Annahmen historisch-materialistischer Theorie(n)

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 Präsentation transkript:

Annahmen historisch-materialistischer Theorie(n) Theorien Internationaler Politik (3): IPÖ: Neo-Gramscianismus und Weltsystemtheorie VO Internationale Politik (Prof. Brand), 9.1.2009 Annahmen historisch-materialistischer Theorie(n) Theorie 1: Weltsystemtheorie Theorie 2: Gramsci, Neo-Gramscianische IPÖ Café-Haus  Basistexte: Text von Bieler/Morton und von Nölke

Annahmen historisch-materialistischer Theorie(n) materialistisch: ausgehend von den konkreten Lebensverhältnissen, deren herrschaftliche Struktur: Klassen und Nationen, auch Geschlechter, ethnisch historisch: Entwicklungen, deren Entstehung, Krisen, Stabilisierungen analysieren – Unterschiede Dynamiken: Kampf um Mehrwert, Lebenschancen (zwischen Klassen) Akkumulation von Kapital Konkurrenz innerhalb Kapital / Lohnabhängige Tendenz zur Expansion d. Kapitalismus, Kommodifizierung Widersprüche / Opposition Expansion und (kleine wie große) Krisen

WST --- Immanuel Wallerstein (geboren 1930) Professor an unterschiedlichen Unis v.a. am Fernand Braudel Center at Binghamton Univ (1976-1999); heute Prof. in Yale Hauptwerk: Das Moderne Weltsystem, 3 Bände, engl. 1974, 1980, 1989  Marx, F.Braudel, Dependencia (Entwicklung des Kapitalismus, Zentrum-, Semi-Peripherie, Peripherie) einer der wichtigsten Intellektuellen der globalisierungskritischen Bewegung; Begriff der „anti-systemischen Bewegungen“ von ihm

Weltsystemtheorie - Begriffe Unterscheidung von Braudel: (1) eine Weltwirtschaft hat Zentrum, mittlere Zone und große Peripherie; Zentren waren oft Städte (Venedig, Antwerpen, Genua, Amsterdam, London), Kontrolle der Grenzen war wichtig --- (2) DIE Weltwirtschaft, vereinheitliche Tendenzen, aber eine Ordnung neben anderen; niemals in allen Bereichen dominant modernes kapitalistisches Weltsystem, ausgehend von Europa im 16. Jahrhundert Anfangs Koexistenz verschiedener Produktionsweisen, eben auch lokale/regionale Märkte --- „Marmorstein“, unbeweglich, einfach von oben zu beherrschen mehr und mehr angepasst an Weltmarktanforderungen Arbeitsteilung: Klassen und Nationen (Zentrum, Semiperipherie, Peripherie) Kritik des Eurozentrismus

Wallersteins Begriffe von der Dependenztheorie Samir Amin (Senegal): Theorie des peripheren Kapitalismus--> Unterentwicklung ist zentral für kapitalistische Entwicklung Herrschaftsmechanismus weniger direkt sondern ökonomisch: ungleicher Tausch in internationaler Arbeitsteilung  Mehrwert wird in Zentren transferiert, Kette der Unterordnung In Zentren und Peripherien gibt es selbst noch mal Zentrum und Peripherie; „Brückenköpfe“, die Werttransfer organisieren Arbeiterklasse in Zentren kann mit Werten der Peripherien still gestellt werden Wallerstein: Semi-Peripherie ist ein Kissen zwischen Zentrum und Peripherie; hier werden unprofitable Industrien hin verlagert, Arbeitskräfte von dort verhindern zu starke Lohnforderungen in Zentren

(National-)Staaten Staat sichert Eigentumsrechte und stellt Infrastruktur/allgemeine Produtkionsbedingungen Staat in Zentren: Aufrechterhaltung, Standardsetzung In Semi-Peripherie: funktioniert auch, „nationale Entwicklung“, oft autoritär politische Fragmentierung (in Nationalstaaten) ist Bestandsvoraussetzung für Kapitalismus: ökonomische Verhältnisse (Weltmarkt) größer als politisch kontrollierte Einheiten Kapitalisten haben Handlungsspielraum, da sie in verschiedenen Räumen agieren können in den Nationalstaaten (Klassen-)Bündnisse, sorgen für Stabilität

Kritik an WST Determinismus (ausgehend von Stellung im Weltsystem) Ökonomischer Reduktionismus (ökon Entwicklung entscheidend) Austausch entscheidend für Kapitalismus und nicht Produktionsverhältnisse Entwicklung des Kapitalismus wäre auch ohne Ausbeutung der Kolonien möglich gewesen; das war eher hinderlich (Spanien, Portugal versus England)

Fragen?

Neo-Gramscianische IPÖ im Anschluss an Antonio Gramsci: Robert Cox, Stephen Gill; im deutschsprachigen Raum: Christoph Scherrer, Hans-Jürgen Bieling, Bernd Röttger Kritik am Neo-Realismus und an WST --- Weltordnungen wandeln sich! (Pax Brit. Eben nicht Pax Americ.) Neo-Gramsci: Theorie des Wandels; WST zu starr Handlungen / Strategien von Akteuren stärker berücksichtigen genauerer Blick auf konkrete Entwicklungen einzelner Phasen und konkrete Herrschaftskonstellationen; WST eher große Entwicklungslinien Historismus bei Gramsci: Konzepte sind offen und situationsspezifisch (Bsp.: neoliberalen Kapitalismus anders analysieren als Kapitalismus des 19. Jahrhdts.; Krisenbegriff) eine zentrale Differenz: WST Kapitalismus immer international, Neo-Gramsci: Internationalisierung seit 1970er Jahren hat besondere Qualität, die erforschen

Antonio Gramsci (1891-1937) Mitbegründer der KP Italiens, schrieb seine „Gefängnishefte“ im faschistischen Gefängnis Fragen u.a.: warum eine Oktoberrevolution im Westen nicht möglich? warum breite Unterstützung für italienischen Faschismus? Wie kann alternative Führung und Basis zum Faschismus entstehen? zentrale Thesen: Macht und Herrschaft in modernen Gesellschaften nicht nur von Staat und Kapital, sondern in Zivilgesellschaft („integraler Staat“) Hegemonie: Herrschaft hat Konsenselemente: herrschende Klassen üben Führung aus, Zwangselemente treten zurück Hegemonie hat ökonomisch-materielle, politische und ideologische Dimensionen Konsense / hegemoniale gesellschaftliche Orientierungen werden von Intellektuellen ausgearbeitet kapitalistischer Staat nicht einfach gegeben, sondern formt sich historisch-spezifisch aus, je nach Traditionen, Kräfteverhältnissen

historischer Block (Gramsci) relative hegemoniale Einheit („organische Kohäsion“) von Herrschern und Beherrschten, v.a. Klassen Ideen/Orientierungen (inkl. Wünsche, Sexualität) breit geteilt in Gesellschaft, von Intellektuellen erzeugt und reproduziert („Krone“) dynamische Produktion/kapitalistischer Expansion funktionierende und akzeptierte Politik/Staat Konsense in Zivilgesellschaft über „die Verhältnisse“, Alltag, Öffentlichkeit, auch Produktions- und Arbeitsverhältnisse damit entstehen gesellschaftlicher Konsens und Dynamik  Gesellschaft ist sich weitgehend einig („Amerikanismus und Fordismus“) – nicht für immer, nur bestimmte Zeit

Gramsci und internationale Verhältnisse Anfang der 1980er Jahre: Robert W. Cox, York Uni Toronto, vormals Forschungsleiter bei der ILO Gegenentwurf zum damals vorherrschenden Realismus – Morgenthau; zu Kindleberger: es bedarf immer eines Hegemon, der die Regeln entwickelt und sichert es geht nicht nur um Staaten, Macht, Sicherheitsfragen; Nullsummenspiel; Wirtschaftsfragen anders stellen zentral in IP für Cox nicht Staaten, sondern soziale Kräfte (v.a. Klassen) zwei Ebenen: Strukturen und Handlungsebenen, entlang derer soziale Kräfte konstituiert sind und handeln

erste Ebene: hegemoniale historische Strukturen soziale Produktionsbeziehungen: Produktion von Gütern und Dienstleistungen, aber auch Voraussetzungen: Wissen, Institutionen, Normen; Klassenbeziehungen Staaten: Verknüpfung von (nationalen) Staaten und Gesellschaften; hier entstehen historische Blöcke (Cox) Weltordnungen: Expansion und Universalisierung von überlegenen Normen, Regeln, Produktionsmustern; WO hat einen glaubwürdigen, attraktiven und universellen Charakter Hegemonie entsteht entlang dieser drei Dimensionen, in den verschiedenen Gesellschaften unterschiedlich und international abgesichert, durchdringt andere Gesellschaften Cox´ Beispiel der Pax Americana zu Beginn des Semesters --- es kann auch in einzelnen Gesellschaften Krisen geben; es muss nicht Hegemonie entstehen!

Zweitens: Handlungsebenen Materielle Kapazitäten: auf welche Ressourcen können Akteure zurückgreifen, um zu handeln Institutionen: Formen der Konfliktregulierung, um Kohäsion und Hegemonie zu sichern Ideen: breit geteilte Orientierungen und Denkweisen damit kann analysiert werden, dass und wie einerseits verschiedene soziale Kräfte ihre Interessen und Normen verfolgen, andererseits das aber immer schon unter bestehenden Bedingungen geschieht Hegemonie in IPÖ: historischer Block & soziale Kohäsion

Staat und Politik ähnlich wie WST: Stabilisierung der Verhältnisse, Sicherung der Eigentumsrechte, allgemeine Produktionsbedingungen Terrain der Austragung von Konflikten; „Stellungskrieg“ (statt „Bewegungskrieg“) Staat im engeren Sinne aber verbunden mit integralem Staat – vorpolitische (Klassen-)Verhältnisse wichtig Staat wichtig in Krisen ähnlich WST: politische Fragmentierung (in Nationalstaaten) ist Bestandsvoraussetzung für Kapitalismus; erhöht Handlungsmacht des Kapitals Internationalisierung des Staates (R.Cox vor 25 Jahren) als Komplement zur Internationalisierung der Produktion, aber noch wenig konzeptualisiert

wichtige Kritiken und Forschungsfragen top down und Elitenfixierung; zu wenig: Beherrschte und Widerstand analysiert Fixierung auf Klassen; Herrschaft entlang verschiedener Strukturen Schwerpunkt auf kapitalistischen Zentren; Verhältnisse im Globalen Süden kaum analysiert Staat tendenziell Instrument des Kapitals Bsp. für wichtige Kontroverse Cox: Hegemonie von nationalem Staat-Gesellschaft-Komplex ausgehend (GB, USA), dann internationalisiert Gill: Hegemonie durch transnationale Kapitalfraktion, hegemonialer Staat nicht entscheidend

Fragen?

Café-Haus 1) Grundelemente historisch-materialistischer Theorie? Differenzen zum Neo-Realismus? 2) Welche Rolle spielt die Semi-Peripherie in der Theorie von Wallerstein? 3) Hegemoniebegriff bei Gramsci und Neo-Gramscianischer IPÖ 4) Differenzen WST und Neo-Gramsci 5) Was erklären die Theorien in aktueller Krise?

Imperialismustheorien Texte von M.Heinrich und T. ten Brink nächste Woche Imperialismustheorien Texte von M.Heinrich und T. ten Brink Referent Dr. Ilker Atac Schönes Wochenende!