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Leib, Körper, Gehirn Zur Theorie der Verkörperung (WS 2016/2017)

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Präsentation zum Thema: "Leib, Körper, Gehirn Zur Theorie der Verkörperung (WS 2016/2017)"—  Präsentation transkript:

1 Leib, Körper, Gehirn Zur Theorie der Verkörperung (WS 2016/2017)
Thomas Fuchs

2 Die Welt im Kopf? 8

3 Selbst = Gehirn? „Wir sind mentale Selbstmodelle informationsverarbeitender Biosysteme ... Werden wir nicht errechnet, so gibt es uns nicht“ (Metzinger 1999). „Diese einfache Tatsache macht klar, dass Sie Ihr Gehirn sind. Die Neuronen, die in seinem gewaltigen Netzwerk verbunden sind – das sind Sie“ (M. Gazzaniga 2005). „Sie haben Ihr Gehirn nicht, Sie sind Ihr Gehirn“ (Spitzer 2005). 8

4 Der Ego-Tunnel „Bewusstes Erleben gleicht einem Tunnel. … Zuerst erzeugt unser Gehirn eine Simulation der Welt, die so perfekt ist, dass wir sie nicht als ein Bild in unserem eigenen Geist erkennen können. Dann generiert es ein inneres Bild von uns selbst als einer Ganzheit … Wir stehen also nicht in Kontakt mit der Wirklichkeit oder mit uns selbst. Wir leben unser bewusstes Leben im Ego-Tunnel.“ (Metzinger 2010) 8

5 Das „Gehirn im Tank“ „Im Prinzip könnten wir dieses Erlebnis [der Welt] also auch ohne Augen haben, und wir könnten es sogar als entkörpertes Gehirn in einer Nährlösung haben.“ (Metzinger 2010) 8

6 Geltungsansprüche der Neurowissenschaften
„Neuro-Philosophie“, „Neuro-Ethik“, „Neuro-Pädagogik“, „Neuro-Psychotherapie“, „Neuro-Theologie“, „Neuro-Ökonomie“ usw. Umsturz der lebensweltlichen Erfahrung 8

7 Das naturwissenschaftliche Programm
Konzeption der Natur, aus der alle qualitativen, ganzheitlichen, also nicht einzeln zählbaren Bestimmungen als bloß subjektive oder anthropomorphe Zutaten eliminiert sind z.B. „Wärme“ 8

8 Das naturwissenschaftliche Programm
Descartes: Wahrnehmung basiert auf einer physikalischen Teilchenbewegung, die sich von den Dingen bis ins Gehirn fortpflanzt „... wir denken, wir sähen die Fackel selbst und wir hörten die Glocke selbst, während wir nur die Bewegungen empfinden, die von ihnen ausgehen“ (Discours de la Méthode). Reinigung der Welt von allen subjektiven, anthropomorphen Anteilen 8

9 Das naturwissenschaftliche Programm
Neurobiologie: Auch das subjektive Erleben, das Bewusstsein selbst soll nun naturalisiert, d.h. auf physikalische Prozesse zurückgeführt werden. Die „Entanthropomorphisierung“ der Natur geht über in die Naturalisierung des Menschen. 8

10 Vom Kopf auf die Füße John Searle (1993): Die Abtrennung des jeweils Subjektiven von den Phänomenen ist nicht mehr anwendbar, wenn es um die Reduktion der Subjektivität selbst geht. erkenntnistheoretische Aporien Wie soll das Gehirn sich selbst erkennen? Die Rede über Gehirne setzt voraus, was an-geblich von ihnen hervorgebracht werden soll: bewusste und sich miteinander verständigende Personen. 8

11 Vom Kopf auf die Füße Die alltäglich erlebte und vertraute Welt, in der wir gemeinsam leben, bleibt unsere primäre und eigentliche Wirklichkeit. Das Subjekt ist im Gehirn nicht zu finden. Das Gehirn ist ein Beziehungsorgan. Personen: leibliche/verkörperte und seelisch-geistige Wesen 8

12 Zentrale Thesen Die Funktionen des Gehirns setzen die Einheit des Menschen als Lebewesen voraus und sind nur von ihr her zu verstehen. Dazu müssen wir einen adäquaten Begriff des Lebendigen entwickeln. Zentral für eine Verständnis des Lebendigen ist die Konzeption der Verkörperung, als Verknüp-fung zweier Ansätze: Phänomenologie der Leiblichkeit und Theorie des autopoietischen Organismus, oder „Leib“ und „Körper“. 8

13 Zentrale Thesen Die höheren Gehirnfunktionen setzen den Lebensvollzug des Menschen in der gemein-samen sozialen Welt voraus. Dazu bedarf es einer Konzeption menschlicher Entwicklung als kontinuierlicher Verankerung von Erfahrungen in den psychischen und zugleich zerebralen Strukturen des Indivi-duums, im Sinne einer „biographischen Biologie“. 8

14 Zentrale Thesen Gehirn als Organ eines „zõon politikón“, eines Lebewesens, das bis in seine biologischen Struk-turen hinein durch seine Sozialität geprägt ist. 8

15 Vorbemerkungen zu Verkörperung und Enaktivismus
Bewusstsein = Funktion und Äußerung eines lebendigen Organismus in seiner systemischen Gesamtheit grundlegende Kontinuität von „Leben“ und „Geist“ („life-mind continuity“) Autoren: Francisco Varela („The Embodied Mind“; 1991), Evan Thompson („Life in Mind“, 2007), Alva Noe („Out of our Heads“, 2009), Ezequiel di Paolo, u.a. 8

16 Vorbemerkungen zu Verkörperung und Enaktivismus
Zentral: verkörperte Theorie der Wahrnehmung kein Prozess der Abbildung sensorischer Stimuli auf ein inneres Modell der Welt, sondern fortlaufenden sensomotorischen Interaktion eines eigenbeweglichen und handelnden Wesens mit seiner Umwelt (O’Regan & Noë 2001, Noë 2004) 8

17 Verkörperung und Enaktivismus
Vorläufer und wichtige Denker: theoretische Biologie: „Funktionskreis“ und „Umweltlehre“ Jakob von Uexkülls (1920), Psychosomatik: „Gestaltkreis“ Viktor von Weizsäckers (1940) Philosophische Biologie: Hans Jonas (1972) Leibphänomenologie: E. Husserl, M. Merleau-Ponty (1945), H. Schmitz (1965ff.), u.a. 8

18 Verkörperung und Enaktivismus
Doppelaspekt: Theorie des gelebten Leibes (subjektive Erfahrung, 1. Person-Perspektive) Theorie des lebendigen Körpers (Organismus, 3. Person-Perspektive) Organismus als autopoietisches, sich selbst erhaltendes und reproduzierendes System 8

19 „Enactive Cognition“ (Varela et al. 1991, Thompson 2007 u.a.)
Der lebendige Organismus bringt aktiv seine Welt hervor und nimmt sie nicht nur passiv wahr. Interaktion statt Repräsentation: Der Organismus repräsentiert nicht eine vorgegebene Welt, sondern im Zug sensomotorischer Interaktionen konstituiert sich seine artspezifische Umwelt. Kritik des „Mentalen“ 8

20 Enactive Cognition Kognition resultiert aus der Geschichte einer resonanten Koppelung und gegenseitigen Bestimmung von Organismus und Umwelt. In sensomotorischen Interaktionen entsteht Bedeutsamkeit, d.i. ein Bezug zur Umwelt, der in ihr relevante Muster erfasst (sense-making). Ökologische Nische: wechselseitige Bestimmung und Koppelung von Organismus und Umwelt 8

21 Organismus-Umwelt-Koppelung: Chemotaxis von Bakterien als „sense-making“
8

22 Enactive Cognition Die Geschichte der Koppelung bestimmt die Muster, die ein Organismus erkennt, ebenso wie die Muster seines Ver-haltens in der Umwelt. „Relationale Ontologie“: Beispiele Nahrung, Farben oder Töne als emergente Eigenschaften 8

23 Verkörperung und Enaktivismus
Zusammenfassung: Verkörperung = „embodiment“ und „Leiblichkeit“ Das leiblich vermittelte „Zur-Welt-Sein (Merleau-Ponty) lässt sich als Pendant zu den Interaktionen des Organismus mit seiner Umwelt begreifen. 8

24 Verkörperung und Enaktivismus
Grundlage dafür ist ein Begriff des Lebens, der Lebendiges als Selbstsein betrachtet: Doppelaspekt der leiblichen Subjektivität und der autopoietischen Struktur des Organismus: Die Phänomenologie des Leibes und die systemisch-enaktive Theorie des Organismus richten sich auf komplementäre Aspekte desselben Lebensprozes-ses, der Subjekt und Welt ebenso verbindet wie Gehirn, Körper und Umwelt. 8

25 Überblick zur Vorlesung (mehrere Semester)
Kritik der neurokonstruktivistischen Erkenntnistheorie (Wirklichkeit als Konstrukt des Gehirns, „Kosmos im Kopf“) Kritik des „Gehirns als Subjekt“: Irreduzibilität der Subjektivität 8

26 Überblick aspektdualistische Konzeption der Person als Einheit von „Leib“ und „Körper“. ökologische Theorie des lebendigen Organismus Gehirn als Organ eines Lebewesens in seiner Umwelt Menschliches Gehirn als „Beziehungsorgan“ 8

27 1. Kosmos im Kopf? Kritik der neurophilosophischen Erkenntnistheorie
8

28 Ego-Tunnel und Kopfkino
„Bewusstes Erleben gleicht einem Tunnel. … Zuerst erzeugt unser Gehirn eine Simulation der Welt, die so perfekt ist, dass wir sie nicht als ein Bild in unserem eigenen Geist erkennen können. Dann generiert es ein inneres Bild von uns selbst als einer Ganzheit … Wir stehen also nicht in Kontakt mit der Wirklichkeit oder mit uns selbst. Wir leben unser bewusstes Leben im Ego-Tunnel.“ (Metzinger 2010) „Die geistige Multimedia-Show ereignet sich, während das Gehirn externe und interne Sinnesreize verarbeitet ...“ (Damasio 2002). 8

29 Ego-Tunnel und Kopfkino
„Unsere Wahrnehmungswelt wirkt so vollkommen, daß wir sie unreflektiert mit der realen Welt identifizieren, ohne uns bewusst zu sein, wie fragwürdig unsere Sinneswahrnehmungen sind (...). Wir befinden uns gewissermaßen in einer Dunkelkammer und sehen uns darin eine Show an, deren Beiträge aus den Verrechnungsprodukten unserer Seh-, Gehör-, Geschmacks-, Riech- und Tastnerven bestehen. Wir können aus diesem Gefängnis nicht heraus, können nicht durch die Nerven nach außen dringen, um in die ,wahre‘ Wirklichkeit zu gelangen (...) 8

30 Ego-Tunnel und Kopfkino
…. Die ganze Show aber lässt uns diesen Innenraum so überwältigend hell und differenziert erscheinen, dass es uns irreal, ja gespenstisch vorkommt, ihn nicht für den realen Außenraum zu halten“ (Wolf 1987). „Unsere Wahrnehmung ist (...) eine Online-Simulation der Wirklichkeit, die unser Gehirn so schnell und unmittelbar aktiviert, dass wir diese fortwährend für echt halten“ (Siefer u. Weber 2006). 8

31 Das idealistische Erbe der Hirnforschung
1. Voraussetzung: Abtrennung der qualitativen Erfahrung von der naturwissenschaftlich erforschten Welt „Farbe gibt es nur der herkömmlichen Meinung nach, und ebenso Süß und Bitter; in Wirklichkeit gibt es nur die Atome und das Leere“ (Demokrit) „Nähme man die Ohren, die Zunge und die Nüstern weg, dann würden Gestalt, Zahl und Bewegungen übrig bleiben, aber nicht die Gerüche, die Geschmäcker oder die Klänge, die ohne Lebewesen, wie ich glaube, nichts als Namen sind.“ (G. Galilei) 8

32 Das idealistische Erbe der Hirnforschung
John Locke: primäre, quantitative – sekundäre, qualitative Eigenschaften der Objekte 2. Voraussetzung: Bewusstsein als Innenraum „ideae“ (Descartes) „impression“, „ideas“ (Locke, Hume) „Vorstellungen“ (Kant) → Idealismus und Repräsentationalismus 8

33 Das idealistische Erbe der Hirnforschung
„Denn meines Erachtens ist der Verstand einem Kabinett gar nicht so unähnlich, das gegen das Licht vollständig abgeschlossen ist und in dem nur einige kleine Öffnungen gelassen wurden, um äußere, sichtbare Ebenbilder oder Ideen von den Dingen der Umwelt einzulassen.“ John Locke, Versuch über den menschlichen Verstand (1690) 8

34 Das idealistische Erbe der Hirnforschung
„Allein Erscheinungen sind nur Vorstellungen von den Dingen, die, nach dem, was sie an sich sein mögen, unerkannt da sind. Als bloße Vorstellungen aber stehen sie unter gar keinem Gesetze der Verknüpfung, als demjenigen, welches das verknüpfende Vermögen vorschreibt.“ Kant, Kritik der reinen Vernunft (1774) 8

35 René Magritte, La condition humaine (1933)
8

36 Das idealistische Erbe der Hirnforschung
„Das Problem des Fensters ergab ,La condition humai-ne‘. Ich stellte vor das Fenster, das vom Inneren des Raumes zu sehen war, ein Bild, das genau das Land-schaftsstück darstellte, das von der Leinwand verdeckt war. Der Baum, der auf der Leinwand dargestellt war, verbarg den Baum, der hinter ihm außerhalb des Raumes stand. Für den Betrachter befand er sich also zugleich im Inneren des Raumes auf dem Bild und, in der Vorstellung (pensée), außerhalb in der wirklichen Landschaft. Genau so sehen wir die Welt, wir sehen sie außerhalb unserer selbst und dennoch haben wir nur eine Vorstellung (représentation) von ihr in uns.“ René Magritte (1938) 8

37 Erste Kritik: Verkörperte Wahrnehmung
Die Wahrnehmung räumlicher Tiefe entsteht nur in Ver-bindung mit dem Vermögen, sie auch zu durchmessen und die Gegenstände abhängig von unserer Eigenbewe-gung unter verschiedenen Aspekten zu erfassen. Die Verkörperung kommt nicht zur Wahrnehmung noch äußerlich hinzu, sondern sie wohnt ihr inne: Wir müssen schon leiblich in der Welt sein, mit ihr in Beziehung stehen, uns bewegen und agieren können, damit wir überhaupt etwas von ihr wahrnehmen. 8

38 Repräsentationen: Die Welt im Kopf „Zange!“

39 Verkörperung: In-der-Welt-Sein /-Handeln
Neuronale Netzwerke als „offene Schleifen“ Wahrnehmen Senso-motorischer Funktionskreis „zuhanden“ Handeln

40 Verkörperung: In-der-Welt-Sein /-Handeln
Wahrnehmen „zuhanden“ Funktions kreis Handeln Ein Objekt zu erkennen bedeutet zu wissen, wie man mit ihm umgeht.

41 (2) Interaktion von Gehirn, Körper und Umwelt: Verknüpfung von Kognition und Aktion
Wahrnehmung Objekt Körper Bewegung Sensomotorischer Funktionskreis (J. v. Uexküll) 8

42 (2) Verknüpfung von Kognition und Aktion
Held und Hain (1963): “aktive” und “passive” Kätzchen  Raumwahrnehmung entwickelt sich nur durch Bewegung im Raum.  Die erlebte Welt entsteht durch Interaktion. 8

43 Erste Kritik: Verkörperte Wahrnehmung
Wahrnehmend steht ein Lebewesen nicht der Welt gegenüber, sondern ist immer schon in ihr tätig und in sie verstrickt. („wahr-nehmen“ oder „per-zipieren“, von capere = ergreifen) Die Verkörperung kommt nicht zur Wahrnehmung noch äußerlich hinzu, sondern sie wohnt ihr inne: Wir müssen schon leiblich in der Welt sein, mit ihr in Beziehung stehen, uns bewegen und agieren können, damit wir überhaupt etwas von ihr wahrnehmen. 8

44 Erste Kritik: Verkörperte Wahrnehmung
Wahrnehmen heißt immer schon, an der Welt teilzu-nehmen, sie zu berühren und von ihr berührt zu werden. Es beruht auf leiblicher Praxis. 8

45 „Embodied Cognitive Science“
(Varela 1991, Clark 2000, Thompson 2007 u.a.)  Bewusstsein ist verkörpert in der senso-motorischen Aktivität des Organismus in seiner Umwelt („embodied, embedded, enactive“)  Verknüpfung von Wahrnehmung und Bewegung Die erlebte Welt entsteht im Dialog zwischen der Aktivität des Lebewesens und den Antworten seiner Umgebung. 8

46 Gegenargument: Ist die Verkörperung nicht nur eine Illusion?
Argument der Phantomglieder, Rubberhand-Illusion, Out-of-Body-Experiences, u.a. „Ihr eigener Körper ist ein Phantom (…), das Ihr Gehirn aus rein praktischen Gründen vorübergehend konstruiert hat“ (Ramachandran u. Blakeslee 2001). Der subjektive Körper ist „... nichts als eine Hülle, die Sie vorübergehend erschaffen, um Ihre Gene erfolgreich an Ihre Nachkommenschaft weiterzugeben“ (ebd., 119). 8

47 Gummihand-Illusion 8

48 Koextension von Leib und Körper
Räumliche Übereinstimmung oder Syntopie von Leiblichem und Körperlichem Projektion? Die früher noch üblichen Projektionskonzepte sind in den kognitiven Neurowissenschaften weitgehend zugunsten eines einheitlichen virtuell-phänomenalen Raums, eines „Phenospace“ aufgegeben worden. 8

49 Koextension von Leib und Körper
Intersubjektive Situation, z.B. Arztbesuch Intersubjektive Syntopie: Beide sehen den gleichen Fuß, der schmerzt und verletzt ist. Der von beiden Personen übereinstimmend gemeinte Körper kann kein subjektives Scheingebilde mehr sein. Er befindet sich im gemeinsamen, intersubjektiven und insofern objektiven Raum. 8

50 Koextension von Leib und Körper
Ließe sich Wahrnehmung restlos als ein physikalischer Prozess beschreiben, der sich jeweils zwischen einem Gegenstand und einem Gehirn abspielt, dann könnten zwei Menschen nicht gemeinsam ein- und denselben Gegenstand betrachten. Sehend befinden wir uns immer schon in einem gemeinsamen Raum mit anderen. 8

51 Koextension von Leib und Körper
Evolutionär gesehen war der ganze Körper ursprünglich ein Sinnes- und Fühlorgan. Die elementare Sensibilität beginnt an der Peripherie des Körpers. Das leibliche Bewusstsein stellt das „Integral“ über dem lebendigen Organismus insgesamt dar, nicht ein im Gehirn produziertes Phantom. 8

52 Koextension von Leib und Körper
Eine bloße „zentrale Verrechnung“ im Gehirn könnte niemals leisten, was die unmittelbare Präsenz des Subjekts in seiner Hand ermöglicht, nämlich die Verknüpfung von Wahrnehmung, Bewegung und Objekten in einem gemeinsamen Raum: „Mein Leib ist da, wo er etwas zu tun hat“ (Merleau-Ponty 1966). Flexibilität der Koextension bzw. der Ausdehnung des subjektiven Leibes 8

53 Koextension von Leib und Körper
Wo ist nun der Schmerz, wenn mir der Fuß wehtut? „Der gesunde Menschenverstand sagt uns, dass unsere Schmerzen sich im physikalischen Raum innerhalb unseres Körpers befinden (...) Doch wissen wir nun, dass dies falsch ist. Das Hirn bildet ein Körperbild, und Schmerzen – wie alle körperlichen Empfindungen – gehören zum Körperbild. Der Schmerz-im-Fuß ist buchstäblich im physikalischen Raum des Hirns“ (John Searle 1993) 8

54 Koextension von Leib und Körper
Wo ist nun der Schmerz, wenn mir der Fuß wehtut? Er ist im „Fuß-als-Teil-des-lebendigen-Körpers“, denn dieser einheitliche lebendige Körper bringt – wesentlich vermittels des Gehirns – auch eine leibliche, räumlich ausgedehnte Subjektivität hervor. → Der subjektive Leibraum und der objektive Raum meines Körpers kommen syntopisch zur Deckung. 8

55 Koextension von Leib und Körper
„Ich würde mich also an der gemeinen Erfahrung halten und vorläufig sagen: wo ich empfinde, da bin ich. Ich bin ebenso unmittelbar in der Fingerspitze wie in dem Kopfe. Ich fühle den schmerzhaften Eindruck nicht an einer Gehirnnerve, wenn mich ein Leichdorn peinigt, sondern am Ende meiner Zehen. Keine Erfahrung lehrt mich, (...) mein unteilbares Ich in ein mikroskopisch kleines Plätzchen im Gehirn zu versperren, um von da aus den Hebezug meiner Körpermaschine in Bewegung zu setzen, oder dadurch selbst getroffen zu werden (...) Meine Seele ist ganz im gan-zen Körper und in jedem seiner Teile.“ (Kant 1766) 8

56 Koextension von Leib und Körper
Descartes wandte dagegen ein, der Körper sei im Prinzip eine Gliedermaschine und daher teilbar wie ein Leichnam, während die Seele schließlich ein unteilbares Ganzes darstelle. Jedoch: Der lebendige Organismus selbst stellt ein Funktionsganzes dar, das als solches unteilbar und gleichwohl im physikalischen Raum ausgedehnt ist – in Parallele zum subjektiven Leib und dessen unteilbarer Ausdehnung. 8

57 Koextension von Leib und Körper
Wir sind keine abgeschlossenen Monaden mehr, denen ein Bild der Welt vorgespiegelt wird, sondern wir bewohnen unseren Leib und durch ihn die Welt. Die Phänomenologie kann damit unsere primäre Erfahrung wieder in ihr Recht setzen, als inkarnierte Wesen in der Welt zu sein 8

58 Zusammenfassung 8


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