Politikfeldanalyse [POL-BRD] Jakob Lempp Philosophische Fakultät • Institut für Politikwissenschaft • Lehrstuhl für Politische Systeme und Systemvergleich Politikfeldanalyse [POL-BRD] Jakob Lempp
Polity – Politics - Policy
Drei Dimensionen von Politik Erscheinungs-formen Worum es geht Polity Struktur Verfassung, Institutionen, Normen Organisation, Ordnung, Verfahrensregeln Policy Inhalt Aufgaben, Ziele, Programme Problemlösung, Aufgaben, Ziele, Gestaltung Politics Prozess Interesse, Konflikte, Kampf Macht, Konflikt, Konsens, Durchsetzung
Definition Politikfeldanalyse Begriffe: Policy-Analyse, Policy Studies, Comparative Public Policy, Implementationsforschung, Evaluationsforschung... Zwei Definitionen: „Politikfeldanalyse ist der Prozess, in dem lösungsbedürftige Probleme artikuliert, politische Ziele formuliert, alternative Handlungsmöglichkeiten entwickelt und schließlich als verbindliche Festlegung gewählt werden“ (Scharpf, 1973, 15) „Public policy is whatever governments choose to do or not to do“ (Dye, 1992)
Fragen der Politikfeldanalyse I Klassiker: „What governments do, why they do it, and what difference it makes“ (Dye) Konkret heißt das: Was sind die Ziele staatlicher Politik? Warum werden welche Maßnahmen ergriffen? Welche Konsequenzen sollen diese Maßnahmen haben? Welche Konsequenzen haben diese Maßnahmen? War diese Politik gut / gerecht / sinnvoll? Wie ist zukünftig mit ähnlichen Problemen zu verfahren?
Fragen der Politikfeldanalyse II Abhängige Variable Unabhängige Variable Klassische Fragestellung Polity Politics, Policy Politische Fragestellung Politics Polity, Policy Politikfeld-analyse Policy Polity, Politics
Fragen der Politikfeldanalyse III Politische Inhalte als abhängige Variable Politische Inhalte als unabhängige Variable (Folgen politischen Handelns) Rückkoppelungsprozesse Einflussfaktoren: Warum? Konsequenzen: Wozu? Policies: Was?
Dimensionen bei der Politikdurchsetzung Historischer Bezug: Wie ist das Problem entstanden? Situativer Bezug: Was sind die Kontextbedingungen des Problems? Komparativer Bezug: Welche alternativen Lösungsstrategien gibt es? Normativer Bezug: Wie sind diese Lösungsstrategien zu bewerten? Rechtlicher Bezug: Welche rechtlichen Verfahren stehen zur Verfügung? Technischer Bezug: Wie kann das Problem praktisch gelöst werden?
Phasen der Politikfeldanalyse 1951 „The Policy Sciences“ von Harold D. Lasswell und Daniel Lerner 1960er Jahre: Richard Hoffberger und Thomas Dye; „Does Policy Matter?“; Antwort: „Nein!“ 1980er Jahre: Manfred G. Schmidt; Antwort: „Ja!“ Es gibt Unterschiede in der Wirkung unterschiedlicher parteipolitischer Programme. 1980er/1990er Jahre: Fritz W. Scharpf und Renate Mayntz; Akteurszentrierter Institutionalismus Heute: Theorienpluralismus zwischen Funktionalismus und Akteurszentrierung, zwischen Konstellations- und Fallanalyse, zwischen ex-post und ex-ante-Analysen
Merkmale der Politikfeldanalyse Politikfeldanalyse ist... Inhaltlich orientiert problemlösungsorientiert explizit normativ orientiert praxisorientiert
Konkrete Politikfelder Unter anderen... Gesundheitspolitik Familienpolitik Asylpolitik Kommunalpolitik Umweltpolitik Verkehrspolitik Bildungspolitik Wirtschaftspolitik Arbeitsmarktpolitik Rentenpolitik
Einflussfaktoren auf Policies Stabil Veränderlich Länderspezifisch Kultur Polity Politics Öffentliche Meinung Regierungskoalition Konjunktur Politikfeldspezifisch Policy-Netzwerke „Herrschende Lehren“ Problemmerkmale Policy-Konstellationen Erfahrungen Aktueller Problemdruck Vierfeldermatrix von Feick und Jann
Theoretische Ansätze Funktionalistische Ansätze Betonung von Strukturen Betonung von Funktionen Betonung von Formellem (Institutionen) Handlungsorientierte Ansätze Betonung von Akteuren Betonung von Interessen Betonung von Informellem
Funktionalistische Ansätze I Grundlage: David Eastons Modell des politischen Systems Inputs: Forderungen, Unterstützung ZPES: Throughput Output: Politische Entscheidungen
Funktionalistische Ansätze II Modell nach der Einbeziehung der Einflussfaktoren von Policies Rechtsordnung Output: Politische Entscheidungen:Ziele & Instrumente Sozioökonom. Bedingungen Machtverteilg. Pol. Kultur Pol. System Interessen Prozess der Policy-entwicklung
Funktionalistische Ansätze III Einbeziehung der Prozesse innerhalb des ZPES (Jann) Output: Politische Entscheidungen Input: Forderungen, Unterstützung ZPES Prozesse Strukturen Politikformulierung: Gestaltung und Formulierung der Entscheidungen Politikimplement.: Umsetzung und Durchführung der Entscheidungen
Funktionalistische Ansätze IV Der Politik-Zyklus (nach Werner Jann) Problem-wahrnehmung Handlungs-optionen Programm-bildung Output, Outcome, Impact Programm-vollzug Wirkungs-kontrolle Politikterminierung Politisches Lernen
Funktionalistische Ansätze V Wann wird ein gesellschaftliches Problem auf die Regierungsagenda gesetzt? Einige Kriteriendimensionen: Eindeutigkeit vs. Mehrdeutigkeit Starke vs. Marginale soziale Betroffenheit (Relevanz) Temporale Relevanz Komplexität Novität Wertgeladenheit / symbolische Aufladbarkeit
Funktionalistische Ansätze VI Programmformulierung: Meist in Form von Gesetzen / Gesetzesvorschlägen / Verwaltungsvorschriften Implementation: Häufig gehen mit bestimmten Programmtypen bestimmte Vollzugsprobleme einher (Schneider / Janning, 2006, 59): Regulative Programme Anreizprogramme Leistungsprogramme Wirkungsweise Direkt Häufig: Widerstand Positive indirekte Motivation Aufwand Kontroll-, Sanktionsaufwand Teuer Hoher administrativer Aufwand Vollzugsprobleme Problem von Normverstößen Mitnahmeeffekte Professionalität der Vollzugsträger
Funktionalistische Ansätze VII Akteursgruppen im Policy-Zyklus Verbände Parteien Parlament Regierung Verwaltung Problemdefinition X Thematisierung Politikformulierung Implementation
Handlungsorientierte Ansätze I „Politik ist per definitionem intentionales Handeln von Akteuren, die ein großes Interesse daran haben, bestimmte Ergebnisse zu erzielen“ (Fritz Scharpf, 2000, 74). Merkmale der handlungsorientierten Ansätze: Grundannahme: „Policy determines politics“ Zentrale Bedeutung informeller Beziehungsgeflechte (Policy-Netzwerke) Zentrale Bedeutung der Akteure Zentrale Bedeutung der Policy-Arenen
Handlungsorientierte Ansätze II Akteurstypen nach Fritz Scharpf: Verband Soziale Bewegung Club Koalition Akteur Korporativer Akteur Kollektiver Akteur Individuum
Handlungsorientierte Ansätze III Policy-Netzwerke... verändern sich in den verschiedenen Phasen des Policy-Zyklus lassen sich gut als „Landkarten“ darstellen ermöglichen die Analyse von Interessenlagen, Forderungen, Interaktionen und Handlungsprozessen beenden den Irrglauben des Staatszentrimsus!
Handlungsorientierte Ansätze IV Zentrale Kategorien zur Analyse von Policy-Netzwerken: Akteure Akteursperzeptionen Akteursstrategien Funktionen Strukturen Institutionalisierungsgrad Verhaltensregeln Machtverhältnisse
Handlungsorientierte Ansätze V Policy-Arenen sind: „Die Gesamtheit der politischen Konflikt- und Konsensprozesse während der Entstehung und Durchführung einer Policy wird als ‚Policy-Arena‘ bezeichnet“ (Windhoff-Héretier, 1987, 45).
Handlungsorientierte Ansätze VI Kategorien zur Klassifizierung von Policy-Arenen nach Theodore Lowi: Distributive Policy (Beispiel: Kindergeld) Redistributive Policy (Beispiel: Progressivität der Einkommenssteuer) Regulative Policy (Beispiel: Umweltschutz) Selbstregulative Policy (Beispiel: Bürgerrechtspolitik)
Methoden in der Policy-Analyse I Allgemein: Qualitative und Quantitative Methoden der empirischen Sozialforschung: Spannbreite: Zwischen qualitativen Einzelfallstudien und statistischen Analysen einer Vielzahl von Fällen. Einzelfall / wenige Fälle Viele Fälle Qualitative Studien Sehr häufig Sehr selten Quantitative Studien Selten Häufig
Methoden in der Policy-Analyse I Analysen können ex-ante (Problemanalysen) oder ex-post (Fallanalysen) durchgeführt werden Vier Dimensionen der Politikfeldanalyse: Deskription Explikation Evaluation Präskription
Methoden in der Policy-Analyse II Typen der Erklärungsansätze in der Politikfeldanalyse Kausale Erklärungen Funktionale Erklärungen (wissenschaftstheoretisch problematisch) Intentionale Erklärungen
Methoden in der Policy-Analyse III Sechs Ansätze kausaler Erklärungen in der Politikfeldanalyse nach Manfred G. Schmid: Sozioökonomische Ansätze Machtressourcenansatz Parteiendifferenzansatz Spezifische politische Institutionen Ansatz des politischen Erbes Internationalisierungshypothese
Methoden in der Policy-Analyse IV Beziehungsstrukturen als Graphen: BT LT 1 LT 2 EU A B C
Methoden in der Policy-Analyse V Überschneidung von Cliquen:
Methoden in der Policy-Analyse VI Beispiel für ein Policy-Akteur-System: Institutionentyp Organisation Einfluss / Prestige Regierung AA A Bundesrat C BMWi Parteien SPD B CDU Grüne Böll-Stiftung Organisierte Interessen DAAD Goethe-Institut Wissenschaft TU Dresden IO / INGO EU (Kommission) Amnesty International (ai)
Methoden in der Policy-Analyse VI Auszahlungsmatrizen am Beispiel des Gefangenendilemmas: B Nicht gestehen Gestehen A A (3) B (3) A (1) B (4) A (4) B (1) A (2) B (2)
Problemanalyse (Vorgehen) Situationsanalyse Was ist los? Was ist das zu lösende Problem? Optionsanalyse Was kann im Prinzip getan werden? Was könnte in Anbetracht der vorhandenen Interessenlagen, Mehrheitsverhältnisse, technischen und finanziellen Möglichkeiten wirklich getan werden? Folgenabschätzung Welche Folgen und Nebenwirkungen dürfte welche Maßnahme haben? Wie passen welche Folgen und Nebenwirkungen mit den ansonsten proklamierten oder verfolgten Wertgrundlagen der eigenen Politik zusammen? Entscheidungsvorschlag Was soll von wem wann wie getan werden?
Fallanalyse (Vorgehen) Worum geht es? Wer sind die beteiligten Akteure? Was prägt ihr Handeln? Wahrnehmungen (des Falles, der eigenen Lage, der anderen Akteure); Interessen; Absichten und Ziele Welche Mittel stehen den Akteuren für die Verfolgung ihrer Interessen zur Verfügung? mit welchem ‚Kampfwert‘? mit welcher Nachhaltigkeit? Wie entwickelt sich der Fall? Wer tut was, warum und mit welchen Folgen? Vor allem: Wird das Problem gelöst?
Implementationsforschung I „Das fehlende Glied in der Politikwissenschaft“ (Erwin C. Hargrove) Die Implementationsforschung stellt die Frage nach der Umsetzbarkeit politischer Programme
Implementationsforschung II Akteure des Implementationsprozesses: Bund Länder, Gemeinden, Gemeindeverbände Europäische Union, Internationale Organisationen, Drittstaaten Körperschaften, Stiftungen, AdÖR Gerichte Gemeinnützige Organisationen Profitorientierte Organisationen Programmadressaten (Einzelpersonen)
Implementationsforschung III Beispiele für die Auswirkung der Problembeschaffenheit auf die Implementation eines Programms: Kollektive Güter geringes Engagement Einzelner Verflechtung mit anderen Politikfeldern hoher Koordinationsbedarf Wechselnder Problemcharakter Handlungsspielraum der Durchführenden nötig Gut ist nur begrenzt vorhanden konfliktreiche Implementation
Steuerungsinstrumente Nach Nullmeier / Wiesner, 2003: Gebote / Verbote (mit Sanktionsdrohung) Straßenverkehrsordnung Anreize Steuerbefreiung für schadstoffarme Autos Angebote öffentliche Parkanlage Aufklärung / Überzeugung Gesundheitserziehung) Vorbild Einstellung von Behinderten in öffentliche Institutionen)
Ressourcen der Steuerung Materielle Leistungen Positives Einkommensprogramm (Steuervergünstigungen) Negatives Einkommensprogramm (Steuern) Finanzhilfsprogramm (Subventionen) Infrastrukturleistungen (als öffentliche Güter) Sachprogramme (Lernmittel, Kleiderkammern) Immaterielle Leistungen Humandienstleistungen (öffentl. Beratungsstellen) Sachdienstleistungen (Straßenreinigung) Verbale Regulierung / Normierung / Verbote
Politikberatung I Analytische Schritte der beratenden Policy-Analyse (nach Windhoff-Héretier, 1987, 116): Problemdefinition Zielauswahl Darstellung von Optionen zur Zielerreichung Einschätzung der Realisierungschancen dieser Optionen Erfolgskontrolle über durchgeführte Programme (parallel zur Durchführung oder ex-post)
Politikberatung II Evaluation von Institutionenreformen (nach Patzelt 2007 und Lempp 2007): Zentralkategorie: Institutionelle „Fitness“: Überlebens- und Reproduktionsfähigkeit der Institution Angepasstheit Effizienz Akzeptanz Retentionsfähigkeit Anpassungsfähigkeit Mutabilität Responsivität
Kritik an der Politikfeldanalyse Theoriearmut Methodenarmut Phasen des Politik-Zyklus verlaufen in Wirklichkeit eher parallel als in einer sauber zu trennenden Abfolge Instrumentalisierbarkeit der beratenden Policy-Forschung Verwendung unscharf definierter Begriffe Verallgemeinerungen und Modelle bilden nicht adäquat die Komplexität der Wirklichkeit ab
Ausgewählte Literatur Schneider, Volker / Janning, Frank, 2006: Politikfeldanalyse, Wiesbaden. Nelson, Barbara J. 1998: Public Policy and Administration: An Overview, in: Goodin, Robert E. /Klingemann, Hans-Dieter (Hg.): A New Handbook of Political Science, Oxford. Schubert, Klaus / Bandelow, Nils (Hg.), 2003: Lehrbuch der Politikfeldanalyse, Wien. Héritier, Adrienne (Hrsg), 1993: Policy-Analyse, Opladen. Schmidt, Manfred G. 1995: Policy-Analyse, in: Mohr, Arno (Hrsg.): Grundzüge der Politikwissenschaft, München. Schubert, Klaus, 1999: Politikfeldanalyse, Opladen. Faust, Jörg / Lauth, Hans-Joachim, 2003: Politikfeldanalyse, in: Mols, Manfred / Lauth, Hans-Joachim / Wagner, Christian (Hg.): Politikwissenschaft – Eine Einführung, Paderborn. Eine ausführliche und kommentierte Bibliographie findet sich in Faust / Lauth, 2003, S. 312ff.