3 Der Nationalstaat Beim Nationalstaat als Akteur setzt die Außenpolitikanalyse gewöhnlich an. Das Ansatzniveau ist mittlerweile begründungsbedürftig,

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3 Der Nationalstaat Beim Nationalstaat als Akteur setzt die Außenpolitikanalyse gewöhnlich an. Das Ansatzniveau ist mittlerweile begründungsbedürftig, weil es längst gegenläufige Prozesse bei der Bildung regionaler, gouvernementaler und nicht-gouvernementaler Zusammenschlüsse gibt, wie z. B. die EU und die NATO. Andererseits hat der Nationalstaat nach dem Ende des Ost-West-Konflikts wieder Auftrieb erhalten.

Weiterführend könnte hier die These von Wolfram Hanrieder sein, dass in westlichen Industriestaaten mittlerweile ein „Domestifizierungsprozeß“ der interna-tionalen Beziehungen ablaufe. Dieser Domestifizierungsprozeß, die Einbeziehung internationaler Vorgänge in die Innenpolitik, führt angeblich zu einer Konvergenz zwischen internationalen und nationalstaatlichen Politiken. Das ändere aber nichts an der immer noch vorhandenen Vitalität des Nationalstaats: „Nationalism, then, is alive and well. Far from being secondary or obsolete, the nation-state nationalism, and the idea of the national interest are central elements in contemporary world politics. The international system has remained an inter­state system in many of its essential features.“

Hanrieders Begründung lautet, dass außenpolitische Güter wie Herrschaft und Sicherheit unteilbar sind, während das für moderne Industriestaaten zentrale Gut "Wohlfahrt" sehr wohl teilbar sei, weil es einem absoluten Gewinnkalkül unterliege. Folglich sind die Angebots- und Nachfrage-Interaktionen zwischen Staat und Gesellschaft intensiver geworden und die außenpolitischen Akteure entsprechend mehr unter den Druck von Forderungen aus dem Binnenbereich der politischen Systeme geraten. Die Domestifikationsthese lässt sich auch durch weitere Beobachtungen untermauern. In einer ganzen Reihe von Ländern Europas gibt es eine Tendenz zur Regionalisierung und parallel dazu die europäische Parlamentarisierung. Integrationsprozesse in der EU und verstärkte Tendenzen zur regionalen Autonomie laufen also scheinbar paradox parallel zueinander ab.

Nach der marxistischen Tradition basiert Außenpolitik nicht auf dem Nationalstaat als Grundeinheit, sondern auf einer bestimmten Sozialklasse, die in der Losung des Kommunisti-schen Manifests von 1847 „Proletarier aller Länder, vereinigt Euch“, programmatischen Ausdruck fand. Die realsozialistische Geschichte ist diesem Anspruch nicht gerecht geworden. Stalins außenpolitische Maxime war der „Kommunismus in einem Lande“. Die Theoretiker des Marxismus-Leninismus mussten sich in der Folge mit dem Widerspruch zwischen den Thesen ihrer Klassiker und dem Verhalten der sozialistischen Länder auseinandersetzen. Die von Chruschtschow geforderte Koexistenz zwischen unterschiedlichen Gesellschaften hat eine Brücke schlagen wollen, für die praktische Politik ist es gelungen, für die Theorie nicht.

Die liberalen Theorien, vornehmlich die Integrations-theorie, haben den Nationalstaat schon seit den fünfziger Jahren als im Absterben verstanden. Zwar ist zweifellos, wie es John Herz ausgedrückt hat, dessen harte Schale aufgebrochen, dennoch ist er aus heutiger Sicht nach wie vor recht lebendig. Der Akteur „Nationalstaat“ ist demnach, was Homogenität, Kohäsion und die Bedeutung als Bezugseinheit in Selbst- und Fremdeinschätzung angeht, immer noch wichtig genug, um alle bisher entwickelten Alternativkonzepte an Wirksamkeit zu übertreffen. Entgrenzung und Dentionalisierung unterhöhlen viel langsamer als vielfach behauptet.

Die nationalstaatliche Souveränität ist im Schwinden begriffen, ein Anachronismus mag sie auch sein, doch sie ist nach wie vor Anspruch und Realität. Die über 200 internationalen Staatenorganisationen und über 5 000 nicht-staatlichen internationalen Organisationen haben daran wenig geändert. Die nationalstaatliche Souveränität bleibt die Grundlage des Völkerrechts und kann z. B. in Deutschland nur mit Zustimmung der gesetzgebenden und vollziehenden Gewalt zugunsten internationaler Entscheidungs-instanzen eingeschränkt werden. Relevant ist hier insbesondere Artikel 24, Abs. 1 des Grundgesetzes: „Der Bund kann durch Gesetze Hoheitsrechte auf zwischenstaatliche Einrichtungen übertragen“.

Womöglich viel mehr als internationale Organisationen und regionale Zusammenschlüsse haben die gesellschaftlichen Akteure der Wirtschaft, voran die Transnationalen Konzerne (TNKs, häufig auch als multinationale Unternehmen bezeichnet), seit den siebziger Jahren die nationale Entscheidungsfähigkeit eingeschränkt oder beiseite geschoben. Regional und global operierende Konzerne stehen nicht mehr länger unter der Kontrolle nationaler Regierungen. Als Träger der Internationalisierung wirtschaftlicher Tätigkeit haben sie Grade der Integration bewirkt, die eine neue Dimension jenseits des Nationalstaats anzeigen. Ob die TNKs (Multis) Vorreiter einer effizienteren, womöglich gar besseren übernationalen Weltordnung seien oder eher rücksichtslose wirtschaftliche Akteure, denen mit politischem Misstrauen begegnet werden muss, mag hier dahingestellt bleiben. Die Literatur über die Multis hat deren Aktivitäten zyklisch mal besser, mal weniger gut bewertet. Tatsächlich sind allein die TNKs wohl bisher in der Lage, sich über die Regierungen von Kleinstaaten hinwegzusetzen.

Andere gesellschaftliche Akteure haben die Grenzen des Nationalstaats gleichermaßen durchlöchert und eigene transnationale Netzwerke aufgebaut. Menschenrechts- und Umweltgruppen sind dabei am weitesten gegangen, weil ihre Betätigungsfelder per definitionem die Enge und die Antiquiertheit des Nationalstaats aufzeigen. Demokrati­sierungsprozesse und der durch die neuen Medien kaum mehr zu stoppende Fluss von Informationen lassen Abschottung dagegen immer weniger zu. Die Staatenwelt sei auf dem Weg zur Gesellschaftswelt (Czempiel). Über die Geschwindigkeit und den Tiefgang dieses Trends lässt sich freilich noch trefflich streiten.

Sein Katalog der Argumente für den Nationalstaat lautet: Pfetsch resümiert die Argumente für den Nationalstaat als eher emotional, die Argumente für internationale Organisationsformen hingegen als eher rational. Sein Katalog der Argumente für den Nationalstaat lautet: Souveränität, Selbstidentifikation, Verfügungsgewalt, gemeinsame Geschichte, Gleichartigkeit der Bevölkerung, Zugehörigkeitsgefühl, Abgrenzung gegen andere, Überschaubarkeit, Entfaltung der Individualität und Verminderung regionaler Ungleichheiten.

Lösung von Weltproblemen wie Als Argumente für internationale Organisationsformen lassen sich anführen: Lösung von Weltproblemen wie Ernährung, Energie, Bevölkerungswachstum, Umweltschutz, militärische Sicherheit, Pflege der Reichtümer der Erde, wirtschaftliche Vorteile wie Arbeitsteilung und Produktivität, technische Erleichterung durch die Vereinheitlichung von Maßen, Gewichten und Zeiten und die Abstimmung bei der Kommunikation, humanitäre Erleichterungen wie Kulturaustausch und Begegnungen, die Verminderung von Weltungleichgewichten und etwa auch extraterrestrische Aufgaben im Weltraum und der Atmosphäre.

Die Zweiteilung in emotional versus rational übersieht allerdings rationale, interessengeleitete Argumente für den Nationalstaat wie z. B. Ansprüche auf Verteilungsleistungen. Sozialleistungen und Subventionen sind besonders in Ländern mit hohem Niveau rationale Argumente der Empfänger für den Nationalstaat, weil seine Schwächung auch seine Verteilungsleistungen schmälert. Die Verlagerung auf die transnationale Ebene bedingt einen kleinsten gemeinsamen Nenner, der die ärmeren Staaten begünstigt und die reicheren belastet. Das mag als Umverteilungsleistung normativ sozial begründet sein, ein Niveauverlust für die reichen Wohlfahrtsstaaten bleibt aber dabei nicht aus. Umgekehrt trägt die generelle Begeisterung für übernationale Lösungen nicht allein rationale, sondern auch normative, idealistische Züge.

Versucht man nun, Außenpolitik von den internationalen Beziehungen abzugrenzen, hat die Wissenschaft damit wenig Probleme. Analytisch ist die Unterscheidung sinnvoll, es geht um abgrenzbare Forschungsgegenstände auf verschiedenen Analyseebenen (level-of-analysis). Das Internationale System stellt eine Analyseebene dar, die Außenpolitik von Nationalstaaten eine andere, wie Singer schon 1961 in einem grundlegenden Aufsatz dargelegt hat.

Für das praktische Handeln in der Politik ist die Trennung eher künstlich. Außenpolitische und internationale Analyse in den Außenministerien ist weitgehend identisch. Außenpolitik ist zunächst grenzüberschreitendes Handeln. Längst ist dafür folgerichtig nicht mehr allein das Außenministerium zuständig, eine ganze Reihe von Ministerien und Gruppen betreiben Außenpolitik. Damit ist der Unterschied zur Innenpolitik durch die Richtung der Entscheidungen gegeben, nicht durch den politischen Prozess selbst. Im Unterschied zur Innenpolitik ist bei der Außenpolitik, wenn sie sinnvoll und erfolgreich sein soll, ein höheres Maß an nationaler Einigkeit erforderlich. Wenn also z. B. die sozialliberale Regierung in den siebziger Jahren einen Vertrag über die Grenze Deutschlands und Polens abgeschlossen hat, dann war dies zwar völkerrechtlich gültig, ohne die Akzeptanz durch die Opposition war die internationale Glaubwürdigkeit aber zwangsläufig unterhöhlt.

Der amerikanische Politikwissenschaftler James Rosenau hat einen Katalog von Motivations-, Rollen- und Interaktionsdifferenzen aufgestellt, der Außenpolitik als eigenen Bereich der Politik ausweist: 1. Motivationsdifferenzen Motivationsdifferenzen meinen Unterschiede in den Absichten, Haltungen, Gewohnheiten und Wahrnehmungen, weil Außenpolitik nicht zum unmittelbaren Erfahrungsbereich jedes Bürgers gehört. Er hat auch kaum konkrete Vorstellungen über Konfliktregelungen, versteht Außenpolitik zudem häufig als zu einfach. Wenn tatsächlich außenpolitische Probleme ins Blickfeld geraten, werden diese eher als Gefahr angesehen und können sogar zur Kriegsbereitschaft führen. 2. Rollendifferenzen Im Unterschied zur Innenpolitik sind bei außenpolitischen Sachverhalten Rollenträger beteiligt, die nicht zum eigenen System gehören. Das führt dazu, dass Differenzen bestehen bleiben können, auch wenn sie im nationalen System abgebaut worden sind.

3. Interaktionsdifferenzen Außen- und innenpolitische Gegenstände werden von den Beteiligten mit unterschiedlichen Graden der Intensität gestaltet. Bei innenpolitischen Sachverhalten ist die Intensität üblicherweise größer. Verteilungsfragen werden in der Innenpolitik üblicherweise durch Verhand-lungen aller Beteiligten zu lösen versucht, bei außenpolitischen Fragen sind die Verhandlungen zwischen innenpolitischen Gruppen eher unüblich. Das lässt Handlungsfreiheiten für die Exekutive entstehen, über die Köpfe der Interessenten in der eigenen Gesellschaft hinweg Außenpolitik zu betreiben. Dies gilt auch deshalb, weil die Außenpolitik im Bewusstsein der Bürger von Staat zu Staat variiert und auch über Zeit sehr unterschiedlich gewesen ist. Staatliche Gegebenheiten und geschichtliche Lagen zeigen hier eine erhebliche Varianz. Direkte materielle Betroffenheit hat viele Bürger der Außenpolitik mal näher gebracht, mal sie von ihr entfernt.

2.4 Definitionen In der Fachliteratur finden sich eine ganze Reihe divergierender Definitionen von Außenpolitik. Hier wird angelehnt an Pfetsch nur eine qualifizierte Auswahl geboten, die die Breite des Spektrums und die beiden zentralen Sichtweisen aufzuzeigen vermag. Die ersten vier Definitionen bieten die wichtigen Bestandteile der Außenpolitik, nämlich Ziele, Mittel, Träger und Grenzen. Sie zeigen Elemente der realistischen Denkschule und befinden sich damit noch nah an der traditionellen These vom Primat der Außenpolitik.

Vernachlässigt werden in diesen vier Definitionen die Struktur- und Prozessanalyse, der innenpolitische Meinungsbildungsprozess und das Verhalten sowie die Analyse anderer Staaten. 1. Fischer-Baling: „Außenpolitik ist die Lehre von den Interessen der souveränen Staaten und ihrer Geltendmachung.“ 2. William Wallace: „Foreign policy is that area of politics which bridges the all-important boundary between the nationstate and its international environment.“ 3. Klaus Knorr: „Foreign policy has to do with the use of different resources by states for achieving various kinds of gains in their relation with other states.“ 4. David Vital: „... a formulation of desired outcomes which are intended (or expected) to be consequent upon decisions adopted (or ‘made’) by those who have the authority (or ability) to commit the machinery of state and a significant fraction of national resources to that end.“

Einem moderneren, eher gesellschaftspolitischen Verständnis von Außenpolitik kommen die folgende fünf Definitionen näher: Peter Seibt: „Während die auswärtigen Beziehungen die Gesamtheit der Beziehungen eines Staates, seiner wirtschaftlichen Kräfte, gesellschaftlichen Gruppen und einzelner seiner Bürger zur Außenwelt umfassen, ...“ Gerhard Kirsch: „Außenpolitik bezeichnet die Formulierung und Durchsetzung gesellschaftlicher Interessen in ihrer Vermittlung durch den Staat gegenüber anderen Staaten und internationalen Organisationen im politischen, militärischen, wissenschaftlichen, rechtlichen und kulturellen Bereich.“ Reimund Seidelmann: „Mit und in AP nimmt die im souveränen Nationalstaat organisierte Gesellschaft ihre allgemeinpolitischen, wirtschaftlichen, militärischen und soziokulturellen Interessen gegenüber ihrem internationalen Umfeld wahr.“ Werner Link: „Außenpolitik ist ... die aktive und relative Gestaltung der Beziehungen einer staatlich organisierten Gesellschaft zu ihrer Umwelt durch Zielvorstellungen, die ... im internen Willensbildungs- und Entscheidungsprozeß entwickelt und in konkreten Handlungssituationen umzusetzen versucht werden.“ Frank Pfetsch: „Außenpolitik als grenzüberschreitendes politisches Handeln von Nationalstaaten und deren Komponenten, Regierungsorganen, Gruppen oder Individuen mit der Intention, bestimmte Absichten oder Ziele und Interessen mit Hilfe nationaler Ressourcen gegenüber oder in den Beziehungen zu anderen Staaten durchzusetzen.“

Hier muss angemerkt werden, dass die Ziele der Außenpolitik und ihre Instrumente keineswegs immer rational oder zweckrational eingesetzt werden müssen. Irrationalitäten in der Außenpolitik gab und gibt es zuhauf. Darauf hat vor allem der kommunikationstheoretische Ansatz hingewiesen. Als Standardwerk dazu gilt die Politische Kybernetik von Karl Deutsch. Der außenpolitische Entscheidungsprozeß der Bundesrepublik ist von Helga Haftendorn beispielhaft untersucht worden. Der Historiker Golo Mann ging sogar soweit anzunehmen, dass beim außenpolitischen Machtkampf weit mehr irrationale als rationale Motive zum Tragen kommen.

Der Disput um den Primat von Innen und Außen ist im wesentlichen nur noch von wissenschaftsgeschichtlichem Wert. Die Unterscheidung zwischen Innen- und Außenpolitik als getrennten Bereichen ist hingegen noch nicht völlig überflüssig. Krippendorff suchte sie aufzuheben, für Czempiel ist sie ein „Scheinproblem“, weil die Mittel im Verkehr mit der internationalen Umwelt die gleichen seien wie intern und es eben um Zuteilung von Werten gehe. Er will deshalb nur noch die Mittelkataloge unterscheiden. Was bleibt, ist immer noch der Unterschied in der rechtlichen Qualität bei den Kompetenzen der politischen Systeme nach innen und außen. Deshalb gilt nach wie vor: Außenpolitik ist immer noch eine sinnvolle Analyseebene.