Wirksame Kriminalprävention und Jugendstrafrecht Jahrestagung der DVJJ Hessen 13. November 2008 Prof. Dr. Britta Bannenberg, Professur für Kriminologie,

Slides:



Advertisements
Ähnliche Präsentationen
Gewaltprävention durch Sport
Advertisements

Dr. Peter Dobmeier Lech-Mangfall-Kliniken gGmbH
Rechtsextremismus und Einwanderung
Vortrag Auf dem 4. Europäischen Polizeikongress 22. Mai 2001
Lions - Quest Vortrag anlässlich …….. TT. MM. JJ.
Die große Pause als Chance für einen freundlichen Umgang
bei nahestehenden Menschen
Aktuelle Situation zunehmende Internationalisierung, da sich ökonomische und ökologische, politische und soziale Entwicklungen in hohem Maße in weltweiten.
Erwerb von sozialer Kompetenz
"Der Mensch ist das einzige Geschöpf, das erzogen werden muss" – Über (schulische) Erziehung Referenten: Björn Anton: Andy Caspar Michael.
Referentinnen: Julia Michalewski, Birte Stapperfend, Elisa Remde
Unzureichende Wahrnehmung / Diagnostik
Vorlesung: Einführung in die Pädagogische Psychologie
Nutzung von Medien in der Freizeit
Bindung und die Entwicklung des Selbst
Entstehung von Süchten und Drogenmissbrauch durch Modell-Lernen
John Bowlby, Mary Ainsworth, Bindung.
Definition: Anlage - Umwelt
Entwicklung des Gottesbildes aus psychologischer Sicht
Untersuchungen zum Informationsverhalten Jugendlicher
Akzeptierende Jugendarbeit mit rechtsextremen Jugendlichen
Bildung für nachhaltige Entwicklung – ein Thema für die Förderschule?
Ein Leistungssportler/eine Leistungssportlerin in der Familie
Freitag, 21. Februar Freitag, 21. Februar 2014.
Der gesetzliche Kinderschutzauftrag
Families & Schools Together Beziehungen stärken für die Zukunft.
Was kann geschlechtersensible Bubenarbeit leisten?
Arbeitsgruppe 6: Tagesbetreuung für Kinder C. Katharina Spieß DIW Berlin und FU Berlin Professur für Familien- und Bildungsökonomie 22. Februar 2013.
Häusliche Gewalt.
Präsentation von Heinz Ernst Hauptsächliche Quelle:
Mobbing mit neuen Medien Fakultät für Psychologie
Förderung sozialer Kompetenz und Prävention aggressiven Verhaltens:
Persönlichkeitsstörungen
News Aktuelles aus Politik, Wirtschaft und Recht08/2011 © Verlag Fuchs AG Gewalt Fragen und Antworten Betrachten Sie den 10vor10 Beitrag Pöbeleien, Drohungen,
Umgang mit Konflikten Mag. Weber Adrian.
Stadt Weilburg Vielfalt tut gut – Jugend für Vielfalt, Toleranz und Demokratie und kompetent. für Demokratie – Beratungsnetzwerke gegen Rechtsextremismus.
Selektive Sprachlosigkeit –
„Scheidungswaisen“ Im Jahr 2006 trennten sich verheiratete Eltern von insgesamt Kindern, etwas weniger als drei Viertel davon (72,3 Prozent)
Beurteilung der Fahreignung
Zur Früherkennung krimineller Gefährdung
Kompetenzentwicklung in schwierigen Zeiten: Wie man Jugendlichen dabei helfen kann, die eigene Biografie zu gestalten Perspektive Berufsabschluss, Offenbach.
Vielfalt tut gut – Jugend für Vielfalt, Toleranz und Demokratie und kompetent. für Demokratie – Beratungsnetzwerke gegen Rechtsextremismus Von 2007 bis.
Scheidung und Schule Auswirkungen von Scheidung und Trennung auf Kinder bzw. Jugendliche – Relevanz für die Arbeit an der Schule © Hans-Gerd Gerhards.
Stiftung Homo Homini - Krakau 2006/2008 Mit lernrehabilitation zur teilhabe am lebenslangen lernen, eine aufbaumethodik für behinderte ausländer.
Wie häufig ist ADHS?.
Eine Anmeldung ist unbedingt erforderlich ! Bitte bis zum 14. Februar 2011 per an: Die Anzahl der Teilnehmerplätze.
Gemeinsam gegen Gewalt
Schadensminderung im Justizvollzug Zusatzmodul: Gefangene aus ethnischen Minderheiten Training Criminal Justice Professionals in Harm Reduction Services.
Zentrum für Kinder-, Jugend- und Familienhilfe Beratungsstelle für Eltern, Kinder und Jugendliche Statistik 2013.
Auslösung von Gewalt und Angstzustand
Analyse von Deliktsähnlichkeiten auf der Basis von Individualdaten
Entwicklung des Gottesbildes Überlegungen aus religions- psychologischer und religionspädagogischer Sicht.
Vorzeitige Einschulung
Die Rolle der Eltern im Berufswahlprozess ihrer Kinder
Individuelle Unterschiede bei Aggressionen
„Frauen fragen Frauen“ Präsentation zum Forschungsprojekt
Armut in unterschiedlichen Lebensphasen: Kinder und junge Erwachsene
Papilio Primärprävention von Verhaltensproblemen und Förderung sozial-emotionaler Kompetenz im Kindergarten.
Die Angebote der Fachstelle XX
Definition/Merkmale psychischer Störungen
Übung „Aquarium“. Ablauf Übung Aquarium Sie finden sich in 6 Gruppen zusammen pro Gruppe wird eine freiwillige Person ausgewählt die freiwillige Person.
We are Family! Geschwister von Kindern mit Behinderung.
Mobbing in der Schule und im Internet. Was ist Mobbing? Die Demütigung können in Form körperlicher Gewalt, aber auch mit psychischen Mitteln geschehen.
Die Suchtpräventionsstelle der Bezirke Affoltern und Dietikon 1.
Arbeitsgruppe Kindesschutz Ein Kooperationsprojekt des Kinderkrankenhauses auf der Bult der Medizinischen Hochschule der niedergelassnen Kinderärzte der.
Psychologische und psychotherapeutische Behandlung bei Krebs Birgit Hladschik-Kermer Univ. Ass.,Mag.phil., Dr.rer.nat. Klinische und Gesundheitspsychologin/
Zentrum für Kinder-, Jugend- und Familienhilfe Beratungsstelle für Eltern, Kinder und Jugendliche Statistik 2015.
Die Hierarchie der Gefühle und deren Folgen B ornemann ewegt Juni 2016; Themenreihe: Menschen und Emotionen; Folie 1 eobachtet und.
 Präsentation transkript:

Wirksame Kriminalprävention und Jugendstrafrecht Jahrestagung der DVJJ Hessen 13. November 2008 Prof. Dr. Britta Bannenberg, Professur für Kriminologie, Universität Giessen

Episode – Karriere Normalität der Jugendkriminalität – Intensivtäterschaft Einige Grundlagen zur Jugendkriminalität bzw. -gewalt

Vorübergehende Erscheinung Jugendkriminalität 5-10 % Intensivtäter Kontinuierliche Ausgrenzung und Hinentwicklung zu krimineller Karriere 90 % Vorübergehende Erscheinung Kriminalität als vorübergehende Erscheinung im Rahmen normaler Persönlichkeitsentwicklung

Jugendstrafrecht Episodenhafte Kriminalität im Rahmen der Persönlichkeitsentwicklung Toleranz, Grenzziehung in Abhängigkeit von der Deliktsschwere, Appell an jugendliche Verantwortlichkeit Jugendkriminalität mit der Tendenz der Hinentwicklung zur kriminellen Karriere mit sozialen Problemlagen Erzieherisch orientierte Prävention, persönlichkeitsfördernde oder kontrollierende Sanktionierung

Bekanntgewordene Straftaten - Deutschland - Häufigkeitszahl – PKS 2007 = 7.635

Täter nach Alter und Geschlecht – Deutschland – Tatverdächtigtenbelastungszahl - PKS 2007 gesamt: 2.294.883 TV

Struktur der Jugendkriminalität Hellfeld – Dunkelfeld 80 % fahren „schwarz“, 30 – 35 % Ladendiebstahl (14-Jährige, im letzten Jahr) Massenhafte Bagatellkriminalität mit schlechter Aufklärungsquote Drogendelikte außer Heroin / Kokain Schwerpunkt Eigentumsdelinquenz Aggressive Ausprägungen Auch verbreitet „oppositionelles Verhalten“, Schulschwänzen...

Entwicklung und Struktur der Jugendgewalt PKS, PSB, Auswertungen (etwa IMK 2008), Studien gehen von einem Anstieg der Jugendgewalt in den letzten 10 Jahren aus Anstieg bei Tatverdächtigen, Fallzahlen, Häufigkeitszahlen; leichtere Gewaltdelikte sind häufiger als schwere Struktur Gewalt grds. bekannt: unter 21 Jährige ca. 43 %; männlich, jung Erhebliche regionale Unterschiede Besondere Problemlagen: Migranten; Gruppengewalt; regionale „Brennpunkte“ Junge Menschen sind häufiger Opfer Ursachen des Anstiegs unklar: gestiegene Anzeigebereitschaft? Höhere Sensibilität und gestiegene Ablehnung offener Gewalt? Prävention

Strukturen Normalität, Ubiquität, Episodenhaftigkeit erfordern andere polizeiliche Reaktionen und andere strafrechtliche Sanktionen als beginnende Intensivtäterschaft Ursachen für problematische Entwicklungen nicht eindimensional Problem Diagnose und Prognose Ausbildung und Fachwissen Justiz Sinnvolle ambulante Angebote Jugendstrafvollzug – Behandlungsvollzug(?)

Empirische Risikofaktoren für Delinquenzentwicklungen Familie und soziales Milieu Biologische Faktoren Persönlichkeitsmerkmale des Kindes Soziale Informationsverarbeitung, Medien, Gewaltkonsum Schule Peer-Gruppen Einstellungen und Selbstbild Arbeit und Beruf Generationen-Transfer Situative Delinquenzbedingungen

Syndrom sozialer Beziehungslosigkeit Wiederholter Wechsel von Bezugspersonen Funktional gestörte Familie Wechselndes Erziehungsverhalten Erhebliche Auffälligkeiten in der Schule Leistungsdefizite in Schule und Beruf Zielloses Freizeitverhalten Fehlen tragender menschlicher Beziehungen

Empirische Risikofaktoren für Jugendgewalt - Überblick Zusammenfassend Syndrom sozialer Beziehungslosigkeit Frühe Verhaltensauffälligkeiten in Kindheit und Schule Familie: Gewalterfahrungen; inkonsistenter Erziehungsstil; fehlende emotionale Bindung und Kontrolle

Empirische Risikofaktoren für Jugendgewalt Frühe Verhaltensauffälligkeiten (Aggressionen, Feindseligkeiten) In den ersten Lebensjahren sind körperliche Aggressionen und Wutausbrüche normal; etwa ab dem 3. Lebensjahr lernen Kinder zunehmend, ihr Verhalten zu kontrollieren und Konflikte verbal auszutragen 0-4 Jahre: Wut und Ärger als Reaktion auf Frustrationen; gegen Eltern und Gleichaltrige; Zerstören von Sachen; häufiger bei Jungen 5-11 Jahre: körperliche Auseinandersetzungen, Drangsalieren und Beleidigen von Gleichaltrigen; mutwillige Zerstörungen; oft Gruppenbildungen Körperliche Auseinandersetzungen sind in diesem Alter relativ normal; Jungen häufiger offen physisch aggressiv, Mädchen häufiger indirekt (Ausschließen, Schlechtmachen, Nachreden)

Empirische Risikofaktoren für Jugendgewalt Aggressive Verhaltensweisen in diesem Alter sind normal, wenn sie sich nicht verfestigen Verhaltensstörungen: Wenn Kinder regelmäßig und in gravierender Weise aggressives Verhalten zeigen (etwa 2-8 % der Kinder, Essau & Conradt 2004) Normal: Erwerb sozialer Kompetenzen, um aggressive Impulse zu kontrollieren

Hans-Jürgen Kerner Bedeutung von Beziehungsschwäche und Empathiemängeln für schwere Jugenddelinquenz Tübinger Untersuchung: Extremgruppenvergleich Bedeutung von Wert- und Normvermittlung über Bindungen

Kerner Hoch bedeutsam für kriminelle Risikokonstellation: Beaufsichtigung des Jungen durch Eltern Warmherziger Erziehungsstil Emotionale Bindung unter den Familienmitgliedern

Kerner Hoch kritisch ist folgende Konstellation: „Die Eltern kümmern sich nicht um den Tagesablauf der Kinder, um die Erledigung der Pflichten und um den Umgang der Kinder mit Gleichaltrigen oder auch Erwachsenen; sie wissen im Zweifel auch abends nicht oder nicht genau, wo sich die Kinder aufhalten oder herum treiben; sie sind nicht nur inkonsequent, sondern durchweg inkonsistent im Erziehungsverhalten. Die Kinder entziehen sich aktiv der Kontrolle und entwickeln dazu bemerkenswerte Fähigkeiten, die Eltern und andere Instanzen der sozialen Kontrolle (etwa Lehrer) zu täuschen.“

Empirische Risikofaktoren für Jugendgewalt Kontinuität von Gewalt im Lebenslauf Aggressive Verhaltensstörungen im Alter von 6–11 Jahren sind ein Risikofaktor für Gewalt und schwere Delinquenz im Alter von 15-25 Jahren Gewalt tritt gemeinsam mit anderen Störungen des Sozialverhaltens auf (Eisner u.a. 2008): Primarschule: emotionale Probleme, Aufmerksamkeitsschwächen, Diebstahl Jugendalter: Delinquenz, Alkohol, Drogen; Schulschwänzen, Promiskuität Erwachsenenalter: Delinquenz, Alkohol, Drogen, instabile Beziehungen, psychische Probleme

Empirische Risikofaktoren für Jugendgewalt Gewalt – Jugendphase Qualitative Änderung der Gewalt: physische Kraft, Zugang zu Waffen, Verlagerung von Gewaltphänomenen und Gruppeneffekte „Generalisten“ (Eisner u.a. 2008; Marneros u.a. 2003; AG Hate Crime 2003)

Empirische Risikofaktoren für Jugendgewalt Nachbarschaftliches Umfeld Gesellschaftliche Rahmenbedingungen Situation

Besondere Problemlagen Intensivtäter: Über die Hälfte der Delikte der jeweiligen Altersgruppe entfällt auf die Gruppe der Vielfach-Auffälligen (!). Dieser Befund findet sich national wie auch in anglo-amerikanische Kohortenstudien; aktuell: Lebenslauftheorien (Moffitt u.a.; Sampson/Laub; Stelly/Thomas). Längerfristige und schwere Delinquenz ergibt sich erst durch die Kumulation etlicher Risiken (Lösel & Bender, 1998 u.v.a.).

Besondere Problemlagen Migranten Starke regionale Unterschiede (Spät-)aussiedler Zurückhaltung in der kriminologischen Forschung Neben einer Kumulation sozialer Risikofaktoren treten Sprachdefizite, problematische Männlichkeitsideale, Körperlichkeit, fehlende Perspektiven; Rückzug in eigene Ethnien

Grundstruktur des Normlernens Regelsetzung Regeldurchsetzung Leben und Erleben der Regelanwendung Außenwelt (Eltern, soziales, Umfeld, Gemeinschaft) Äußere Kontrolle Prozess der Verinnerlichung der Regel Regelkenntnis Verantwortungs-gefühl Gewissen Innere Kontrolle Innenwelt des Individuums

Pyramide sozialer Kontrolle Strafrecht Rechtssystem Gesellschaft/Kultur Massenmedien/TV Schule/Ausbildung/Arbeit Freunde/Nachbarschaft Mutter/Vater/Familie Ersatzfamilie/Verwandtschaft/Heim

Resilienzforschung Alle genannten sozialen Bereiche weisen nicht nur Potenzial für Risikofaktoren, sondern auch für Schutzfaktoren (Resilienzfaktoren) auf. Es ist noch nicht ausreichend bekannt, wie die Ausbildung positiver Bindungen und Schutzfaktoren beeinflusst werden kann.

Grundlagen wissensbasierter Kriminalprävention Sherman-Report 1999 www.ncjrs.gov/works/ Folgestudien Sherman/Farrington u.a. 2002; MacKenzie 2006 Deutschland Düsseldorfer Gutachten 2002; Rössner/Bannenberg laufende Forschungen zu wirkungsorientierter Kriminalprävention Einerseits: Kräftiger Anstieg der kriminalpräventiven Projekte, andererseits kaum nach strengen methodischen Kriterien evaluierte Programme / Maßnahmen Aktueller Expertenbericht von Eisner/Ribeaud/Locher: Prävention von Jugendgewalt (für die Schweiz), Cambridge 2008 (unter Berücksichtigung des aktuellen internationalen Forschungsstandes)

Grundlagen wissensbasierter Kriminalprävention Center for the Study and Prevention of Violence der Universität Colorado (www.colorado.edu/csvp/blueprints) Von über 600 Präventionsprogrammen aus den USA werden nur 11 als „wirksam“ empfohlen, 18 als „vielversprechend“ Schwerpunkt Frühprävention / Familie / Schule

Campbell Collaboration 2000 mit dem Ziel gegründet, wirksame Präventionsprogramme zu identifizieren und für die Praxis aufzubereiten www.campbellcollaboration.org

Tendenzen – Empfehlungen kriminalpräventiver Maßnahmen Risikoorientierung ist klar erfolgversprechender; Aktivierung von Schutzfaktoren Mehr-Ebenen-Programme (vernetzte Programme) sind weit erfolgversprechender als Einzelmaßnahmen Positive Spezialprävention ist zu bevorzugen Verhaltenstherapeutische Konzepte sind psychotherapeutischen überlegen

Tendenzen – Abzuraten ist von Abschreckung – sie funktioniert nicht und hat eher negative Effekte (boot camps; Strafvollzug live: Scared Straight; in D: Gefangene helfen Jugendlichen) Gruppenmaßnahmen schon problematischer Jugendlicher: „Ansteckungseffekte“ Jugendtreffs ohne soziale und kompetente Kontrolle Mitternachtsbasketball pp.