Kinder brauchen Grenzen und grenzenlose Freiheit – auf den Zeitpunkt kommt es an! Was Entwicklungs-psychologen und Frühpädagogen zum Thema „Grenzen“ meinen?

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 Präsentation transkript:

Kinder brauchen Grenzen und grenzenlose Freiheit – auf den Zeitpunkt kommt es an! Was Entwicklungs-psychologen und Frühpädagogen zum Thema „Grenzen“ meinen?

Ein Download der vollständigen Präsentation (von 58 Folien) steht auf meiner Webseite bereit www.hartmut-kasten.de

Grenzen für Kinder im Wandel der Zeiten Das Bild vom Kind hat sich gewandelt Zwangskorsette für Kinder in historischen Zeiten, als sie wie kleine Erwachsene behandelt wurden Kindheit in den Nachkriegsjahren: Gab es damals weniger Grenzen und mehr Freiheit für Kinder? Erziehungsstile und Erziehungsmethoden früher und heute Mehr Eingrenzungen und Planquadrate für Kinder (durch „Helicopter-Eltern“) heute? Im Vergleich zu früher wird das Heranwachsen der Kinder von Anfang an viel stärker von außen bestimmt, vorstrukturiert und individualisiert Grund: Die Gesellschaft hat einen Wertewandel vollzogen – von Uniformität, Anpassung und Einordnung zu mehr Selbstbestimmung und persönlicher Sinnfindung nicht zuletzt durch wirtschaftlich bedingte Beschleunigungs-, Automatisierungs- und Verdichtungsprozesse

Grenzen für Kinder in anderen Ländern und Kulturen Ist „Grenzen setzen“ etwas typisch Deutsches (und wurzelt im sprichwörtlich autoritären Charakter der Deutschen)? Nein: In Irland, Polen und einigen anderen europäischen Ländern wird z. B. großer Wert darauf gelegt, dass Kindern elementare soziale Regeln beigebracht werden: von sich aus Grüßen, ihre Jacke aufhängen, Essmanieren haben, Gespräche der Erwachsenen nicht einfach unterbrechen, Respekt vor dem Eigentum anderer zeigen, anderen auch einmal den Vorrang lassen, höflich und bescheiden sind. In anderen Ländern ist man lockerer unterwegs (auch in Stammesgesellschaften?).

Grenzen setzen – aber wie? Kindern die richtigen Grenzen zu setzen, stellt für viele Eltern eine große Herausforderung dar. Manche scheinen heute unsicherer zu sein als früher. Woher kommt diese Unsicherheit? Gibt es eindeutige Regeln, nach denen man Kinder erziehen kann? Gründe für die Unsicherheit Allgemeingültige, verbindliche Regeln für eine gute Erziehung gibt es nicht Tipps und Empfehlungen finden sich in RATGEBERN Fakten und Informationen, die mir persönlich erwähnenswert scheinen, bekommen Sie JETZT

Erziehung und Beziehung Erziehung ist Beziehung (Rainer Dollase) Beziehung statt Erziehung: Aus Beziehung wird Erziehung (Jesper Juul) Meine Meinung: Ohne Beziehung kann Erziehung nicht gelingen. Beziehung besitzt das Primat!

Beim Grenzen setzen ist jede Familie anders Die in deutschen Familien praktizierten Erziehungsmethoden (und die dahinter stehenden Erziehungsstile und pädagogischen Werte) variieren heutzutage über ein breites Spektrum: In der Mitte sind die (mehr oder weniger) demokratisch und partnerschaftlich orientierten Erziehungsstile angesiedelt, rechts außen lassen sich die autoritären, links außen die (mehr oder weniger) gewähren lassenden Erziehungsstile verorten.

Grenzen und Grenzenlosigkeit -einige begriffliche Klärungen Der Begriff „brauchen“ – was wird damit assoziiert? Grenzen vs. grenzenlos – was ist gemeint? Was ermöglicht uns Grenzenlosigkeit? Grenzen und Freiheit – oder Freiheit in Grenzen (dazu beispielsweise die DVD von Schneewind) ? Was be-grenzt unser Leben : z. B. Sterblichkeit, Vorgaben der Gesellschaft (Eltern, Gruppenzugehörigkeit, Eingliederung in Institutionen): Regeln, Gebote und Verbote, Pflichten und Aufgaben, Verhaltensstandards, Normen, Konventionen, Trends und Moden, Sitten und Gebräuche usw. Reaktionsmöglichkeiten auf Grenzen: Akzeptanz, Gehorsam, Unterordnung, Flüchten, Weglaufen, Abwehr, Auflehnung, Aggression, Rebellion

Arten von Grenzen – es lassen sich voneinander abgrenzen: Innere (genetisch, biologisch, physiologisch fundierte) Grenzen, die im Laufe der Kindheit abnehmen und mit dem Älterwerden wieder zunehmen (s. folgende Folien) Äußere, faktisch gegebene, physikalische Grenzen Konventionelle Grenzen - Alters- und geschlechtsspezisch festgelegte Grenzen - Gesellschaftlich (institutionell) vorgegebene Grenzen - Vereinbarte zwischenmenschliche Grenzen (z. B. innerhalb einer Familie oder Gruppe)

Zwischenmenschliche Grenzen – wann können Kinder sie lernen? Meilensteine in der kindlichen Entwicklung, die man kennen muss, um „richtig“ Grenzen zu setzen: Um das vollendete 2. Lebensjahr herum (das ICH wird entdeckt) Gegen Ende des 4. Lebensjahr und in den nachfolgenden ein, zwei Jahren wird realisiert, dass sich die eigene Sicht von der Welt von der Sicht anderer Menschen unterscheidet: Sein und Anschein, Innenwelt und Außenwelt werden entdeckt

Biologisch fundierte Grenzen – Grenzen, die von Anfang an da sind Neugeborene verfügen von Anfang an über Kompetenzen und Fähigkeiten, die ihr Auseinandersetzen mit der Umwelt in bestimmte Bahnen lenken. Damit werden andere, nicht in ihrem Genrepertoire oder ihrem Epigenom festgelegte Weisen des Mit-der-Welt-in-Kontakt-Tretens ausgegrenzt! *******

***** Biologisch fundierte Grenzen – Begrenzungen, die von Anfang an da sind (2) Hervorhebenswert sind beispielsweise: (1) Ihre Bindungsbereitschaft im Hinblick auf Personen, die ihnen regelmäßig und angemessen Zuwendung und Versorgung zuteil werden lassen Erwähnenswert: Sicher gebundene Kinder akzeptieren Grenzen, weil sie ihre Bezugspersonen lieben und respektieren (nächste Folie) (2) Ihre Vorliebe für menschliche Gesichter und sprachliche Laute (3) Ihre Nachahmungsbereitschaft, die den Nährboden für Mitgefühl und Empathie bildet, wenn sie erwidert und zurückgespiegelt wird: Emotionale Resonanz der Eltern/Bezugspersonen ist vonnöten, wenn ihre Spiegelneuronen nicht verkümmern sollen und gefühlskalte, zu keinem Mitgefühl fähige Erwachsene resultieren.

Bindungsqualität und Grenzen setzen - Sicher gebundene Kinder akzeptieren Grenzen, weil sie ihre Bezugspersonen lieben und respektieren sie lernen schneller als unsicher gebundene Kinder Verhaltensregeln zu verinnerlichen (so entsteht das “Gewissen“) und Versuchungen zu widerstehen (Untersuchungen zum „Widerstand gegen Versuchung“), auch wenn die Bezugspersonen nicht anwesend sind sie erkunden die Welt furchtlos und voller Selbstvertrauen, vergewissern sich zwischendurch aber hin und wieder (Blickkontakt), dass ihre Bezugsperson in Reichweite bleibt Damit gilt: eine sichere Bindung ist fundamental für den weiteren Bildungsweg

Fakt ist: Der Anteil unsicher gebundener Kinder wächst Unsicher gebundene Kinder tun sich schwerer mit der Akzeptanz von Grenzen (ein Grund dafür, dass die Fragen nach dem Wann, Wo und Wie des Grenzensetzens in jüngerer Zeit häufiger gestellt werden) Sie erkunden die Welt nur zaghaft, haben wenig Selbstvertrauen und kleben am Rockschoß ihrer Bezugsperson oder sie entfernen sich von dieser (ohne Blickkontakt zu wahren) und verlieren sie aus den Augen und geraten dann in Panik

Spiegelneuronen – Wurzeln von Empathie und Mitgefühl Schon Neugeborene spiegeln Mimik und Ausdruck wider Eltern sollten darauf reagieren und so etwas wie ein Resonanzboden für die Gefühle ihrer Kinder sein So sorgen sie dafür, dass ihr Kind zu einem mitfühlendem Menschen heranwächst

Biologisch fundierte Grenzen – Begrenzungen, die im Laufe des 1 ***** Biologisch fundierte Grenzen – Begrenzungen, die im Laufe des 1. Lebensjahres dazukommen (3) Begrenzung auf Nahwahrnehmung und nicht räumliches Sehen Begrenzung durch noch nicht zielgerichtet greifen können Begrenzung durch sich nicht verständlich machen können Begrenzung durch Beschränkung auf relativ kurze Phasen des Wach- und Aufmerksam-sein-Könnens Begrenzung durch nicht zeigen können, was man gern haben möchte Begrenzung durch nicht sagen können, was man gern haben möchte Begrenzung durch nicht hinlaufen können, um sich zu holen, was man gern haben möchte

Biologisch fundierte Grenzen – Grenzen, die im Laufe des 2 ***** Biologisch fundierte Grenzen – Grenzen, die im Laufe des 2. Lebensjahres verschwinden und neue Grenzen, die dazukommen Begrenzungen, die entfallen: Zu Beginn des zweiten Lebensjahres kann das Kleinkind Dinge scharf wahrnehmen, die weiter entfernt sind; es kann räumlich sehen, zielgerichtet greifen, ist länger wach und aufnahmefähig und kann sich durch die Zeigegeste und weitere nonverbale Kommunikation verständlich machen können Begrenzungen, durch Grenzen, die weiter bestehen bzw. neu dazukommen: (1) Sein Radius ist noch begrenzt (2) Dasselbe gilt für sein sprachliches Ausdrucksvermögen (3) Nach der Entdeckung des Ich lernt es im Laufe des dritten Lebensjahres die Grenzen seines Willens kennen

Quantensprung gegen Ende des 4. und zu Beginn des 5 ***** Quantensprung gegen Ende des 4. und zu Beginn des 5. Lebensjahres: Die Weltwahrnehmung der Kinder wandelt sich Ein umfassender Wandel in der Weltwahrnehmung der Kinder setzte Endes des 4.Lebensjahres ein und wird im Laufe des 5. Lebensjahres beständig weiter ausgebaut: Die Kinder begreifen allmählich, dass sich ihre Sicht der Welt von der Sichtweise, die andere Menschen haben, unterscheidet. Sie verstehen darüber hinaus auch langsam, dass sich ihre innere Welt, ihre eigenen Gedanken, Gefühle und Absichten, von der Innenwelt anderer Menschen unterscheiden kann. Auf der Basis dieses Erkenntnisgewinns wird ihr eigenes zwischenmenschliches Handeln immer kompetenter. Paradox ist, dass um diese Zeit herum das Grenzen- von-außen-gesetzt-Bekommen beträchtlich zunimmt!

***** Grenzen, mit denen Kinder besonders im ersten Lebensjahr konfrontiert werden Ihre Bewegungsmöglichkeiten sind am Anfang noch stark eingeschränkt (abhängig vom Reifestand) Zusätzlich werden ihre Bewegungs-möglichkeiten durch zivilisatorische Vorrichtungen und Maßnahmen (Kleidung, Windeln, Wiege, Bettchen) weiter eingeschränkt (von Natur aus sind Säuglinge Traglinge!)

Beispiele für typische Grenzen in der Kindheit (Vorschulalter) Es gilt: Wenn die Mutter oder der Vater “Nein” sagen, dann stellt das eine Grenze dar - der Wunsch des Kindes wird nicht erfüllt, das Thema ist damit erledigt. Beispiele: Wenn das Kind von der Schule kommt, darf es Ranzen u. Schuhe nicht einfach kreuz u. quer im Flur ablegen Um 17.30 Uhr muss es zuhause sein. Der Fernseher darf nur von 18.00 bis 19.00 Uhr eingeschaltet werden. Wenn Erwachsene reden, darf das Kind nicht dazwischen zu reden. Es darf die Wohnung/das Haus (den Hof, Garten usw.) nicht allein verlassen. Wenn es eine Grenze nicht einhält, hat dies Konsequenzen (es wird nötigenfalls bestraft).

Was geht in Kindern vor, wenn ihnen Grenzen gesetzt werden? Im besten Fall sind sie mit der jeweiligen Grenz-ziehung einverstanden, den Eltern zuliebe ode weil sie die Beweggründe der Eltern (oder ihrer anderen erwachsenen Bezugspersonen) verstehen und akzeptieren. In den meisten Fällen spielt sich das Einhalten von Grenzen aber eher nach dem Prinzip nolens-volens ab: Wohl oder übel werden Grenzen respektiert - gezwungenermaßen, notgedrungen, unfreiwillig, zwangsläufig … Im schlimmsten Fall fühlen sich beständig begrenzte Kinder unterdrückt, erleben sich als ewig zurückgewiesen und schließlich als minderwertig und ungeliebt - ihr Selbstvertrauen, ihre Zuversicht und ihr Selbstwertgefühl nehmen Schaden.

Diese Fragen werden ganz unterschiedlich beantwortet Kontrovers diskutiert: Grenzen, die (den eigenen) Kindern von anderen Erwachsenen gesetzt werden Wann, in welchen Situation und bei welchen Anlässen wäre das akzeptabel? Direktes fremden Kindern Grenzen setzen – oder auf dem Umweg über die Eltern? Diese Fragen werden ganz unterschiedlich beantwortet Denn: Jede Familie ist anders (nächste Folie)!

Jede Familie ist anders – was bedeutet das für das Thema „Grenzen setzen“? In manchen Familien werden Kindern zahlreiche Grenzen gesetzt. Was bedeutet das für die Entwicklung der betroffenen Kinder? In anderen Familie werden den Kindern nur wenige Grenzen gesetzt. Was bedeutet das für die Entwicklung der betroffenen Kinder? Was ist aus pädagogischer Sicht empfehlenswert? Es gibt keine Patentlösungen. Auf die Signale der Kinder sollte man achten.

„Grenzen setzen“ – Behandlung des Themas in den Medien In den Medien wird oft bedauert, dass den Deutschen anscheinend der soziale Kompass abhanden gekommen ist: „Wir scheinen unsere gemeinsamen Bewertungsmaßstäbe verloren zu haben. Wir <wissen> nicht mehr prinzipiell: So und so muss es sein.“ (DER SPIEGEL 2011). Meine Meinung: Bedauern ist unangebracht. Wir leben in einer pluralen, vielfältigen und vielschichtigen, multikulturellen Gesellschaft, in der Kinder immer seltener, ältere Menschen immer häufiger anzutreffen sind (demographischer Wandel). Natürlich wird jetzt – angesichts einer deutlich zunehmenden Ausländerzahl, der Ruf nach einer (deutschen) „Leitkultur“ wieder laut…

Wenn diese sich selbst gefährden Wenn sie andere gefährden Anlässe und Gründe von Eltern oder anderen für die Erziehung verantwortlichen Personen Kindern Grenzen zu setzen Wenn diese sich selbst gefährden Wenn sie andere gefährden Wenn sie gegen Regeln verstoßen, die mit ihnen (z. B. in der Familie oder KiTa) vereinbart wurden Wenn sie gegen soziale, gesellschaftlich festgelegte Konventionen und Verhaltensnormen verstoßen Wenn sie ihren Eltern/Bezugspersonen etwas angedeihen lassen wollen, dass sie auch selbst erledigen können (Bequemlichkeit)

Sinnvolle Grenzen setzen – eingebaut in die elterliche Erziehung Grenzen können Kindern Halt geben (z. B. Kleinkindern bei der Spannungsregulation) Grenzen müssen altersgemäß sein Grenzen sollten den Kindern verständlich gemacht werden Persönliche Grenzen sollten in ICH-Form gesetzt und erklärt werden Jede Familie (jedes Kind) ist einzigartig und hat ihre eigenen Auffassungen von Grenzen: Wir leben in einer pluralen Gesellschaft, in der es keine Patentrezepte fürs Grenzen setzen und all die individuellen Fälle gibt

K. A. Schneewinds Konzept „Freiheit in Grenzen“ Das Konzept beruht auf drei Säulen: Klare Grenzen setzen und sie, soweit möglich, begründen Das Kind als Person in jeder Situation wertschätzen (auch wenn man ein konkretes Verhalten des Kindes, z. B. die Nichteinhaltung einer Grenze, missbilligt) Die Eigenständigkeit fördern und das Kind (in den gesetzten Grenzen) bewusst gewähren und eigene Erfahrungen sammeln lassen. Dadurch wird die Entwicklung von Kindern gefördert und unterstützt, so dass sie heranwachsen zu lebensbejahenden, selbständigen, selbstbewussten leistungsbereiten und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeiten.

Praktisches Vorgehen beim Grenzen setzen (1) Abwarten, solange wie möglich. Den sprichwörtlich langen Geduldsfaden bewahren (2) Begrenzen, trennen, intervenieren, wenn es nötig ist (Beispiele!). (3) Anschließend den Kontakt wieder herstellen. Der dritte Schritt ist sehr wichtig. Wer Grenzen setzt, schreitet ein, unterbricht, stört, weist zurecht, engt ein, beschränkt. Grenzen unterbrechen den Fluss der Dinge, den Ablauf des Geschehens und können, wenn sie abrupt und gegen den Willen der Kinder eingesetzt werden, auch die Beziehung zu diesen belasten und beeinträchtigen Grenzen sollen sich nicht gegen Kinder richten, nicht diese ablehnen und einschränken, sondern angemessen und kindbezogen sein

Konsequenzen bei Verstößen? Wie sinnvoll sind Strafen, Sanktionen, Entzug von Privilegien? Aus meiner Sicht Tabu sein sollten physische Gewalt, Drohungen, Liebesentzug, Blaming! Sinn macht kindgemäßes kognitives Strukturieren (erläutern, erklären, begründen, verständlich machen): Du bist okay, Deine Wut kann ich nach-vollziehen, aber aggressive Handlung bitte nicht!

Alle Babys kommen neugierig auf die Welt Warum macht es Sinn, unseren Kindern (nicht nur) ab und zu „grenzenlose Freiheit“ zu ermöglichen? Alle Babys kommen neugierig auf die Welt Ihr (unser aller) Gehirn ist so getaktet, dass sie sich (wir uns) reflexartig allem Neuen zuwenden (orienting reflex vs. startle reflex) Ihr (unser aller) Gehirn fragt im Drei-Sekunden-Takt „Was gibt es Neues auf der Welt“ Im Hinblick auf die Ausprägungsstärke der Orientierungsreaktion unterscheiden sich Babys von Anfang voneinander

Warum macht es Sinn, den Kleinen „grenzenlose Freiheit“ zu ermöglichen Manche beschäftigen sich länger mit etwas Neuem, das sie interessiert, manche nicht so lange Manche bevorzugen diese, andere jene neuen Reize - Babys haben von Anfang an persönliche Vorlieben (sie fühlen sich von bestimmten Objekten, Geräuschen, Gerüchen stärker angezogen als von anderen) Die Gründe dafür liegen in ihren individuellen Anlagen, bilden sich möglicherweise auch noch im Mutterleib weiter aus. Aber: Sie signalisieren von Anfang an, was sie interessiert z. B durch Blick- und Zuwendungsverhalten

Angeborene Neugier: Die Orientierungsreaktion Kinder sind von Natur aus neugierig. Sie wenden sich Neuem reflexartig zu. Die Ursache dafür ist der angeborene Orientierungsreflex, der auch Orientierungsreaktion genannt wird. Diese grundlegende Bereitschaft gilt es feinfühlig zu fördern (dafür sind Akzeptanz, Wertschätzung und eine sichere Bindung zentral und Zeitknappheit kontraindiziert) Das sich reflexartig neuen Objekten zuwenden ermöglicht Erkundung (mehr oder weniger intensive Exploration) und (allmähliche) Gewöhnung (Habituation) Schnelle und langsame Habituierer - Vorteile und Nachteile (teilweise genetisch determinierte Unterschiede) Die Orientierungsreaktion steht im Wechselspiel mit der Schreckreaktion, die ausgelöst wird, wenn neuartige Reize zu intensiv, neuartig oder chaotisch erlebt werden (individuelle Unterschiede im Hinblick auf die Habituation).

Schon Kleinkinder signalisieren, was sie wollen Babys haben von Anfang an persönliche Vorlieben (sie fühlen sich von bestimmten Objekten, Geräuschen, Gerüchen stärker angezogen als von anderen). Die Gründe dafür liegen in ihren individuellen Anlagen, bilden sich möglicherweise auch noch im Mutterleib weiter aus. Sie signalisieren von Anfang an, was sie interessiert durch Blick- und Zuwendungs-verhalten).

Von der Geburt an vorhanden: Von Geburt an kompetent – interessant ist sich vor Augen zu führen, was Neugeborene schon alles mitbringen auf die Welt: Bindungsbereitschaft Angeborenes Nachahmungspotential (Spiegelneuronen) Neugier (Orientierungs- und Abwendungsreflex) Angeborene Vorlieben (z. B. für lebendige Objekte, Sprachliche Laute, Gesichter, Streicheleinheiten) Angeborenes mimisches Ausdrucksrepertoire Auf den Anfang kommt es an: Bedeutung der ersten Lebensmonate (was uns die Hirnforschung berichtet)

Fördern von Flow – von Anfang an Schon dem Baby alle Zeit geben, die es braucht, wenn es von sich aus Interesse an etwas signalisiert und anfängt sich damit zu beschäftigen Nicht lenkend eingreifen in die Art und Weise, wie sich das Baby mit der Sache beschäftigt Wenn das Interesse abklingt, dem Baby Zeit lassen zur Verarbeitung Schnuller-Experimente: Während einer intensiven Beschäftigung hören sie auf zu nuckeln, hinterher (wenn sie verarbeiten), nuckeln sie wieder intensiver

Grenzenlose Freiheit kann Kindern nur in Annäherung ermöglicht werden: In der Fantasie, aber auch faktisch! Beispielsweise in dem wir ihnen großzügige Zeitkontingente zu Verfügung stellt, sie zu Ende spielen lässt (zuweilen kann an einem Spiel tagelang weitergespielt werden und es baut sich wie von selbst so etwas wie FLOW auf) indem wir ihnen Phantasiereisen und ausgedehntes Rollen- und imaginatives Spiel ermöglicht wir neugierig auf das Kind sind, uns nicht von Vorannahmen (oder unseren eigenen Wolkenkuckucksheimen), sondern von den Kindern steuern lassen (wir können viel von unseren Kindern lernen: Kindermund tut Weisheit kund!)

Wie werden Fundamente gelegt? Aufbau intrinsischer Motivation, d. h. ermöglichen, das sich ihr Kind intensiv mit einer Sache beschäftigen kann, für die es sich interessiert Flow-Erleben stellt sich im Idealfall gleichsam wie von selbst her – dadurch kann ihr Kind Kennerschaft erwerben und lernt analog und problemorientiert zu denken

Fazit Wenn Sie alles beherzigen, fördern Sie behutsam und kindgemäß die Beschäftigungsvorlieben, Interessen und Begabungen ihrer Kleinen und implizit damit auch ihre Fähigkeit von sich aus immer wieder FLOW (und damit ein Stück „grenzenlose Freiheit“) herzustellen und ihrer Entwicklung gemäß auszubauen und zu erweitern

Entwicklung im 1. Lebensjahr Vom Lallen zum Plappern zu ersten Wortschöpfungen Soziales Lächeln, Basisemotionen Vom Tun zum immer zielgerichteteren Er- und Be-greifen Erwerb der Zeigegeste Das zweite Lebenshalbjahr (Motorische Fortschritte: Sitzen, Krabbeln, Stehen, Gehen Symbiose mit der Mutter, Fremdeln Vorläuferformen von Vorstellungen Ausbildung von Objekt- und Personpermanenz Erste vorläufigen Konzepte aus (z. B. Verwendung des Wortes „Ball“ für alles Runde und Rollende oder des Wortes „wau“ für ganz verschiedene Tiere)

Entwicklung im 2. Lebensjahr Vom Gehen zum Laufen Mit Richtungswechseln Treppen steigen Kurz auf einem Bein stehen, hüpfen Feinmotorisch: z.B. mit dem Löffel essen, mit einem Stift kritzeln, Klötze in einen Behälter tun Eingeschränkte Trainings- und Übungseffekte

Kognitive Entwicklung im 2. Lebensjahr Fortschritte in der Sprachentwicklung: Erste verständliche Wörter, Ein-Wort-Sätze, weitere Wörter kommen dazu, eigenen Namen benutzen, Zwei-Wort-Sätze Im 2. Lebensjahr bildet das Kind immer differenziertere innere Vorstellungen von äußeren Dingen und Vorgängen, so genannte Repräsentationen. Ich-Entwicklung (Bereitstellung neuronaler Voraussetzungen)

Motorische Entwicklung im 3. Lebensjahr Grobmotorisch: Behender hüpfen und springen, schneller rennen, werfen, fangen (letzteres noch recht unsicher) Feinmotorisch: z.B. mit Gabel essen, vier Bauklötze aufeinander stellen, größere Perlen aufreihen auf Schnur, Flüssigkeit in einen anderen Becher umgießen Um diese Zeit herum sind Übungs- und Trainingseffekte teilweise belegbar (begabungsabhängig)

Motorische Entwicklung im 3. Lebensjahr (2) Kinder vor dem vollendeten 2. Lebensjahr einem speziellen motorischen Training (z.B. Skifahren, Eislaufen) zu unterziehen ist nicht sinnvoll, denn die biologischen Voraussetzungen müssen vorliegen, das heißt, die Reifung der entsprechenden Großhirnareale muss abgeschlossen sein. Erst vom 3. Lebensjahr an erweist sich ein Training bestimmter Bewegungsabläufe als sinnvoll.

Kognitive Entwicklung im 3. Lebensjahr Sprachliche Entwicklungsfortschritte: Wortschatzexplosion (von ca. 250 auf ca. 1000 Wörter mit 2,5 Jahren) Längere, grammatikalisch immer korrektere Sätze Sprache wird allmählich zum wichtigsten Mittel der Verständigung

Weitere kognitive Entwicklung im 3. Lebensjahr Das Selbst-Konzept wird differenzierter (wer bin ich = was kann ich, was gehört mit) Bevorzugung überwiegend positiver Merkmale zur Selbstcharakteri-sierung „Mein“ und „Dein“: Konzepte von Besitz und Eigentum entstehen

Weitere kognitive Entwicklung im 3. Lebensjahr (3) Die Konzepte von Raum, Zeit und Zahl differenzieren sich allmählich aus Vorläuferformen einer „Theorie der Innenwelt“ (theory of mind) zeigen sich – eine echte Dezentrierung von der eigenen Perspektive erfolgt aber in der Regel erst ein Jahr später, gegen Ende des 4. Lebensjahres Gegen Ende des 3. Lebensjahres differenziert sich auch das Konzept von „lebendig“ weiter aus (Pflanzen werden nicht mehr durchgängig als unbelebte Objekte eingestuft)

Sozial-emotionale Entwicklung im Laufe des 3. Lebensjahres Allmähliche Lockerung der engen symbiotischen Beziehung zur Mutter (wechselseitiger Prozess!) Vorübergehende Trennung kann besser ausgehalten werden Weitere Bindungen stabilisieren sich (Vater, Geschwister, Großeltern, Erzieherin) Bedeutung der Kontinuität der zentralen Bezugspersonen Die Trotzphase und ihre Wurzeln (prägende Erfahrungen) Geben und Nehmen wird gelernt Helfen und Hilfe bekommen

Empfehlungen für die Praxis – bitte Vorsicht: Jedes Kind hat sein eigenes Tempo und braucht seine eigene Zeit (es gibt große inter- und intraindividuelle Unterschiede im Entwicklungstempo) Den richtigen Zeitpunkt (Beginn der sensible Phase) abwarten, nichts forcieren wollen: Kleine Kinder lernen spielend!

Empfehlungen für die Praxis - Fortsetzung - Feinfühlig sein für die Signale, die vom Kind kommen und auf diese eingehen: Vor allem durch gelungene Interaktionen – wirklich wechselseitiges aufeinander Bezugnehmen – baut sich eine gute Beziehung auf - Dem Kind Vertrauen schenken: Vertrauen in das Kind festigt sein Selbstvertrauen

Empfehlungen für die Praxis - Fortsetzung Sich grundlegende Kenntnisse verschaffen über die entwicklungspsychologischen und pädagogischen Grundlagen der Kindheit – und sich nicht verunsichern lassen durch manchmal widersprüchlich erscheinende Fakten Die eigene Sicherheit vermittelt auch den Kindern Sicherheit und Vertrauen in das eigene Können Sich Zeit nehmen zum zum Spielen, zum Anregen, zum Schmusen – Kinder brauchen Zeit, zuweilen ganz viel Zeit (das sind Freiheiten + Freiräume) !! Die Frustrationstoleranz der Kinder stärken und ihre Widerstandsfähigkeit (Resilienz) ausbauen – wie geht das?

Empfehlungen für die Praxis - Fortsetzung Auf sein Gefühl und seine Intuition kann man sich zumeist, aber nicht immer verlassen Der Aufbau und die Aufrechterhaltung einer guten Beziehung ermöglicht den Kindern Neugier und selbständiges Explorieren Neugierig auf das Kind sein, offen sein für ungeahnte, überraschende, ungewöhnliche Seiten, die es spontan (zeitweilig kann das Kind ein wichtiger Lehrer für die Eltern sein)

Lernen und Förderung in außerfamilialer institutioneller Betreuung hängt ab von der Qualität der jeweiligen Einrichtung Öffentliche sind besser als freie sind besser als private Einrichtungen (im statistischen Durchschnitt) Kooperationseinrichtungen sind besser als Krippen sind besser als Tagesmütter

Kognitive Entwicklung gegen Ende des 2. Lebensjahres Ich-Entwicklung (neuronale Voraussetzungen) 3 Phasen (aufgeregt-aktiv; Playmate und Verunsicherung, Gehemmtheit; allmählich sich im Spiegel erkennen) bei den „Spiegel-Ich“-Untersuchungen „Rouge-Test“

Kognitive Entwicklung im 3. Lebensjahr Das Ich und Selbst wird differenzierter (was kann ich?) „Mein“ und „Dein“: Konzepte von Besitz und Eigentum entstehen

Sozial-emotionale Entwicklung im Laufe des 3. Lebensjahres Allmähliche Lockerung der engen symbiotischen Beziehung zur Mutter (wechselseitiger Prozess!) Vorübergehende Trennung kann besser ausgehalten werden Weitere Bindungen stabilisieren sich (Vater, Geschwister, Großeltern, Krippenerzieherin) Bedeutung der Kontinuität der zentralen Bezugspersonen Die Trotzphase und ihre Wurzeln (prägende Erfahrungen)

Kognitive Entwicklung von 4-6 Jahren (1) Fundamental ist der neurophysiologische Entwicklungsschub, der in der 2. Hälfte des 4. Lebensjahres einsetzt Explizites Gedächtnis (Strategienerwerb: Wiederholen, Ordnen, selektive Aufmerksamkeit) Kausales Denken (allmähliche Lockerung der engen raumzeitlichen Nähe zwischen Ursache und Wirkung) Problemlösen (z.B. durch analoges Denken, einer Wurzel von Kreativität – Pfirsichkerne statt Steine) Begriffe hierarchisieren (Lebewesen – Säugetiere –Nagetiere - Mäuse): Differenzierung und Integration der kognitiven Strukturen „Theorien im Hinterkopf“ bilden sich aus:

Kognitive Entwicklung von 4-6 Jahren (2) – Theorien über die Welt Welt der äußeren Dinge und Ereignisse (naive Theorie der Physik), z.B. Vorstellungen von der Erde Innenwelt (naive Theorie der Psychologie) – Differenzierung zwischen eigener und fremder Innenwelt – und Außenwelt werden allmählich unterschieden Welt des Lebendigen (Wachstum, Fortpflanzung, Vererbung)

Gemeinsam mit der Koautorin Cornelia Nitsch wird die Sichtweise der Kinder dargestellt