Schuldrecht AT, 26.05.2014 PD Dr. Sebastian Martens, M.Jur. (Oxon.)

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SchuldR AT 1 7. Woche.
SchuldR AT 1 1. Woche.
 Präsentation transkript:

Schuldrecht AT, PD Dr. Sebastian Martens, M.Jur. (Oxon.)

§ 5: Leistungsstörungen; III: Unmöglichkeit 2.Praktische oder wirtschaftliche Unmöglichkeit § 275 BGB […] (2) Der Schuldner kann die Leistung verweigern, soweit diese einen Aufwand erfordert, der unter Beachtung des Inhalts des Schuldverhältnisses und der Gebote von Treu und Glauben in einem groben Missverhältnis zu dem Leistungsinteresse des Gläubigers steht. Bei der Bestimmung der dem Schuldner zuzu- mutenden Anstrengungen ist zu berücksichtigen, ob der Schuldner das Leistungshindernis zu vertreten hat. Anders als bei § 275 I BGB kann die Leistung (theoretisch) noch erbracht werden, aber nur bei einem unverhältnismäßigen Aufwand. Die Leistungspflicht entfällt nicht automatisch, sondern § 275 II BGB gibt nur eine Einrede.

§ 275 II BGB setzt ein grobes Missverhältnis zwischen dem Aufwand des Schuldners und dem Leistungsinteresse des Gläubigers voraus. – Aufwand des Schuldners: Kosten der Leistungserbringung, Arbeitsaufwand usw. – Leistungsinteresse des Gläubigers: Vor allem materieller Wert der Leistung für den Gläubiger, aber auch immaterielle Interessen (Liebhaberwert) Es kommt nicht darauf an, welches Interesse der Schuldner an der Vertragsdurchführung hat! Beispiel: V hat dem K eine Tonne Silber verkauft, das er sich selbst erst auf dem Markt besorgen will. Kurz nach Vertragsschluss steigt der Silberpreis um 100% an. Steht der Lieferpflicht des V nun § 275 II BGB entgegen?

Besonderer Aufwand kann gefordert werden, wenn der Schuldner das Leistungshindernis zu vertreten hat (§ 275 II 2 BGB). Auch bei einem nicht zu vertretenden Leistungshindernis kann aber vom Schuldner grundsätzlich einiges gefordert werden. Der vom Schuldner zu erbringende Aufwand muss je nach den Umständen des Einzelfalls für den konkreten Vertrag („unter Beachtung des Schuldverhältnisses“) nach dem Gebot von Treu und Glauben ermittelt werden. Besonders viel muss grundsätzlich der Schuldner einer Gattungsschuld aufwenden, weil er das Beschaffungsrisiko übernimmt.

3.Persönliche Unmöglichkeit § 275 BGB […] (3) Der Schuldner kann die Leistung ferner verweigern, wenn er die Leistung persönlich zu erbringen hat und sie ihm unter Abwägung des seiner Leistung entgegenstehenden Hindernisses mit dem Leistungs- interesse des Gläubigers nicht zugemutet werden kann. Die Leistungserbringung kann dem Schuldner unter bestimmten Umständen nicht zumutbar sein. § 275 III BGB erfasst nur Leistungen, die der Schuldner persönlich erbringen muss und die kein anderer für ihn erbringen darf. Bei nicht persönlich zu erbringenden Leistungen greift nicht § 275 III BGB, sondern ggf. §§ 242, 313 BGB ein. § 275 III BGB gibt dem Schuldner eine Einrede!

Voraussetzungen: Persönliche Leistungspflicht Unzumutbar aus persönlichen Gründen – Grundsätzlich sind persönliche Gründe unbeachtlich. – Nach h.M. greift § 275 III BGB nur ein, wenn der Gläubiger rechtsmissbräuchlich handelte, wenn er auf der Leistungserbringung durch den Schuldner bestünde. – Abwägung des Leistungshindernisses mit dem Leistungsinteresse des Gläubigers erforderlich – Leistungsinteresse des Gläubigers wie bei § 275 II BGB zu verstehen

Beispiele: a.Die Sängerin Maria Koloss (K) ist von der Mettoper für die Rolle der Norma engagiert. Am Tag der Aufführung erkrankt das Kind der Sängerin lebens- bedrohlich. K will deshalb nicht auftreten. Zurecht? b.Der überzeugte Pazifist und Ingenieur I arbeitet beim Flugzeughersteller Ehr-Bums. Als das Unternehmen einen Auftrag für die Entwicklung eines neuen atomwaffenfähigen Kampfbombers erhält, weigert sich I, an der Entwicklung mitzuwirken. Zurecht? c.Der Ausländer A hat einen Einberufungsbescheid seines Heimatlandes erhalten. Wenn er nicht zum Dienst antritt, droht ihm die Todesstrafe. Kann er dies seinem Arbeitgeber gegenüber geltend machen?

IV.Schadensersatz 1.Allgemeines Zwei Grundtatbestände für Schadensersatzansprüche bei Leistungsstörungen: – § 311a BGB bei anfänglicher Unmöglichkeit – § 280 I BGB bei allen (übrigen) Pflichtverletzungen – Zusätzliche Voraussetzungen bei Schadensersatz wegen Verzögerung der Leistung (§§ 280 II, 286 BGB) und Schadensersatz statt der Leistung (§§ 280 III, 281 ff. BGB) Allgemeine Voraussetzung eines Schadensersatzan- spruches ist, dass der Schuldner die Pflichtverletzung zu vertreten haben muss.

2.Der Grundtatbestand des § 280 I BGB § 280 BGB. Schadensersatz wegen Pflichtverletzung (1) Verletzt der Schuldner eine Pflicht aus dem Schuld- verhältnis, so kann der Gläubiger Ersatz des hierdurch entstehenden Schadens verlangen. Dies gilt nicht, wenn der Schuldner die Pflichtverletzung nicht zu vertreten hat. a.Tatbestandsvoraussetzungen Schuldverhältnis, Pflichtverletzung, Vertretenmüssen, Schaden Ein Schuldverhältnis zwischen den Parteien: – Vertrag – Rechtsgeschäftsähnliches Schuldverhältnis nach § 311 II, III BGB – sonstiges gesetzliches Schuldverhältnis (GoA usw.)

Der Schuldner muss eine Pflicht aus dem Schuldverhältnis verletzt haben – Im Rahmen des § 280 I BGB kommt es nicht auf die konkrete Art der Pflichtverletzung an. – Die Pflicht sollte aber trotzdem konkret herausgearbeitet werden, auch um eine doppelte Prüfung (im Rahmen der §§ 280 II, III BGB zu vermeiden) – Die Pflichtverletzung muss rechtswidrig sein (nur zu prüfen, wenn ausnahmsweise Anhaltspunkte für Rechtfertigungsgründe im Sachverhalt bestehen) – Pflichtverletzung muss der Gläubiger beweisen

Beispiele: a.K kauft bei dem Galleristen G ein Bild. Noch bevor es zur Übereignung kommt, brennt die Galerie mit dem Bild zusammen ab. b.B beauftragt den Unternehmer U mit dem Bau einer neuen Konzerthalle, die zum fertig sein soll. Freilich stehen zu diesem Zeitpunkt erst die Außenwände. c.Maler M legt beim Streichen der Wohnung des W keine Schutzfolie aus und bekleckst deshalb den Teppich mit Farbe. d.X geht zum Frisör F, der ihm die Haare wieder ordentlich schneiden soll. Als er schließlich in den Spiegel schaut, sieht X nur noch eine Glatze.

Der Schuldner muss die Pflichtverletzung zu vertreten haben (§ 280 I 2 BGB) – Nach Vorstellung des Gesetzgebers und h.M. ist das Vertretenmüssen eine anspruchs- begründende Tatsache und deshalb eigentlich vom Gläubiger zu beweisen. – § 280 I 2 BGB soll die Beweislast umkehren: Der Schuldner muss nachweisen, dass er die Pflichtverletzung nicht zu vertreten hat. – Gelingt der Entlastungsbeweis nicht, haftet der Schuldner auf Schadensersatz – Anders nur im Arbeitsrecht: § 619a BGB!

3.Die Verantwortlichkeit des Schuldners Rechtswissenschaft des 19. Jahrhunderts ging davon aus, dass Schadensersatz grundsätzlich nur bei Verschulden des Schädigers zu gewähren sei. Folgen im Deliktsrecht: Gefährdungshaftung unterentwickelt und nur kasuistisch für Ausnahmefälle geregelt Keine strikte Haftung für Gehilfen (§ 831 BGB) Folgen im Vertragsrecht: Grundprinzip der Verschuldenshaftung Strikte Haftung (Garantien) als Ausnahmefälle Aber: Begriff des Vertretenmüssens umfasst alle Fälle, in denen der Schuldner für eine Pflichtverletzung kraft Vertrag oder Gesetz verantwortlich ist.

a.Haftung für eigenes Verschulden § 276 BGB. Verantwortlichkeit des Schuldners (1) 1 Der Schuldner hat Vorsatz und Fahrlässigkeit zu vertreten, wenn eine strengere oder mildere Haftung weder bestimmt noch aus dem sonstigem Inhalt des Schuldverhältnisses, insbesondere aus der Übernahme einer Garantie oder eines Beschaffungsrisikos zu entnehmen ist. 2 Die Vorschriften der §§ 827 und 828 finden entsprechende Anwendung. § 276 I BGB: Grundsatz des Verschuldensprinzips Verschulden setzt Verantwortungsfähigkeit voraus: – Fehlt grds. in den Fällen des § 827 BGB – Fehlt oder nur eingeschränkt vorhanden bei Minderjährigen (§ 828 BGB)

i.Vorsatz Begriff des Vorsatzes: Wissen und Wollen der Verwirklichung des objektiven Tatbestands. Dolus directus 1. Grades (Absicht): Der Täter bezweckt den Erfolg. Dolus directus 2. Grades: Der Täter weiß und will den Erfolg, aber es kommt ihm nicht gerade darauf an. Dolus eventualis: Der Täter hält den Erfolg für möglich und nimmt seinen Eintritt billigend in Kauf. Bei § 276 I 1 BGB genügt jede Form des Vorsatzes, eine Abgrenzung ist hier also nicht nötig! Die Haftung für Vorsatz kann nicht im Voraus abbedungen werden § 276 III BGB.

Das BGB fordert nur ausnahmsweise Absicht Beispiele: a.E hat seine Wohnung entrümpelt und eine Menge alter Möbel an die Straße gestellt, damit der Sperrmüll sie abholt. K entdeckt die Möbel und vor allem einen Tisch unter ihnen, den er gleich mitnimmt. Ist K Eigentümer des Tischs geworden? b.G hat den Mann M der F entführt und verlangt Euro Lösegeld. G weiß, dass F nicht soviel Geld besitzt und einen Kredit bei der B-Bank aufnehmen muss, was F auch tut. Kann F den Kreditvertrag bei der B-Bank später wegen Drohung anfechten? c.Weitere Fälle: §§ 675v II, III 3, 685 I BGB u.a.

ii.Fahrlässigkeit Fahrlässigkeit als praktisch wichtigste Schuldform Dem Wissen und Wollen beim Vorsatz entsprechen die Erkennbarkeit und Vermeidbarkeit bei der Fahrlässigkeit Das BGB legt einen objektiven Fahrlässigkeitsmaßstab zugrunde: § 276 BGB. (2) Fahrlässig handelt, wer die im Verkehr erforderliche Sorgfalt außer Acht lässt. Beispiel: U betreibt eine Fensterreinigungsfirma. Seine Ange- stellten lässt er ohne Sicherung arbeiten. Als der Ange- stellte A bei einem Einsatz abstürzt und Schadensersatz verlangt, wendet U ein, dass alle in der Branche ohne Sicherung arbeiteten. Zurecht?

Subjektive Unzulänglichkeiten des Schuldners sollen nach h.M. im Privatrecht im Gegensatz zum Straf- recht unbeachtlich sein Aber: Objektiver Maßstab ist je nach „Verkehrskreis“ und Altersklasse unterschiedlich zu konkretisieren Beispiel: A hat gerade sein medizinisches Staatsexamen abge- schlossen und eine Stelle als Assistenzarzt angetreten. Bei der Untersuchung des Patienten P entdeckt A eine Entzündung nicht, weil die Symptome nicht vollständig dem Lehrbuchwissen des A entsprachen. Als die Ent- zündung einige Tage von einem anderen Arzt entdeckt wird, ist sie bereits weit fortgeschritten. P verlangt Schadensersatz von A, weil ein richtiger Arzt die Ent- zündung hätte entdecken müssen. Zurecht?

b.Erleichterungen des Sorgfaltsmaßstabs i.Vertrag Parteien können die Verantwortlichkeit des Schuldners grundsätzlich frei selbst regeln Allgemeine Grenze: § 276 III BGB Strengere Kontrolle bei AGB: § 309 Nr. 7 BGB Besondere Problematik: konkludente Haftungserleichterungen im Straßenverkehr? Beispiel: Student S bietet eine Mitfahrgelegenheit von Kiel nach Berlin an. Kommilitonin K meldet sich, bereut dies aber später sehr, als sie bei einem von S leicht fahrlässig verursachten Unfall schwer verletzt wird. Hat K einen Schadensersatzanspruch gegen S?

ii.Gesetz Bei einigen unentgeltlichen Geschäften ist die Haftung auf Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit beschränkt: Schenkung (§ 521 BGB); Leihe (§ 599 BGB) Begriff der groben Fahrlässigkeit nach h.M.: Der Schuld- ner lässt außer Acht, was im gegebenen Fall jedem hätte einleuchten müssen. Es muss eine auch subjektiv schlechthin unentschuldbare Pflichtverletzung vorliegen, die das Maß des § 276 II erheblich überschreitet. In anderen Fällen beschränkt das Gesetz die Haftung auf die Sorgfalt, die der Schuldner in eigenen Angelegenheiten anzuwenden pflegt (§ 277 BGB): Unentgeltliche Verwahrung (§ 690 BGB), Verhältnis zwischen Gesellschaftern (§ 708 BGB), Ehegatten (§ 1359 BGB), Eltern gegenüber Kindern (§ 1664 BGB)

c.Haftungsverschärfungen i.Durch Vertrag Grundsätzlich in den Grenzen der §§ 138, 242 BGB möglich, bei AGB ggf. § 307 II Nr. 1 BGB zu beachten Besondere Fälle: Übernahme einer Garantie und eines Beschaffungsrisikos Auch bei Garantie und Übernahme des Beschaffungs- risikos muss jeweils durch Auslegung der (konkluden- ten) Erklärungen ermittelt werden, für welche Risiken genau inwieweit gehaftet werden sollte. Verschuldensunabhängige Haftung darf nicht vorschnell angenommen werden! Der Schuldner muss deutlich gemacht haben, dass er für die Folgen bestimmter Pflichtverletzungen unbedingt einstehen will.

Beispiel (nach BGH NJW 2007, 1346): K hat auf eBay ein Motorrad entdeckt, das ihm gleich sehr gut gefällt. V, der das Motorrad bei eBay eingestellt hatte, erklärte unter der Rubrik „Beschreibung“, „Kilometer- stand (km): km“. Außerdem erklärte V: „Krad wird natürlich ohne Gewähr verkauft“. K ersteigerte das Motorrad zum Preis von Euro. Als K sein neues Motorrad von V erhält, fällt ihm auf, dass der Tachometer die Geschwindigkeit sowohl in „mph“ als auch in „km/h“. Anzeigt. Die Wegstrecke wird ohne Angabe der Maßein- heit angezeigt. Ein Sachverständiger bestätigt dann K‘s Verdacht: Das Motorrad ist nicht km, sondern Meilen (ca km) gelaufen! K ist empört und will Schadensersatz von V, um sich ein entsprechendes vollwertiges Motorrad zu kaufen. Zurecht?

ii.Durch Gesetz Bei der Anfechtung wegen Irrtums: § 122 BGB Für den Schuldner im Verzug: § 287 BGB Für den Schädiger, der aufgrund einer unerlaubten Handlung zur Rückgabe einer Sache verpflichtet ist: § 848 BGB Für anfängliche Mängel bei Mietverträgen: § 536a BGB In einem Fall der Gefährdungshaftung: – § 231 BGB: Irrtümliche Selbsthilfe – § 701 BGB: Gastwirtshaftung – § 833 BGB: Haftung des Tierhalters – StVG, HaftpflG, LuftVG, ProdHaftG, GenTG, AtomG, WHG, UmweltHG, AMG usw.

Literaturhinweise: Deutsch, Der Begriff der Fahrlässigkeit im Zivilrecht, Jura 1987, Lorenz, Grundwissen – Zivilrecht: Vertretenmüssen (§ 276 BGB), JuS 2007, Lorenz, Grundwissen – Zivilrecht: Haftung für den Erfüllungsgehilfen, JuS 2007, Petersen, Der Dritte in der Rechtsgeschäftslehre, Jura 2004, Piper, Die Haftung für Organe nach § 31 BGB, JuS 2011,