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Polyphrenie - ein systemisches Verständnis psychischer Systeme – - Version Mai 2011 - Dr. Kurt Ludewig © Münster.

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Präsentation zum Thema: "Polyphrenie - ein systemisches Verständnis psychischer Systeme – - Version Mai 2011 - Dr. Kurt Ludewig © Münster."—  Präsentation transkript:

1 Polyphrenie - ein systemisches Verständnis psychischer Systeme – - Version Mai 2011 -
Dr. Kurt Ludewig © Münster

2 Literaturhinweise Ludewig, K. (2005), Kap. 3 „Entwurf eines Menschenbilds“. In: ders., Einführung in die theoretischen Grundlagen der systemischen Therapie. Heidelberg (Carl-Auer-Systeme) Ludewig, K. (im Druck, vorauss. 2011), Zum Menschenbild der Systemischen Therapie. Über polysystemische Biologie, Polyphrenie und vielfältige Mitglieder. In: Petzold, H. (Hrsg.), Die Menschenbilder in der Psychologie und Psychotherapie. Wien (Klammer). Ludewig, K. (2011, im Druck). Psychische Systeme….. Familiendynamik. Weitere spezielle Arbeiten finden sich in den Literaturhinweisen beider genannter Aufsätze. May 2011 Dr. K. Ludewig

3 Übersicht Ausgangspunkt: einige bemerkenswerte Gedanken aus der Wissenschaft Psychische Systeme: - Definition - Interaktionelle und psychische Systeme Polyphrenie: - Entwicklung und Bedeutung des Konzepts (Thesen) - Folgerungen - „Problem-Ich“- Relevanz für Psychopathologie Relevanz für die Praxis (Systemische Therapie) May 2011 Dr. K. Ludewig

4 Vorwort Systemisch bezeichnet hier eine Option des Denkens, die auf folgenden drei Voraussetzungen beruht: Erkenntnistheoretisch, dass Objektivität schon aus neuro-biologischen Gründen nicht erreichbar ist. Ontologisch, dass Realität durch Unterscheidungen von Beobachtern entsteht (Unterscheidungen in-Sprache) z.B. Figur/Hintergrund, System/Umwelt; Systemtheoretisch, dass Systeme durch Vernetzung von Differenzen zu größeren Komplexen und Kohärenzen entstehen (Systemtheorie). May 2011 Dr. K. Ludewig

5 Polyphrenie? Polyphrenie kommt vom Altgriechischem und bedeutet: polys (= viele, multiple), phren (alt: „Zwerchfell“ = Sitz der Seele; süäter: Geist, Intellekt, Seele). Hier wird es bedeuten  vielfältiger Geist May 2011 Dr. K. Ludewig

6 Ausgangspunkt Westliches wissenschaftliches Denken hat traditionell ein essenzielles oder elementäresVerständnis der Welt angestrebt (die Wahrheit, die Natur, die Umwelt), im Hinblick auf die Menschen (das Selbst, die Persönlichkeit, die Identität). Die zeitgenössische Wissenschaft warnt uns aber, dass diese essenziellen Elemente Trugschlüsse des Beobachtens sein könnten; sie entstehen vermutlich auf Grund unserer starken Bedürfnisse nach Klarheit und Gewissheit. In systemisch-konstruktivistischer Perspektive findet ein Wechsel von einem Streben nach uni-versellen Einheiten zu einem Befassen mit Multiplizität oder „Multi-versa“. Im Folgenden wird diese Perspektive auf die Phänomenologie der intrapsychischen Prozesse angewendet und geprüft, ob diese Option hilfreich für die Psychotherapie sein könnte. May 2011 Dr. K. Ludewig

7 Im Einklag mit systemischen Denken sei hier behauptet:
Es gibt keine zwingende Notwendigkeit, irgend ein Verständnis als einzig gültig zu erachten. Beobachten bringt verschiedene Phänomene hervor und nicht nur verschiedene Versionen des gleichen Phänomens. Dies gilt auch für den Bereich des Menschlichen. Eine Wissenschaft des Humanen, die nach objektiver Wesentlichkeit strebt, reduziert sich auf eine ontologisierende, uniformierende und „einfrierende“ Art des Beobachtens, die unvermeidlich ein statisches, vielleicht ‚reliables‘, jedoch ver- mutlich nicht ganz ‚valides‘ Verständnis des Humanen erbringt.  Solch ein Ansatz kann aber von Alternativen ersetzt werden. Die folgenden Annahmen stellen einen solchen Wechsel dar! May 2011 Dr. K. Ludewig

8 Vorworte Vorweg einige bemerkenswerte Gedanken aus verschiedenen wissenschaftlichen Disziplinen May 2011 Dr. K. Ludewig

9 - Aus der Gründerzeit der Psychologie -
Nachdenkenswerte Gedanken zum «Selbst» - Aus der Gründerzeit der Psychologie - Ein Begründer der empirischen Psychologie, William James, schrieb 1892: Das Selbstbewusstsein setzt einen Bewusstseinsstrom voraus. In diesem erinnert sich jeder Teil als „Ich“ an die Teile, die vorausgingen,… Dieses Mich ist ein empirisches Aggregat aus objektiv erfassten Dingen. Das Ich, welches erfasst, kann nicht selbst ein Aggregat sein; aber es braucht für psychologische Zwecke auch nicht eine unveränderliche metaphysische Wesenheit wie die Seele, oder ein der Zeit entrücktes Prinzip, wie das transzendentale Ich zu sein. Es ist ein Bewusstseinsvorgang, in jedem Augenblick verschieden von dem, der im vorhergegangenen Augenblick war, aber diesen letzteren zu sich in Zugehörigkeitsbeziehung bringend, samt alledem, was dieser selbst als zu ihm gehörig erfasste. Aus: William James, Psychology, New York 1892, dtsch. Psychologie, Leipzig 1909!!! May 2011 Dr. K. Ludewig

10 Nachdenkenswerte Gedanken zum «Ich»
Die Kognitionswissenschaftler Francisco Varela et. al. berichteten 1991: „Wir traten also mitten ins Auge des Wirbelsturms der Erfahrung ein, konnten dort aber kein Selbst, kein «Ich» entdecken“ (S.117) „Die Kognitionswissenschaft belehrt uns, dass wir kein wirkendes oder freies SELBST besitzen“ (S. 183) „… die Kognition (kann) als emergentes Phänomen selbst-organisierter, verteilter Netzwerke untersucht werden“ (S. 175) Fazit: Der menschliche Geist ist nicht als einheitliche, homogene Entität aufzufassen, sondern als uneinheitliche, heterogene Kollektion von Netzwerkprozessen. Aus: Varela, F.J., E. Thompson (1991), The Embodied Mind. Cambridge, Mass. (M.I.T. Press). Dtsch. (1992), Der mittlere Weg der Erkenntnis. Bern (Scherz). May 2011 Dr. K. Ludewig

11 Nachdenkenswerte Gedanken zum «Ich»
Der Hirnforsher u. Philosoph Gerhard Roth fasst 2001 zusammen: „… das Ich (stellt) ein Bündel unterschiedlicher Zustände dar. Diese sind u.a. das Körper-Ich, das Verortungs-Ich, das perspektivische Ich, das Ich als Erlebnis-Subjekt, das Autorenschafts- und Kontroll-Ich, das autobio-grafische Ich, das selbst-reflexive Ich und das ethische Ich oder Gewissen“. „Diese… Ich-Zustände lassen sich… unterschiedlichen, wenngleich über-lappenden Netzwerken corticaler und subcorticaler Zentren zuordnen“. „Wir erleben diese vielen „Iche“ in der Regel als ein einheitliches Ich“. „Diese … entstehenden verschiedenen Iche (binden) sich aktuell in ver-schiedener Weise zusammen und (konstituieren) den Strom der Ich-Empfindungen“. „Wie dieses Zusammenbinden zustande kommt, ist… rätselhaft“ In: G. Roth (2001), Fühlen, Denken, Handeln. Frankfurt (Suhrkamp), S. 325ff. May 2011 Dr. K. Ludewig

12 Nachdenkenswerte Gedanken zum «Ich»
Der Soziologe und Luhmanns Schüler Peter Fuchs fügt 2005 hinzu: „... wurde die Psyche als „Unjekt“ augefasst... mithin als (eines der) Sinnsysteme, die keinen Raum besetzen, keine Wesenseigenheit haben, nicht Substanzen oder Substrate sind, sondern differentiell erzeugte und in Gang gehaltene Sinngehege... Das hieße aber auch, dass die Psyche nicht eine Realität... ist, sondern: System... nämlich als Differenz.“ „Psychologie und Soziologie... (haben) einen gemeinsamen transklassischen „Gegenstand“, nämlich die konditionierte Koproduktion von psychischen und sozialen Systemen.“ „... Psychisches und Soziales... als verschiedene Ausdrücke eines Beobachters für einen Ko-Fundierungsprozess“ Aus: P. Fuchs (2005), Die Psyche. Weilerswist (Velbrück), S. 141ff. May 2011 Dr. K. Ludewig

13 Nachdenkenswerte Entwicklungen in der Sozialpsychologie
Kenneth Gergen schlug ein Verständnis vor, das den Individualimus des sog. Modernismus zu überwinden versucht, indem Beziehung auf die Basis des Menschseins setzt. Diese Position wird genannt „sozialer Konstruktionismus“. Wegen der Vielfalt von Beziehungen das Selbst wird von einer großen Menge an Inputs gefüllt; dies führt zu einer Multiphrenie als Reaktion auf die vielen internalisierten Interaktionen mit vielen verschiedenen Personen. In Deutschland gab es in den ausgehenden 1980er Jahren Vorstöße dazu, Multiplizität als den normalen Zustand von Individuen zu betrachten, z.B. Bildens multiple Identität, Keupps patchwork Identität. May 2011 Dr. K. Ludewig

14 Multiplizität in der Psychotherapie?
Das Konzept der Multiplizität ist teilweise von der Hypnotherapie und der systemischen Therapie übernommen worden. Sie benutzen Metaphern wie die „innere Familie“ und das „innere Team“ in der systemischen Therapie und die ,ego-state therapy‘ in der Hypnotherapie. Das zugrunde gelegte theoretische Konstrukt könnte als eine „Anteilspsychologie“ aufgefasst werden, welche die Psyche als aus verschiedenen irgend wie voneinander unabhängigen Teilen zusammengesetzt versteht. Diese Teile werden durch eine übergeordnete organisierende Struktur zusammen gebunden: das ‚Ich‘, ein ‚Supra-Ego‘ oder ein tatsächliches ‚Selbst‘.  Multiplizität wird in einem strukturalistischen Rahmen konzeptualisiert. May 2011 Dr. K. Ludewig

15 Ein bedeutsamer Unterschied:
Struktur oder Prozess? Unter Berücksichtigung des eben Erwähnten the Frage, um dies es geht, ist also, sich einer strukturalistischen Anteils- psychologie anzuschließen (etwa ego-states) oder die psychischen Aktivitäten systemisch kohärent als sich andauernd verändernde Prozesse – psychische Systeme – ohne räumliche Existenz. Das Folgende optiert zunächst für Letzteres! May 2011 Dr. K. Ludewig

16 Soziale und psychische Systeme
May 2011 Dr. K. Ludewig

17 < nach N. Luhmann 1984 >
Systeme < nach N. Luhmann 1984 > May 2011 Dr. K. Ludewig

18 Interaktionelle Systeme
– das Mitglied-Konzept - Der deutsche Soziologe Niklas Luhmann versteht soziale Systeme als bestehend aus Kommunikationen. Die beteiligten Individuen sind notwendige Elemente ihrer Umwelt, sie gehören aber nicht zum sozialen System. Diese sehr abstrakte Definition, die sich auf Makrosoziologisches bezieht, ist weniger nützlich im Bereich der Interaktionen, z.B. der Psychotherapie. Um dieses Verständnis der sozialen Systeme auf die Besonderheiten der Psychotherapie, in der die Beteiligten relevant sind, anzupassen, führte ich das Konzept des „Mitglieds“ ein, um die Elemente interaktioneller Systeme zu bezeichnen. May 2011 Dr. K. Ludewig

19 Ein Modell für die klinische Theorie
Interaktionssysteme nach K. Ludewig 1992 Ein Modell für die klinische Theorie Problem: Bestimmung der Elemente, Relationen und der Grenze Lösungen: Elemente = Mitglieder <Soziale Operatoren bzw. Funktionseinheiten> Relationen = Anschlüsse <durch Kommunikationen> Grenze = Sinngrenze <Sinnkontinuität in der Zeitdimension> May 2011 Dr. K. Ludewig

20 Das Mitglied-Konzept: Vorteile für die klinische Theorie
Das Mitglied-Konzept erlaubt gegenüber dem Luhmannschen Kommunika-tionsbegriff: einen systemisch korrekten Rückbezug der Kommunikationen auf die an einer Interaktion Beteiligten Unterscheidung von Mensch (bio-psycho-soziale Einheit), Rolle (Pro-gramm zur Ausführung von Mitgliedschaften) und Mitglied (aktuell interagierender sozialer Operator) Konzeptualisierung des Therapieziels als „Ersetzen problemerhaltender psychischer Systeme“ (Einzel-Th.) bzw. „Auflösung der Mitgliedschaft im Problemsystem“ (System-Th.). Orientiert die Praxis durch eine allgemeine, im voraus bestimmbare Definition der „Therapeutenrolle“ (z.B Leitsätze bzw. -fragen) wobei: Mensch ≠ Therapeut als Rolle ≠ Therapeut als Mitglied May 2011 Dr. K. Ludewig

21 - systemtheoretische Definition -
Psychische Systeme - systemtheoretische Definition - Systeme sind durch ihre Elemente, Relationen und Grenze definiert. Psychische Systeme stellen temporalisierte Prozesse dar, die körperliche Aktivitäten/Veränderungen (Kognitionen, Emotionen, Handlungen) zu Bewusstsein verarbeiten. Sie entstehen im Zusammenhang mit tatsächlicher sozialer Interaktion oder als Reaktion auf innere Aktivitäten. Für psychische Systeme gilt: Elemente := kognitiv-affektive Einheiten des Bewusstseins Relationen := Anschlussbildung Grenze := Sinngrenze May 2011 Dr. K. Ludewig

22 Psychische Systeme I - Thesen - Psychische Systeme
sind als unbeständige, nicht beobachtbare kognitiv-emotionale Kohärenzen nur in Selbstreflexion und Kommunikation rekonstruierbar, beziehen sich implizit oder explizit auf eine Relation zu einem speziellen oder generalisierten Anderen (=> interpersonelles psychisches System) oder zu einer Relation zu einem sachlichen Objekt der Beobachterwelt (=> sachbezogenes psychisches System), müssen als temporalisierte Prozesse immer neu als Reaktion auf innere oder äußere Ansprüche produziert und reproduziert werden, um fort- bestehen zu können.  Interpersonelle psychische Systeme bilden das intrapsychische Gegen- stück zu den Mitgliedschaften eines Individuums in interaktionellen Systemen. May 2011 Dr. K. Ludewig

23 Psychische Systeme II - Zwei ICH-Formen -
These: Jeder Mensch verkörpert zu jedem interpersonellen Moment eine Mitgliedschaft und ein psychisches System. Da jede dieser Operationalitäten als Ganzes wirkt, kann ihnen jeweils ein ICH (oder Selbst) zugeordnet werden (=> aktuelles oder operatives ICH). Ich bin es, der hier vorliest, obwohl ich vor wenigen Minuten ein ganz anderer war, der anderes tat. “ICH” als Bezeichnung für einen Menschen (=> personales ICH) ist ein Narrativ, das aus einer jeweils aktuellen, entweder im Bewusstsein (psychisches System) oder in Kommunikation (Mitgliedschaft) erbrachten Synthese.  Ich ‘bin’ Kurt Ludewig unabhängig von dem, was ich gerade tue. May 2011 Dr. K. Ludewig

24 Psychische Systeme III - Identität/Persönlichkeit -
Alle Operationalitäten eines Individuums treffen in seiner organi-schen Struktur zusammen. Menschen sind an dieser Struktur identifizierbar. Die individuelle Identität resultiert aus einer selektiven Rekon-struktion von Mitgliedschaften im biografischen Ablauf. Zeitlich überdauernde, „standardisierte“ ICH-Beschreibungen konstituieren die sog. Persönlichkeit eines Menschen. Auf die Frage: wer bist Du? wird jeweils von einem operativen ICH in Abhängigkeit davon geantwortet, wie der Interaktionskontext der Befragung wahrge-nommen und bewertet wird. Dabei kann auf aktuelle oder personale Aspekte bzw. auf standardisierte Vorlagen zurückgegriffen werden. May 2011 Dr. K. Ludewig

25 Polyphrenie ist Normalität!
Psychische Systeme IV - Schlussfolgerung - Jeder Mensch verkörpert im Verlauf seines Lebens eine große Zahl vergehender psychischer Systeme. Einige davon hinterlassen Spuren und können reaktiviert werden, andere vergehen gänzlich. Polyphrenie ist Normalität! May 2011 Dr. K. Ludewig

26 Modelle der Entwicklung psychischer Systeme
Das Selbst eines Kindes wächst zu einem einheit-lichen erwach-senen Selbst Vielfalt von vergehenden, von einem Individuum verkörperten Selbsten Zeit May 2011 Dr. K. Ludewig

27 Entwicklung relationaler Kohärenzen
- Psychische Systeme und Mitgliedschaften - ⇆ KINDMUTTER ⇆ MUTTERKIND KINDMUTTER RELATIONALE MITGLIED MITGLIED IDENTITÄTEN INTERAKTIONSSYSTEM ⇆ MUTTERKIND ⇆ KINDMUTTER MUTTERKIND May 2011 Dr. K. Ludewig

28 ICH, DU, WIR Der Mensch beginnt mindestens zu zweit !
– das systemische Prinzip - Als ein personales ICH entstehen zu können, bedarf es einer faktischen oder abstrahierten Relation zu einem anderen ICH, also einem DU, um überhaupt im WIR emergieren zu können. Der Mensch beginnt mindestens zu zweit ! ∆ ICH/DU ⇆ WIR ⇆ ICHDU ⇆ DUICH May 2011 Dr. K. Ludewig

29 Elemente für ein umfassendes systemisches Verständnis der menschlichen Psyche
May 2011 Dr. K. Ludewig

30 Überwinden eines hinderlichen Dualismus
These: Der traditionelle Dualismus von Struktur und Prozess liegt nicht in der Welt; er resultiert von der Perspektive und dem Ziel eines Beobachtens. Dieser Dualismus erweist sich als unnötig, wenn er dialektisch umbedacht wird: May 2011 Dr. K. Ludewig

31 Folgerung I – unterschiedliche Phänomene
Abhängig davon, wie ein Individuum beobachtet wird, z.B. ob als einfache oder komplexe Einheit entstehen unterschiedliche Phänomene: - biologisch als Individuum mit spezifischen Eigenschaften oder als polysystemisch konstituiertes Lebewesen (Nervensystem, Immunsystem, endokrines System usw.); - psychisch als ganze Person oder Persönlichkeit oder als unbeständiges immer veränderliches polyphrenisches Netz- werk der Produktion und Reproduktion von vernetzten kognitiv- emotionalen Prozessen (psychischen Systemen), welche zu einem bestimmten Moment als kohärente „Selbste“ erscheinen; sozial als “persona“ (Maske) oder als unterscheidbare soziale Operatoren oder Mitglieder eines sozialen Systems. May 2011 Dr. K. Ludewig

32 Folgerung II - Intersystemisches Wechselspiel
Biologische Systeme sind unentbehrlich für die Emergenz eines „ICH“ und so auch für eine „ICH/DU-Matrix“. Die sozialen Operationen eines Mitglieds erfordern die Aktivierung psychischer Funktionen. Während dieses Prozesses Kohärenzen– psychische Systeme – entstehen, die auf die Erfordernisse der aktuellen Mitgliedschaft reagieren. Diese psychische Systeme sind körperlich verbunden und können daher die Möglichkeit für die Erfahrung von Identität erzeugen. Das zu jedem Moment stattfindende aktive Wechselspiel zwischen polysystemische Körperlichkeit, psychische Polyphrenie und soziale Mitgliedschaft konstituiert zu jeder Zeit die aktuelle Seinsweise einer Person. May 2011 Dr. K. Ludewig

33 Not one, not two, but one and two
Folgerung III – „sowohl/als auch“ Menschen verkörpern zu jeder Zeit unterschiedliche, temporalisierte, unaufhörlich veränderliche, nur teilweise strukturelle gekoppelte biologische, psychische und soziale Prozesse, und, sie erscheinen einem Beobachter zu gleicher Zeit als konstante, unveränderliche und erkennbare Entitäten. Not one, not two, but one and two (Francisco Varela) May 2011 Dr. K. Ludewig

34 - systemische Therapie -
Praxisrelevanz - systemische Therapie - May 2011 Dr. K. Ludewig

35 - Individuelle und interaktionelle Probleme -
„Probleme“ I - Individuelle und interaktionelle Probleme - Interaktionelle Probleme. Systemische Therapie verwendet das Konzept des problem-determinierten Systems oder Problem- systems, um interaktionelle Systeme zu bezeichnen, die ein Problem produzieren und reproduzieren. Individuellle Probleme. Mit Bezug auf Individuen bietet sich an, das Konzept des „Problem-Ichs“ einzuführen, d.h. des psych- ischen Systems, das ein individuelles Problem reproduziert. Ein „Problem-Ich“ unterscheidet sich nicht strukturell von anderen psychischen Systemen: Es emergiert, es erhält sich, und es löst sich auf wie jedes andere psychische System. Das Art und Weise wie Problemsysteme entstehen und sich ver- ändern ist auch auf individuelle bzw. „Problem-Iche“ anwendbar. May 2011 Dr. K. Ludewig

36 - Emergenz und Veränderung -
„Problems“ II - Emergenz und Veränderung - These: Menschliche Probleme folgen der „Logik“ einer konservativen emotionalen Dynamik: Angesichts von Ungewissheit gilt es, lieber auszuhalten als eine Veränderung zu riskieren, die alles noch verschlim-mern könnte („Lieber ein Spatz in der Hand als eine Taube…”). Die notwendigen Veränderungen werden als riskant erlebt; sie erfordern daher ein Wagnis. Also: Psychotherapie soll Bedingungen schaffen, die ein Wagnis begünstigen und so auch einen Wechsel der Präferenzen ( mehr-vom-anderen). May 2011 Dr. K. Ludewig

37 „Klinisch“ relevante Probleme
Individuelles Problem : Problem-Ich (Psychisches System) Interaktionelles Problem : Problemsystem (Interaktionelles System) May 2011 Dr. K. Ludewig

38 „Klinisch“ relevante „Probleme“ :
- Individuelle Lebensprobleme - „Klinisch“ relevante Lebensprobleme sind individuelle Erlebens- und Verhaltensmuster (= psychische Systeme), die, obwohl sie als leidvoll erlebt, dennoch andauernd reproduziert werden. These: Sie folgen einer Vermeidungsstrategie und führen zu einer zwingenden Wiederholungs-struktur (sog. „Wiederholungszwang“) May 2011 Dr. K. Ludewig

39 „Klinisch“ relevante „Probleme“ II
- Kommunikative Problemsysteme - „Klinisch“ relevante Problemsysteme sind soziale Systeme, deren Kommunikation das Verhalten und/oder die Seinsweise eines Menschen negativ wertet (= veränderungsbedürftig). Bedingungen: 1) Die Wertung wird vom Betroffenen als negativ "verstanden", und 2) dies löst Leiden aus. These: Sie tragen gemeinsam eine Vermeidungsstrategie, die eine zwingend wirkende Wiederholungsstruktur reproduziert (=> problem-determinierte Kommunikation oder „Problemsystem“) Juni 2011 Dr. K. Ludewig

40 Veränderungsziele Individualtherapie zielt auf die Auflösung psychischer Systeme (psychische Probleme) Systemtherapie zielt auf die Auflösung interaktioneller Systeme (Problemsysteme) Dabei heißt „Auflösung“ := Beendigung der Prozesse, die intrapsychisch oder interaktionell ein Problem reproduzieren. May 2011 Dr. K. Ludewig

41 Sie fördert Vertrauen durch eine stabile therapeutische Beziehung
Veränderungskonzept Systemische Therapie versteht sich als Beitrag zur Herstellung eines für die Selbstveränderung günstigen Rahmens. Sie fördert Vertrauen durch eine stabile therapeutische Beziehung und regt einen Wechsel der Präferenzen an. Sie versteht sich nicht als kausales Verändern. May 2011 Dr. K. Ludewig

42 Veränderung individueller Probleme
These: Individuelle Probleme werden produziert/reproduziert von spezialisierten psychischen Systemen mit starker Emotionalität. Sie hören häufig von selbst auf. Klinisch relevante individuelle Probleme, die zur Therapie gelangen, können durch alternative psychische Systeme ersetzt werden, die attraktiv genug sind, um vor dem Problem vorgezogen zu werden. Diese alternative Systeme - Denk-/Fühlmuster - müssen entweder neu erzeugt oder aus den polyphrenischen Möglichkeiten der Person reaktiviert werden. Das „Problem-Ich“ kann sich dann in den Hinter-grund verziehen und dabei „vergessen“ bzw. sonst ineffektiv werden. Aber: Das heißt nicht, das solche psychische Probleme nicht wieder reaktiviet werden könnten (= Die Amygdala vergisst nie!) May 2011 Dr. K. Ludewig

43 Klinische Anwendung So weit mir bekannt, gibt es noch keine praktischen Konzepte für den Umgang mit dem hier vorgelegten Verständnis des psychischen Systems. Einige frühere Techniken wie Familientherapie mit der inneren Familie (Schwartz 2000) Debatten des inneren Parlaments (Schmidt 1997) das innere Team (Schulz-von Thun) usw. basieren auf Konzepten einer „Anteilspsychologie“, die das Selbst als eine aufteilbare, aus Substrukturen bestehende Struktur auffasst – Sub- selbst, Teilselbst, Persönlichkeitsanteile usw. Obwohl diese Techniken in einem anderen theoretischen Rahmen ent-standen, haben sie sich in der Praxis als hilfreich erwiesen (Teilearbeit). Sie könnten daher im hier vorgelegten Rahmen verwendet werden, bis adäquatere entstehen. May 2011 Dr. K. Ludewig

44 - Externalisieren / Personalisieren -
Techniken: - Externalisieren / Personalisieren - Externalisieren Das „Problem“ wird im systemischen Kontext zu einem Objekt oder Wesen erklärt, welches nicht den Beteiligten eigen ist, sondern zu ihnen extern ist Personalisieren Das problemtragende psychische System wird zu einer Person erklärt, das zwar zum polyphrenen Bestand des betreffenden Menschen gehört, aber unberechtigt ist, eine oder gar die Hauptperson zu sein. May 2011 Dr. K. Ludewig

45 Fazit: Menschen können von einer operativen Perspektive betrachtet werden als unbeständiges, einmaliges Ergebnis multipler und simultan operierender Systeme und/oder von einer synthetischen Perspektive als ein beständiges, aus einzelnen Systemtypen (Körper, Psyche, Interaktion) bestehendes Ganzes. Systemisches Denken ermöglichst ein variables Einstellen des Beobachtungsfokus in Abhängigkeit von den jeweiligen Erfordernissen. Die unterschiedlichen Perspektiven erbringen zwar unterschiedliche, jedoch gültige Phänomene – so lange sie sich als nützlich oder sonst wie berechtigt erweisen. May 2011 Dr. K. Ludewig

46 Ende May 2011 Dr. K. Ludewig


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