Ein Rechtsinstitut zwischen Mystik und Komik

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Ein Rechtsinstitut zwischen Mystik und Komik Das Kontokorrent Ein Rechtsinstitut zwischen Mystik und Komik

Bewertungen: „…Die Lehre vom Kontokorrent (hat)… das Odium einer mystischen Ingredienz“ Canaris, Handelsrecht, 2006 „…. vermache ich meine letzten Steuererklärungen dem Kriminalmuseum Oldenburg. Mein laufendes Konto soll die Bank selbst wieder einfangen.“ Otto Waalkes, Der letzte Wille, 1984

Worum geht’s? § 355 I HGB Einseitiges Handelsgeschäft Aber Abweichung vom BGB nur in Bezug auf § 248 I BGB Alle anderen Regeln gelten auch für das nichtkaufmännische Kontokorrent

Grundzüge: Funktionsweise: Forderungen und Leistungen werden „in Rechnung gestellt“ Und in regelmäßigen Zeitabständen Durch Feststellung eines für eine Partei bestehenden Überschusses Im Wege der Verrechnung ausgeglichen.

Verschiedene Verträge: Schuldrechtliche Grundlage: Meist in Geschäftsvertrag (zB Vertrag über Girokonto, Handelsvertretervertrag, Gesellschaftsvertrag) enthalten Verfügungsverträge: Kontokorrentabrede Stundungsartiger Charakter Forderung soll nicht direkt erfüllt werden Daher Verfügung über die Forderung Verrechnung Aufrechnungsähnlich Überschussfeststellung Rechtsnatur str, lt. Rspr. Novation, auch das ist Verfügung

Einbeziehung in das Kontokorrent Schließt selbständige Geltendmachung der Forderung aus Sowohl für Gläubiger als auch für Gläubiger des Gläubigers Keine Pfändung, keine Abtretung der Einzelforderung möglich Achtung: Der Saldo kann natürlich gepfändet werden Wieweit der Gläubiger innerhalb der Rechnungsperiode verfügen kann, ist Vereinbarungssache (zB Dispokredit)

Ausnahmen: Unpfändbare Forderung Kann nach § 394 nicht aufgerechnet werden Daher auch nicht Gegenstand einer Verrechnung im Kontokorrent sein Bei Arbeitseinkommen und Sozialhilfe ist aber nur die Forderung gegen Arbeitgeber bzw. Sozialamt unabtretbar Das überwiesene Geld nur nach § 850k ZPO Wirkt nicht gegen die Bank selbst Anders Staatsknete, § 55 SGB I Problem: Einlagen in Kapitalgesellschaften bei Einzahlung in debitorische Konten

Verrechnung Erfolgt periodisch Tilgung der sich deckenden Posten Erklärung im Geschäftsvertrag enthalten (antizipiert) Es entsteht ein „kausaler Saldo“ = Überschussforderung, die in Bestand und Höhe von den Einzelforderungen abhängig ist -> Einwand der Unrichtigkeit bleibt möglich -> Beweislast: Wer sich auf Guthaben beruft

Problem: Welche Forderung wird wie getilgt? Beispiel: A hat gegen B zwei unterschiedlich verzinsliche Darlehensforderungen iHv je 3 T€ und eine unverzinsliche Forderung iHv 4T€. Der Saldo ergibt einen Überschuss von 5 T€ zugunsten A Welche Forderung bleibt bestehen? Wieviel Zinsen muss B noch zahlen?

Zwei Ansätze: Verhältnismäßige Gesamtaufrechnung Alle Forderungen werden verhältnismäßig gekürzt Saldo besteht aus ihren Resten Anwendung von § 366, 396 BGB Tilgungsbestimmung möglich Ansonsten Reihenfolge des 366 BGB Das ist die bessere Lösung Zusammensetzung übersichtlicher Vorrangige Tilgung der nicht gesicherten Forderungen

Saldoanerkenntnis Unsicherheit über den Bestand des Saldos soll ausgeschlossen werden Saldoanerkenntnis soll eine von den Einzelforderungen abstrakte Grundlage schaffen Zwei Wege: Novationstheorie (Rspr.) Abstraktes Schuldanerkenntnis (Lit.) Beachte dabei § 356 HGB! Sicherheiten bleiben bestehen! Wie verträgt sich das mit Novation? Vor allem bei akzessorischen Sicherheiten?

Folgen der Anerkennung: Eigenständige Anspruchsgrundlage Mit eigener Verjährung, Erfüllungsort etc. Bei Unrichtigkeit Kondiktion des Saldos möglich iE also Beweislastumkehr: Anerkennender muss jetzt Unrichtigkeit nachweisen

Sicherheiten im Kontokorrent Sicherheiten bleiben erhalten, § 356 Problem: Gegenstand der Sicherheit Für was ist sie gestellt? Für den Saldo? Dann kein Problem! Für ein einzelne Forderung? Dann Problem! Forderung geht nach Rspr. unter und wird ersetzt Ausweg: Bürge etc. haftet für den niedrigsten anerkannten Saldo, höchsten für das übernommene Risiko Einwand, betreffende Forderung sei bereits stärker getilgt, ist unzulässig Beispiel: Darlehenstilgung Bürge haftet weiter, solange Saldo über der ursprünglichen Forderung liegt.

Lösung der Rspr. problematisch: Vertrag zu Lasten des Sicherungsgebers? Kein Schutz gegen Saldoanerkenntnis § 812 kann nur der Anerkennende geltend machen! Wegfall der Sicherheit bei irrtümlicher Feststellung von Saldoausgleich Besser daher: § 366 BGB statt Gesamtaufrechnung Schuldanerkenntnis statt Forderungsauswechselung

Vollstreckung und Insolvenz: Saldopfändung möglich, § 357 Gläubiger soll nicht bis Ende der Rechnungsperiode warten müssen Maßgeblich ist Stand zZt der Pfändung Insolvenz beendet die Kontokorrentabrede Automatische Saldierung (kausaler Saldo) Problem: Zession der Schlussforderung Unwirksam nach § 91 KO? Oder nur anfechtbar nach 130 ff KO?

Sonderproblem § 354a Seit 1994 Einschränkung von Abtretungsverboten in Verträgen über beiderseitige Handelsgeschäfte Hintergrund: Wirtschaftlich starke Schuldner vereinbaren oft Abtretungsverbot in ihren AGB Abtretung der Forderung macht Arbeit Interesse, sich nur mit dem Vertragspartner auseinander zu setzen Ergebnis: Gläubiger der Forderung kann sie nicht abtreten Insbesondere nicht in der Sicherungsabtretung Problem der Kreditbeschaffung für sein Unternehmen Kaufmann wird stärker geschützt als der Normalbürger!

Ganz merkwürdige Rechtsfolge: Normale Rechtsfolge von Verfügungsverboten? Hier anders: Abtretung ist absolut wirksam Trotzdem kann Schuldner an bisherigen Gläubiger befreiend leisten Auch, wenn er Kenntnis von der Zession hat Selbst, wenn der Zessionar ihn schon verklagt § 407 BGB gilt nicht Auch Erfüllungssurrogate gegenüber dem Zessionar bleiben möglich, zB Aufrechnung Hier kein § 406 Grenze: Rechtsmissbrauch