Psychische Erkrankungen als Herausforderung für die betriebliche Gesundheitsförderung Prof. Dr. med. Dipl. Psych. Isabella Heuser Direktorin und Lehrstuhlinhaberin an der Charité - Campus Benjamin Franklin Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie Eschenallee 3 14050 Berlin http://psychiatrie.charite.de Berlin 18.10.2012
Krankmeldungen wegen psychischer Erkrankungen steigen rapide, zuletzt um 8% Anzahl Arbeitsunfähigkeitstage wg. psych. Erkrankung ca 37 Prozentanteil an Krankheitstagen wg. psych. Erkrankungen ca 13,2 (3.Stelle); Gesundheitsreport Barmer GEK 2012: 17,2 (2. Stelle) Fehltage wg. psych. Erkrankungen sind Ursache jeden 8. Krankheitstages Seit 2011 20% mehr Krankheitstage wg. psych. Erkrankungen bei Männern; bei Frauen: 18% Quelle: Bundesverband der Betriebskrankenkassen; August 2012
Die Zahl der Frührenten infolge Krankheit ist angestiegen Die Zahl der Frührenten infolge Krankheit ist angestiegen. Die Deutsche Rentenversicherung Bund teilte mit, dass im Jahr 2009 wegen verminderter Erwerbsfähigkeit 171 129 Renten gezahlt wurden. Das waren fast 10 000 mehr als im Vorjahr und der höchste Stand seit dem Jahr 2004. Vor der Reform der Erwerbsminderungsrente im Jahr 2001 lag die Zahl der Bezieher mit über 200 000 jedoch deutlich höher. Überdurchschnittlich zugenommen haben seit damals die psychischen Erkrankungen: Lag die Zahl der Fälle im Jahr 1993 noch bei 41 409, waren es 2009, so die Rentenversicherung, fast 65 000 Personen, die aus diesem Grund vorzeitig aus dem Erwerbsleben ausgeschieden sind. Seit 2001 sind psychische Gründe auch der Hauptgrund für eine Erwerbsminderung. An zweiter Stelle stehen Probleme mit den Knochen und Muskeln, gefolgt von Herz-Kreislauf-Erkrankungen. VdK Okt. 2010 http://www.vdk.de/bb24113
Dienstunfähigkeit aufgrund psychischer Erkrankungen 64% aller zur Frühberentungen und -pensionierung führenden Diagnosen bezeichnen psychische Erkrankungen 37% Depressionen 12% „Burn-Out“ 7% Dysthymie 8% Sonstige 13 % aller zur Frühberentung,-pensionierung führenden Diagnosen bezeichnen Muskel- und Skeletterkrankungen („larvierte“= „versteckte“ Depression?)
Stress – Burnout - Depression
Das Ying und Yang von Stress Chronisch Akut „Fight or Flight“ „Wear and Tear“ Schädigend Adaptiv Restorativ
Alle Teile eines Körperhaushaltes bilden einen Kreis.....
Veränderungen in verschiedenen Organsystemen bei akutem Stress Sinnesorgane: geschärft Aufmerksamkeit-Arousal: erhöht Muskulatur: durchblutet Herzkreislauf: erhöht Atmung: vertieft Immunsystem: aktiviert Magen-Darmtrakt: ruhiggestellt Fertilität: unverändert
Veränderungen in verschiedenen Organsystemen bei chronischem Stress Sinnesorgane: getrübt Aufmerksamkeit-Arousal:vermindert Muskulatur: schlaff Herzkreislauf: getrieben Atmung: beschleunigt Immunsystem: geschwächt Magen-Darmtrakt: erlahmt Fertilität: vermindert
Depressionen Häufigste Stress-bezogene Erkrankungen “Burn-Out“ Dysthymie Somatoforme Störungen („Rückenschmerzen“!)
Häufigkeit der Depression - eine Volkskrankheit - jeder Fünfte erlebt zumindest einmal in seinem Leben eine Depression - Frauen erkranken etwas häufiger (1,5 ) an einer Depression wie Männer
Symptome der Depression • Verstimmung • vermindertes Interesse oder Freude • Insuffizienzerleben, Schuldgefühle • Lebensüberdruss • Psychomotorische Unruhe oder Verlangsamung • Müdigkeit oder Energieverlust • Kognitive Einbußen • Schlafstörungen, zirkadiane Veränderungen • Deutliche Gewichtsveränderungen • Allg. Unwohlsein, Schmerzen, Schwindel, Verdauungsstörungen Passt da da Bild der alten, „schwarz-weissen“ depressiven Frau noch hin?
H. Freudenberger: Begründer des Begriffs „Burnout“ „We work too much, too long and to intensely. We feel a pressure from within to work and help and we feel a pressure from the outside to give. When the staff member then feel an additional pressure from the administrator to give even more, he is under a three-pronged attack…” Staff Burn-Out. (1974): J. of Social Issues, 24.1.2011
Begriffsentwicklung und -verwirrung: Burn-Out Herbert J Freudenberger & Géraldine Richelson (1980): Burn-out- The High Cost of High Achievement. What it is and how to survive it Bantam Books; ISBN 978-0-553-20048-5 Da es sich bei "Burnout" nicht um eine „eigenständige“ Krankheit mit eindeutigen Kriterien handelt, gibt es keine wissenschaftlich seriösen Angaben über die Häufigkeit (ICD 10:Z 73.0) „Burn-out“ wird im medizinischen Verständnis zu den Depressionen gerechnet Bei der weiten Verbreitung der Begrifflichkeit im gegenwärtigen Laien-Sprachgebrauch liegt die Annahme einer weiten und zunehmenden Verbreitung nahe, d.h. depressive Syndrome nehmen auch in der allgemeinen Wahrnehmung zu bzw. es scheint leichter zu sein, über „Burn-out“ als über Depression zu sprechen
Subjektive Klagen als Hinweise auf „Burnout“ „nicht abschalten können“ „verminderte Leistungsfähigkeit“ „fehlende Arbeitsfreude“ „kaum noch berufliches Engagement“ Jehle et al, 2002
Typische Beschwerden bei „Burnout“ Psychische Symptome Motivations- und Kreativitätsverlust • vermindertes Interesse / Gleichgültigkeit/ sozialer Rückzug Zynische, abweisende Grundstimmung gegenüber Kollegen, Klienten und der eigenen Arbeit • Insuffizienzerleben • Reizbarkeit • innere Unruhe/ Anspannung Zukunftssorgen Körperliche Symptome chronische Müdigkeit/ Energieverlust • Kognitive Einbußen • Schlafstörungen • höhere Infektanfälligkeit Allg. Unwohlsein, Schmerzen, Schwindel, Verdauungsstörungen Passt da da Bild der alten, „schwarz-weissen“ depressiven Frau noch hin?
Typischer Entwicklungsverlauf von arbeitsplatzbezogenem „Burn-Out“ Vermehrtes Engagement: Arbeit ohne Pausen/ Beruf als hauptsächlicher Lebensinhalt + Verzicht auf Erholung/ Urlaub Reduziertes Engagement/ : Verlust pos. Verstärker durch Arbeit, Schuldzuweisungen, Stereotypisierung, verstärkter Ge-/Missbrauch von Substanzen, Desorganisation, Unsicherheit, komplexe Probleme können nicht mehr gelöst werden. Verflachung: Konzentration auf eigene Person, emotionaler, mentaler und sozialer Rückzug Körperliche Beschwerden: Infektanfälligkeit; Schlafstörungen, gastrointestinale Beschwerden, „klassische Depression“ Erschöpfung/ Verzweiflung/ Sinnlosigkeitsempfinden
„Burnout“ – Klassifikation in ICD-10 und DSM IV Burnout klinische Diagnose ICD 10: Z73.0 Kapitel Z: Faktoren, die den Gesundheitszustand beeinflussen und zur Inanspruchnahme von Gesundheitsdiensten führen DSM-IV: keine Verschlüsselung möglich, ähnlich: 68.20 „Probleme im Beruf“ Integration in ICD-11 oder DSM-V bisher nicht geplant ABER: geschätzte Prävalenz: 9 Millionen in Deutschland (BKK, 2009) 10 Millionen AU-Tage wegen Stress/ Arbeitsüberlastung/ Burnout (TKK, 2009)
Stress – Burnout - Depression
Stress, „Burn-Out“, Depression und Substanzmissbrauch Stress-bezogene psychische Erkrankungen haben eine hohe Komorbidität mit Abhängigkeitserkrankungen „Gestresste“ Individuen missbrauchen häufiger Nikotin und Alkohol, aber auch Schlaf-und „Aufputschmittel“ oder andere Neuroenhancer Alkoholkranke haben16mal häufigere Fehlzeiten, 2,5mal häufigere Krankmeldungen, 3,5 mal häufigere Arbeitsunfälle, ca. 25 Prozent reduzierte Arbeitsleistung. 5% aller Beschäftigten gelten als alkoholabhängig bzw. betreiben einen schädigenden Alkoholkonsum
DAK Gesundheitsreport 2009, Schwerpunkt: „Doping am Arbeitsplatz“ Ca. 3000 Erwerbstätige im Alter zw. 20 und 50 Jahren online befragt. 20% kennt jemanden persönlich, der solche Mittel ohne medizinische Notwendigkeit einnimmt. Ca. 20% meinen, dass die Risiken im Vergleich zum Nutzen vertretbar sind. 5 % gaben an, schon mal ohne medizinische Notwendigkeit Medikamente zur Steigerung der geistigen Leistungsfähigkeit oder psychischen Befindlichkeit eingenommen zu haben. Männer greifen eher zu Kognitions-, Frauen eher zu Stimmungsenhancern.
Menschen mit Depressionen haben ein deutlich erhöhtes Risiko auch an anderen, körperlichen Erkrankungen zu leiden und zu versterben, besonders an Herz-Kreislauferkrankungen Farmer A et al, British J Psychiatry 2008
Depressionen zählen zu den häufigsten Erkrankungen des 21. Jahrhunderts. „Burn-out“ ist eine eher „beschönigende“, gesellschaftlich eher akzeptierte Bezeichnung für ein depressives Syndrom, häufig in Verbindung mit Arbeitsplatz- bzw. Berufsumständen gebraucht. Menschen mit Depression betreiben häufiger als andere Patientengruppen schädlichen Substanzgebrauch, an erster Stelle mit Alkohol Depressionen sind weit mehr als bloße psychische Störungen sondern ziehen den gesamten Körper in Mitleidenschaft Prävention, ja! Aber wie? Zusammenfassung