Suchttheorien •S•S•A•M• Dr. med. Robert Hämmig

Slides:



Advertisements
Ähnliche Präsentationen
Emotion und Motivation
Advertisements

bei nahestehenden Menschen
Ich habe nie gelernt, Aufgaben zu lösen
Die Registervariablen: Tenor of Discourse
Das Kontinuum-Modell von Fiske und Neuberg
Erinnerungssysteme des Säugergehirns (“Memory systems”)
Grundkurs praktische Philosophie 10
Aversive Gegenkonditionierung
Professor Dr. Dr. Wolfgang Schneider
Was ist eigentlich Psychologie????
Theory of Mind und Demenzkrankheiten
„Drogenwirkung im Gehirn“
„Über Psychoanalyse“ 4. Vorlesung, 1909
Burnout und Sucht Koinzidenz oder Folgeerscheinung?
Lebensqualität erhalten Wissenswertes zum Thema Alkohol
Heinz Rüddel, Bad Kreuznach
Abschied von gestern... läuft automatisch mit Musik
Diagnostiksysteme •S•S•A•M• Dr. med. Robert Hämmig
Dissoziation: Definition
auf den menschlichen Körper
Psychologie und Psychiatrie für ZahnmedizinerInnen
Na, was meinst Du? Sind Computer eher weiblich???
Offen leben offen erleben offener leben Offen(er)leben.
Sucht Nikotin Alkohol Drogen Magersucht Tablettensucht.
Psychoanalyse.
Psychologie der Emotionen VII
VO G6: Einführung in die Politikfeldanalyse
Das menschliche Gehirn - eine Einführung in die Neuropsychologie
Universitätsklinik und Poliklinik für Psychiatrie Bern
Ambulante Psychotherapie und weitere psychotherapeutische Ansätze
Beherzt – Am Puls des Lebens
Psychosen By Kevin und Oliver.
Keine Panik auf der Titanic
Ethische Aspekte der Diagnostik und Therapie depressiver Störungen
Psychotherapie bei MS P. Calabrese.
Schweizerische Tagung für Pflege in Onkologie Bern, 25. März 2004 Wie erleben Patienten die Bestrahlungstherapie ? wie kann die Psycho-Onkologie Pflegende.
Prüfungskonsultation
Zentrum für Kognitionswissenschaften
Studien zur Neurophysiologie der Diamorphinwirkung
Management, Führung & Kommunikation
Psychologie und Psychiatrie für ZahnmedizinerInnen
Verhaltensmedizinische Grundlagen chronischer Schmerzen
Operative Eingriffe im Gehirn bei schweren Zwangsstörungen:
FH-GELSENKIRCHEN || EJÖ || PROF. OBERMEIER || JTK SS 2005 || STEFAN GEWECKE PR FÜR FORTGESCHRITTENE INTERNATIONALE PR || MARKETING UND PR ||
Vertreter des Menschenbildes: Charles Darwin und Sigmund Freud
Besinnliches für Dich.
Es gibt nichts Gutes außer man tut es!
„ Game on“ oder „Let‘s play“ Videogames. Videospiel? Wann genau ist es eins? Ein Spiel, das dem Spielenden ein bildliche Auseinandersetzung an einem Bildschirm.
Agenten und Multi-Agenten-System
als soziologische Kategorie
Spiegelbild “Reflection” Unheilig
Vorlesungen zur Einführung in die Psychoanalyse
Theoretischen und Empirischen Vertiefung im Fach Sozialpsychologie!
Hausaufgabe 1 Was ist Sozialpsychologie und wie unterscheidet sie sich von anderen, verwandten Disziplinen? Einführung
You need to use your mouse to see this presentation.
18. Mai 2015 Dr. med. Cyrill Jeger-Liu, Olten
Frau Z med. pract. Barbara Gugger Oberärztin Schwerpunkt Sucht Universitätsklinik für Psychiatrie & Psychotherapie Universitäre Psychiatrische Dienste.
Fachstelle für Suchtvorbeugung Kreis Borken Ausweichendes Verhalten + betäubende Funktion Gibt es so etwas bereits im Kindesalter?  sogenannte „Kinderdrogen“
KONVERSATIONEN MIT MIR ÜBER LÖSUNGSORIENTIERTE THERAPIE: 1978 BIS HEUTE.
Basiscurriculum Verhaltenstherapie 2 Methoden: Konfrontationsverfahren exemplarisch bei Angst- und Zwangstörungen Mag. Dr. Ulrike Demal Klinische Psychologin,
Biopsychosoziale Entwicklung Vorlesung „Psychische Störungen“ Prof. Dr. Ralph Viehhauser.
Psychische Abweichung: Krankheit oder Störung? Vorlesung „Psychische Störungen“ Prof. Dr. Ralph Viehhauser.
ALBERT-LUDWIGS- UNIVERSITÄT FREIBURG Einführung „Klinische Psychologie“ Tobias Stächele - Vertiefendes Seminar zur Vorlesung Klinische Psychologie - Institut.
Glaube nicht, du kannst den Lauf der Liebe lenken, denn die Liebe, wenn sie dich für würdig hält, lenkt deinen Lauf. Khalil Gibran.
Verantwortung für Fehler: Über den richtigen Umgang Vortrag von Prof. Dr. Carmen Kaminsky Sozialphilosophie; FH-Köln.
German “ da - compounds ” Provided by deutschdrang. com for individual and classroom use only. May not be reproduced for any other purposes.
Sara Landolt, Geographisches Institut, Universität Zürich 3. Zürcher Alkoholtagung, Zürich, “Alkohol & Ritual“ Alkoholkonsum und Betrunkenheit.
Morphium im Urin: legal oder illegal
Kommunikation Köln 20. Januar
 Präsentation transkript:

Suchttheorien 30.10.2012 •S•S•A•M• Dr. med. Robert Hämmig Psychiatrie & Psychotherapie FMH Präsident Schw. Gesellschaft für Suchtmedizin Leitender Arzt Schwerpunkt Sucht Universitäre Psychiatrische Dienste Bern Direktion Psychiatrie •S•S•A•M•

Voltaire (François Marie Arouet 1694 – 1778) Ärzte geben Medikamente, über die sie wenig wissen, in Menschenleiber, über die sie noch weniger wissen, zur Behandlung von Krankheiten, über die sie überhaupt nichts wissen

Semiotik (nach Charles Sanders Pierce) Patient Therapeut Referenz Interpretanz Repräsentanz Referenz Interpretanz Repräsentanz

Modelle der Sucht Es gibt kein allgemeingültiges, alleiniges Modell Modelle dienen dem Verständnis An den Modellen können die Therapiemassnahmen in Bezug auf ihren möglichen Effekt gemessen werden

Fragen der Medizin Was ist die Ätiologie? Wie ist die Pathogenese? Beschreibung einer Krankheit: Was ist die Ätiologie? Wie ist die Pathogenese? Ziel: Formulieren einer rationalen Therapie

New Orleans Narcotic Clinic, Louisiana 1920 This dispensary does not attempt to cure addicts, realizing that this problem can only be solved when addiction-disease is better understood. Much has been written regarding addiction that has been actuated by mercenary interests. Terry & Pellens, 1928

Fragen (revisited) Was hat die PatientIn? Ätiologie? Pathogenese? Was meint die PatientIn dazu? Shared decision

Standardfragen: Exploration der Semantik Welche Substanz wird: wann von wem wie wie oft wo in welcher Dosierung zusammen mit wem warum mit welcher Einstellung und mit welcher Erfahrung konsumiert?

Addiction is a brain disease, and it matters. (A. I Addiction is a brain disease, and it matters! (A. I. Leshner, Science 1997) Sucht ist eine Hirnerkrankungen mit ausgeprägten psycho-sozialen Komponenten. Sucht hat eine ausgeprägte Tendenz chronisch zu verlaufen -> Rückfall ist eher die Regel als die Ausnahme. Einfaches Bio-psycho-soziales Modell

Slide 18: Rats self-administer heroin Just as a rat will stimulate itself with a small electrical jolt (into the reward pathway), it will also press a bar to receive heroin. In this slide, the rat is self-administering heroin through a small needle placed directly into the nuclues accumbens. The rat keeps pressing the bar to get more heroin because the drug makes the rat feel good. The heroin is positively reinforcing and serves as a reward. If the injection needle is placed in an area nearby the nucleus accumbens, the rat won't self-administer the heroin. Scientists have found that dopamine release is increased within the reward pathway of rats self-administering heroin. So, since more dopamine is present in the synaptic space, it binds to more dopamine receptors and activates the reward pathway.

Brain reward (Dopaminhypothese)

C. Lüscher

Kalivas & Volkow. Am J Psychiatry 2005; 162:1403–1413)

The spiral of addiction C. Lüscher

Sucht & Gehirn

Neurobiology of addiction Baler RD, Volkow ND, 2006 Kontrolle Verstärkung des Verhaltens Handlung Gedächtnis

Disease-Modell Abnormale Struktur oder Funktion des ZNS führt zu Kontrollverlust Nachweisbar in Neuroimaging Volkow et al. J. Clin. Invest. 111:1444–1451 (2003).

Disease-Modell Volkow et al. J. Clin. Invest. 111:1444–1451 (2003).

z.B. ACG (anterior cingulate gyrus) ACG Funktion: Schaltstelle Kognitive Flexibilität Wechsel von Idee zu Idee Fehler Entdeckung etc. ACG Probleme Steckenbleiben, Inflexibilität Groll, Neid Obsessionen, Zwänge etc.

z.B. ACG (anterior cingulate gyrus) Störungen OCD, Angststörungen Süchte Essstörungen PTSD etc. Behandlung 5-HTTP Biofeedback Kognitive Verhaltenstherapie Aerobic Beziehungsberatung, Wutmanagement Diät (niedrige Protein & komplexe Kohlenhydrate)

Kokain Breiter et al. Neuron, Vol. 19, 591–611, September, 1997,

Transmodulation Nestler EJ, Aghajanian GK, 1997 AC: Adenyl cyclase; PKA: Protein Kinase A; CREB:cAMP response element binding protein

Neuroplasticity, learning Kalivas PW, O‘Brien C, 2008

William S. Burroughs (1914–1997) „Ich glaube vielmehr, dass der anhaltende Gebrauch von Junk eine bleibende Veränderung der Zellen bewirkt. Einmal Junkie, immer Junkie. Man kann mit Junk aufhören, aber nach der ersten Sucht kommt man nie mehr ganz davon los.“

(Re-)lapse Re-exposure Drug Stress Cues

Rezeptor-Kandidaten für Pharmakotherapie CRHR1 corticotropin releasing hormone 1 receptor (Depression, Angst) NPY1R Neuropeptid Y1 receptor (Appetit, Angst) kappa-opioid receptor (Dysphorie) Orexin / hypocretin (Schlaf) Adenosine A2 receptor (Modulation von cAMP) ORL1 opiate receptor like receptor 1 / orphanin FQ / nociceptin receptor (Modulation Dopamin Transport) sigma receptor (Antagonist: anti-konvulsiv, anti-psychotisch?) mGluR 2 / 3 / 5 metabotropic glutamate receptor GABA-A α1 / α5 receptor (Angst, Sucht?)

Pharmakotherapie, z.B. Alkohol Amethystische Wirkung Aufhebung der Wirkung: Wunschdenken Anti-Dipsotropische Wirkung Aversiv Disulfiram Calcium Carbimid Verringerter Reward Naltrexon Nalmifen

Pharmakotherapie, z.B. Alkohol Anti-Dipsotropische Wirkung (Fortsetzung) Modulation der Neurotransmission Zimelidin SSRI Fluoxetin SSRI Bromocryptin DA-Agonist Acamprosat NMDA & GABA-A Modulation Baclofen GABA-Modulation Isoflavone Kudzu (Pueria lobata)

Der Mythos Sucht Sucht ist ein Mythos und dient besonderen gesellschaftlichen Funktionen Süchtige üben aus ihren Lebensumständen verständliche und rationale Präferenzen aus Sucht dient auch anderen Leuten (Behandler, Familien, Politikern, Gelehrten etc.) West R. Theory of addiction, 2006

Modell: RISC - Rational Informed Stable Choice Sucht als Kosten-Nutzen-Analyse Nutzen überwiegt die negativen Konsequenzen Unter den aktuellen gegebenen Umständen ist das Gewählte die beste Offerte West R. Theory of addiction, 2006

Theorie der Rationalen Sucht Rationalität: konsistenter Plan, den Nutzen über die Zeit zu optimieren Konsum ist ein „Gut“ und Sucht Folge des vergangenen Konsums In schädlichen Süchten (z.B. Drogensucht) werden die zukünftigen Folgen missachtet Nutzen wird kleiner über die Zeit, aber der Konsum bleibt besser als der Nicht-Konsum

Selbstmedikations-Modell Individuen sind empfänglich für Sucht, wenn sie unter unangenehmen affektiven Zuständen und psychiatrischen Störungen leiden. Linderung von kurzzeitigen situativen wie auch langfristigen chronischen „state“ & „trait“-Problemen West R. Theory of addiction, 2006

Medikation - Selbstmedikation Michael Krausz, Hamburg 1998

Koob GF et al., 2004

Modell: 2 Opponent Process Ein positiv erlebter A-Prozess wird durch einen negativen B-Prozess überlagert Koob & Le Moal. Science 1997 A: opponent process. B: sensitation. C: continous use. D: residual.

Allostatic State CRF, corticotropin-releasing factor; GABA, γ-aminobutyric acid; NPY, neuropeptide Y Koob GF. European Neuropsychopharmacology 13 (2003) 442–452

„White‘s Multiple Memory System“- Theorie der Sucht

West R. Theory of addiction, 2006

Die psychischen Wirkungen der Rauschgifte (Sandor Rado 1926) Rado S. Die psychischen Wirkungen der Rauschgifte. Versuch einer psychoanalytischen Theorie der Süchte. Internationale Zeitschrift für Psychoanalyse 1926; 12: 540-56

Das „Es“ (Sigmund Freud 1856- 1939) Chaos, Kessel voll brodelnder Erregung Keine Organisation Befriedigung der Triebbedürfnisse Ausschaltung der Logik Aufhebung von Widersprüchen, Raum, Zeit und Moral Freud S . XXXI. Vorlesung: Die Zerlegung der psychischen Persönlichkeit. Gesammelte Werke. Fünfzehnter Band: Neue Folge der Vorlesungen zur Einführung in die Psychoanalyse . Frankfurt a. M.: Fischer Taschenbuch Verlag ; 1999 ; 62 – 86.

Adoleszenzkrise Drogenkonsum und Sucht als Adoleszenkrise? Evidenz dafür Evidenz dagegen

Rites de passage (Übergangsriten) 1909 Arnold van Gennep (1873–1957) Riten, die einen Orts- Zustands- Positions- oder Altersgruppenwechsel begleiten.

Kategorien der „Rites de Passages“ Arnold van Gennep 1909 Trennungsriten „rites de séparation“ Schwellen- bzw. Umwandlungsriten „rites de marge“ Angliederungsriten „rites d‘agrégation“

Rites de passage Wiederein-gliederungs-Phase Trennungsphase Schwellenphase

Schwellenzustand / Statussystem Victor Witter Turner (1920-1983) Übergang Zustand Totalität Communitas Gleichheit Nacktheit oder uniforme Kleider Schweigen Hinnahme von Schmerz und Leid Struktur Partialität Ungleichheit Kleidungsunterschiede Sprechen Vermeidung von Schmerz und Leid

Subjektive Wirkung von Drogen Ruhe Wärme Beseitigung von Zweifel Emotionale Ausgeglichenheit Lebensenergie und zentraler Aspekt Spirituelles Erleben

Apollinisch - Dionysisch (Friedrich Nietzsche) Traum Höhere Wahrheit Vollkommenheit Massvolle Begrenzung Freiheit von wilderen Regungen Principium individuationis Rausch Selbstvergessenheit Versöhnung mit der Natur Aufhebung der Abgrenzungen Weltenharmonie Nietsche F. Die Geburt der Tragödie aus dem Geiste der Musik.

Friedrich Nietzsche: „Also sprach Zarathustra III. Das andere Tanzlied“ O Mensch! Gib acht! Was spricht die tiefe Mitternacht? „Ich schlief, ich schlief -, „Aus tiefem Traum bin ich erwacht: - „Die Welt ist tief, „Und tiefer als der Tag gedacht. „Tief ist ihr Weh -, „Lust – tiefer noch als Herzeleid: „Weh spricht: Vergeh! „Doch alle Lust will Ewigkeit -, „- will tiefe, tiefe Ewigkeit!“