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Veröffentlicht von:Horst Möller Geändert vor über 8 Jahren
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Chirurgisches Zentrum Klinikum Augsburg Umgang mit Patientenverfügungen nach dem neuen Betreuungsrecht & Ethische Grenzen von Leistungspriorisierungen Univ.-Prof. Dr. med. Dr. phil. Eckhard Nagel KKVD-Mitgliederversammlung Caritas-Akademie Köln-Hohenlind 23. September 2009
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Themen der Gesundheitspolitik Medizinischer Fortschritt Rationierung Geriatrische Einrichtungen Belastbarkeit der Gesellschaft Zwei-Klassen-Medizin
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Zwei Themen aus aktuellem Anlass Am 1.09.2009 trat das Gesetz zur Patientenverfügung in Kraft Jörg-Dietrich Hoppe sprach beim 112. Deutschen Ärztetag in Mainz über Priorisierung
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1. Umgang mit Patientenverfügungen nach dem neuen Betreuungsrecht
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Heilung Hilfe Ärztliche Aufgabe Heilung Hilfe
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Ärztliche Aufgabe „Guérir – quelquefois, soulager – souvent, consoler - toujours“ Ambroise Paré (1510- 1590), ein Begründer der modernen Chirurgie Medizintechnik und ärztlicher Behandlungsauftrag – schon immer ein Widerspruch?
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Ärztliche Aufgabe „Der Arzt befasse sich mit der völligen Beseitigung von Leiden der Kranken, und mit der Linderung der Heftigkeit der Leiden. Aber er wage sich nicht heran an jene, die von der Krankheit schon überwältigt sind.“ (Corpus Hippocraticum, ca. 5 Jh. v. Chr.) Unheilbare Krankheit – Abschied der Ärzte vom Krankenbett?
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Ärztliche Aufgabe Auf das Missverständnis, ein Arzt könne für einen unheilbar Kranken „nichts mehr tun“, reagierten die Deutsche Gesellschaft für Chirurgie 1996 sowie die Bundesärztekammer 1998 und 2004 mit Grundsätzen zur ärztlichen Sterbebegleitung
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Grundsätze ärztlicher Sterbebegleitung Deutsche Ärzteschaft lehnt aktive Sterbehilfe ab Es kann Situationen geben, in denen Maßnahmen zur Lebensverlängerung nicht mehr angebracht sind Das Therapieziel ist dann in Richtung palliativ- medizinische Maßnahmen zu ändern
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Grundsätze ärztlicher Sterbebegleitung Eine unverzichtbare Basisbetreuung vor garantiert das Recht des Einzelnen auf ein menschenwürdiges Dasein Es wird deutlich, dass es Aufgabe des Arztes ist, auch den Unheilbaren und Sterbenden beizustehen durch Zuwendung und Begleitung „therapeuein“ (griech.): pflegen, begleiten, bedienen, behandeln, achtsam anwesend sein; (Kinder) versorgen, (Eltern) ehrfurchtsvoll behandeln
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Arzt-Patient-Beziehung Der Arzt als Begleiter des Patienten Patientenautonomie statt Paternalismus Als „paternalistisch“ wird umgangssprachlich auch eine Handlung bezeichnet, wenn sie gegen den Willen, aber auf das Wohl eines anderen gerichtet ist
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Mutmaßlicher Wille Doch was tun, wenn der Patient entscheidungs-/einwilligungsunfähig (geworden) ist? Es entscheiden –die Indikation –der „mutmaßliche“ Wille des Patienten Die Außenstehenden müssen versuchen, Hinweise für den mutmaßlichen Willen des Patienten zu ermitteln „Alle Entscheidungen müssen dem Willen des Patienten entsprechen.“ Grundsätze der BÄK zur ärztlichen Sterbebegleitung
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Die US-Amerikanerin Terri Schiavo hatte seit 1990 nach einem Herzstillstand im Wachkoma gelegen. Ursache des Herzstillstands war eine extreme Hypokaliämie, ausgelöst durch eine Essstörung. Ihr Ehemann erreichte nach jahrelangem Gerichtsstreit, dass die künstliche Ernährung der 41- jährigen ausgesetzt wurde. Er argumentierte, dass dies der mutmaßliche Wille seiner Frau gewesen sei, die allerdings keine schriftliche Patientenverfügung hinterlassen hatte. Der Fall Schiavo Wer soll des Patienten Stimme sein?
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Schiavos Eltern hatten mit Einsprüchen und Klagen versucht, die Wiederaufnahme der künstlichen Ernährung zu erzwingen. Schiavo „verdurstete“ Ende März 2005. Der Fall Schiavo Wer soll des Patienten Stimme sein?
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Patientenverfügung In einer Patientenverfügung definiert der Erklärende von ihm persönlich gewünschte oder abgelehnte Behandlungsziele und -maßnahmen Patientenverfügungen sind juristisch verbindlich – gemäß einer Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom März 2003 Diese Entscheidung hat die Bedeutung von Patientenverfügungen gestärkt, aber auch viele Fragen offen gelassen…
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Sowohl das Bundesministerium der Justiz als auch die Enquete- Kommission des Bundestages erkannten daher einen gesetzgeberischen Handlungsbedarf Am 18. Juni 2009 wurde ein parteiübergreifender Vorschlag zur Änderung des Betreuungsrechts im Bundestag angenommen – allerdings nicht widerspruchslos Das Gesetz ist am 1. September 2009 in Kraft getreten Patientenverfügung
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§ 1901a Patientenverfügungen (1)Eine Patientenverfügung, in der der Betreute seinen Willen zu Untersuchungen seines Gesundheits- zustandes, Heilbehandlungen oder ärztlichen Eingriffen für den Fall seiner Einwilligungsunfähigkeit geäußert hat, gilt bei Einwilligungsunfähigkeit fort, falls keine konkreten Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass der Betreute die Patientenverfügung widerrufen hat. Problematik: Was sind „konkrete Anhaltspunkte“? Bringen Angehörige an dieser Stelle ggf. ihre eigenen Interessen und Emotionen mit ins Spiel? Änderung des BGB
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§ 1901a Patientenverfügungen (2) Der Betreuer hat den in einer Patientenverfügung geäußerten Willen des Betreuten zu beachten und die darin vom Betreuten getroffenen Entscheidungen durchzusetzen, soweit ihm dies zumutbar ist. Das gilt auch dann, wenn eine Erkrankung noch keinen tödlichen Verlauf genommen hat. Eine vom Betreuten getroffene Entscheidung liegt vor, wenn die Patientenverfügung eine Einwilligung oder Nichteinwilligung in bestimmte Untersuchungen des Gesundheitszustandes, Heilbehandlungen oder ärztliche Eingriffe enthält, die auf die konkrete Situation zutrifft. Problematik: Ethische Konflikte des Betreuers Wann trifft eine Entscheidung auf eine Situation zu? Änderung des BGB
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Betreuungsverfügung Den Bevollmächtigten kommt eine Schlüsselrolle zu. Daher sollte jede Patientenverfügung mit (a)einer Vorsorgevollmacht und (b)einer Betreuungsverfügung verknüpft werden. In bestimmten Fällen muss jedoch auch das Vormundschaftsgericht einer ärztlichen Maßnahme zustimmen…
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Änderung des BGB Die Erteilung bzw. Nichterteilung einer medizinischen Maßnahme bedarf jedoch nur dann der Einwilligung des Vormundschaftsgerichts, wenn (a)die schriftlich vorliegende Patientenverfügung die Situation nicht ausdrücklich erfasst (§1904 Abs. 4) (b) Arzt und Betreuer sich nicht einig über den mut- maßlichen Willen des Betreuten sind (§1904 Abs. 3) (c)und die Gefahr besteht, dass der Betreute aufgrund des Eingriffs bzw. Nichteingriffs stirbt oder einen bleibenden gesundheitlichen Schaden erleidet (§1904 Abs. 1 und 2) Die Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit werden in §67 und §69 geregelt.
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Fazit – Fortschritte -Dem Prinzip der Patientenautonomie wird Rechnung getragen -Der Patientenwille wird als verbindlich festgelegt (auch wenn die Entscheidung dem Wohl des Patienten zu widersprechen scheint) -Das Verbot der aktiven Sterbehilfe (§ 216 StGB) wird dabei jedoch nicht infrage gestellt -Reichweite und Verbindlichkeit wurden nicht nur auf bestimmte Krankheitsphasen beschränkt
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Fazit – Fortschritte -Die Kompetenz der Bevollmächtigten wurde präzisiert -Das Vormundschaftsgericht wird in schwierigen bzw. zweifelhaften Fällen eingeschaltet -Die Patientenverfügung ist schriftlich zu verfassen und bleibt gültig, solange kein Widerruf nachweisbar ist
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Das Verfassen einer Patientenverfügung setzt medizinisches Wissen und eine Auseinandersetzung mit der eigenen Endlichkeit voraus; ein Patient könnte davon überfordert sein Es ist schwierig, eine Verfügung so zu formulieren, dass sie weder zu allgemein noch zu eng ist (so könnte z.B. eine zu pauschale Ablehnung intensivmedizinischer Maßnahmen dazu führen, dass die postmortale Entnahme von Organen und Gewebe nicht mehr erlaubt ist) Fazit – Probleme
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Der Betreuer kann in ein ethisches Dilemma geraten, wenn der Patientenwille nicht dem Wohl des Patienten zu entsprechen scheint Der Arzt muss entscheiden, ob der Wille des Betreuten mit seinem Berufsethos vereinbar ist Fazit – Probleme
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2. Ethische Grenzen von Leistungspriorisierungen
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Medizinischer Fortschritt – „Explosion des Machbaren“? Einrichtung geriatrischer Spezialabteilungen Eurotransplant-Senioren- Programm Bypass-Operation für über 85-Jährige Gelenkersatztherapie Verbesserte Behandlung neurologischer Erkrankungen Adjuvante Medizintechnik
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Aus der demographischen Entwicklung ergeben sich wesentliche strukturelle und ökonomische Implikationen –Älter werden und der Anstieg von Diagnose- und Therapiebedarf –Älter werden als Kostenfaktor? „Die heute 65-Jährigen haben fast ein Viertel ihres Lebens noch vor sich.“ (Gesundheitsberichterstattung des Bundes (2006),Gesundheit in Deutschland“)
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Konsequenzen der Ökonomisierung die erfolgreiche Behandlung von kranken Menschen, z. B. die Wiederherstellung der Mobilität die gewonnen Lebensjahre bei hoher Lebensqualität Diese Sichtweise verdrängt teilweise die Freude über
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Londoner Subway Jubilee Line: Westminster in Richtung East End – Mit jeder U-Bahn-Station sinkt Lebenserwartung um ca. 1 Jahr… Schichtenspezifische Lebenserwartung
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Der Würdeschutz muss über ein ganzes Leben gelten und kann nicht zu bestimmten Zeiten ausgesetzt werden Die Ausgrenzung von bestimmten Patientengruppen, z.B. Altersrationierung, verstößt eindeutig gegen den Würdeschutz jeder menschlichen Person Rationierung im hohen Alter
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Rationierung Zuteilung begrenzter Ressourcen Rationalisierung Redundanzen vermeiden Priorisierung Festlegung von Rangfolgen 1. 2. 3. Begrenzung der Ausgaben
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Notwendige medizinische Leistungen Zusätzliche, optionale medizinische Leistungen Suche nach Kriterien, anhand derer bei Knappheit einer medizinischen Ressource die Verteilung erfolgen soll Dies dient in jedem Fall zuerst der Sicherstellung einer Grundversorgung 1. 2. 3. Verteilungsgerechtigkeit: Priorisierung
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Priorisierung von condition-treatment-pairs, Leistungen, Versorgungsbereichen, Personen, etc. vertikale Priorisierung innerhalb eines Versorgungssektors horizontale Priorisierung zwischen Versorgungssektoren Priorisierung geht der Rationierung gedanklich und zeitlich voraus 1. 2. 3. Priorisierung Festlegung von Rangfolgen Priorisierung
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Mitglieder: 11 Arbeitsgruppen von 15 deutschen Universitäten und Forschungseinrichtungen Priorisierung in der Medizin: Eine theoretische und empirische Analyse unter Berücksichtigung der GKV www.for655.de Die DFG-Forschergruppe FOR 655
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Theoretische Projekte: rechtliche, philosophische, ethische und ökonomische Fragestellungen Empirische Projekte: Einstellungen von Stakeholdern hinsichtlich der präferierten Priorisierungskriterien und –konzepte Stakeholder: Ärzte, Pflegekräfte, Patienten, Angehörige, unbeteiligte Bevölkerung Die DFG-Forschergruppe FOR 655
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„Kriterien und Betroffenenpräferenzen bei der Organallokation am Beispiel der Herz-, Leber- und Nierentransplantation“ Stakeholder Patienten (Herz-, Leber- und Nierentransplantation) und ihre Angehörigen Ärzte und Pflegekräfte Unbeteiligte Bevölkerung FOR 655 – Ausgewählte Studien
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„Das schwedische Modell der Priorisierung medizinischer Leistungen: theoretische Rekonstruktion, europäischer Vergleich und Prüfung seiner Übertragbarkeit“ Schweden 1997: Parlamentsbeschluss zur Prioritätensetzung im Gesundheitswesen Erstellung grundlegender Priorisierungsprinzipien Socialstyrelsen 2004: Guidelines for Cardiac Care FOR 655 – Ausgewählte Studien
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Grundlegende Prinzipien (hierarchisch): -Prinzip der Menschenwürde -Prinzip des Bedarfs und der Solidarität -Prinzip der Kosteneffektivität Guidelines for Cardiac Care (2004): -Kommission: 67 Experten -Prioritätenliste mit 118 condition-treatment- Paaren -Ranking auf einer Skala von 1 (höchste Priorität) bis 10 (niedrigste Priorität) Das schwedische Priorisierungsmodell
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Eine gesellschaftlich belastbare, demokratisch akzeptierte Priorisierungsordnung auf Basis von rationalen, transparenten und expliziten Kriterien Diskussion von Kriterien: Dringlichkeit Indikationen Personen- merkmale Leistungen Krankheits-Behandlungs-Paare Nutzen Soziale Würdigkeit Ziel: Potentielle Kriterien für eine Priorisierung
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Der Würdeschutz muss über ein ganzes Leben gelten und kann nicht zu bestimmten Zeiten ausgesetzt werden Die Ausgrenzung von bestimmten Patientengruppen, z.B. Altersrationierung, verstößt eindeutig gegen den Würdeschutz jeder menschlichen Person Ethische Grenzen der Priorisierung
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Priorisierung und Patientenverfügung Priorisierung als gesamt- gesellschaftlicher Allokationsprozess Patientenverfügung als individueller Priorisierungs- prozess Die Konzept der Priorisierung und der Patientenverfügung basieren auf völlig unterschiedlichen Perspektiven
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Die Humanität einer Gesellschaft, die unter Kostendruck geraten ist, zeigt sich gerade darin, wie sie mit den schwächsten Gliedern ihrer Bevölkerung umgeht.
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Chirurgisches Zentrum Klinikum Augsburg Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit! Univ.-Prof. Dr. med. Dr. phil. Eckhard Nagel KKVD-Mitgliederversammlung Caritas-Akademie Köln-Hohenlind 23. September 2009
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