Das Italienische in Lateinamerika
Inhalt Río de la Plata Sprachexterne Hintergründe der Kontaktsituation - it. Auswanderungsgeschichte - Einwanderung nach Argentinien - Gründe für Immigration Soziokultureller Kontext - Wer waren die Emigranten? Woher kamen sie? Wie haben sie sich integriert?
Inhalt Variationslinguistische Aspekte - Auswirkungen auf die Sprache - Italienisch-Spanische Interferenzen phonetisch,morphosyntaktisch,lexikalisch Kontaktvarietäten in Argentinien - Cocoliche - Lunfardo
Río de la Plata
Río de la Plata Mündungstrichter der südamerikanischen Ströme Parana & Uruguay Größte Städte: Montevideo, Buenos Aires Seit über 150 Jahren Ziel ital. Einwanderer idealer Standort für soziolinguistische Forschungen
Sprachexterne Hintergründe der Kontaktsituation Größte europäische Auswanderungsbewegung: ab Mitte 19.Jh. 1876-1976: 25,8 Mio. Italiener verließen ihr Heimatland
Italienische Auswanderungsgeschichte 54% aller Auswanderer verließen ihre Heimat in der Zeit vor dem 1. Weltkrieg Am wenigsten Auswanderer zw. den Weltkriegen - Kürze des Zeitraums -Mussolinis Grenzblockade 1926 Nach 2. Weltkrieg: Emigration vor allem bis Mitte der 50er
Einwanderung nach Argentinien 1816 Unabhängigkeit von Spanien 1852 Sturz des Gouverneurs Rosa Phase nationaler Konsolidierung, Argentinien erhält föderalistische Verfassung - Für Aufbau der Landwirtschaft, eines Bahnnetzes steht ausländ. Kapital steht zur Verfügung mehr Arbeitskräfte werden gebraucht 1853 Öffnung der Landesgrenzen Auslösung einer Masseneinwanderung 1955 Sturz von Péron: schwere Wirtschaftskrise Erliegen der europäischen Einwanderung
Gründe für Immigration 1815 Sturz Napoleons: Ligurien kam zum Königreich Piemont- Sardinien viele liberale Genueser aus polit. Motiven zur Flucht veranlasst La Boca, Hafenviertel von Buenos Aires: Attraktivität für wirtschaftlich orientierte Interessengruppen wg. Kommerziellem Handel Wirtschaftl. & sozial schlechte Konditionen im Heimatland
Soziokultureller Kontext Bis 1900 vor allem norditalienische Immigranten, ab 1900 mehr Süditaliener Überwiegend Bauern, Handwerker, Hilfsarbeiter ohne jegliche Schulbildung Zwischen 1876 und 1929 Verlagerung der Immigration vom Land in die Städte Spätestens Nachfahren in 2. und 3. Generation: voll in argent. Gesellschaft integriert
Herkunft der Einwanderer Norden: Piemont Lombardei Venetien Marken Süden Kampanien Kalabrien Silzilien
Der spanische Einfluss auf das Italienische El Cocoliche (Kontaktvarietät) Etymologie des Begriffs Cocoliche Entstehung des Cocoliche Varietätenlinguistische Einordnung
El Cocoliche Etymologie: der Legende nach Familienname eines kalabresischen Hilfsarbeiters Begriff entstand im Theater Urtypus des ital. Immigranten: „arm, schlecht gekleidet, fast unverständliche Sprache voller Italianismen“
Bühnenauftritt: „Me quiame Franchisque Cocoliche, e songo cregollo gasta lo güese de la taba de la canilla de lo caracuse[…]“ Immigranten: vorwiegend Menschen von einfacher Herkunft - Unabhängige Berufe wie Handwerker, Landarbeiter, Gärtner weder Bedarf noch Möglichkeit Spanisch zu lernen - oft nicht einmal Kenntnisse in Standardsprache (sogar Verständigungsschwierigkeiten mit eigenen Landsleuten) Schwierigkeiten beim Erlernen der Fremdsprache
Trotz alldem: Notwendigkeit zu kommunizieren Italiener nutzten die formale und semantische Ähnlichkeit der beiden Sprachen erwirkten erste Verständigungsfortschritte Entwicklung: immer mehr Annäherung ans Spanische und Entfernung vom Italienischen
Der italienische Einfluss auf das Spanische Das Lunfardo
Das Lunfardo Ursprünglich Gaunersprache (ein Argot) Entstand wie das Cocoliche im Hafenviertel La Boca ab Mitte des 19. Jhr Etymologie: lumbardo – lombardo (= ladro im Romanesco) Findet Verbreitung durch den Tango Wird zur Volkssprache von Buenos Aires Diastratische Varietät mit vulgärem Einschlag
Spezielles lexikalisches Inventar Wortersetzung dient zur Erschwerung des Verständnisses von Nichteingeweiten Sondervokabular durch Entlehnungen aus den Sprachen der Einwanderer Schaffung von Neologismen (chele aus leche) Erheblicher Teil aus dem Italienischen (ca. 15 -20 %)
Beispiele Einführung des Phonems /ᶴ/ in Lexemen wie Pastashuta Verstärkte Tendenz zum Schwund von finalem /s/ wie in vos [bo] Wortbildung durch italienische Morpheme wie -eli oder -ini (Bedeutung wie tipo de) Bsp: contreli, taradeli, loquini, platini Italianismen
Italianismen mina (< ital. jerg. mina) für mujer, novia, prostituta manyar (<ital. jerg. Mangiare) für denunciar, delatar, hablar, decir vento (<gen. jarg. vento) für dinero, producto di estafa
Suprasegmentale Ebene Die Sprachmelodie des Italienischen wird auf das Spanische übertragen (stark melodiöse Satzbetonung)
Variationslinguistische Aspekte Auswirkungen auf die Sprache Phonetisch, morphosyntaktisch, lexikalisch
Erhebung der Informationen Interview mit ital. Einwanderen Problem: Nicht nur durch Spanisch beeinflusst, sondern auch duch Heimatdialekt (Unterschiede Nord- und Süditalien)
Phonetisch-phonolgische Interferenzen Vokalischer Öffnungsgrad /e/ vs. /ɛ/ und /o/ vs /ɔ/ Bei allen untersuchten Sprechern mehrfach nachgewiesen Keine Unterschied zwischen geschlossenen und offenen Vokalen, sondern Gebrauch von halbgeschlossenen, bzw. halboffenen Vokalen
Beispiele zu vokalischer Öffnungsgrad Ital. calabrese [kala´bre´:ze → kala′brɛ:ze] (span. calabrese [kala´brese]) Ital. Francesco [fran´tʃesko → fran´tʃɛsko] (span. Francisco[fran´si ˟ko]) Ital. rosa [´rɔ:za → ´ro:za ] (span. Rosa [´rrosa])
Verwechselung phonologischer Distinktionen /a/ vs /e/, /e/ vs /i/, /o/ vs /i/ Verwechselung durch fast gleichlautendes spanisches Lexem Ital. pera [´pe:ra → ´pe:re][] (span. Pera [´pera]) Ital. denaro [de´na:ro → di´na:ro] (span. dinero [di´nero])
Vokal /ɛ/ Der italienische Vokal /ɛ/ wird in betonter Position in Analogie zum Spanischen [jɛ] diphtongiert (analog /o/ zu [we)] Ital. tempo [´tɛmpo → ´tjɛmpo] (span. tiempo [´tjempo] Ital. Tengo [ ´tɛɳgo → ´tjɛɳgo] (span. tengo [´teɳgo]) Eventuell auch beeinflusst durch dialektale Gewohnheiten
Nexus /i:a/ /i:a/ wird realisiert als [ja] Ital. democrazia [demokra´tsi:a → demo´kratsja] (span. democracia [demo´krasja]) Ital. Monogamia [monoga´mi:a→ mono´gamja] (span. Monogamia [monoɣamja])
Okklusive Der stimmhafte bilabiale Okklusiv /b/ wird durch den spanischen Frikativ [ß] ersetzt Ital. subito [´su:bito → ´su:ßito] (span. súbito [´sußito])
Vibrant /r/ und Nasal /m/ Der italienische Vibrant /r/ wird im Anlaut oder vor /l/ und /n/ durch den mehrschlägigen Vibrant /rr/ ersetzt Ital. rosa Der bilabiale Nasal /m/ verliert im Auslaut seine Labialität Ital. album
Morphosyntaktisch Der italienische Infinitv Perfekt wird durch den Infinitiv Präsens ersetzt Ial. Dopo aver scritto una lettera, ha letto un libro →Dopo scrivere una lettera, ha letto un libro (span. Después de escribir una carta, leyó un libro)
Fehlende Kongruenz der Perfektpartizipien Im Spanischen existiert das vorausgehende direkte Objektpronomen nicht Ital. Hai visto Maria? - L´ho vista. →L´ho visto.
Genuswechsel Nach spanischen Vorbild Ital. il latte → la latte (span. la leche) Ital. il miele → la miele (span. la miel)
Bibliographie Janka Wunderlich: Sprachkontaktphänomene zwischen Italienisch und Spanisch infolge der italienischen Einwanderung am Río de la Plata unter Berücksichtigung des Cocoliche und des Lunfardo. München 2008.