Psychische Abweichung: Krankheit oder Störung? Vorlesung „Psychische Störungen“ Prof. Dr. Ralph Viehhauser.

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Psychische Abweichung: Krankheit oder Störung? Vorlesung „Psychische Störungen“ Prof. Dr. Ralph Viehhauser

Krankheitsparadigma In der Medizin, wie auch in der Rechtssprechung steht im Umgang mit psychischen Abweichungen der Begriff „Krankheit“ im Focus der Betrachtungen. In der Medizin, wie auch in der Rechtssprechung steht im Umgang mit psychischen Abweichungen der Begriff „Krankheit“ im Focus der Betrachtungen. Der Begriff „Krankheit“ ist nicht nur ein beschreibender Begriff, er kennzeichnet vielmehr ein „Paradigma“ (= ein komplexes Grundmodell, an dem die Erforschung spezieller Fragestellungen ausgerichtet und organisiert wird). Der Begriff „Krankheit“ ist nicht nur ein beschreibender Begriff, er kennzeichnet vielmehr ein „Paradigma“ (= ein komplexes Grundmodell, an dem die Erforschung spezieller Fragestellungen ausgerichtet und organisiert wird).

Grundannahmen des Krankheitsparadigmas Beschwerden, Symptome sind auf eine primäre Störung im Sinne eines spezifizierbaren Defektes zurückzuführen. Dieser Defekt ist in der Person gelegen und bildet die eigentliche Krankheit. Beschwerden, Symptome sind auf eine primäre Störung im Sinne eines spezifizierbaren Defektes zurückzuführen. Dieser Defekt ist in der Person gelegen und bildet die eigentliche Krankheit. Der Defekt ist zurückzuführen auf eine eindeutige Ursache bzw. ein immer wiederkehrendes Muster von Ursachen. Der Defekt ist zurückzuführen auf eine eindeutige Ursache bzw. ein immer wiederkehrendes Muster von Ursachen. Ziel ist es, diese spezifischen Ursachen (Pathogene) zu identifizieren und diese mit einer spezifischen Therapie zu bekämpfen. Ziel ist es, diese spezifischen Ursachen (Pathogene) zu identifizieren und diese mit einer spezifischen Therapie zu bekämpfen. D.h.: Jede Krankheit ist eindeutig charakterisiert durch die Spezifität der Symptome, des Verlaufs und der Ätiologie. D.h.: Jede Krankheit ist eindeutig charakterisiert durch die Spezifität der Symptome, des Verlaufs und der Ätiologie. Gesundheit wird definiert als Abwesenheit von Krankheit. Gesundheit wird definiert als Abwesenheit von Krankheit. Zwischen Gesundheit und Krankheit bestehen qualitative Unterschiede. Zwischen Gesundheit und Krankheit bestehen qualitative Unterschiede.

Übertragung des Krankheitskonzeptes auf psychische Probleme Die Grundstruktur des Krankheitskonstruktes ist auch im Zusammenhang mit psychischen Problemen diejenige, dass psychische Auffälligkeit als Symptom einer zugrunde liegenden Störung interpretiert wird, dass psychische Auffälligkeit als Symptom einer zugrunde liegenden Störung interpretiert wird, dass diese Ursache in letzter Konsequenz eine organische ist. dass diese Ursache in letzter Konsequenz eine organische ist. dass die Gesetze, nach denen gesundes Verhalten abläuft nicht mehr die selben sind, wie die Gesetzmäßigkeiten, nach denen krankes Verhalten abläuft. dass die Gesetze, nach denen gesundes Verhalten abläuft nicht mehr die selben sind, wie die Gesetzmäßigkeiten, nach denen krankes Verhalten abläuft.

Krankheitsbegriff im Versicherungsrecht Für das Bundessozialgericht (BSG) ist Krankheit ein „regel- widriger körperlicher oder geistiger Zustand, der einer Heilbe- handlung bedarf oder/und mit welchem Arbeitsunfähigkeit einhergeht.“ Beides kann verbindlich nur durch einen Arzt festgelegt werden. Für das Bundessozialgericht (BSG) ist Krankheit ein „regel- widriger körperlicher oder geistiger Zustand, der einer Heilbe- handlung bedarf oder/und mit welchem Arbeitsunfähigkeit einhergeht.“ Beides kann verbindlich nur durch einen Arzt festgelegt werden. In der Gesetzlichen Krankenversicherung ist Krankheit ein rechtlicher Zweckbegriff, der von seiner Funktion geprägt wird, nämlich das versicherte Risiko zu definieren und den Tatbestand zu bestimmen, welcher die Leistungspflicht der Träger der Gesetzlichen Krankenversicherung auslöst. In der Gesetzlichen Krankenversicherung ist Krankheit ein rechtlicher Zweckbegriff, der von seiner Funktion geprägt wird, nämlich das versicherte Risiko zu definieren und den Tatbestand zu bestimmen, welcher die Leistungspflicht der Träger der Gesetzlichen Krankenversicherung auslöst.

Der Krankheitsbegriff ist in mehrerer Hinsicht problematisch: wegen vielerlei konzeptueller Unklarheiten, wegen vielerlei konzeptueller Unklarheiten, wegen der Fragwürdigkeit des angenommenen „Ursache- Symptom“-Konstruktes, wegen der Fragwürdigkeit des angenommenen „Ursache- Symptom“-Konstruktes, wegen des starken Einflusses von normativen Bedingungen (siehe versicherungsrechtlichte Definitionsbemühungen), wegen des starken Einflusses von normativen Bedingungen (siehe versicherungsrechtlichte Definitionsbemühungen), wegen der Überbetonung biomedizinischer Modellvorstellungen, wegen der Überbetonung biomedizinischer Modellvorstellungen, wegen der Unterschätzung der Bedeutung der Sozialen Arbeit wegen der Unterschätzung der Bedeutung der Sozialen Arbeit

Psychologische Störungskonzepte Verhaltenstherapeutisch orientierter Ansatz: Psychische Auffälligkeiten als Extremausprägungen einzelner psychischer Prozesse und Funktionen (Verhaltensexzesse vs. -defizite). Verhaltenstherapeutisch orientierter Ansatz: Psychische Auffälligkeiten als Extremausprägungen einzelner psychischer Prozesse und Funktionen (Verhaltensexzesse vs. -defizite). Humanistisch orientierter Ansatz: Psychische Störungen als Folge einer Behinderung eines natürlichen Wachstumsprozesses. Humanistisch orientierter Ansatz: Psychische Störungen als Folge einer Behinderung eines natürlichen Wachstumsprozesses. Systemisch orientierter Ansatz: Psychische Auffälligkeiten als Ausdruck gestörter Prozesse in sozialen Systemen. Systemisch orientierter Ansatz: Psychische Auffälligkeiten als Ausdruck gestörter Prozesse in sozialen Systemen.