Übersicht zur Religions- und Weltanschauungsfreiheit Art. 4 I, II GG

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Übersicht zur Religions- und Weltanschauungsfreiheit Art. 4 I, II GG Fall 3 – „Kruzifix“ BVerfGE 93, 1 ff.

Allgemeine Fragen 1. Relevante Normen des GG Art. 4 I, II GG Art. 140 GG iVm Art. 136 – 139, 141 GG: inkorporiert in GG

2.1 Persönlicher Schutzbereich Natürliche Personen Minderjährige? Gegenüber dem Staat sind Mj. stets grundrechtsberechtigt Juristische Personen, Art. 19 III iVm Art. 4 I, II GG P: In der Literatur ist umstritten, ob Art. 4 I, II selbst unmittelbar schon eine Garantie der Religions- und Weltanschauungsfreiheit für juristische Personen enthält, so dass ein Rückgriff auf Art. 19 III GG nicht erforderlich wäre. Damit wäre Art. 4 I, II als „Doppelgrundrecht“ zu sehen. Für eine Sonderstellung des Art. 4 I, II GG gegenüber anderen Grundrechten enthalten jedoch weder der Wortlaut noch die Systematik des Grundrechtskatalogs einen Anhaltspunkt. In der Fallbearbeitung ist es regelmäßig unerheblich, ob die Grundrechtsberechtigung unmittelbar aus Art. 4 I, II oder Art. 4 I, II iVm 19 III GG folgt. Das Problem ist deshalb nur sehr knapp zu erwähnen, ohne es zu entscheiden. - Für Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften egal welcher Rechtsform leitet sich aus Art. 140 GG iVm Art. 137 WRV eine Sonderstellung ab, ohne Rückgriff auf Art. 19 III GG: Das BVerfG versteht Art. 137 WRV als eine „rechtlich selbständige Gewährleistung, die der Freiheit des rel. Lebens und Wirkens der Kirchen und Religionsgemeinschaften die zur Wahrnehmung dieser Aufgaben unerlässliche Freiheit der Bestimmung über Organisation, Normsetzung und Verwaltung hinzufügt“ (BVerfGE 53, 336, 401) und den Religionsgemeinschaften ein umfassendes Selbstbestimmungsrecht gibt.

2.2 Sachlicher Schutzbereich Religion und Weltanschauung Reichweite des Schutzes: Freiheit des Glaubens: Freiheit, sich einem religiösen oder weltanschaulichen Glauben anzuschließen (forum internum) Freiheit des Bekenntnisses : Freiheit , diesen Glauben/diese Weltanschauung in Form der Meinungsäußerung nach außen kund zu tun (forum externum), Kundgabeformen: Wort, Schrift, Bild, Gesten, Musik, usw.; Tragen besonderer Kleidung; Glockengeläut; nicht unter Bekenntnis fällt die wirtschaftliche Betätigung unter dem Deckmantel der Religion Freiheit der Religionsausübung: Freiheit, ungestört religiöse Gebräuche und kultische Handlungen auszuüben. Einheitlicher Schutzbereich aus Art. 4 I und II GG: umfassende religiöse Handlungsfreiheit; „Recht des Einzelnen, sein gesamtes Verhalten an den Lehren seines Glaubens auszurichten und seiner inneren Glaubensüberzeugung gemäß zu handeln“, BVerfGE 32, 98, 106.

2.2 Sachlicher Schutzbereich - Fortsetzung Positive und negative Religions- und Weltanschauungsfreiheit, BVerfGE 93, 1, 15 Individuelle und kollektive Religions- und Weltanschauungsfreiheit Religionsgemeinschaften? BVerfGE 53, 336, 401 „freiheitssichernde Wirkung“: Verpflichtung des Staates zu Neutralität in Bereichen der Sorge durch den Staat, z.B. Schule, BVerfGE 93, 1, 15 f. Eingriff Beeinträchtigung und Behinderung der geschützten Tätigkeiten Verletzungen der staatlichen Neutralitätspflicht (Diskriminierung)

3. Rechtfertigung Vorbehaltloses GR Schranke des Art. 140 GG iVm Art. 136 I WRV? (+) 140 GG ist vollgültiges Verfassungsrecht; 136 WRV wäre ansonsten bedeutungslos (-) Art. 4 GG bewusst aus WRV-Kirchen-Zusammenhang gelöst; Religionsfreiheit unter GG stärker geschützt als vergleich- barer Art. 135 WRV, nämlich auch in 3 II, 7 II, IV 3, 33 II GG. => 136 WRV von Art. 4 I, II GG überlagert Verfassungsimmanente Schranken – kollidierendes Verfassungsrecht und Schranken-Schranken: schonender Ausgleich zwischen den kollidierenden Verfassungspositionen = praktische Konkordanz

4. Praktische Konkordanz Schonender Ausgleich zwischen Verfassungsgütern. Die Verfassungsgüter sind so einander zuzuordnen, dass sie alle zu optimaler Wirksamkeit gelangen. Keine GR-Gewährleistung darf mehr als notwendig oder ganz ihrer Wirksamkeit im Leben beraubt werden. Erforderlich ist daher eine Verhältnismäßigkeitsprüfung, die den übermäßigen Gebrauch des vorbehaltlos garantierten GR, hier der Religionsfreiheit, einschränkt. Siehe: Konrad Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland, 20. Auflage 1995, Rn. 318.

Fragen zum Fall Ist Maria prozessfähig? Prozessfähig ist, wer geschäftsfähig ist, „reif und einsichtsfähig“; bei Art. 4 I, 2 GG wird auf Altersgrenze von § 5 S. 1 RelKErzG zurückgegriffen: 14 Jahre Maria ist mit 12 Jahren nicht prozessfähig; doch: wirksame Prozessvertretung durch die Eltern, § 1629 I BGB (+)

2. Gegen welche hoheitlichen Maßnahmen geht die Beschwerdeführerin mit der Verfassungsbeschwerde vor? Urteile der Verwaltungsgerichte bis zur letzten Instanz § 13 I 3 VSO > Beide Arten von Hoheitsakten ermächtigen den Staat, in bayerischen Volksschulen Kreuze/Kruzifixe in Klassenzimmern anzubringen

Schutz der negativen religiösen Handlungsfreiheit 3. Auf welche GR beruft Maria sich? Ist der Schutzbereich in sachlicher Hinsicht eröffnet? Art. 4 I, II GG: Schutz der negativen religiösen Handlungsfreiheit Maria wehrt sich gegen das Kruzifix im Klassenzimmer; sie will nicht mehr „unter dem Kreuz“ als christlichem Symbol lernen und fühlt sich bedrängt. Verpflichtung des Staates zu Neutralität Maria beschwert sich, dass der Staat im Schulwesen, also einem Bereich, der nicht der gesellschaftlichen Selbstorganisation überlassen, sondern unter der Sorge des Staates steht, die religiöse Neutralität missachtet (BVerfGE 93, 1, 15 f.)

3. Auf welche GR beruft sie sich 3. Auf welche GR beruft sie sich? Ist der Schutzbereich in sachlicher Hinsicht eröffnet? Art. 2 I GG Allgemeine Handlungsfreiheit als weit gefasstes Grundrecht erfasst im Schutzbereich jegliches menschliches Verhalten (+) Subsidiär zu anderen spezielleren GR, nur zu prüfen, wenn Klage aus Art. 4 I, II GG nicht begründet ist

4. Worin liegt der Eingriff? Die Urteile ergingen gegen Maria, § 13 I 3 VSO verpflichtet sie entgegen ihrem Willen. Beides sind typische Maßnahmen des Staates, die Marias negative Religions- und Weltanschauungsfreiheit betreffen und beschränken. Eingriff (+)

Bilden Art. 140 GG iVm Art. 136 – 139, 141 WRV eine Schranke? (-) 5. Wann ist der Eingriff in das GR der Maria aus Art. 4 I, II GG gerechtfertigt? Vorbehaltloses GR Bilden Art. 140 GG iVm Art. 136 – 139, 141 WRV eine Schranke? (-) Verfassungsimmanente Schranken – kollidierende GR? Der Staat macht – laut Sachverhalt – Grundrechte aus Art. 7 I GG und Art. 4 I, II GG als Schranken geltend => Der Eingriff ist gerechtfertigt, wenn im Rahmen der praktischen Konkordanz Art. 7 I oder Art. 4 I, II GG anderer Schüler die Religionsfreiheit der Maria überwiegen