Klinische Ethikberatung im Krankenhaus

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 Präsentation transkript:

Klinische Ethikberatung im Krankenhaus Pfarrer i.R. Rolf-Michael Turek Mitarbeit bei der Ethikberatung (KEK) am Universitätsklinikum Leipzig

Entscheidungen treffen Das Leben/der Tag ist eine Abfolge von Entscheidungen. Tag Lebensspanne Aufstehen - wann? Zeitung lesen – welchen Artikel? Frühstück – Müsli, Brötchen, Brot? Arbeitsweg – Auto, Bahn, Fahrrad? Besuche – wen? Essen – 4 Gerichte? Pause – lesen, reden Musik hören? Tee, Kaffe, Wasser? Abendprogramm? Schulart? Beruf? Partner? Wohnort? Wohnstil Urlaub Sportart / -intensität Konfession Freundeskreis

Eine Entscheidung ist eine bewusste Wahl zwischen Alternativen oder zwischen mehreren unterschiedlichen Varianten

Den größten Teil der Entscheidungen, die wir treffen, treffen wir nicht bewusst.

Entscheidungen enthalten ein DAFÜR und ein DAGEGEN (Verzicht).

Wer die Wahl hat, hat die Qual. Alternative 3 Alternative 4 Alternative 2 Wenn ich zwischen mehreren Möglichkeiten auswähle muss ich ein Entscheidung treffen. Alternative 5 Alternative 1 Alternative 6 Der Tag besteht aus einer Kette von (unauffälligen) Entscheidungen. (Was esse ich …) Lebensentscheidungen: Beruf – Partner – Wohnort Zwischen Angebot und Auswahl -> Bedenkzeit Unterstützung: Wer die Wahl hat, hat die Qual.

Entscheidung zwischen …. wahr – unwahr (Aussage) kurz – lang (Entfernung) links – rechts (Richtung) teuer – billig (Preis) Entscheidung zwischen …. Unwert 1 – Unwert 2 Schmerzen contra Lebensverkürzung Wert 1 – Wert 2 Lebensqualität contra Lebenslänge Fürsorge - Autonomie Wahrhaftigkeit - Fürsorge

Was ist die „richtige“ Antwort? a.)… b.) … c.) … d.) … Was ist das „Gute“? Entscheidung nicht zwischen richtig und falsch sondern zwischen „gut“ und „weniger gut“ Dürfen Geschwister miteinander Kinder zeugen? Sollte eine 60jährige in ihrem Wunsch nach Schwangerschaft unterstützt werden? Sind homosexuelle Partnerschaften heterosexuellen gleichzustellen? Wie viel darf ein Manager verdienen?

Warum denn Ethik? Wir sind als Menschen nicht in der Lage nur auf Grund unserer angeborenen Instinkte das Leben in Großgruppen zu organisieren. In einer sich allein durch Instinkte steuernden Großgruppe entwickelt sich ein Kampf jeder gegen jeden (homo homini lupus). Eine Balance zwischen egoistischen Selbstbehauptungstrieben und altruisten Gruppenverhalten funktioniert auf Grund unseres angeborenen Instinktverhaltens nur im kleinen Gruppen bis zur etwa 12 Personen. Und selbst dort funktioniert es nur auf Grund dauernden Trainings und dauernder verarbeitender Rückkopplung (feedback).

„Das war schon immer so!“ - Stammesmoral - „Das war schon immer so!“ Eine Art Moral begründet sich so: Wir existieren, weil unsere Ahnen erfolgreich überlebt haben und ihre Kinder – also uns – großgezogen haben. Deshalb müssen wir vernünftigerweise genauso verfahren wie unsere Ahnen das getan haben, um unsere Existenz und die unserer Kinder zu sichern. Das ist die Moral und Letztbegründung der Moral der Stämme, begründet aus dem Herkommen, oft auch Sitte genannt. Nach der bzw. einer anderen Moral darf nicht gefragt werden. Das wäre für die Existenz des Stammes gefährlich und ist de facto verboten.

„Das ist so angeordnet!“ - Herrschermoral - „Das ist so angeordnet!“ Eine andere Moral begründet sich so: Wir existieren als Beherrschte (als Untertanen) oder Herrscher. Als Beherrschte haben wir überlebt und überleben wir, weil wir gehorchen (und uns ausbeuten lassen und für den Herrscher arbeiten). Als Herrscher habe ich überlebt und überlebe ich, weil ich es geschafft habe, mit Gewalt und listiger Organisation meinen Beherrschten erfolgreich zu befehlen. Vernünftigerweise gehorcht man als Beherrschter den Befehlen des Herrschers, und seien sie noch so willkürlich und uneinsehbar. Und vernünftigerweise befiehlt man als Herrscher. Das ist die Moral und Letztbegründung der Moral der Herrscherreiche, begründet aus oder in der Gewalt und Willkürherrschaft des Herrschers. Nach der bzw. einer anderen Moral darf nicht gefragt werden. Ein Herrscher muss diese Frage als Angriff auf seine Herrschaft verstehen; deshalb muss der Fragende ausgeschaltet werden. Der Herrscher selber setzt sich willkürlich seine eigene Moral, die nur so realitätsbezogen sein muss, dass er nicht seine Herrscherposition verliert. Nach der Moral bzw. einer anderen Moral zu fragen ist vom Herrscher her verboten.

Von der Moral zur Ethik Es gibt noch eine dritte Art von Moral. Und die lässt sonderbarerweise das Fragen nach „sich selbst“ zu, also das Fragen nach der Moral und ist somit Ethik. Bei dieser Moral ist die Moral nicht „letztbegründet“, sondern sie ist relativ, eben befragbar, veränderbar, anzweifelbar.

1. Steigerung der technischen Möglichkeiten in das menschliche Leben einzugreifen 2. Pluralismus der Lebens- und Wertvorstellungen in unserer Gesellschaft 3. Veränderung des Selbstverständnisses der verschiedenen Berufsgruppen 4. „Aufgeklärte“ (und mündige) Patienten und Angehörige

Begründungsorientierte Moraltheorie Was ist das „Gute“? Entscheidung nicht zwischen richtig und falsch sondern zwischen „gut“ und „weniger gut“ Das Übliche Neue Situation - Herausforderung Begründungsorientierte Moraltheorie Im Medium argumentativer Gespräche werden Einsichten gewonnen und vertreten Sophistik Ziel: Eigene Position erfolgreich durchsetzen (Rhetorik, Fachsprache...) Skepsis Moral = überflüssig (Verweigerung) Dort, wo nicht mehr „das Übliche“ getan werden kann, weil sich z.B. Technik und Wissenschaft entwickeln, müssen neue Entscheidungen getroffen werden. Zusätzlich zu den fachspezifischen Kriterien (medizinischen, ökonomischen, politischen, juristischen usw.) sind in demokratischen Gesellschaften auch ethische Kriterien zu berücksichtigen. In autoritären Regimes sind Kriterien der jeweilig herrschenden Moral entscheidungsleitend.

Die ethisch reflektierte Entscheidung In dem Maße, in dem Menschen sich emanzipieren verlangen sie nach Begründungen für Entscheidungen, die sie betreffen. Das gilt für Heranwachsende genauso wie für Patienten. Aber auch Krankenschwestern und Kollegen. Ethikkomitees sind überall dort hilfreich, wo es darum geht zu ethisch begründeten Entscheidungen zu kommen und diese nach innen und außen zu vertreten. nach innen - mir selbst gegenüber (meinem Gewissen) nach außen - die von der Entscheidung Betroffenen (Patienten, Angehörige Pflegekräfte ...) - die interessierte Öffentlichkeit (Medien)

Begründungsorientierte Moraltheorie akzeptable Begründungen Im Medium argumentativer Gespräche werden Einsichten gewonnen und vertreten Es werden gemeinsam akzeptable Begründungen gesucht Vorraussetzungen sind: Einsicht Freimütigkeit Wohlwollen

Moderator Leiter des Gruppengespräches Neutraler Dritter Unterstützer der Gruppe Außenstehender

Moderationsablauf Eröffnung Informationen zusammentragen Entscheidungskonflikt benennen Ethische Fragestellungen formulieren Diskussion der ethischen Probleme Abschluss

Moderationsablauf Eröffnung Begrüßung Information über klinische Ethikberatung Vorstellungsrunde Fragestellung und Ziel formulieren Zeitrahmen festlegen Moderation / Co-Moderation

Moderationsablauf 2. Informationen zusammentragen Medizinische Fakten Pflegerische Fakten Fakten aus der Sicht anderer Berufsgruppen Fragestellung und Ziel formulieren Perspektive von Patient/Angehörigen

Moderationsablauf 3. Entscheidungskonflikt benennen Legen einer PEG-Sonde Verzicht/Beendigung von Therapiemaßnahmen Gültigkeit einer Patientenverfügung Verzicht auf Reanimation Später Schwangerschaftsabbruch

Moderationsablauf 4. Ethische Fragestellungen formulieren Selbstbestimmungsrecht des Patienten Handeln zum Wohl des Patienten Schaden für den Patienten vermeiden Gerechtigkeit

Moderationsablauf 5. Diskussion der ethischen Probleme Am Einzelfall bleiben Entscheidungsorientiert diskutieren Ethische Fragestellung im Auge behalten

Moderationsablauf 6. Abschluss Ergebnis der Diskussion formulieren Konsens? Votum? Empfehlung? ggf. weitere Beratung anbieten Rückmeldung des Teams an die klinischen Ethikberater Dank an alle (Ethikberatung ist anstrengend!)

Probleme/Fragen Wie viel Wissen über ethische Begriffe/Entscheidungsstrategien… ist (unbedingt) notwendig?

Ethiktheorien neuere traditionelle Tugendethik (Aristoteles) Pflichtenethik (Kant) Kosequenzialismus (Bentham) Care-Ethik (Gilligan) Diskursethik (Habermas) Prinzipienethik (Childress)

Prinzipien mittlerer Reichweite Respekt vor der Autonomie des Patienten Fürsorgepflicht des Arztes (“salus aegroti suprema lex“) Nichtschadensgebot („primum nil nocere“) Gerechtigkeit Wahrhaftigkeit Zuverlässigkeit

Probleme/Fragen Vereinbarung über gültige Argumentationsstrategien D.h.: Welche Bedingungen muss ein Argument erfüllen, um in der Diskursgemeinschaft anerkannt zu sein?

Regeln vernunftorientierter Argumentation

„ungültige“ Argumente Argumentation „gültige“ Argumente „ungültige“ Argumente „Fehlschlüsse“ Autoritätsverweis Mitleid Hpothetisches Scheinkausalität Zirkelschluss Naturalistischer Nazi-Vergleich … „Scheinargumente“ Killerphrase Scheinrationalität Schweigen Übertreibung … Deduktive Induktive indirekte

Varianten unfairen Argumentierens

Ziele Organisationsebene „corporate Identity“ fallbezogene Ebene Qualitätsentwicklung (Zertifizierung) Personal und Organisationsentwicklung fallbezogene Ebene bessere Patientenversorgung Unterstützung von Mitarbeitern „präventive Ethik“

Aufgaben Ethikberatung Leitlinienentwicklung Fort- und Weiterbildung

Leitlinienentwicklung Regelung für häufige ethische Konflikte krankenhausspezifisch Erarbeitung durch Arbeitsgruppe Verabschiedung durch KEK Inkraftsetzung durch Klinikleitung

Fort- und Weiterbildung Mitglieder des KEK als Multiplikatoren Ethische Fallbesprechung auf Station Fortbildungsveranstaltungen Ethiktag Ethik-Caffee

Ethikberatung Ethischer Konflikt Anfrage Beratung 3.1 Vorstellung des Falles 3.2 Kennzeichnung der Entscheidungssituationen 3.3 Erarbeitung der Alternativen und deren Folgen 3.4 ethischer Kommentar zu den Alternativen 3.5 Empfehlung

Die 4 Ebenen der Ethikberatung  Allgemeine Stationsberatung Fallbezogene Stationsrunden Die 4 Ebenen der Ethikberatung Entwicklung von Ethik-Leitlinien Individuelle Fallberatung