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Universität Heidelberg

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Präsentation zum Thema: "Universität Heidelberg"—  Präsentation transkript:

1 Universität Heidelberg
Leiblichkeit und Intersubjektivität. Phänomenologie und Psychopathologie Sommersemester 2016 Universität Heidelberg Thomas Fuchs

2 Der interpersonale Raum
"Solange der Mensch, in seinem ersten physischen Zustande, die Sinnenwelt bloß leidend in sich aufnimmt, bloß empfindet, ist er auch noch völlig Eins mit derselben, und eben weil er selbst bloß Welt ist, so ist für ihn noch keine Welt. Erst, wenn er in seinem ästhetischen Stande sie außer sich stellt oder betrachtet, sondert sich seine Persönlichkeit von ihr ab, und es erscheint ihm eine Welt, weil er aufgehört hat, mit derselben Eins auszumachen." Schiller, Über die ästhetische Erziehung des Menschen 8

3 Ausgangspunkt: Zentralität des Leibes
Begriff der Perspektivität Leib als „Nullpunkt“ (Husserl) Dingwahrnehmung und „Appräsentation“ 8

4 Ausgangspunkt: Zentralität des Leibes
Absoluter Ort, „Selbst-Mittelpunkt“, „Nullpunkt“ (Husserl) Koppelung von Organismus und Umwelt (J. von Uexküll), „Natürliche Weltanschauung“ (Scheler) Spezifische leibliche Dispositionen des „Zur-Welt-Seins“ Abschattung, Verborgenheit des Leibes selbst 8

5 Exzentrizität als Aufhebung der Zentralität
Helmuth Plessner: „Exzentrische Position“ („Die Stufen des Organischen und der Mensch“, 1928)  „Zentrische Position“ des Tieres Objektivität und Intersubjektivität der Wahrnehmung 8

6 Implizite Intersubjektivität der Wahrnehmung
Plessner (1928): Nur die besondere Sozialität des Menschen, seine „exzentrische Position“, verschafft ihm die von der Realität, „... die sich offenbaren soll, geforderte Distanz, den Spielraum, in welchem al­lein Wirklichkeit zur Erscheinung kommen kann.“ 8

7 Implizite Intersubjektivität der Wahrnehmung
Scheler (1928): Tiere haben nur eine „Umwelt“, aber keine „Welt“. „Das Tier hat keine ‚Gegenstände‘: es lebt in seine Umwelt ekstatisch hinein, die es gleichsam wie eine Schnecke ihr Haus als Struktur überall hinträgt, wohin es geht – es vermag diese Umwelt nicht zum Gegenstand zu machen.“ Plessner (1928): Nur die besondere Sozialität des Menschen, seine „exzentrische Position“, verschafft ihm die von der Realität, „... die sich offenbaren soll, geforderte Distanz, den Spielraum, in welchem al­lein Wirklichkeit zur Erscheinung kommen kann.“ 8

8 Implizite Intersubjektivität der Wahrnehmung
Gerade die Perspektivität der Wahrnehmung enthält den Verweis auf andere Perspektiven. Der Tisch, den ich dort sehe, ist der Ge­genstand, den gleichzeitig an­dere von anderen Seiten sehen könnten. Husserl: „Hori­zont möglicher eigener und fremder Erfahrung“ oder „offene Intersubjektivität“ 8

9 Implizite Intersubjektivität der Wahrnehmung
Alles was wir wahrnehmen und somit wir handelnd umgehen, ist immer auch das potenziell von anderen Wahrnehmbare oder Handhabbare und damit Teil der gemeinsamen Welt. 8

10 Implizite Intersubjektivität der Wahrnehmung
Die menschliche Wahrnehmung ist intersubjektiv konstituiert. Die von mir wahrgenommenen Dinge sind zugleich immer auch für andere grundsätz­lich wahrnehmbar und für eine gemeinsame Praxis verfügbar. Durch die implizite Teilnehmerperspektive („wir“-Per-spektive) erhält meine subjek­tive Wahrnehmung ihre prinzipielle Objektivität. 8

11 Implizite Intersubjektivität der Wahrnehmung
“Ob ich diesen Tisch oder diesen Baum oder dieses Stück Mauer allein oder in Gesellschaft betrachte, immer ist der Andere da als eine Schicht konstituierter Bedeutungen, die dem von mir betrach-teten Gegenstand selbst angehören; kurz, als der wirkliche Bürge seiner Gegenständlichkeit. (….) So erscheint jeder Gegenstand – weit davon entfernt, wie bei Kant durch ein einfaches Verhältnis zum Subjekt konstituiert zu werden – in meiner konkreten Erfah-rung als vielwertig, er ist ursprünglich gegeben als Träger der Sys-teme von Verweisungen auf eine unendliche Vielheit von Bewusst-seinsindividuen; bei dem Tische und bei der Mauer entdeckt sich mir der Andere als das, worauf sich der betrachtete Gegenstand fortwährend beruft, und zwar genauso, wie wenn Peter und Paul konkret in Erscheinung treten.“ (Sartre, Das Sein und das Nichts, 314) 8

12 Interpersonalität und ihre Genese
8

13 Interpersonalität Genese der Exzentrizität und des interpersonalen Raums in der frühen Kindheit Perspektivenübernahme Selbstbewusstsein 8

14 a) Primäre Intersubjektivität (1. Lebensjahr)
Angeborene Fähigkeit zur Ausdrucks- Imitation (Meltzoff & Moore 1989) 8

15 a) Primäre Intersubjektivität
Proto-Konversationen (Trevarthen 1986) Typische Verhaltensformen: melodische „Ammensprache“, expressive Mimik, Augenkontakt, Begrüßungsreaktion, Affektabstimmung, Interaffektivität 8

16 a) Primäre Intersubjektivität
Musikalische Qualitäten („crescendo“, „decrescendo“, fließend, weich, explosiv etc.) "Beide Partner kennen die Schritte und die Musik in- und auswendig und können sich daher im Einklang miteinander bewegen (Stern 1979). 8

17 b) Sekundäre Intersubjektivität (1. – 3. Lebensjahr)
Gemeinsame Aufmerksamkeit („joint attention“) Zeigegesten als Ausdruck gemeinsamer Beziehung auf Objekte S1 S2 S1 S2 O Dyadische Interaktion Triadische Interaktion 8

18 Echnaton, Nofretete und ihre Kinder (1345 v. Chr.)
8

19 Joint Attention Objekt-Triangulierung ermöglicht eine geteilte oder „Wir-Intentionalität“, die sich auch der Wahrnehmung mitteilt. → „Social Referencing“ 8

20 „9-Monats-Revolution“
Zeigen stammt aus unvollständiger Greifbewegung, die von den Erwachsenen als „Bedeutung“ aufgefasst wird Zeigen  Zeichen (indogerm. >deik<, griech. deiknymi, daktylos, lat. dicere, digitus, „digital“) Weitere Gesten (z.B. „nein“, „ja“, ikonisch-darstellende Gesten) als Vorstufen von Sprachgebärden 8

21 Entwicklung der Sprache
Soziale Praxis als Bezugspunkt und Rahmen Verknüpfung von Zeigen und Benennen Stimme als Ablösung des Zeichens von der Bewegung Spracherwerb in interaktiven Situationen, abhängig von der geteilten Bedeutsamkeit 8

22 Verneinung und Perspektivenübernahme
Zunehmende „Selbst-ständigkeit“ im 2. LJ. Verbot und Verneinung Identifikation mit der Verneinung „Negation“ der primären leiblichen Zentralität Das Kind "inkorporiert" die Negativität der Perspektive des Anderen und nimmt damit eine exzentrische Position zu sich selbst ein. Darstellung im Spiel 8

23 Der Blick des Anderen “Fremdenangst” (8. Monat)
Gesehen-werden von anderen – sich mit den Augen der anderen sehen Mirror-rouge Test ( LM) 8

24 Der Blick des Anderen Wahrnehmen des Blicks des Anderen
→ “Ich sehe Dich mich sehen.” Sartre: Umkehrung der leiblichen Zentralität, Dezentralisierung Ursprüngliche Selbstverborgenheit des Leibes → “Entblößung” Entfremdung Intersubjektiver Körper (Sartre: Körper-für-andere, corps pour autrui) 8

25 René Magritte: “La reproduction interdite” (1937) 8

26 Leib, Körper, Spiegelbild
Mein Leib ist für mich nur als abwesender anwesend (präreflexiver Leibe) und als anwesender abwesend (Körper, Spiegelbild). „Je est un autre“ (Rimbaud). 8

27 Entwicklung der Reflexion: Spiegelbild und Entfremdung
8

28 Körper, Spiegel und Scham
reflexives Bewusstsein „selbstreflexive Emotionen“: Scham, Verlegenheit, Stolz oder Schuldgefühl „Sturz aus dem Paradies“: Entfremdung, Verlust der Unbefangenheit „Korporifizierung des Leibes“: Nacktheit, Befangenheit, Scham Heinrich von Kleist: Über das Marionettentheater (1810) 8

29 Ein junger Mann von außergewöhnlicher natürlicher Grazie, so berichtet der Erzähler, habe durch eine bloße Bemerkung, gleichsam vor seinen Augen, seine Unschuld verloren: Nach einem mit dem Erzähler genommenen Bad erblickt sich der Jüngling im Spiegel bei einer Geste, die ihn an eine von ihnen beiden einmal gesehene Plastik erinnert. Er teilt dies dem Erzähler mit, aber der lacht und macht eine spöttische Bemerkung, worauf der junge Mann schamhaft errötet. 8

30 Er wiederholt die Geste daraufhin noch mehrere Male, aber sie mißglückt auf komische Weise. Von diesem Tag an ist der junge Mann nicht mehr, was er war: "Eine unsichtbare und unbegreifliche Gewalt schien sich, wie ein eisernes Netz, um das freie Spiel seiner Gebärden zu legen, und als ein Jahr verflossen war, war keine Spur mehr von der Lieblichkeit in ihm zu entdecken ..." (Kleist 1961). 8

31 Körper, Spiegel und Scham
„natürliche Grazie“ versus „Gemachtheit“ Verfremdung durch gewollte Wiederholung „Rolle“ , „so-tun-als-ob“ Spiegelbild als Manifestation einer Außenseite, die mir selbst nie ganz verfügbar ist Selbstverborgenheit des intersubjektiven Körpers 8

32 Selbstverborgenheit des intersubjektiven Körpers
Luigi Pirandello: „Einer, keiner, hunderttausend“ (1926) 8

33 Luigi Pirandello: „Einer, keiner, hunderttausend“ (1926)
„Während ich in meinen Betrachtungen fortfuhr, überfiel mich eine weitere bedrückende Erkenntnis: ich war, während ich lebte, außerstande, mich in meinen Lebensäußerungen mir selber vorzustellen; mich so zu sehen, wie die anderen mich sahen; mich vor meinen eigenen Körper hinzustellen und ihn leben zu sehen, als wäre er der eines anderen. Wenn ich mich vor einen Spiegel stellte, kam es gleichsam zu einem Stillstand in mir; alle Spontaneität war zu Ende, jede meiner Gesten schien mir künstlich oder gefälscht. Ich konnte mich selber nicht leben sehen.“ 8

34 Luigi Pirandello: „Einer, keiner, hunderttausend“ (1926)
„Weil Sie, wenn Sie sich sehen wollen, einen Augenblick lang das Leben in sich zum Stillstand bringen müssen. Genau wie vor der Kamera. Sie nehmen eine Pose ein. Und eine Pose einnehmen heißt, einen Augenblick lang zur Statue zu werden. Das Leben ist ständige Bewegung, es kann sich selber niemals wirklich sehen (…) Vor dem Spiegel kann man nicht leben.“ . 8

35 Luigi Pirandello: „Einer, keiner, hunderttausend“ (1926)
„Da ich mich nicht leben sehen konnte, blieb ich mir selber fremd, das heißt, ich war einer, den die anderen sehen und kennen konnten; jeder auf seine Art, aber ich nicht.“ „Jeder konnte diesen Körper hernehmen und aus ihm einen Moscarda machen, wie es ihm gerade gefiel oder gut schien, heute so und morgen anders, je nach Umständen und Stimmung.“ „Ich bin dieser fremde Mensch, den ich nicht leben sehen kann, … den nur die anderen sehen und kennen, nur ich nicht.“ 8

36 Luigi Pirandello: „Einer, keiner, hunderttausend“ (1926)
„Da ich mich nicht leben sehen konnte, blieb ich mir selber fremd, das heißt, ich war einer, den die anderen sehen und kennen konnten; jeder auf seine Art, aber ich nicht.“ „Jeder konnte diesen Körper hernehmen und aus ihm einen Moscarda machen, wie es ihm gerade gefiel oder gut schien, heute so und morgen anders, je nach Umständen und Stimmung.“ „Ich bin dieser fremde Mensch, den ich nicht leben sehen kann, … den nur die anderen sehen und kennen, nur ich nicht.“ 8

37 Die Scham Peinlichkeit Lächerlichkeit
Situationen der Exposition und Zurückweisung Peinlichkeit Lächerlichkeit Verfremdung der primären, unbefangenen Leiblichkeit „Wir lachen jedesmal, wenn uns eine andere Person als Sache erscheint“ (Bergson 1921). 8

38 Die Scham Leibliche Empfindungen der Scham Richtungsumkehr
„Zentrum. - Jenes Gefühl: ‘Ich bin der Mittelpunkt der Welt!’ tritt sehr stark auf, wenn man plötzlich von der Schande überfallen wird; man steht dann da wie betäubt inmitten einer Brandung und fühlt sich geblendet wie von einem großen Auge, das von allen Seiten auf uns und durch uns blickt.” (Nietzsche, Morgenröte IV, 352) 8

39 Die Scham Scham als „inkorporierter Blick des Anderen“
im „Brennpunkt“ der fremden Blicke Scham als „inkorporierter Blick des Anderen“ „Reflektiertwerden“ Verworfenheit (G. Seidler) Selbstentwertung 8

40 Die Scham von griech. syneidesis („Mitwissen“, „Bei-sich-Wissen“)
lat. „conscientia“: Verbindung von Befangenheit, Scham, Gewissen und Selbstbewusstsein von griech. syneidesis („Mitwissen“, „Bei-sich-Wissen“) Bedeutung von Bewusstsein erstmals bei Descartes Scham bedeutet „… die Scheidung des Menschen von seinem natürlichen und sinnlichen Seyn“ (Hegel 1817). 8

41 Die Scham Subjekt Scham als grundlegender selbstreflexiver Affekt
Dissozation von erlebendem und sich wahrnehmendem Subjekt Scham als grundlegender selbstreflexiver Affekt Genesiserzählung: Reflexion und Gewissen verknüpft mit der Scham: Erkenntnis als Selbstbewusstheit und als Wissen um Gut und Böse beginnt mit der Erfahrung der Nacktheit und der Scham. 8

42 Die Scham Genesiserzählung: Wissen um die eigene Sterblichkeit als Begrenzung der ursprünglichen Leiblichkeit durch den fremden Blick, vor dem der Leib nun auch seine zeitliche "Ewigkeit" verliert und zum vergänglichen Körper wird. 8

43 Die Schuld Schuld: nicht mehr an Gegenwart der anderen gebunden
Verneinung, Scham: Erleben von Mangel, „Unwert“ Schuld: nicht mehr an Gegenwart der anderen gebunden anhaltendes Gefühl der Verfehlung elementare Scham: „Entblößung“, Exponiertheit; elementare Schuld: „Verworfensein“, „Verstoßung“ 8

44 Die Schuld (Claus Conrad 1958)
"Etwas ist unwiederbringlich anders geworden und kann niemals wieder in den alten Zustand zurückkehren. Zwar scheint die Welt noch die gleiche, der Stuhl, der Tisch, die Bäume und die Wolken sind dieselben, die sie vorher waren. Dennoch ist alles anders: Ihr Bezug zu mir, dem Täter, ist geändert; sie sind unschuldig, unbetroffen von der Schuld. Damit sind sie von mir abgerückt, wenden sich ab, wollen von mir nichts mehr wissen, lassen mich im Stich. Ich falle aus dieser Welt heraus, bin nicht mehr in ihr eingebettet und geborgen. Und zwischen den Menschen, die mir begegnen, und mir hat sich ein Abgrund aufgetan“ 8

45 Die Schuld (Claus Conrad 1958)
"Die Topologie des Feldes im Schulderleben ist also charakterisiert durch die scheidende Kluft zwischen dem Ort, wo der Schuldige steht und demjenigen der anderen" Conrad, Die beginnende Schizophrenie (1958) 8

46 Die Schuld Scham: Gegenwart Schuld: Vergangenheit
„Korporifizierung“: Schuld wirkt lastend, drückend Scham: inkorporierter Blick des Anderen Schuld: inkorporierte Stimme des Anderen 8

47 Die Schuld Gewissen: „Stimme“ – „Verantwortung“ „Innerer Gerichtshof“
Gewissen als „Anklagender Zeuge“ Inkorporation des Dritten (Voraussetzung: interpersonale Triangulierung) 8

48 Die Schuld Gewissen als Selbstverdoppelung
"O Herz, das zu meinem Wesen gehört! Tritt nicht gegen mich als Zeuge auf, bereite mir keinen Widerstand vor den Richtern, widersetze dich mir nicht vor dem Waagemeister. Du bist mein Geist, der in meinem Leibe ist ... Sage keine Lügen gegen mich bei dem Gott.“ Ägyptisches Totenbuch (ca v. Chr.) 8

49 Die Schuld Archaisches, strafendes Gewissen Personales Gewissen 8

50 Exzentrizität und Selbstbewusstheit
Voraussetzungen: Primäres, basales, präreflexives Selbsterleben Zwischenleiblichkeit: Ähnlichkeit und Andersheit der Anderen „joint attention“: Gemeinsame Aufmerksamkeit, „Wir- Intentionalität“ Erlebnisse der „Brechung“, Negation, „Reflexion“ Inkorporation des Blicks des Anderen Internalisierung der Stimme des Anderen 8

51 Exzentrizität und Selbstbewusstheit
Primäres, leibliches oder präreflexives Selbst identifiziert sich mit Blick und Stimme der anderen → reflexives Selbst Reflexive Denkprozesse (Platon: Denken als „das innere Gespräch der Seele mit sich selbst, das ohne Stimme vor sich geht“ [Sophistes]) 8

52 Exzentrizität und Selbstbewusstheit
Selbstbewusstheit als organisierter Niederschlag von Interaktionserfahrung "Das Subjekt ist kein fester Besitz, man muss es unablässig erwerben, um es zu besitzen." (Viktor von Weizsäcker) 8

53 Exzentrizität und Selbstbewusstheit
„ich schäme mich“, „ich freue mich“, „ich entscheide mich“ als Selbstverhältnis oder Verhältnis von Selbst und (M)ich George Herbert Mead (1934): I versus me I: spontanes, unreflektiertes Selbstsein Me: objektiviertes Selbst – ich, wie ich mich als von den anderen widergespiegelt erfahre 8

54 Exzentrizität und Selbstbewusstheit
„Die Haltungen der anderen bilden das organisierte ‚me‘, und man reagiert darauf als ein ‚I‘.“ (Mead, Geist, Identität und Gesellschaft, 1934) Verhältnis von Prozess und Struktur Das Selbst (‚self‘) als die soziale Identität des Individuums bildet sich aus der Wechselwirkung zwischen ‚I‘ und ‚me‘, oder durch die fortwährende Integration von Prozess und Struktur. 8

55 Exzentrizität und Selbstbewusstheit
"Als ich dreijährig war, musste ich erst den Unterschied lernen zwischen Ich und Du. ... Es schien mir schwierig, dass die Mutter mich Du nennen konnte, und ich sie auch. Es dauerte, bis ich es endlich verstand ... Es war in der Küche, und ich kniete auf der Bank. Ich nannte sie 'Ich', denn sie sagte zu sich selber 'ich'. Ich dachte, das wäre ihr Name. Sie drehte sich um und verstand es zunächst nicht. Dann merkte sie, was das Problem war…“ (Leon Wurmser, Die Maske der Scham, 1992) 8

56 Exzentrizität und Selbstbewusstheit
"Sie zeigte mit ihrem Finger auf mich und sagte: 'Du', dann auf sich selber: 'ich'; dann nahm sie meine Hand und zeigte mit meinem Finger auf mich und sagte 'ich', und dann auf sich, und sagte: 'du'. Sie verstand, dass das Konzept von mir aus war, und stellte es mit meiner Hand dar, dass ich es umdrehen musste. Ich kann fast für den Moment ihr Gesicht sehen ...“ (Leon Wurmser, Die Maske der Scham, 1992) 8

57 Exzentrizität und Selbstbewusstheit
Das Personalpronomen ist der sinnfällige Ausdruck der exzentrischen, gedoppelten Position. Ich selbst als Leib zeige (zentrifugal) zurück auf mich als Körper (zentripetal), das heißt auf mich als erscheinenden Leib oder "Körper für andere". Dabei entspricht das leibliche „ich selbst" dem präreflexiven Bewusstsein („Selbst“), das gesprochene "ich" dem reflexiven Selbstbewusstsein oder dem „Ich“ oder „mich". 8

58 Exzentrizität und Selbstbewusstheit
Solange das Kind sich mit dem Eigennamen bezeichnet („Monika spielt Puppen“) , bestehen die zentrifugale, eigenleibliche Richtung und die zentripetale Perspektive der anderen noch nebeneinander. Die Entdeckung des Wortes „ich" bedeutet nun die Synthese dieser beiden Perspektiven. "Ich" sagen heißt, die ursprüngliche Richtung der leiblichen Zentralität im Durchgang durch die Perspektive der anderen zu relativieren und zugleich zu affirmieren. 8

59 Exzentrizität und Selbstbewusstheit
Indem ich meine Zentralität, meine Welt als solche erfasse und im Aussprechen "setze", konstituiert sich unsere, die gemeinsame Welt. In dieser Synthese der zentrifugalen und der zentripetalen Perspektive besteht die Exzentrizität. 8

60 Exzentrizität und Selbstbewusstheit
"Leib-Selbst" und "Ich-Selbst" Die Bewegung der Reflexion läßt sich so ausdrücken: Das Leib-Sein oder Leib-Selbst wird, herausgeworfen aus der ursprünglichen (Zwischen-) Leiblichkeit, zum Ich-Selbst, das seinen Körper hat. 8

61 Exzentrizität und Selbstbewusstheit
→ "Körperbild" (body image) Selbstbild Rollenübernahme, „Rollen-Ich“ Identifikationen Perspektivenübernahme verknüpft mit Rollenübernahme (Mead) Übergang in „zweite Natur“ (vermittels Leibgedächtnis, als Gewohnheit) Allgemeinheit, Wiederholung der Rolle  Individualität des Leib-Selbst 8

62 Exzentrizität und Selbstbewusstheit
Selbstideal Problematik des Narzissmus: Entfremdung vom primären, spontanen Selbst zugunsten des Selbstideals Aufgabe der Integration 8

63 Der interpersonale Raum
"Wie aber ist Selbstbewusstseyn möglich? Dadurch dass ich mich mir selbst entgegensetze, mich von mir selbst trenne, aber ungeachtet dieser Trennung mich im entgegengesetzten als dasselbe erkenne." Friedrich Hölderlin 8

64 Der interpersonale Raum
Der Andere ist mir ähnlich und fremd zugleich - der „Andere meiner selbst“ - so dass ich durch ihn mich selbst erkenne. Die Einheit von Widerhall und Widerstand, von Resonanz und Resistenz des Anderen ist es, die den Menschen zu sich selbst kommen lässt. 8

65 Der interpersonale Raum
Personen sind Wesen, die einander als Zentren einer um ihren Leib zentrierten Welt erkennen, und die gerade durch diese Erkenntnis aus diesem Zentrum heraustreten (R. Spaemann, „Personen“, 1996). Auch wenn wir die Perspektive des Anderen einnehmen können, bleiben wir doch immer von ihm geschieden – in der unaufhebbaren Einsamkeit der Zentralität. 8

66 Der interpersonale Raum
"Ich" sagen heißt die eigene Zentralität im Durchgang durch die Perspektive der Anderen zu relativieren und zu affirmieren, sich als Zentrum nur einer und doch meiner Welt zu begreifen, die nicht in der des Anderen aufgeht. Exzentrizität bedeutet den oszillierenden Wechsel zwischen zentraler und dezentraler Perspektive, die dabei doch als solche bestimmt bleiben und sich wechselseitig relativieren. 8

67 Der interpersonale Raum
Den Anderen als Person zu erkennen, heißt ihn nicht nur als eigenes Zentrum, sondern als seine Zentralität fortwährend transzendierendes Wesen zu begreifen; als ein Wesen, zu dessen primärer leiblicher Inten- tionalität eine reflexiv vermittelte, geistige Intentiona- lität getreten ist. Mit dem Anderen sprechen und ihn verstehen heißt, mit ihm "in die gleiche Richtung blicken" (Spaemann 1996), also seine Intentionen mitvollziehen. 8

68 Der interpersonale Raum
Die Anerkennung der Personalität des Anderen liegt bereits in seinem Namen, der ihn nicht wie andere Worte als Gegenstand, sondern als Zentrum einer Welt bezeichnet. Der interpersonale Raum ist nicht ein Raum, in dem Personen als monadische, abstrakte Subjekte aufeinandertreffen, so als ob es statt mehrerer auch nur eine einzige Person geben könnte. "Ich" und "Du" sind "Wechselworte“ (M. Buber). 8

69 Der interpersonale Raum
"Ein Hier und ein Jetzt gibt es nur für Personen, also Lebewesen, die einerseits ein vitales Zentrum bilden, von dem aus sich eine Perspektive ergibt, die aber andererseits um diese Perspektivität und also um die Relativität dieses Zentrums wissen und deshalb von 'hier' im Unterschied zu 'woanders' und von 'jetzt' im Unterschied zu 'früher' oder 'später' sprechen können." Spaemann 1996, 175 8

70 Der interpersonale Raum
Entwicklung des räumlichen Denkens: Um das 6./7. Lebensjahr wird dem Kind begreiflich, dass ein Anderer von seinem Standort den Raum nicht so sieht wie es selbst; es vermag nun z.B. die Rechts- Links-Unterscheidung von einem äußeren Bezugszentrum aus spiegelbildlich anzuwenden (Paul 1970). Denken in reziproken Beziehungen 8

71 Der interpersonale Raum
Personen können sich identifizieren, indem sie nur "ich" sagen; sie sind „… in der eigentümlichen Lage, sich eindeutig bezeichnen zu können, ohne sich einer Art zuordnen und ... (ihre) Position in der Relation zu der Position anderer bestimmen zu müssen" (Spaemann 1996, 44). Die Einmaligkeit des Ortes der Person besteht daher gerade in der Unverwechselbarkeit der Beziehung zu allen Anderen. 8

72 Der interpersonale Raum
"Sein als Selbstsein heißt: Sein ist wesentlich plural. Es gibt kein Kontinuum vom Wissen des einen zum Wissen des Anderen, so wenig wie vom Schmerz des einen zum Schmerz des Anderen. Aber es gibt das Wissen eines jeden, das dies so ist. Es gibt das Wissen, dass es den Anderen als Anderen gibt. Denn ich weiß, dass ich selbst der Andere des Anderen bin." (Spaemann 1996, 75) 8

73 Der interpersonale Raum
Personalität ist gebunden an leibliche Perspektivität: In der absoluten Räumlichkeit des Leibes sind auch meine intentionalen Akte des Denkens, Urteilens oder Wollens verankert, insofern sie meine sind und nicht die eines weltlosen, solipsistischen Bewusstseins. 8

74 Der interpersonale Raum
Der Leib ist das principium individuationis des personalen Raumes. Personen sind lebendige, leibhaftige Menschen. "Es gibt nicht ein eigenes, vom Menschsein unter- schiedenes Sein von Personen, das zum Beispiel im Denken oder in bestimmten Bewusstseinszuständen bestünde" (Spaemann 1996, 78). 8

75 Der interpersonale Raum
Die Person übergreift daher den Dualismus von Innen und Außen. Ihr seelischer Innenaspekt und ihr körperlicher Außenaspekt bilden keine synthetische Einheit im Sinne eines Zusammenvorkommens zweier Seiender, von denen das eine die Basis darstellt, an der das andere sich als Adnex vorfindet. Im alltäglichen Umgang mit dem Anderen wende ich mich an einen leibhaftigen Menschen, den ich als die Einheit all seiner durch den Leib erscheinenden Äußerungen auffasse. 8

76 Der interpersonale Raum
"Jede soziale Beziehung geht wie ein Abgeleitetes darauf zurück, dass sich der Andere dem Selben ohne Vermittlung eines Bildes oder eines Zeichens präsen- tiert, allein durch den Ausdruck des Antlitzes." (Lévinas, Totalität und Unendlichkeit) 8


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