Aktuelle Behandlungsansätze der ADHS Woche des Gehirns 2011 Basel, 23.3.2011 Dr. med. Maria Hofecker Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie FMH
Inhalt Multimodaler Ansatz der ADHS-Therapie Pharmakotherapie mit Stimulanzien ADHS-spezifische Psychotherapie Fazit
Multimodaler Ansatz etabliert sind: PHARMAKOTHERAPIE mit Stimulanzien: Methylphenidat (1. Wahl) falls nicht wirksam : Atomoxetin oder andere Substanzen PSYCHOTHERAPIE mit ADHS-spezifischer Kognitiver Verhaltenstherapie einzeln oder in Gruppe Einbezug Familie, Schule, Arbeitgeber, wichtiger Bezugspersonen ↓
Ablauf der ADHS-Therapie Bei Verdacht auf ADHS: 1. Diagnosestellung 2. Andere Erkrankungen vorhanden? 3. Therapie mit Methylphenidat: Wirkungen? Nebenwirkungen? Dosis? 4. Spezifische Psychotherapie
Welche Medikamente gibt es bei ADHS? Wahl: Methylphenidat (MPH) Wahl: Atomoxetin (ATX) Wahl: Noradrenerge oder noradrenerg-dopaminerge Substanzen: Venlafaxin, Reboxetin, Duloxetin, Bupropion oder andere Andere: wie z. B. Modafinil
«Ritalin ist ein Verbrechen» Umstrittene Stimulanzien: Amphetamine, MPH Missbrauch? Abhängigkeit? Neuroenhancement? «Ritalin ist ein Verbrechen» Die Weltwoche, 24.6.2009 «Ritalin ist die Modepille der Leistungsgesellschaft» TagesAnzeiger, 14.8.2009 «Mobilfunk + Ritalin: Kapitalverbrechen an Kindern» Verein zum Schutz gefährdeter Kinder i. G.
Geschichte der Stimulanzienbehandlung Erstes Amphetamin 1887 synthetisiert „paradoxe“ Wirkung von Benzedrin / Bradley, 1937: „Mathepille“ ------------------------------------- Methylphenidat MPH – Ritalin von Panizzon synthetisiert (1944, Ciba, Basel) ADHS bei Kindern ca ab 1960 medikamentös behandelt ADHS bei Erwachsenen ca ab 1995 medikamentös behandelt Methylphenidat in CH zugelassen für Kinder, Jugendliche und Erwachsene mit ADHS
Stimulanzien: ↑ Aufmerksamkeit und Antrieb, ↓Hunger und Schlaf → Missbrauch für: Kampfhandlungen Leistungssport Drogenszene Prüfungen → Amphetamine und Methylphenidat: Betäubungsmittelgesetz (um 1980) und Ampullen aus Handel gezogen Keine eigentliche Abhängigkeit
Methylphenidat (MPH) bei ADHS Diagnose ist Voraussetzung der Therapie Spezifische „paradoxe“ Wirkung – Beruhigung – nur bei ADHS Ärztliche Verordnung Monitoring von Wirkungen und Nebenwirkungen Betäubungsmittelrezept → kontrollierte Abgabe durch Apotheken → geringes Missbrauchspotential
Methylphenidat: Wirkungsweise ↑ Neurotransmitter Dopamin DA und Noradrenalin NA an der Synapse durch Verlangsamung des „Recyclings“ von DA und NA, daher länger am Rezeptor verfügbar Wirkt v. a. im präfrontalen Kortex und im Striatum: Integration von Informationen → geordnetes, zielorientiertes Handeln; Inhibition von bereits intendierten Handlungen→ reflektiertes Auswählen
Typische Wirkungen Weniger Ablenkung durch äussere Reize Bessere Konzentration auf eigentliche Aufgabe Dabeibleiben, auch wenn es „langweilig“ ist Besser Zuhören können Arbeitsgedächtnis funktioniert besser Weniger impulsives Verhalten, „denkt vorm Handeln“ Innerlich und äusserlich ruhiger, gelassener
Wirkdauer: Plasmaspiegel schematisch
Vorteile langwirksames MPH Compliance besser durch einmalige Einnahme am Morgen Kein Flash-Empfinden durch langsamere Anflutung Neuere Dareichungsformen: besonders schwierig zum Öffnen, daher Pulverisieren oder Auflösen zum Sniffen oder Spritzen praktisch nicht möglich Banaschewski et al., 2006
Nebenwirkungen Kontraindikationen Verminderter Appetit Geringe Puls- und Blutdruckerhöhung Andere NW: Schlafstörungen, Stimmungslabilität, Mundtrockenheit, .. Selten: Psychose Insgesamt sehr wenige und milde NW Schwangerschaft Unbehandelte Erkrankungen Herz/Kreislauf/ Schilddrüse, Glaukom, Epilepsie Psychosen, Suchterkrankungen
NICE: Wie lange behandeln? Solange wirksam, nötig und tolerabel Jährliche Überprüfung: Wirkung? NW? Optimale Einnahme? Medi-Pause? Reduktion? Komorbide Störungen? Zusätzliche Therapien? Einschätzung durch Patient und Umfeld Mindestens jährliche Kontrolle somatischer und psychischer Parameter Nebenwirkungsmonitoring: Blutdruck, Puls, Gewicht NICE clinical guideline 72, NCCMH, 2009 Somatische und psychische Parameter: Grösse (während Wachstum), Gewicht, kardiovaskuläre Risikofaktoren, Reproduktionssystem: Dysmenorrhoe, sex. Dysfunktion, SS; epilept. Anfälle, Tics, psychotische Sympt. Unruhe, Nervosität, Suizidgedanken, Selbstverletzungsgedanken, Suchtmittelgebrauch, NICE: National Institute for Health and Clinical Excellence
Warum zusätzlich Psychotherapie? Trotz generell guter Wirksamkeit von Stimulanzien: Responseraten zwischen 25 – 80% Selten Vollremission alleine durch Stimulanzien Vielfältige und seit langem bestehende Beeinträchtigungen → zur Gewohnheit geworden: Arbeit Beziehungen Selbstwert u. v. m.
Auf Deutsch: Kognitive Verhaltenstherapie der ADHS des Erwachsenenalters Safren et al., bearbeitet von Sobanski et al., 2008, Verlag: MWV (Medizinisch wis senschaftliche Verlagsgesellschaft)
Therapieprogramm nach Safren et al. (2004, 2005) Standardmodule Modul 1 (4 Sitzungen) Fokus: Psychoedukation, Problemlösungstraining wie z. B. Führung von Agenda, Priorisierung von Aufgaben u. a. Modul 2 (3 Sitzungen) Fokus: Ablenkbarkeit Modul 3 Fokus: Eliminierung dysfunktionaler Gedanken optionale Module z.B. Umgang mit Ärger, Kommunikation
Einzeltherapie nach Safren et al. (2005) Design Randomisierte, kontrollierte Studie Einzelpsychotherapie + Pharmakotherapie (N=16) versus Pharmakotherapie alleine (N=15) 10-14 Sitzungen Ergebnisse: signifikante Reduktion von ADHS-Symptomen (Selbst- und Fremdbeurteilung) Signifikante Unterschiede in Responsequote (56% bei kombinierter Therapie versus 13%) Ebenso Unterschiede bei Reduktion von Angst und Depression, jedoch weniger deutlich
Fazit: Therapie der ADHS HEUTE ETABLIERTE METHODEN: Pharmakotherapie vor Psychotherapie Fast immer ist die Kombination aus beidem nötig Therapieeffekt am grössten für Methylphenidat → 1. Wahl Bei Nichtansprechen gibt es heute medikamentöse Alternativen ZAHLREICHE ANDERE METHODEN WERDEN IM INTERNET UND ANDEREN MEDIEN ANGEPRIESEN, JEDOCH BISHER KEIN FUNDIERTER WIRKUNGSNACHWEIS
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit