Die Einführung des abstrakten Körperbegriffs

Slides:



Advertisements
Ähnliche Präsentationen
Fast Fourier Transformation
Advertisements

Christian Scheideler SS 2009
Hier einige Hieroglyphen:
Falls Algorithmen sich selbst rekursiv aufrufen, so kann ihr Laufzeitverhalten bzw. ihr Speicherplatzbedarf in der Regel durch eine Rekursionsformel (recurrence,
II. Arithmetik. II. Arithmetik 4. Die natürlichen Zahlen.
Polynomial Root Isolation
Algebraische Zahlen: Exaktes Rechnen mit Wurzeln
Schnelle Matrizenoperationen von Christian Büttner
Zusatzthemen. Kapitel 5 © Beutelspacher Juni 2004 Seite 2 Inhalt Gleichungssysteme mit Parameter Wurzelgleichungen Irrationale Zahlen Induktion WGMS III.
¥ X Transzendent.
13. Transformationen mit Matrizen
Komplexe Zahlen und Fourier-Transformation
Finale Semantik und beobachtbares Verhalten
Ein Modellansatz zur Beschreibung von Vagheiten
Formale Sprachen – Mächtigkeit von Maschinenmodellen
Philosophie der Logik nach Frege I
Kapitel 3 Gleichungen.
Kapitel 5 Stetigkeit.
Kapitel 1 Die natürlichen und die ganze Zahlen. Kapitel 1: Die natürlichen und die ganzen Zahlen © Beutelspacher/Zschiegner April 2005 Seite 2 Inhalt.
Kapitel 2 Die rationalen und die irrationalen Zahlen.
Seminar parallele Programmierung SS 2003
Datentyp  Zusammenfassung von Mengen von "Werten" mit auf
Beispiele für Ausdrucksalgebren
V. Algebra und Geometrie
(Ron Rivest, Adi Shamit, Leonard Adleman , 1977)
Zahlen mit Zahlen ausmessen
5.6. Mathematik im Hellenismus
Quaternionen Eugenia Schwamberger.
Mathematische Grundlagen und Rechnen mit algebraischen Zahlen
Die Entwicklung des Körperbegriffs
§14 Basis und Dimension (14.1) Definition: V sei wieder ein K-Vektorraum. Eine Menge B von Vektoren aus V heißt Basis von V, wenn B ist Erzeugendensystem.
§9 Der affine Raum – Teil 2: Geraden
§9 Der affine Raum – Teil 2: Geraden
§14 Basis und Dimension  (14.1) Definition: V sei wieder ein K-Vektorraum. Eine Menge B von Vektoren aus V heißt Basis von V, wenn B ist Erzeugendensystem.
§8 Gruppen und Körper (8.1) Definition: Eine Gruppe G ist eine Menge zusammen mit einer Verknüpfung, die jedem Paar (a,b) von Elementen aus G ein weiteres.
Seminar Stringtheorie und Geometrische Methoden der Physik
Variationsformalismus für das freie Teilchen
§10 Vektorraum. Definition und Beispiele
Zahlenmengen.
Grenzen der Regularität
5. Erweiterungen der Zahlenmenge
Quantum Computing Hartmut Klauck Universität Frankfurt WS 04/
Beweissysteme Hartmut Klauck Universität Frankfurt WS 06/
Hartmut Klauck Universität Frankfurt WS 06/
§10 Vektorraum. Definition und Beispiele
Folie 1 Kapitel IV. Matrizen Inhalt: Matrizen als eigenständige mathematische Objekte Zusammenhang zwischen Matrizen und linearen Abbildungen Produkt von.
§3 Allgemeine lineare Gleichungssysteme
Polynome und schnelle Fourier-Transformation
von Renate Pauer Susanne Haberl am 11. April.2011
Institut für Theoretische Informatik
Dynamische Visualisierungen zum Fundamentalsatz der Algebra
Institut für Theoretische Informatik
2.4 Rekursion Klassifikation und Beispiele
4 6 5 Rechenoperationen hoch 2 ??? hoch 2 ??? hoch 2
Fraktale & Komplexe Zahlen
ENDLICHE KÖRPER RSA – VERFAHREN.
Zahlenmengen Eine Wiederholung Mag. Sabine Tullits.
Scaffold 29S: Komplexe Zahlen
Stetige Kleinste-Quadrate-Approximation
Strukturen, Muster ….
¥ X Transzendent.
Theorie, Anwendungen, Verallgemeinerungen
Kapitel 4 Restklassen (die modulo-Rechnung)
Syntax, Semantik, Spezifikation - Grundlagen der Informatik R. Hartwig Kapitel 3 / 1 Algebraische Hülle und Homomorphie A = [A, F ] sei  -Algebra. Eine.
Syntax, Semantik, Spezifikation - Grundlagen der Informatik R. Hartwig Kapitel 10 / 1 Kapitel 10 Initialität Eine beliebige gleichungsdefinierbare Klasse.
Lineare Gleichungen Allgemeine Einführung Äquivalenzumformungen
Folie 1 §8 Gruppen und Körper (8.1) Definition: Eine Gruppe G ist eine Menge zusammen mit einer Verknüpfung, die jedem Paar (a,b) von Elementen aus G ein.
Gliederung 0. Motivation und Einordnung 1. Endliche Automaten
Mathematisches Kaleidoskop II
 Präsentation transkript:

Die Einführung des abstrakten Körperbegriffs Geschichte der Mathematik des 19. Jahrhunderts Frederic Posala 10.12.2007

Gliederung Einführung Algebraische Wurzeln Zahlentheoretische Wurzeln Der Körperbegriff nach Kronecker Der Körperbegriff nach Dedekind Vergleich der beiden Definitionen Der abstrakte Körperbegriff nach Weber

1. Einführung Entwicklungsgeschichte des Körperbegriffs verdeutlicht Übergang zur Strukturmathematik Körperbegriff ist besonders geeignet, da sich die Fülle algebraischer Strukturen aus den Begriffen Gruppe, Körper und Algebra entwickelt hat Körperbegriff besitzt historische Wurzeln in der Algebra und Zahlentheorie

2. Algebraische Wurzeln Problem: Auffinden von Lösungen allgemeiner Gleichungen fünften und höheren Grades Joseph Louis Lagrange (1770/71, Réflexions sur la résolution algebraique des équations) Definition des Begriffs „ähnliche Funktion“ und folgende Beweise: Alle zueinander ähnlichen Funktionen haben gleichen Grad über dem Grundkörper Sind y und t ähnlich, so kann man y durch t und die Koeffizienten der Ausgangsgleichung rational ausdrücken Auffinden der Ergebnisse durch direkte Ausrechnung

2. Algebraische Wurzeln Niels Henrik Abel (1827) „Soient x‘, x‘‘, x‘‘‘ … un nombre fini de quantités quelconques. On dit que v est une fonction algébrique de ces quantités, s‘il est possible d‘exprimer v en x‘, x‘‘, x‘‘‘ … à l‘aide des operations suivantes: 1) par l‘addition; 2) par la multiplication, soit de quantités dépendant de x‘, x‘‘, x‘‘‘ …, soit de quantités qui n‘en dépendent pas; 3) par la division; 4) par l‘extraction de racines d‘indices premiers.“ Definition einer „algebraischen Funktion“ in Bezug auf einen Grundkörper P(x‘, x‘‘, x‘‘‘ …), P=Körper der rationalen Zahlen

2. Algebraische Wurzeln Implizite Vorbildung der Begriffe Grundkörper, Zerfällungskörper, Normalkörper Erkenntnis, dass die Eigenschaften einer Gleichung (irreduzibel, auflösbar, zyklisch, abelsch) vom zugrunde gelegten Grundkörper abhängen

2. Algebraische Wurzeln Évariste Galois (1846, Mémoire sur les conditions de résolubilité des équations par radicaux) Rückgriff auf bereits bekannte Definitionen Bereits von Lagrange geahnter Zusammenhang zwischen Gruppe und Körper wird definiert. Bestimmung eines Körpers durch Gleichungskoeffizienten und eventuell adjungierte Größen

2. Algebraische Wurzeln Fazit: Durch implizite Benutzung körpertheoretischer Schlußweisen wurden Probleme der algebraischen Gleichungstheorie systematisiert und fassbar Transformation auf die zugehörige Gruppe ermöglichte hinreichend allgemeine Lösungen der Probleme Algebraische Probleme werden in das Problem der Untersuchung einer endlichen Gruppe transformiert Beginn der strukturellen Algebra

3. Zahlentheoretische Wurzeln Leonhard Euler Untersuchung der Frage, welche Teiler Zahlen der Form x2+cy2 mit c>0 und ganzrationalen teilerfremden x,y haben können Erweiterung des Begriffs der Teilbarkeit auf die ganzen Zahlen des Körpers P(i).

3. Zahlentheoretische Wurzeln Carl Friedrich Gauss (1805, Theoria residuorum biquadraticorum) Gauss definiert fundamentale Begriffe (Einheit, assoziierte Zahlen, Norm, konjugierte Zahlen, ganze und rationale Zahlen) für den Körper P(i) (rationale komplexe Zahlen) Beginn einer systematischen Untersuchung der arithmetischen Eigenschaften beliebiger algebraischer Zahlkörper

3. Zahlentheoretische Wurzeln Ernst Eduard Kummer Festlegung eines Integritätsbereichs algebraischer Zahlen „Es sei λ eine Primzahl und  eine imaginäre Wurzel der Gleichung λ=1, so ist die allgemeinste Form der complexen Zahlen, welche wir hier untersuchen: φ()=a1+a22+…+aλ-1λ-1; in welchem Ausdruck die Coëffizienten a1, a2, etc. ganze Zahlen sind.”

4. Der Körperbegriff nach Leopold Kronecker Kronecker verbindet algebraische (nach Abel) und arithmetische Untersuchungen (nach Kummer) Erkenntnis der zentralen Rolle des Körperbegriffs für Algebra und Zahlentheorie in den 1850er Jahren

4. Der Körperbegriff nach Leopold Kronecker Über die algebraisch auflösbaren Gleichungen (1853): „Die allgemeinste algebraische Function irgend welcher Größen A, B, C, … zu finden, welche einer Gleichung von einem gegebenen Grade genügt, deren Coëfficienten rationale Functionen jener Größen sind.” Benutzung des Erweiterungskörpers P(A, B, C, …) Zusammenfassung aller durcheinander rational ausdrückbaren algebraischen Größen zu einer „Gattung“

4. Der Körperbegriff nach Leopold Kronecker Kummer-Festschrift (1881) Explizite Fassung des Körperbegriffs im Sinne von Zahl- bzw. Funktionenkörper als „Rationalitätsbereich“: „Der Rationalitätsbereich (R‘, R‘‘, R‘‘‘, …) enthält, wie schon die Bezeichnung deutlich erkennen lässt, alle diejenigen Größen, welche rationale Funktionen der Größen R‘, R‘‘, R‘‘‘, … mit ganzzahligen Coeffizienten sind.“ Explizite Ablehnung des Begriffs „Körper“

4. Der Körperbegriff nach Leopold Kronecker Bezeichnung von P und endlichen transzendenten Erweiterungen von P als „natürliche Rationalitätsbereiche“ Bezeichnung der einfachen algebraischen Erweiterung natürlicher Rationalitätsbereiche als „Gattungsbereich“ Bezeichnung der Menge aller primitiven Elemente eines Gattungsbereichs als „Gattung“ algebraischer Größen und vollständige Fixierung des Körperbegriffs

5. Der Körperbegriff nach Richard Dedekind X. Supplement (1871) „Indem wir versuchen, den Leser in diese neuen Ideen einzuführen, stellen wir uns auf einen etwas höheren Standpunkt und beginnen damit, einen Begriff einzuführen, welcher wohl geeignet scheint, als Grundlage für die höhere Algebra und die mit ihr zusammenhängenden Teile der Zahlentheorie zu dienen.“ „Unter einem Körper wollen wir jedes System von unendlich vielen reellen, oder komplexen Zahlen verstehen, welches in sich so abgeschlossen und vollständig ist, daß die Addition, Subtraktion, Multiplikation und Division von je zwei dieser Zahlen immer wieder eine Zahl desselben Systems hervorbringt.“

5. Der Körperbegriff nach Richard Dedekind Zunächst nur Betrachtung von Zahlkörpern Der kleinste Körper sind die rationalen Zahlen Der größte Körper sind „alle Zahlen“ Bezeichnung der endlichen algebraischen Erweiterungen des rationalen Zahlkörpers als „endliche Körper“ Körper die nach Kronecker keine Rationalitätsbereiche sind, sondern ins „Größenreich aller algebraischen Zahlen“ gehören, sind definiert

6. Vergleich der beiden Definitionen Dedekind und Kronecker haben den Körperbegriff unabhängig voneinander herausgearbeitet Die Ansichten von beiden zum Aufbau der Mathematik waren entgegengesetzt Dedekind wählt einen intensionalen Ansatz, Kronecker einen extensionalen

6. Vergleich der beiden Definitionen Kronecker strebte nach Arithmetisierung der Mathematik Daraus resultierte die Ablehnung transfiniter Methoden Er wollte alle Körperelemente in endlich vielen Schritten aus gewissen Ausgangsgrößen herstellen

6. Vergleich der beiden Definitionen Bartel Leendert van der Waerden: „Wenn wir die beiden großen Zahlentheoretiker Dedekind und Kronecker miteinander vergleichen, so fällt auf, daß Dedekind viel mehr begrifflich denkt, im Sinne der heutigen abstrakten Algebra, daß Kronecker dagegen viel mehr Wert auf explizite Rechenvorschriften legt“ Bis 1890 herrschten Kroneckers Begriffsbildungen und Methoden vor, wurden dann aber von Dedekinds Begriffsbildungen verdrängt, bzw. integriert

7. Der abstrakte Körperbegriff nach Heinrich Weber Die allgemeinen Grundlagen der Galois‘schen Gleichungstheorie: „Eine Gruppe wird zum Körper, wenn in ihr zwei Arten der Composition möglich sind, von denen die erste Addition, die zweite Multiplikation genannt wird. Diese allgemeine Bestimmung müssen wir aber noch etwas einschränken.“ Forderung nach Kommutativität und Ausschluss der Null in der multiplikativen Gruppe Verbindung der beiden Gruppen durch das Distributivgesetz

7. Der abstrakte Körperbegriff nach Heinrich Weber Die Erweiterung dieses Begriffs durch Ernst Steinitz („Algebraische Theorie der Körper“) führt zum heute gültigen Körperbegriff