Peter Bartelheimer Fürsorge am Arbeitsmarkt

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 Präsentation transkript:

Peter Bartelheimer Fürsorge am Arbeitsmarkt Gesichtspunkte zur Bewertung der neuen Arbeitsmarktgesetze im Rahmen der Agenda 2010 (SGB II / Hartz IV) Perspektive und Schwerpunkte aus Sicht der Träger aus Sicht der Adressat/inn/en Reformbedarf und Reformalternativen Folgen der Fürsorgelogik bei der Grundsicherung bei den Dienstleistungen Dienstleistungen am Arbeitsmarkt – wie bewerten? Alternativen – Rückblick oder Blick voraus? Dr. Peter Bartelheimer 2004

Bewertungskriterien aus Sicht der Träger Begrenzung und Verteilung der Kosten für Beschäftigung Beseitigung von Doppelzuständigkeiten, Vermeidung von Doppelstrukturen Kooperation: Agentur für Arbeit und Kommunen Trägerschaft für „sozialintegrative“ Beratungs- und Betreuungsleistungen Neugestaltung des Leistungsprozesses Organisation der Kundenzentren Personaleinsatz und Betreuungsschlüssel Einsatz der Förderinstrumente nach Ermessen Profiling, Kundengruppen, Fallmanagement IT-Verfahren (A2LL) Effektive und effiziente Umsetzung „handwerkliche Mängel“ der Gesetzgebung Verzug in der Umsetzung Dr. Peter Bartelheimer 2004

Ein Wort zu den Kosten ... Arbeitsförderung + Sozialhilfe 1975 1990 2000 Anteil am Bruttoinlandsprodukt in % 2,6 3,2 4,3 Anteil am Sozialbudget in % 8,1 11,6 13,5 Anteil Beitragsfinanzierung 34,2 50,9 55,5 Anteil kommunale Finanzierung 24,3 28,7 21,7 Dr. Peter Bartelheimer 2004

Bewertungskriterien aus Sicht der Adressaten (Arbeitsuchenden) Materielle Existenzsicherung Höhe Rechtsicherheit Legitimität (keine Stigmatisierung) Unterstützung der Erwerbsbeteiligung Vermittlung passender Stellenangebote („Matching“) Unterstützung bei Entwicklung und Umsetzung von Arbeitsmarktstrategien Unterstützung bei Erhalt und Verbesserung der Beschäftigungsfähigkeit Dr. Peter Bartelheimer 2004

Reformbedarf bei beschäftigungsorientierter sozialer Sicherung Wo liegt der Sicherungsbedarf? „Breite“ Arbeitslosigkeit: es trifft mehr, als man denkt. Nicht alle sind betroffen. Langzeitarbeitslosigkeit ist nur eine von mehreren Risikolagen. Es entsteht eine breite gesellschaftliche Zone unsicherer Erwerbsbeteiligung. Das beitragsfinanzierte System sichert nur einen Teil der Risiken. Wo liegt der Aktivierungsbedarf? Wie viel Arbeitslosigkeit ist „Mismatch“? Einschaltungsgrad auf der Nachfrageseite? Einschaltungsgrad auf der Angebotsseite? Dr. Peter Bartelheimer 2004

Reformbedarf – ein paar Zahlen Breite Arbeitslosigkeit in % der Bevölkerung (15-65 Jahre) Westdeutschland 2001: 14,1% (davon gemeldet: 6,0%) Ostdeutschland 2001: 22,5% (davon gemeldet: 16,2%) Nie arbeitslos (1998-2000) Westdeutschland (1998-2000): 86,3% Ostdeutschland (1998-2000): 64,5% Sv-Beschäftigte Juni 2000, 5 Jahre durchgängig beschäftigt: Westdeutschland: 54% Ostdeutschland: 47% Einmal unter 12 Monaten Westdeutschland (1998-2000): 45,6% Ostdeutschland (1998-2000): 36,8% Mehrfach kurz Westdeutschland (1998-2000): 15,5% Ostdeutschland (1998-2000): 16,5% Langzeitarbeitslos (auch: mehrfach) Westdeutschland (1998-2000): 38,9% Ostdeutschland (1998-2000): 46,7% Verhältnis Beschäftigungs- / Leistungszeit < 50% 1996-2000 Westdeutschland: 10,8% Ostdeutschland: 27,0% Quellen: SOEP 2001, BLH der BA Dr. Peter Bartelheimer 2004

Aktivierungsbedarf – ein paar Zahlen „Mismatch“ (Unterbeschäftigung / Stellenangebot) Westdeutschland 2003: 14,8% Ostdeutschland 2003: 6,1% Den Agenturen gemeldeter Anteil am Stellenangebot Westdeutschland 2003: 34,2% Ostdeutschland 2003: 39,1% Stellenwechsler 2002, Weg zum Job über das Arbeitsamt Westdeutschland, insgesamt: 9% Westdeutschland, zuvor arbeitslos gemeldet: 23% Ostdeutschland zuvor arbeitslos gemeldet: 39% Abgeschlossene Fälle MoZArT Wiesbaden 2000 (erwerbsfähige Erwerbslose ohne SGB-III-Leistungen) keine Vermittlung, keine Maßnahme: 54,3% davon: selbst Arbeit / Ausbildung gefunden: 18,1% Vermittlung, Maßnahme: 45,7% davon: in Arbeit / Ausbildung: 3,6% Quelle: SOEP 2002, IAB, Stadt Wiesbaden. Dr. Peter Bartelheimer 2004

Alternativen sozialer Sicherung Versicherung: Versichertengemeinschaft mit gemeinsamen Risiken, mehr oder weniger Versicherungspflicht, beitragsäquivalente Leistungen, Ergänzende Steuerfinanzierung. Versorgung: gesellschaftlich anerkannte Risiken, sozialer Rechtsanspruch für alle Bürger / Inländer, unabhängig von Vorleistungen, steuerfinanziert, mit oder ohne Bedürftigkeitsprüfung. Fürsorgeleistungen: Zielgruppen mit besonderen sozialen Schwierigkeiten, nachrangig (nach anderen Ressourcen), nach Bedürftigkeit im Einzelfall. auf Mindestniveau (Existenzminimum). Dr. Peter Bartelheimer 2004

Fürsorge ist keine „moderne“ Grundsicherung Spaltungslinien werden befestigt: Rückweg in den beitragsfinanzierten Bereich wird schwerer. Aufspaltung der Grundsicherung in – Sozialhilfe , – Alg II / Sozialgeld, – Kinderzuschlag, – Grundsicherung im Alter, – Asylbewerberleistungsgesetz; Grundsicherung für Erwerbsfähige wird Sonderfall. Alg II als Grundsicherung minderen Rechts schwacher (bedingter) Rechtsanspruch – an Gegenleistung gebunden („Fordern und Fördern“). keine „Suchförderung“– vorrangig „unmittelbare Aufnahme einer Erwerbstätigkeit“. Existenzminimum kann unterschritten werden (Absenkung und Wegfall der Leistung). Dr. Peter Bartelheimer 2004

Einstellungen zur Sozialhilfe (NIEP 2002) Bezieher von HLU: Gefühl, Bittsteller zu sein: 94,2%. Ich hätte nie gedacht, Sozialhilfe zu beziehen: 79,9%. Man hat Rechtsanspruch auf Sozialhilfe: 67,6%. Niemand soll es erfahren: 33,9%. Es ist eine Schande für mich: 19,9%. Nichtbezieher von HLU: Man hat Rechtsanspruch auf Sozialhilfe: 82,8%. Will nicht von HLU abhängig sein: 56,7%. Ich werde nie von Sozialhilfe leben: 50,3%. Möchte nicht den Staat belasten: 45,1%. Es wäre eine Schande für mich: 22,9%. Ausgrenzungserfahrung – Welche Gruppen werden „häufig“ nicht akzeptiert: Rang 1: Arbeitslose: 65,8%. Rang 2: HLU-Bezieher: 58,3%. Dr. Peter Bartelheimer 2004

Fürsorge ist keine „moderne“ Dienstleistung Sonderregelungen für Bezieher von Alg II (trotz „einheitlicher Anlaufstelle“). Positive Diskriminierung im SGB II: persönlicher Ansprechpartner, sofortige Vermittlung junger Erwachsener, „sozialintegrative“ Leistungen. Negative Diskriminierung im SGB II: „Erwerbsfähigkeit“ statt „Beschäftigungsfähigkeit“. Jeder Arbeits- oder Maßnahmeplatz ist zumutbar. Vorrang von Arbeit bei Beratung und Betreuung. Verpflichtende Eingliederungsvereinbarung. Verpflichtende Arbeitsgelegenheiten ohne Effekt für Beschäftigungsfähigkeit. Schadensersatz bei Abbruch qualifizierender Maßnahmen. „Aussteuerungsbetrag“ bei Übergang aus Alg. Rückwirkung auf den Versicherungsbereich? Dr. Peter Bartelheimer 2004

Bewertungskriterien für Dienstleistungen am Arbeitsmarkt Besonderheiten Viele Adressaten sind keine zahlenden Kunden. Angestrebte Wirkung (Stellenbesetzung) liegt außerhalb der Leistungskette. Kompetenzkriterien: Größere Handlungsspielräume von Arbeitsuchenden (und Arbeitgebern) bei der Stellenbesetzung in den Grenzen des Arbeitsmarkts. „Koproduktion“ statt Zwang. Spielraum des Einzelfallprinzips (trotz „Kundengruppen“ und „Handlungsprogrammen“). Statistische Erfolgskriterien: Einschaltungsgrad (Anteil gemeldete Arbeitslose an „breiter Arbeitslosigkeit“, Anteil gemeldeter an zu besetzenden Stellen). Dauerhaftigkeit und Qualität neuer Beschäftigungsverhältnisse. Dr. Peter Bartelheimer 2004

Beim Mitmachen – Alternativen nicht vergessen! Arbeitslosenversicherung stabilisieren. Eine materielle Grundsicherung für alle. Rechtsanspruch nach Versorgungsprinzip. Steuerfinanzierung (Schwerpunkt Bundeshaushalt). (Einfache) Bedürftigkeitsprüfung. Teilhabe sicherndes Existenzminimum. Arbeitslosmeldung. Eine Arbeitsagentur für alle. Gleichbehandlung unabhängig vom Leistungsanspruch. Beitrags- und Steuerfinanzierung. Hilfeplan als Anspruchsrecht. Lokale Ausgestaltung des Leistungsprozesses (Prinzip der Arbeitsgemeinschaft). Dr. Peter Bartelheimer 2004