug auf die Ausgestaltung von Prüfungsabläufen ist dem Schrifttum (…) Folgendes zu entnehmen: Die Anpassung des Prüfungsablaufs an spezifische Behinderungssituationen könne auf verschiedene Arten geschehen und sei auf den Einzelfall abzustimmen. Ein individualisiertes Vorgehen sei deshalb erforderlich, weil Art und Grad von Behinderung sehr vielfältig sein könnten. Ein Vorgespräch mit dem Kandidaten trage zur Herstellung eines günstigen Prüfungsklimas bei und sichere eine grössere Transparenz über den Prüfungsverlauf. Grundsätzlich sei als Nachteilsausgleich nur an formale Prüfungserleichterungen zu denken. Die am häufigsten gewählten Modifikationen seien Prüfungszeitverlängerungen in einem angemessenen Umfang, insbesondere als Ausgleich für ein behinderungsbedingt verlangsamtes Arbeitstempo, z.B. wegen Bewegungsstörungen.

Urteil Bundesverwaltungsgericht B-7914/2007 (2008) E4.5. (Fortsetzung) Dabei sei grundsätzlich zu prüfen, ob dem Kandidaten eine reine Zeitverlängerung auch wirklich helfe. Werde eine Verlängerung der Prüfungszeit gewährt, müsse sichergestellt werden, dass der Kandidat die Mehrzeit auch effektiv nutzen könne. Als weitere Anpassungen der Prüfungsmodalitäten sei an längere oder zusätzliche Pausen, eine stärkere Prüfungsgliederung, die Abnahme der Prüfung in mehreren Etappen, andere Prüfungsformen oder an die Benutzung eines Computers zu denken. Bei sehbehinderten Kandidaten seien z.B. die Prüfungsunterlagen zu vergrössern, um der übermässig auftretenden Ermüdung Rechnung zu tragen. Bei körperbehinderten Kandidaten wiederum sei ein behinderungsgerecht angepasster Arbeitsplatz erforderlich, der höhenverstellbar und/oder kippbar sei. Gegebenenfalls müsse eine Hilfsperson die erforderlichen Einstellungen vornehmen. Falle einem Kandidaten das Schreiben von Hand schwer, sei ihm ein Computer oder – wenn er einen PC nicht angemessen bedienen könne - ein Diktiergerät zur Verfügung zu stellen. Weiter könne behinderten Kandidaten eine Arbeitsassistenz in Form eines Vorlesers oder einer Schreibhilfe zur Verfügung gestellt werden. Diese führe manuelle Arbeiten aus, wie Stifte bereit stellen, Seiten umblättern oder Hilfestellung beim Gang auf die Toilette.“