Geldkrisen und Währungsreformen

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 Präsentation transkript:

Geldkrisen und Währungsreformen Schichten-Schicksale, Sozialcharaktere und Sozialisation

Fragebogen: Bedeutung des Geldes 1) Welche monetäre Sichtweise vertreten/vertraten deine Großeltern? Wie gehen/gingen sie mit Geld um? 2) Welche monetäre Sichtweise vertreten/vertraten deine Eltern? 3) Welche monetäre Sichtweise vertrittst du? Wie gehst du mit Geld um?

Gliederung Einleitung Erklärungen (Inflation und Puritanismus) Methodisches Währungskrise und Sozialstruktur Krisenschicksal und Sozialcharakter Währungskrisen als Sozialisationsimpulse?

Einleitung Forschungsprojekt Göttinger Studie von 1996 mit folgendem Arbeitstitel: „Lehrmeister Währungskrise?! - Monetäre Schlüsselerfahrungen deutscher Familien in drei Generationen.“ Befragte: Zeitzeugen der Hyperinflation und deren Nachfahren Fragestellung: Wie sehen die Folgen der Inflation auf die Sozialstruktur, den Sozialcharakter und die monetäre Sozialisation aus?

Inflation (lateinisch: Aufblähung) Allgemein: Geldentwertung > Umlauf des Geldes wird höher als es der wirtschaftlichen Produktion entspricht Symptome: mangelndes Warenangebot > führt zu steigenden Preisen / Ausverkauf vieler Waren durch Exporte / Flucht in Sachwerte / geringere Sparkapitalbildung Geschichtlich (bezogen auf Deutschland zur Zeit des ersten Weltkriegs): Beginn der Inflation während des Krieges Verschleierung durch reglementierte Preise und Löhne (festgesetzt August 1914 > „aufgestaute Inflation“)

Inflation Kriegsende Dezember 1918 > 33 Milliarden Mark im Umlauf (Kriegsbeginn 7 Milliarden Mark) 1919 > Lockerung der Preisfestsetzungen > Preissteigerungen instabile politische/wirtschaftliche Lage erschwert durch Reparationsverpflichtungen (Versailler Vertrag) Ende 1922 > Besetzung des Ruhrgebiets durch französische und belgische Truppen wegen Zahlungsrückständen Folge: Hyperinflation

Hyperinflation Sonderform der offenen Inflation Maximal 12-24 Monate bis Wirtschaft zusammenbricht > einzige Möglichkeit > Währungsreform Währungsreform im deutschen Reich: 1923 > Einführung der Rentenmark als Übergangswährung Ausgabe durch deutsche Rentenbank (Vermeidung erneuter Abwertung durch Druckbeschränkung > neuer Kurs: 4,20 Rentenmark zu 4,2 Billionen „alter“ Papiermark zu einem Dollar)

Puritanismus Zusammensetzung aus: 1) einer an der Bibel ausgerichteten Geisteshaltung und 2) einer sittenstrengen-asketischen Lebensführung Für die Beeinflussung der soziokulturellen und wirtschaftlichen Entwicklung bedeutet dies: Ökonomisch rationale Lebensführung, d.h. 1) von Gott anvertraute Besitztümer dürfen nicht für Luxuskonsum und Lebensgenuss verwendet werden 2) Die Besitztümer sollen durch rational organisierte Berufsarbeit vermehrt werden

Puritanismus Daraus resultiert: 1) Erfolgsorientiertes Erwerbsstreben in Verbindung mit 2) asketischem Lebensstil und 3) Sparzwang 1) – 3) führen zu einer expansiven Kapitalbildung Nach Max Weber ist die Lebensführung der Puritaner und die damit verbundene Einstellung zu Geld entscheidend für die Entfaltung des modernen Kapitalismus (Kapitalakkumulation)

Methodisches Befragt wurden drei Generationen jeweils einer Familie. Geburtsjahrgänge von 1896 bis 1977 Schaffung von gleich großen Gruppen entlang drei Hauptachsen: 1. Sozialökonomischer Status („selbstständig“ vs. „abhängig beschäftigt“) 2. Sektor („primär“, „sekundär“, „tertiär“) 3. „politischer Wohnort“ 1990 (BRD, DDR) Startgeneration: Matrix mit 6 Feldern die jeweils mit 8 Personen besetzt sind Insgesamt: Gesamtzahl von 144 Personen (6*8*3=144)

Soziodemographische Struktur der Startgeneration (G1) Selbstständige Land West Ost m 1902 m 1906 w 1907 w 1911 m 1910 m 1911 w 1914 w 1912 Primärer Selbständige Produktion m 1896 w 1904 m 1908 m 1906 w 1912 m 1906 w 1913 w 1907 w 1911 Sekundärer Selbstständige Handel w 1904 w 1899 w 1905 m 1903 w 1911 w 1906 w 1911 m 1909 Tertiärer Sektor m 1903 w 1900 w 1903 m 1912 m 1911 w 1913 w 1915 w 1916 Abhängige Land m 1902 w 1907 w 1904 m 1908 m 1905 m 1908 m 1908 Abhängige Produktion w 1896 w 1902 m 1903 m 1908 w 1906 w 1909 Abhängige Handel

Währungskrise und Sozialstruktur Die Autoren unterscheiden rational-kognitive und affektiv-normative Handlungsdispositionen. rational-kognitive Handlungsdispositionen: durch Lernprozesse veränderbar, bereits vorhandener Kenntnisstand spielt eine Rolle affektiv-normative Handlungsdispositionen: beharrend, emotional beladen, in tieferen Schichten der Psyche des Menschen angesiedelt

Währungskrise und Sozialstruktur Die einzelnen Schichten und die Folgen der Krise für diese: Selbstständige: Gewinner, aber auch größten Anteil der Verlierer  harte Polarisierung dieser Schicht Bauernfamilien: alle Inflationsschicksale relativ gleich-mäßig Abhängige: keine Gewinner, Mehrheit sind Benach-teiligte, Neutral- oder Nichtbetroffene alter Mittelstand: ähnlich wie Selbstständige, Gewinner und Verlierer Arbeiterfamilien: kaum Anpassungsspielraum (siehe Beispiel der Familie Pochadt)

Währungskrise und Sozialstruktur Vier Beispiele: 1. Familie Bruns – Verlierer 2. Familie Teske – Verlierer 3. Familie Korte – Gewinner 4. Familie Pochardt - Arbeiterfamilie

1. Beispiel: Familie Bruns Kognitive Anpassungsschwierigkeiten machen an-fänglichen Inflationsvorteil zunichte und kehren ihn ins Gegenteil um. Drechslerfamilie Baute während der Inflation Werkstatt, die schnell abgetragen war  keine Lehren daraus Auf Höhepunkt der Inflation: Schließung der Werkstatt und Auftragsarbeiten auf Lohnbasis. Ökonomische Lage wird nicht richtig eingeschätzt Unvermögen, Krisenmechanik, von der sie eben noch profitierten, wirklich zu erfassen

2. Beispiel: Familie Teske ursprünglich sehr wohlhabende Familie bereits im Vorfeld der Inflation sehr starke finanzielle Einbußen Verantwortlich dafür: affektiv-normative Dispositionen  Puritanistische Ablehnung von Schulden, Präferenz für Barzahlungen Präferenz wird auch in Inflationszeiten bei-behalten zurückweisende Geldhaltung

3. Beispiel: Familie Korte Paradebeispiel für einen inflationsorientierten homo socio-oeconomicus  Mischung aus homo oeconomicus und homo sociologicus bauten während der Inflationszeit ihre Schmiede aus  profitierten von Abwertung von Krediten und Hypotheken Inflationsadaptierte kognitive wie affektiv-normative Bewusstseinslage erkennbar kein normatives Verschuldungstabu

Homo oeconomicus versus Homo sociologicus - Teil 1 Wirtschaftsmensch Modellkonstruktion der Wirtschaftstheorie um menschliches Entscheidungshandeln beim Wirtschaften präzise darstellen zu können. Homo Sociologicus Soziologischer Mensch Strukturtheoretische Modellkonstruktion [Strukturell-funktionale (Parsons)und rollen-theoretische Ansätze (Dahrendorf)].

Homo oeconomicus versus Homo sociologicus - Teil 2 Idealisierter Mensch> Trifft bei gegebener Präferenzordnung, voll-kommener Informiertheit (Markttransparenz) und vollkommener Vor-aussicht rationale Kauf-, Verkaufs-, Produktions- und Konsumtionsent-scheidungen Sozialisierter Mensch> Inhaber vorgegebener sozialer Positionen, positionsgebundener Rollen (Rolle = Position +Erwartung) / soziales Verhalten wird durch Rollenerwartungen bestimmt, rollenwidriges Verhalten wird durch Sanktionsapparat bestraft

Homo oeconomicus versus Homo sociologicus - Teil 3 Ziel: Individuelle Nutzenmaximierung Rein ökonomische Sichtweise, Beein-flussung, bzw.Prägung des Individuums durch die Umwelt wird nicht berücksichtigt Ziel: Vergesellschaftung des Individuums >Soziokulturelle Persönlichkeit als eine bestimmte Kombination sozialer Rollen >Weitgehender Verlust der eigenen Individualität, Freiheit und Autonomie

4. Beispiel: Familie Pochardt Bei Arbeiterfamilien lag Schwerpunkt der Krise auf realwirtschaftliche Begleitumständen (z.B. Teuerungsfolgen) Vater Pochardt ist ein ungelernte Arbeiter, der wiederholt und längere Zeit arbeitslos ist. Folge war eine Verschärfung der Lebensbeding-ungen und diese führte wiederum zu kriminellen Handlungen (Stehlen von Grünkohl)

Krisenschicksal und Sozialcharakter Monetäre Puritanismus gerät mit Geldkrisen selber in die Krise  seine zentralen Merkmale werden zu Inflationszeiten kontraproduktiv Zusammenhang empirisch belegbar Der monetärer Gegentyp zum Puritaner ist der inflationsadaptierte modernistische Hedonist (Bsp: Familie Korte). Dieser zeichnet sich durch Flexibilität und Risikobereitschaft aus. Es besteht Bereitschaft zur Verschuldung, die dann wiederum primär dem Konsum dient.

Währungskrisen als Sozialisationsimpulse? monetären Sozialisation: Herausbildung verschiedener Einstellungen und Haltungen zum Geld, die sich dann in verschiedenen Umgangsweisen mit dem Geld äußern. Technische Weiterentwicklung: Auswirkungen auf den generellen Umgang mit Geld - individuelle Grundsätze verändern sich nicht automatisch mit. Auslöser für entsprechendeVeränderungen: positive oder negative Ergebnisse als Folge eines bestimmten monetären Verhaltens

Währungskrisen als Sozialisationsimpulse? Anhand dreier Beispiele werden die Rolle von Währungskrisen als Sozialisationsimpulse, sowie die daraus resultierenden längerfristigen Auswirkungen beleuchtet. Es kann zu einem Bruch, zur Beibehaltung oder zu einem Wandel der Werte, Normen und Ver-haltensweisen der vorigen Generationen kommen.

1. Beispiel: Familie Bruns deutlicher Bruch zwischen der dritten Generation und den Vorfahren Frau Bruns senior (1911) erfasste Krisenmechanismen in der Inflation, gab aber trotzdem Sparsamkeitsnorm weiter. Frau Bruns medio (1943) führt Sparen in abgeschwächter Form weiter, kann sich also nur bedingt von Sparsamkeits-norm lösen. Herrn Bruns junior (1966) gelingt endgültige Abkehr. Kommunikation über monetären Ereignisse ermöglichen ihm eine Auseinandersetzung mit den Erfahrungen seiner Großeltern.  krisenangepasste Ausrichtung seiner monetären Ver-haltensweisen

2. Beispiel: Familie Pochadt Währungskrise als „critical life event“. Frau P. senior (1907) zeigt immer noch starke emotionale Betroffenheit. Frau P. medio (1935) bleiben vor allem Beschreibungen der Not in Erinnerung. Keine erkennbare Vermittlung von Krisenlehren Frau P. junior (1957): bedingte Verschuldungsbereitschaft keine ausgeprägte Kommunikation über Krisenerfahrungen  Wandel vom monetären Puritanismus zum monetären Pragmatismus

3. Beispiel: Familie Otte besonders traditionsstarke Familie keine intergenerativen Gespräche über die Hyper-inflation 1923 Frau O. medio (1941) gibt elterliche monetäre Grund-sätze (Sparsamkeit) an ihre Kinder weiter. Ihre Distanz zum Geld bleibt zeitlebens bestehen. Krisenerfahrungen, aus denen ein anderer Geldum-gang resultieren müsste, werden ausgeblendet.  hier sind Währungskrisen also keine Sozialisations-impulse.

Ende NOCH FRAGEN?