Rezeption von Unternehmenstheorien in der betriebswirtschaftlichen Steuerrechtskritik Vortrag im Rahmen des Workshops „Ideengeschichte der BWL“ Hamburg,

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Rezeption von Unternehmenstheorien in der betriebswirtschaftlichen Steuerrechtskritik Vortrag im Rahmen des Workshops „Ideengeschichte der BWL“ Hamburg, 22. September 2015 Univ.-Prof. Dr. Ute Schmiel, Universität Duisburg-Essen, Campus Essen

2 Gliederung Lehrstuhl für Unternehmensbesteuerung, Prof. Dr. Ute Schmiel Wozu benötigt eine betriebswirtschaftliche Steuerrechtskritik Unterneh- menstheorien? 2.Warum ist die Frage nach der Rezeption von Unternehmenstheorien in der betriebswirtschaftlichen Steuerrechtskritik relevant? 3.Unternehmenstheorien in der betriebswirtschaftlichen Steuerrechtskritik aus historischer Perspektive 4.Zwischenergebnis

3 1. Wozu benötigt eine betriebswirtschaftliche Steuerrechtskritik Unternehmenstheorien? Lehrstuhl für Unternehmensbesteuerung, Prof. Dr. Ute Schmiel Aufgaben/Forschungsfragen der Betriebswirtschaftlichen Steuerlehre Erklärungsaufgabe (Steuerwirkungstheorie): erklärende Aussagen Gestaltungsaufgabe gegenüber einzelnen Steuerpflichtigen (Steuerplanung): gestaltungsorientierte Aussagen Gestaltungsaufgabe gegenüber der Gesellschaft (Steuerrechtskritik): gestal- tungsorientierte Aussagen

4 1. Wozu benötigt eine betriebswirtschaftliche Steuerrechtskritik Unternehmenstheorien? Lehrstuhl für Unternehmensbesteuerung, Prof. Dr. Ute Schmiel Erklärungsaufgabe der Betriebswirtschaftlichen Steuerlehre (Steuerwirkungstheorie) Wie handeln natürliche Personen/Unternehmen, insbesondere im Hinblick auf die Er- zielung/Verwendung von Einkommen/Gewinn, Erhaltung von Vermögen („wirtschaftliches Handeln“) unter Berücksichtigung von Steuern? Lassen sich Regelmäßigkeiten über den Einfluss der Steuern auf „wirtschaftliches Han- deln“ von natürlichen Personen/Unternehmen aufzeigen?  Notwendigkeit von Handlungstheorien, Unternehmenstheorien, Markttheorien

5 Lehrstuhl für Unternehmensbesteuerung, Prof. Dr. Ute Schmiel Wozu benötigt eine betriebswirtschaftliche Steuerrechtskritik Unternehmenstheorien? Gestaltungsaufgabe gegenüber natürlichen Personen/Unternehmen (Steuerplanung) Wie sollten natürliche Personen/Unternehmen handeln, wenn sie ihre Ziele z.B. im Hinblick auf die Erzielung/Verwendung von Einkommen/Gewinn und die Erhaltung von Vermögen un- ter Berücksichtigung von Steuern erreichen möchten?  Welche Ziele verfolgen natürliche Personen/Unternehmen?  Unter welchen Bedingungen handeln natürliche Personen/Unternehmen?  Notwendigkeit von Markttheorien

6 Lehrstuhl für Unternehmensbesteuerung, Prof. Dr. Ute Schmiel Wozu benötigt eine betriebswirtschaftliche Steuerrechtskritik Unternehmenstheorien? Gestaltungsaufgabe gegenüber der Gesellschaft (Steuerrechtskritik) Wie sollte die Steuerrechtsordnung ausgestaltet werden, wenn gesamtwirtschaftliche Ziele/ gesellschaftliche Ziele erreicht werden sollen?  Welche gesamtwirtschaftlichen Ziele/gesellschaftlichen Ziele sollen erreicht werden? Wie werden diese Ziele begründet?  Welche Besteuerungsziele sind mit gesamtwirtschaftlichen Zielen/gesellschaftlichen Zie- len kompatibel?  Können gesamtwirtschaftliche/gesellschaftliche Ziele erreicht werden? Welche Ziele kann eine Marktwirtschaftsordnung erreichen? Können Besteuerungsziele erreicht werden?  Relevanz von Markttheorien, Unternehmenstheorien, Steuerwirkungstheorien

7 Lehrstuhl für Unternehmensbesteuerung, Prof. Dr. Ute Schmiel Wozu benötigt eine betriebswirtschaftliche Steuerrechtskritik Unternehmenstheorien? Betriebswirtschaftliche Steuerrechtskritik Ziele: Besteuerungsziele, die mit gesamtwirtschaftlichen Zielen kompatibel sind („Sollen“) Sollen impliziert Können: Berücksichtigung von Markttheorien, Unternehmenstheorien, Steuerwirkungstheorien Mittel: Zieladäquate Steuerrechtsvorschriften („Können“)

8 Lehrstuhl für Unternehmensbesteuerung, Prof. Dr. Ute Schmiel Wozu benötigt eine betriebswirtschaftliche Steuerrechtskritik Unternehmenstheorien? Besteuerungsziele („Sollen“) z. B. Gleichmäßigkeit der Be- steuerung, Maßstab Leistungsfähigkeit  Sollen Unternehmen als steuerlich leistungsfähig ver- standen werden? Sollen impliziert Können:  Steuerliche Leistungsfähigkeit setzt Handlungsfähig- keit voraus  sind Unternehmen in einem erfahrungswissenschaft- lichen Sinne handlungsfähig?  Unternehmenstheorien werden benötigt Mittel: Zieladäquate Unternehmensbesteuerung („Können“) Ziele: Betriebswirtschaftliche Steuerrechtskritik

Lehrstuhl für Unternehmensbesteuerung, Prof. Dr. Ute Schmiel 2. Warum ist die Frage nach der Rezeption von Unternehmenstheorien in der betriebs- wirtschaftlichen Steuerrechtskritik relevant? Unternehmen als Forschungsgegenstand erklärende Sicht: Wie handeln Unternehmen tatsächlich? Sind Unternehmen in erfahrungswissenschaftlichem Sinn handlungsfähig? handlungsfähig methodologisch- holistisch → wird hier nicht weiter betrachtet normative Sicht: Wie sollen Unternehmen/Manager handeln? methodologisch- individualistisch: bestimmte Unternehmen als korporative Akteure (Coleman 1979, Vanberg 1992) nicht handlungsfähig: Unternehmen sind Verträge (Jensen/Meckling 1976): hM betriebswirtschaftliche Steuerrechtskritik

10 Lehrstuhl für Unternehmensbesteuerung, Prof. Dr. Ute Schmiel Herrschende Auffassung: Unternehmen sind nicht in einem erfahrungswissenschaft- lichen Sinne handlungsfähig (I) F. W. Wagner (2000), S. 112 f.: Die Unternehmung setzt sich demzufolge selbst keine Ziele, sondern diese werden ihr von außen gesetzt, da sie Dividenden und Kurssteigerungen der Anteilspreise erwirtschaften muß … Aus kapitalmarktorientierter Sicht wird die Unternehmung von einer eigene Ziele bzw. Ziele der Manager verfolgenden Institution auf die Funktion einer bloßen Einkommensquelle des Kapitaleigners zurückgestuft, die ihre Bestandsberechtigung durch Rentabilitätsvergleiche nachweisen muß. Ein eigenes, gegen die Renditeinteressen der Kapitaleigner gerichtetes Unternehmensinteresse findet durch Kapitalmärkte keine Billigung mehr … Diese Sichtweise des Unternehmens als bloße[r] Einkommensquelle ist nicht auf die Kapitaleigner beschränkt, sondern auch auf die anderen Parteien wie Arbeitnehmer und Kreditgeber übertragbar … Auch diese erhalten der Instrumentaltheorie der Unternehmung als Einkommensquelle zufolge ihre vertragliche Verbindung mit dem Unternehmen nur solange aufrecht, wie es für sie nicht lohnend ist, andere Arbeits- und Kreditverträge außerhalb den bisher mit der Unternehmung bestehenden vorzuziehen.“ (Hervorhebung durch Verf.) 2. Warum ist die Frage nach der Rezeption von Unternehmenstheorien in der betriebs- wirtschaftlichen Steuerrechtskritik relevant?

11 Lehrstuhl für Unternehmensbesteuerung, Prof. Dr. Ute Schmiel Herrschende Auffassung: Unternehmen sind nicht in einem erfahrungswissen- schaftlichen Sinne handlungsfähig (II) J. Hundsdoerfer/D. Kiesewetter/C. Sureth (2008), S. 67 f.: „Sollen hingegen betriebswirt- schaftliche Hypothesen über Steuerwirkungen auf das reale Entscheidungsverhalten angestellter Manager aufgestellt werden, um dieses zu erklären, dann reicht die Annahme, die Manager würden stets im Interesse der Shareholder handeln, vermutlich nicht aus … Für dieses Untersuchungsziel kann es sinnvoll sein, z. B. Prestigestreben der Manager oder ihr Streben nach Minimierung ihrer persönlichen Steuern … an die Stelle der Shareholder-Value-Maximierung zu setzen.“ (Hervorhebung durch Verf.) 2. Warum ist die Frage nach der Rezeption von Unternehmenstheorien in der betriebs- wirtschaftlichen Steuerrechtskritik relevant?

12 Lehrstuhl für Unternehmensbesteuerung, Prof. Dr. Ute Schmiel Herrschende Auffassung: Unternehmen sind nicht in einem erfahrungswissenschaft- lichen Sinne handlungsfähig (III) D. Schneider (2006), S. 264 f.: Ein Handeln im ausschließlichen Interesse der Anteilseigner durch die Personen, die in einer Unternehmung für Investitions- und Finanzierungsentschei- dungen zuständig sind, wird häufig unter das Schlagwort „Steigerung des shareholder value“ gestellt. Ein solches Ziel mag Entscheidungen von Personenunternehmen und Mehrheits- eigentümern leiten, soweit es ihre Eigentumsrechte betrifft. Für Publikumsgesellschaften scheint eine Zielannahme „Steigerung des shareholder value“ eher auf Besänftigung des Börsenpublikums angelegt zu sein, weil nur sehr eingeschränkt ein Gleichlauf der Ausschüttungswünsche zwischen den Gewinnberechtigten und dem Management be- steht und Kurserhöhungen aufgrund zurückbehaltener Gewinne unsicher bleiben. … Ein Handeln einer Unternehmensleitung, die sich von den Interessen der Anteilseigner und anderer Gewinnberechtigter zu verselbständigen sucht, wird häufig mit dem Schlagwort eines „Unternehmens an sich“ gekennzeichnet. Die Bezeichnung „Unternehmen an sich“ ver- schweigt, wer die Handlungen bestimmt. Die Verfügungsmacht über die Mittel einer Unternehmung ist konzentriert auf eine Kaste leitender Manager (Vorstände, Geschäftsführer) und Beauftragter, etwa in Aufsichtsräten. Vor allem das Gesellschafts- recht und die Mitbestimmungsregeln bestimmen Umfang und Inhalt dieser Funktionärswirt- schaft. Funktionäre handeln (wie andere Menschen auch) überwiegend im Eigeninteresse.“ (Hervorhebung durch Verfasser) 2. Warum ist die Frage nach der Rezeption von Unternehmenstheorien in der betriebs- wirtschaftlichen Steuerrechtskritik relevant?

13 Lehrstuhl für Unternehmensbesteuerung, Prof. Dr. Ute Schmiel Herrschende Auffassung: Unternehmen sind nicht in einem erfahrungswissenschaft- lichen Sinne handlungsfähig (IV) T. Siegel (2014), S. 1017: „Das hier vertretene Verständnis des Leistungsfähigkeitsprinzips kann nur bei der einzelnen natürlichen Person ansetzen … Das Individuum ist der/die Handelnde; auch bei Institutionen und sozialen Strukturen ist das Verhalten den beteiligten Individuen zuzurechnen“ mit explizitem Verweis auf einen „zugrundeliegenden methodologischen Individualismus“ (Hervorhebung durch Verfasser). 2. Warum ist die Frage nach der Rezeption von Unternehmenstheorien in der betriebs- wirtschaftlichen Steuerrechtskritik relevant?

14 Lehrstuhl für Unternehmensbesteuerung, Prof. Dr. Ute Schmiel Überwiegend verwandte Unternehmenstheorie Unternehmen sind nicht handlungsfähig, sie sind keine Personen, sondern Verträge Einwände: Kontrafaktische Antezedensbedingungen (relevant bei kritisch-rationalem Erklärungsver- ständnis), soweit neoklassische Unternehmenstheorie zugrunde gelegt wird Widersprüchliche Hybridmodelle, soweit neoklassische Unternehmenstheorie um Principal-Agent-Probleme erweitert wird Sofern von genuiner Unsicherheit ausgegangen wird, werden Koordinationsprobleme auf Märkten (aufgrund faktorspezifischer Investitionen, externer Effekte, fehlender existenzsichernder Ressourcenausstattung der Akteure, Machtasymmetrien) und in Unternehmen (resultierend aus unbestimmten Interessen, Interessenkonflikten, Durchsetzungsproblemen aufgrund von Ressourcenmacht, Abstimmungsproblemen) unterschätzt (Cyert/March 1995, Pfeffer/Salancik 2003) Methodologischer Individualismus impliziert nicht, dass das Handeln von Unternehmen dem Handeln der Anteilseigner oder Manager entspricht (Coleman 1994, Opp 2009) 2. Warum ist die Frage nach der Rezeption von Unternehmenstheorien in der betriebs- wirtschaftlichen Steuerrechtskritik relevant?

15 Lehrstuhl für Unternehmensbesteuerung, Prof. Dr. Ute Schmiel „Theorie- und Denkansätze, die in der langen Geschichte der deutschsprachigen Betriebs- wirtschaftslehre entstanden sind, wurden möglicherweise vorschnell aufgegeben. Es be- steht deshalb Anlass, sich der Wurzeln des theoretischen Denkens in der Betriebswirt- schaftslehre zu vergewissern und die „klassischen“ Beiträge bedeutender Fachkollegen und Fachkolleginnen aus der Geschichte unseres Faches zu sichten und systematisch im Hinblick auf ihre Lernpotenziale zu bewerten“. (Arbeitsgruppe Ideengeschichte der Be- triebswirtschaftslehre (Abfrage: ) Wurde in der Geschichte der Betriebswirtschaftlichen Steuerlehre die Auffassung vertreten, Unternehmen seien in einem erfahrungswissenschaftlichen Sinne handlungsfähig? dabei: Untersuchungsbeginn: akademische Institutionalisierung der Betriebswirt- schaftlichen Steuerlehre, beeinflusst von Findeisen ab Warum ist die Frage nach der Rezeption von Unternehmenstheorien in der betriebs- wirtschaftlichen Steuerrechtskritik relevant?

16 Lehrstuhl für Unternehmensbesteuerung, Prof. Dr. Ute Schmiel Unternehmenstheorien in der betriebswirt- schaftlichen Steuerrechtskritik aus historischer Perspektive Erste Ergebnisse (I) Unternehmen werden implizit (ohne weitere Begründung) als handlungsfähig angesehen: z. B. Großmann 1931, 1950, Klinger 1933, Graf 1950, Unternehmen werden explizit als handlungsfähig angesehen Schneider (1974), S. 187: Für Publikumsgesellschaften … muß der firmenbezogene Unternehmensbegriff gewählt werden … Finanzielle Zielsetzung kann hier Einkommensmaximierung für die Anteilseigner sein oder firmeneigene Vermögens- maximierung … Wagner/Dirrigl (1980), S. 70 f. „Für diesen Zweck ist es nützlich, zwischen personen- bezogener und firmenbezogener Betrachtungsweise zu unterscheiden … Der Realität von Publikumsgesellschaften entspricht häufig die Annahme firmeneigener Ziele, wie z. B. die firmenbezogene Vermögensmaximierung... Die Berücksichtigung von Fremd- und Beteiligungsfinanzierung bedeutet in diesem Fall, daß die dadurch entstehenden Ausgaben als Finanzierungs-“kosten“ angesehen werden“

17 Lehrstuhl für Unternehmensbesteuerung, Prof. Dr. Ute Schmiel Erste Ergebnisse (II) Unternehmen werden explizit als handlungsfähig angesehen Schneider (1992), S. 142, 144: Bei Publikumsgesellschaften besitzen die Vorstands- mitglieder durchweg nicht die Mehrheit der Anteilsrechte. Das wirft die Frage auf: Handeln die Manager im Interesse der Anteilseigner? … Oder versuchen Sie, als Beauftragte für eine Gesamtheit von Auftraggebern: Anteilseignern, Beschäftigten und anderen als Unternehmensbeteiligte zählende Personen eine komplexe Zielfunktion, eine Art „firmeneigene“ Ziele, zu verwirklichen? … Handelt die Unternehmensleitung im firmeneigenen Vermögensinteresse … 3. Unternehmenstheorien in der betriebswirt- schaftlichen Steuerrechtskritik aus historischer Perspektive

18 Lehrstuhl für Unternehmensbesteuerung, Prof. Dr. Ute Schmiel Zwischenergebnis Nach dem in der betriebswirtschaftlichen Steuerrechtskritik zurzeit überwiegend vertre- tenen Unternehmensverständnis sind Unternehmen in einem erfahrungswissenschaft- lichen Sinne nicht handlungsfähig. Gegen diese Auffassung lassen sich aus kritisch-rationaler Sicht kritische Einwände formulieren. Vor diesem Hintergrund liegt die Frage nahe, ob in der Geschichte der betriebswirt- schaftlichen Steuerrechtskritik auch andere Auffassungen im Hinblick auf die erfah- rungswissenschaftliche Handlungsfähigkeit von Unternehmen vertreten wurden. Eine erste Analyse der Quellen zeigt, dass Unternehmen zunächst überwiegend implizit als handlungsfähig, später jedoch explizit als handlungsfähig angesehen wurden, und zwar interessanterweise gerade von solchen Fachvertretern, die später eine solche Handlungsfähigkeit ablehnen. Damit könnte es sich bei der Rezeption von Unternehmensverständnisse um einen Fall handeln, bei dem Ergebnisse „vorschnell aufgegeben wurden“. Um diese Vermutung bestätigen/widerlegen zu können, ist eine Detailanalyse von Quellen von ca. Mitte der 1960er Jahre (beginnend mit frühen Arbeiten D. Schneiders) bis ca. Mitte der 1990er Jahre (expliziter kapitalmarkttheoretischer Bezug in der betriebswirt- schaftlichen Steuerrechtskritik) sinnvoll.

Lehrstuhl für Unternehmensbesteuerung, Prof. Dr. Ute Schmiel Coleman, James S. (1979): Macht und Gesellschaftsstruktur, Tübingen Coleman, James S. (1994), A Rational Choice Perspective on Economic Sociology, in: Smelser, Neil J./Swedberg, Richard (Hrsg.), The Handbook of Economic Sociology, S Cyert, Richard M./March, James G. (1995), Eine verhaltenswissenschaftliche Theorie der Unternehmung, 2. Aufl., Stuttgart Graf, Adolf (1950): Betriebswirtschaftliche Steuerlehre, Zürich Großmann, Hermann (1931): Studien und Gedanken über Wirtschaft und Wissenschaft, in: Zeitschrift für Betriebswirtschaft, S Großmann, Hermann (1950): Der Kausalzusammenhang zwischen Wirtschaft und Steuer, in: Zeitschrift für handelswissenschaftliche Forschung, S Hundsdoerfer, Jochen/Kiesewetter, Dirk/Sureth, Caren (2008): Forschungsergebnisse in der Be­triebs­wirtschaftlichen Steuerlehre – eine Bestandsaufnahme, in: Zeitschrift für Be­ triebs­wirt­schaft, S Literatur

Lehrstuhl für Unternehmensbesteuerung, Prof. Dr. Ute Schmiel Literatur Jensen, Michael C./Meckling, William H. (1976): Theory of the Firm: Managerial Behavior, Agency Costs and Ownership Structure, in: Journal of Financial Economics, Vol. 3, S Klinger, Karl (1933): Zur Idee der betriebswirtschaftlichen Steuerlehre, in: Der prak­ti­sche Betriebswirt, S Opp, Karl-Dieter (2009), Das individualistische Erklärungsprogramm in der Soziologie. Entwicklung, Stand und Probleme, in: Zeitschrift für Soziologie, 38. Jg., S Pfeffer, Jeffrey/Salancik, Gerald R. (2003), The External Control of Organizations: a Resource Dependence Perspective, Stanford Schneider, Dieter (1974): Investition und Finanzierung, Wiesbaden, 3. Aufl. Schneider, Dieter (1992): Investition, Finanzierung und Besteuerung, 7. Aufl. Schneider, Dieter (2006): Reform der Unternehmensbesteuerung: Niedrigere Steuer­ sätze für zu­­rück­behaltene Gewinne oder höhere Finanzierung aus Abschreibungen?, in: Be­triebs­wirt­schaft­­liche Forschung und Praxis, S

Lehrstuhl für Unternehmensbesteuerung, Prof. Dr. Ute Schmiel Literatur Siegel, Theodor (2014): Zur Regulierung der Besteuerung: Dauerthema Steuerreform und der Reformentwurf „Bundessteuergesetzbuch“, in: Kaal, Wulf A./Schmidt, Matthias/Schwartze, Andreas (Hrsg.), Recht im ökonomischen Kontext, Festschrift zu Ehren von Christian Kirchner, Tübingen, S Vanberg, Viktor (1992), Organizations as Constitutional Systems, in: Constitutional Political Economy, Vol. 3, S Wagner, Franz W./Dirrigl, Hans (1980): Die Steuerplanung der Unternehmung, Wiesbaden Wagner, Franz W. (2000): Unternehmenssteuerreform und Corporate Governance, in: Steu­er und Wirtschaft, 77. Jg., S