Allgemeinbildender Informatikunterricht. Ein neuer Blick auf H. W

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Allgemeinbildender Informatikunterricht. Ein neuer Blick auf H. W Allgemeinbildender Informatikunterricht? Ein neuer Blick auf H. W. Heymanns Aufgaben allgemeinbildender Schulen Zur Entwicklung des Bildungsbegriffs Bildung und Technik Die Aufgaben der allgemeinbildenden Schulen nach H. W. Heymann Die „Ludwigsfelder Thesen“: Informatikunterricht für alle! Die allgemeinbildende Qualität des Informatikunterrichts stärken Helmut Witten, 17.9.2003

1. Zur Entwicklung des Bildungsbegriffs Die letzte Aufgabe unsres Daseyns: dem Begriff der Menschheit in unsrer Person einen so grossen Inhalt, als möglich zu verschaffen. (Wilhelm von Humboldt, Theorie der Bildung des Menschen, 1793) Was macht das Wesen der Bildung aus? Gebildet ist, wer nicht mit der Hand arbeitet, sich richtig anzuziehen und zu benehmen weiß, und von allen Dingen, von denen in der Gesellschaft die Rede ist, mitreden kann. (Friedrich Paulsen, 1903) So bewegte vor Hermann die liebliche Bildung des Mädchens sanft sich vorbei. (Johann Wolfgang von Goethe, Hermann und Dorothea, 1797) Versagen des Bildungsbürgertums im Nationalsozialismus Helmut Witten, 17.9.2003

1. Zur Entwicklung des Bildungsbegriffs Der Bildungsbegriff stellt seiner Herkunft nach eine von Anfang an ideologisch aufgeladene Begriffsbildung dar und hat deshalb im Verlauf seiner Geschichte eine nicht mehr zu beseitigende Unschärfe und Vieldeutigkeit erlangt. (Paul Heimann, 1962) Eine zentrale Kategorie wie der Bildungsbegriff ist unbedingt notwendig, wenn die pädagogischen Bemühungen um die nachwachsende Generation nicht in ein unverbundenes Nebeneinander oder gar Gegeneinander von zahllosen Einzel-aktivitäten auseinanderfallen sollen. (Wolfgang Klafki 1985) Die Bildungstheorie der deutschen Pädagogik des 19. und 20. Jahrhunderts war einer kritischen Analyse der neu entstehenden sozialen Probleme, des geistigen Bedarfs und der politischen Strukturen der Industriegesellschaft nicht gewachsen. Der tradierte Bildungsbegriff steht einer notwendigen Neuorientierung eher im Wege. (Meyers großes Taschenlexikon 1981) Bildungsstandards orientieren sich an Bildungszielen, denen schulisches Lernen folgen soll, und setzen diese in konkrete Anforderungen um. (Zur Entwicklung nationaler Bildungsstandards, „Klieme-Papier“ 2003) Helmut Witten, 17.9.2003

2. Bildung und Technik Naturwissenschaften und Technik sind kein Gegenstand der Bildung! (Bildung – Alles, was man wissen muss! Dietrich Schwanitz, 1999) Aufgabe der Wissenschaft ist es, die Dinge zu durchschauen. (Die andere Bildung, Ernst Peter Fischer 2001) Technik zu verwenden und sie zu verstehen ist nicht dasselbe: Die Computertechnik ist heute leichter zu benutzen als vor 20 Jahren, doch schwerer zu begreifen. (Gero von Randow, vom Spaß an der Technik 2002) 1) Enthält (fast) nichts zu Naturwissenschaft und Technik 3) Gero von Randow: Die Verächter naturwissenschaftlich-technischen Wissens finden sich in allen geistigen Lagern. Um zu ihnen zu zählen, muss man nicht links oder rechts denken, nur bequem. Die Benutzeroberflächen versiegeln die Technik gegen den Zugriff des Laien  Notwendigkeit der technischen Bildung Helmut Witten, 17.9.2003

3. Aufgaben der allgemeinbildenden Schulen nach H. W. Heymann: Lebensvorbereitung Stiftung kultureller Kohärenz Weltorientierung Anleitung zum kritischen Vernunftgebrauch Entfaltung von Verantwortungsbereitschaft Einübung in Verständigung und Kooperation Stärkung des Schüler-Ichs Vorbemerkung 1: Bildung und Allgemeinbildung v. Hentig: Allgemeinbildung ist ein Pleonasmus, ein weißer Schimmelafki: Bildung ist in dreifachem Sinn allgemein: Bildung für alle, Bildung über Fragen, die uns alle angehen, Bildung aller Fähigkeitsdimensionen des Menschen Heymann: Bildung ist eine Aufgabe für den Einzelnen, Allgemeinbildung ist eine Aufgabe der Gesellschaft, die sie zu weiten Teilen an die Institution der Pflichtschule delegiert. Allgemeinbildung wird in dieser Sicht zur Bedingung der Möglichkeit der Bildung. Vorbemerkung 2: Zur Person von H. W. Heymann sowie zur Rezeption von dem Artikel „Computer und Allgemeinbildung“ (1987, zusammen mit Hans Bussmann), in dem sie zum Schluss kommen, dass für die Allgemeinbildung zwar ein gewisses Maß an Computerkenntnissen wünschenswert sei, ein eigenes Fach Informatik aber nicht benötigt würde. Der Erwerb eines „Computerführerscheins“ dient nur sehr begrenzt der Lebensvorbereitung im engeren Sinn. Die weite Verbreitung vernetzter Rechner in der Wirtschaft, in den Verwaltungen, in der Wissenschaft und im privaten Bereich würde eine „computerfreie“ Schule als lebensfremd erscheinen lassen.  Vermeidung der „digitalen Spaltung“! Ursprünglich „Tradierungspostulat“ (1987), zusätzlich: synchrone Verflechtungen innerhalb der Gesellschaft (Fachkulturen). Gesucht sind „Schnittstellen“ zwischen der Informatik und der übrigen Kultur („Big Ideas“). Hinweis Schwill, Denning In Ergänzung zur Lebensvorbereitung im engeren Sinn ist ein umfassenderes, ‚luxurierendes’ Wissen notwendig, um ein differenziertes Weltbild mit einem weiten Urteilshorizont zu entwickeln, um sowohl den eigenen Standort in der Welt als auch seine Relativierung zu ermöglichen.  Notwendigkeit fachübergreifenden und fächerverbindenden Lernens! Die Lernenden sollen die Fähigkeit erwerben, Einsatzmöglichkeiten der Informationstechnik kritisch zu bewerten und vernünftige Kriterien für die Gestaltung von IT-Systemen zu entwickeln. Hierfür benötigen sie die Fähigkeit zum kritischen Vernunft­gebrauch, verbunden mit der geistigen Haltung, den Dingen auf den Grund gehen zu wollen. Helmut Witten, 17.9.2003

4. „Ludwigsfelder Thesen“: Informatikunterricht für alle! Informatiksysteme durchdringen im zunehmenden Maße unser Leben. Im Informatikunterricht erkennen die Lernenden, dass Informatiksysteme gestaltbar sind. Modellierung von Informatiksystemen hat in der Wissensgesellschaft eine grundlegende Bedeutung. Die Arbeitsweisen des Informatikunterrichts tragen im besonderen Maße zur Bildung von Sozialkompetenz bei. Bernd Bethge, Dr. Herbert Drumm, Thomas Knapp, Steffen Neumeyer, Ralf Romeike, Thomas Schödel, Albert Wiedemann, Helmut Witten a) Die Wissensgesellschaft ist auf die vielfältige Anwendung von Informatiksystemen angewiesen, die Informatik stellt dafür die wissenschaftliche Basis zur Verfügung. Die Kenntnis, Anwendung und kritische Reflexion der grundlegenden Konstruktionsprinzipien von Informatiksystemen dient daher der Lebensvorbereitung und der Orientierung in einer von diesen Systemen geprägten Welt. b) Die Lernenden erwerben im Unterricht Kenntnisse, Erfahrungen und Kompetenzen zu verschiedenen Werkzeugen zur Bewältigung des Problemlöseprozesses und treffen Entscheidungen über ihren adäquaten Einsatz. c) Insbesondere im Informatikunterricht erwerben die Lernenden unter Verwendung unterschiedlicher Paradigmen der Modellierung die Fähigkeit, Ausschnitte aus Alltagssituationen zielgerichtet abzugrenzen, zu strukturieren und formal zu beschreiben und darüber zu kommunizieren. In der Regel werden dabei Aspekte aus anderen Fächern aufgegriffen; dies unterstützt die Vernetzung des Schülerwissens und stärkt die Problemlösekompetenz. d) Projekte und projektartige Unterrichtsformen tragen stark zur Förderung von Sozialkompetenzen wie Teamfähigkeit, Kommunikationsfähigkeit, Fähigkeit zur Darstellung eigener Ideen und Verantwortungsbereitschaft bei. Diese Methoden nehmen aus fachlichen Gründen im Informatikunterricht einen breiten Raum ein. Somit werden hier wichtige Sozialkompetenzen eingeübt und gestärkt. Dabei wird Projektarbeit auch thematisiert und reflektiert. So leistet der Informatik­unterricht einen unverzichtbaren Beitrag für selbst organisiertes und lebenslanges Lernen. Vergleich Chemie- und Informatik-Unterricht, Kochsalz / NaCl-Vergleich: Informatik in der Schule darf sich nicht auf „Kochkurse“ beschränken! Helmut Witten, 17.9.2003

5. Die allgemeinbildende Qualität des Informatikunterrichts stärken Auswirkungen und Anwendungen von Informatiksystemen verstärkt im Unterricht thematisieren den kritischen Vernunftgebrauch an der Beschäftigung mit der Geschichte der Künstlichen Intelligenz (KI) schulen die prinzipiellen Grenzen der Berechenbarkeit im Informatik-Unterricht herausarbeiten Verständnis der Risiken und Unbeherrschbarkeit heutiger Computer- und Netzsysteme vermitteln Die Betrachtung des Informatik-Unterrichts unter dem Gesichtswinkel des möglichen Beitrags zur Allgemeinbildung gibt aber auch Anlass, selbstkritisch nach Defiziten zu fragen. Die Rationalisierungsproblematik sowie die Forderung nach informationeller Selbstbestimmung (Datenschutz) wurden schon sehr früh im Informatik-Unterricht thematisiert, allerdings mitunter auch als lästige Pflichtübung empfunden. Hier ist in besonderer Weise methodische Phantasie gefragt, damit diese m. E. nach wie vor wichtigen Bereiche für die Lernenden „interessant, fragwürdig, zugänglich, begreiflich, ‚anschaulich’ werden“. „Was kann ich, was kann der Computer?“ – zu dieser Frage sollten nach Donata Elschenbroich schon die Siebenjährigen eigene Vorstellungen ent­wickeln. Das „Jahrzehnt des Gehirns“ hat ganz erstaunliche Fortschritte für unseren Kenntnisstand gebracht. Auch die Faszination von Science Fiction für die Jugendlichen wird im Informatik-Unterricht noch viel zu selten genutzt, um die dort beschriebenen und erdachten Möglichkeiten mit den realen zu konfrontieren. „Können Computer alles?“ Die negative Antwort auf diese Frage bringt David Harel in seinem Buch „Das Affenpuzzle und weitere bad news aus der Computerwelt“ auf unterhaltsame Weise nahe. Auch hier würde sich ein weites Feld für den kritischen Vernunftgebrauch auftun. Klaus Brunnstein hat auf der INFOS 2001 in Paderborn auf dieses Defizit hingewiesen. Zu diesem Thema möchte ich allen das Buch von Bruce Schneier „Secrets & Lies – IT-Sicherheit in einer vernetzten Welt“ ans Herz legen. Wir werden lernen müssen, mit der Unsicherheit der IT-Systeme zu leben. Wenn man bedenkt, dass der Mensch dabei der größte Unsicherheitsfaktor ist, wird die Fähigkeit zum kritischen Vernunftgebrauch an dieser Stelle geradezu überlebenswichtig. Helmut Witten, 17.9.2003