Einführung in die Notfallpsychologie

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 Präsentation transkript:

Einführung in die Notfallpsychologie Mag. Jürgen BELL

Begriffsklärung Psychotraumatologie Psychisches Trauma = seelische Verletzung Untersuchung und Behandlung seelischer Verletzungen und ihrer Folgen (kurz- und langfristig). (G. Fischer, P. Riedesser: Lehrbuch der Psychotraumatologie, 1999)

Krise ist ein traumatisches Ereignis, das außerhalb der üblichen menschlichen Erfahrungen liegt ( außergewöhnliches Schadensereignis) und welches die Betroffenen (Opfer, Angehörige, soziales Umfeld und die Helfer) in ihren Emotionen massiv erschüttert. Es gibt noch keine Bewältigungsstrategien im Erfahrungsschatz der Betroffenen. Gekennzeichnet ist die krisenhafte Situation durch große Unsicherheit, Angst bis hin zu Panik, Schockreaktionen und Chaos.

Begriffsklärung Notfallpsychologie Entwicklung und Anwendung von Theorien und Methoden der Psychologie sowie ihrer Nachbardisziplinen bei Einzelpersonen oder Gruppen, die von Notfällen betroffen sind. Notfallpsychologie umfasst Präventions-, Interventions- und Nachsorgemaßnahmen, bezogen auf einen relativ kurzfristigen Zeitraum.

Begriffsklärung Notfälle Ereignisse, die aufgrund ihrer subjektiv erlebten Intensität physisch/psychisch als so beeinträchtigend erlebt werden, dass sie zu negativen Folgen in der physischen und/oder psychischen Gesundheit führen können. Von Notfällen können Einzelpersonen oder Gruppen betroffen sein.

Beispiele für solche Situationen in der Schule können sein: Suizid(versuch) von SchülerInnen/LehrerInnen in und außerhalb der Schule Schweres Unglück auf Skikurs (z.B. Lawinen), Landschulwoche (z.B. Autobus- oder Zugsunglück) Sexueller Missbrauch Amoktat in der Schule

Typen von Notfällen Naturkatastrophen (Erdbeben, Lawinenabgänge,...) Technisch verursachte Notfälle Medizinische Notfälle Zwischenmenschliche Notfälle

Technisch verursachte Notfälle Unfälle im Schulgebäude Brand Explosion

Medizinische Notfälle Plötzlicher Tod eines Schülers/Lehrers in der Schule durch medizinische Ursachen (z. B. Herzversagen) Todesfall aus medizinischen Gründen (Schüler aus der Klasse verstirbt an einem Krebsleiden, Lehrer aus einer Schule verstirbt)

Zwischenmenschliche Notfälle Mord/Mordversuch Suizid/Suizidversuch/erweiterter Suizid/versuch Gewaltakte (Überfälle, Geiselnahme, schwere tätliche Angriffe) Unfälle (z.B. Verkehrsunfall)

Kennzeichen einer Notfallsituation Hohe Intensität: starke Reize treffen auf den Menschen (Bilder, Geräusche, Gerüche,...) Unausweichlichkeit: es passiert einfach, man kann nichts dagegen tun zeitlich begrenzt: von Minuten bis zu Stunden/Tagen/Wochen Unterbrochene Handlung: ein Notfall unterbricht in der Regel den Ablauf einer anderen Handlung, die man sich zu diesem Zeitpunkt vorgenommen hat. Man wird plötzlich aus seiner Alltagsroutine gerissen.

Kennzeichen einer Notfallsituation: Neuheit Die Traumatisierung bei Opfern wirkt unmittelbar, sie trifft auf keinerlei innere Vorbereitung (mit dem Ereignis hat niemand gerechnet!). Dies hat zur Folge: Auftreten einer Vielzahl bisher nicht bekannter und irritierender Empfindungen, Gefühle und Gedanken Situation erscheint/ist bedrohlich

Kennzeichen einer Notfallsituation: Kontrollverlust Notfallopfer können ihr Umfeld meist nicht mehr selbst kontrollieren. Dies kann bei permanenten Andauern sogar psychische und körperliche Krankheiten verursachen.

Kennzeichen einer Notfallsituation Mit dem Auftreten des Ereignisses verändert sich mit einem Male die gesamte Situation der Betroffenen. „Es wird nie wieder so sein wie früher.“ Was wichtig war bis zu diesem Zeitpunkt wird plötzlich unwichtig.

Reaktionen in einer Notfallsituation Jeder Mensch reagiert anders in Notfallsituationen. Unterschiede zwischen Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen

Reaktionen in einer Notfallsituation Physiologie Adrenalin wird ausgeschüttet Herzfrequenz steigt Blutdruck steigt Durchblutung der Bewegungsmuskulatur Verdauungsfunktion reduziert - Körper ist auf Flucht vorbereitet

Reaktionen in einer Notfallsituation Physiologie Zittern Schwitzen Frieren (Schüttelfrost) Erschöpfung Übelkeit Magenbeschwerden Atemnot Brustschmerzen Schwindel Unruhe

Reaktionen in einer Notfallsituation Gefühle Angst und Unruhe Schuldgefühle: unabhängig davon, ob das tatsächlich auch der Fall ist. Scham: z. B.: wenn sich das Ereignis vor vielen Augenzeugen abgespielt hat. Misstrauen (z. B.: Raubüberfall, Vergewaltigung)

Reaktionen in einer Notfallsituation Gedanken ... an die eigene Gesundheit ... an die Notfallfolgen ... an Angehörige ... an Materielles ... an die Zukunft ... Wunsch nach einem Gespräch ... Wunsch nach Information

Reaktionen in einer Notfallsituation Verhalten („Schock“) Weinen Schreien Aggressionen Überaktivität Lähmung Ruhe/Beherrschung Lachen

Reaktionen in einer Notfallsituation Abwehrmechanismen Verleugnung Verdrängung Rationalisierung Regression Depersonalisation

Mittelfristige Auswirkungen von Notfällen Starke Ängste Depressionen Entsetzen über die eigene Reaktion Rückzug Vermeidungsverhalten Somatisierung

Auswirkungen von Notfällen kurz-/mittel-/langfristig Akute Belastungsreaktion: Beginn innerhalb von Minuten des Ereignisses bis max. 2-3 Tagen nach dem Ereignis. Posttraumatische Belastungsstörung Auftreten innerhalb von 6 Monaten nach dem Ereignis. (Klinische Klassifikation nach DSM IV oder ICD 10)

Posttraumatische Belastungsstörung Erlebnis eines Traumas Intrusionen („flash backs“): unwillkürliche und belastende Erinnerungen an das Trauma Vermeidungsverhalten und allgemeiner emotionaler Taubheitszustand Anhaltende physiologische Übererregung Symptome dauern länger als 1 Monat

Folgeerkrankungen Ängste Depressionen Suizid(gedanken) Drogeneinnahme Alkoholmissbrauch Anpassungsstörungen

Erscheinungsformen bei Jugendlichen Drogenprobleme Suizidversuche Sexuelle Straftaten Soziale Anpassungsstörungen (aggressives, antisoziales Verhalten) Verlust von Zukunftsperspektiven (z. B.: Risikoverhalten)

Erscheinungsformen bei Jugendlichen an der Schwelle zum Erwachsenwerden Abstraktes Denken - Vernünftige Argumentation - Entwicklung eines Bewusstseins über eigene Werte, Stärken und Schwächen Gefühlswelt ist in Aufruhr und vielen Schwankungen unterworfen Identitätswelt ist bedroht

Besonderheit: Jugendliche und ihr Verhältnis zu Tod und Sterben Der Tod löst große Gefühlsverwirrungen aus. Der Tod kann nur schwer akzeptiert werden, da Jugendliche voll im Leben stehen und von der eigenen Unsterblichkeit überzeugt sind. Ringen mit der Erkenntnis der eigenen Sterblichkeit. Naheverhältnis zum Tod: Romantische Vorstellung, Todessehnsucht (Internet!). „Realitätsschock“: Erkenntnis, die Realität ist anders als im Film (z. B.: Medicopter, Emergency room).

Reaktionen in und auf Notfallsituation Alle Reaktionen, sowohl bei Jugendlichen als auch Erwachsenen sind normale Reaktionen auf ein nicht normales Ereignis!

Wichtige Schritte zur Bewältigung

Hilfreiche Interventionen Krisenintervention hat unmittelbar, authentisch und wahrheitsgetreu stattzufinden. Informationen geben: keine falschen Informationen! Helfen, Gefühle auszudrücken und diese als normale Reaktion auf ein nicht normales Ereignis anzunehmen. Helfen, das unfassbare Ereignis zu verbalisieren und zu ordnen. Beistand leisten beim Abschied nehmen von verstorbenen Personen.

Hilfreiche Interventionen Auf Fragen eingehen Sich Zeit nehmen und zuhören. Auf die momentanen Bedürfnisse eingehen. Körperkontakt kann beruhigend wirken auf nonverbale Rückmeldungen achten Jugendliche einbinden beim Abschied nehmen von verstorbenen Personen (z. B.: Gestaltung von Gedenkfeier)

Bedeutung von Informationen Förderung neuer Perspektiven und Aspekte Reduktion von Schuldgefühlen Reduktion von Unklarheit Reduktion von Unsicherheit Reduktion von Hilflosigkeit Reduktion von Versagensängsten Förderung von Verständnis

Ziele der Intervention Emotionale Stabilisierung Wiedergewinnung der Handlungsfähigkeit Aufklärung und Unterstützung von Angehörigen, die von dem Ereignis nicht betroffen waren. Für psychosoziale Nachbetreuung sorgen.

Aufgaben der Entscheidungsträger im System Schule Überblick über eine chaotische Situation zu behalten (Krisenstab einrichten!) Gemeinsame Besprechung aller befassten Stellen zur Klärung der Frage: „Wer macht was wann mit wem und mit welchem Ziel?“ Ruhe zu bewahren trotz heftigster und unterschiedlichster Reaktionen aus der Umgebung. Entscheidungsfähig zu bleiben und besonnene Entscheidungen treffen. Medienmanagement