STRAFRECHT BT DAS SYSTEM DER VERMÖGENSDELIKTE ART ter

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STRAFRECHT BT DAS SYSTEM DER VERMÖGENSDELIKTE ART. 137 - 172ter Prof. Dr. H. Vest Institut für Strafrecht und Kriminologie Universität Bern

SYSTEM DER VERMÖGENSDELIKTE Gesetzliche Gliederung: 2. Titel des 2. Buches (Art. 137 - 172ter) Gesetzliche Untergliederung (Marginalien) Strafbare Handlungen gegen das Vermögen, Art. 137 - 161bis Verletzung des Fabrikations- oder Geschäftsgeheimnisses, Art. 162 Konkurs- und Beitreibungsverbrechen oder –Vergehen, Art. 163 - 171bis Allgemeine Bestimmungen, Art. 172 - 172ter Prof. Dr. H. Vest

SYSTEM: SACHLICHE UNTERTEILUNG Allgemeine Angriffe auf das Vermögen, Art. 137 - 161bis Angriffe auf spezifische Vermögensbestandteile Delikte gegen die Verfügungsmacht, Art. 137 - 145 ● Aneignungsdelikte, Art. 137, 138 Ziff. 1 Abs. 1, 139 ● andere Eingriffe in die Verfügungsmacht, Art. 141, 144, 145, 160 Verwandte Delikte betr. Energie (Art. 142) oder Daten (-verarbeitung, Art. 143, 143bis, 144bis) Angriffe auf den Wert des Vermögens (Vermögenswertdelik-te), z.B. Art. 146 - 151 (Betrug und betrugsähnliche Delikte), aber auch Art. 138 Ziff. 1 Abs. 2, 141bis Spezielle Angriffe auf das Vermögen, Art. 162 - 171bis Prof. Dr. H. Vest

SYSTEM: VERFÜGUNGSMACHT vs. VERMÖGENSWERT Verfügungsmacht ist sachbezogen (Energie bzw. Daten als Sachsurrogat) und umfasst Eigentum Besitz Nutzung Schutz des Gebrauchswertes der Dinge, auch ganz wertloser (mit oder ohne Affektionsinteresse) Vermögenswert ist wertbezogen, bedeutet Schutz des Geldwertes, d.h. neben ökonomisch wertvollen Sachgütern sind auch Forderungen Geldwerte Anwartschaften Geldwerte Arbeitsleistungen geschützt Prof. Dr. H. Vest

SYSTEM: ABGRENZUNG ZWISCHEN EIGENTUM UND VERMÖGEN Vermögen als allgemeiner + weiterer Oberbegriff, der Eigentum mit einschliesst Eigentum als engeres, spezifisches + in den rechtlichen Möglichkeiten umfassendes Institut Aneignungs-/Eigentumsdelikte setzten Sache als Tatobjekt voraus eigentliche Vermögens(wert)delikte (Bsp. Betrug) da-gegen nicht, erfordern aber i.d.R. einen Vermögens-schaden Prof. Dr. H. Vest

Eigentum vs. Vermögen: Konkretisierung Eigentum = „Sein“ (nicht notwendigerweise Geldwert) Akzessorietät des strafrechtlichen zum zivilrechtlichen Eigentumsbegriff (gem. ZGB 641) (vollkommene Herrschaft über eine Sache mit Ausschluss aller anderen) Zuordnungsfunktion (Aussenfunktion) + Freiheitsermächtigung (Innenfunktion) abstrakter Gebrauchswert, auch affektiver Natur  Güterbestand aller einzelnen Gegenstände Vermögen = „Haben“ (Geldwert) Straf-/zivilrechtlicher Sammelbegriff aller jemanden zustehenden geldwerten Rechte Konkreter Tauschwert: im Güterverkehr zirkulationsfähig Gesamtsumme des bewertbaren Vermögens (“Bilanz“) Prof. Dr. H. Vest

STRAFRECHTLICHE VERMÖGENSBEGRIFFE Die inhaltliche Bestimmung des Vermögens ist umstritten: Juristisch-technischer Vermögensbegriff Rein wirtschaftlicher Vermögensbegriff Juristisch-wirtschaftlicher Vermögensbegriff Personaler Vermögensbegriff (in der Schweiz von Niggli vertr. als sog. „neo-juristische“ Konzeption) Caveat: „Vermögen“ und „Schaden“ sind analytisch, obwohl eng verbunden, strikt zu trennen Prof. Dr. H. Vest

JURISTISCHER VERMÖGENSBEGRIFF Nur noch historische Bedeutung An subjektiven Rechten orientiert (Betrug als „Rechts-raub“ in Analogie zum Diebstahl) Vermögen = Summe der privat- und öffentlich-rechtlichen Rechte / Pflichten Probleme Zirkelhaftigkeit: Welche Rechte sind Vermögensrechte? zu weit, da jede Forderungsverletzung = Vermögensschaden, auch wenn Forderung infolge Abschreibung wirtschaftlich wertlos zu eng, da ökonomisch wertvoller Besitz kein Recht zu sein braucht zu eng, da tatsächliche Anwartschaften und ausservertragliche Arbeitsleistungen nicht erfasst zu eng, da Gefährdungsschaden nicht erfassbar Prof. Dr. H. Vest

WIRTSCHAFTLICHER VERMÖGENSBEGRIFF Lange Zeit unangefochten h.L. und Praxis Vermögen = Addition aller geldwerten Güter/Leistungen unter Abzug der Verbindlichkeiten Wirtschaftlich-faktische Betrachtungsweise ist allumfassend (inkl. Besitz, Anwartschaften, ausservertragl. Arbeitsleistung etc.) dies ist zugleich ihr elementarer Nachteil, da auch alle widerrecht-lichen und unsittlichen Positionen geschützt werden, so z.B. Alltägliche illegale bzw. unsittliche Güter/Leistungen (Drogen, Glücksspiel, Prostitution, Diebesgut, Organspende, „Gefälligkeiten“ etc.) “Schutzgelder“ der Mafia Anspruch auf Lohn des Auftragkillers (BGE 109 Ia 244) Bezug auf Rechtsordnung (OR 20) unverzichtbar, da sonst unerträgliche Wertungswidersprüche Prof. Dr. H. Vest

JURISTISCH-WIRTSCHAFTLICHER VER-MÖGENSBEGRIFF 1 Summe aller geldwerten Positionen, die einer Person von Rechts wegen zustehe = h.L. und Praxis (BGE 117 IV 139) Ausgangspunkt ist der wirtschaftliche Vermögensbegriff, aber rechtliche Korrektur, da geldwerte Position nur unter Vorbe-halt der Nicht-Missbilligung durch Rechtsordnung geschützt Vorzug, da eindeutig rechtswidrige/unsittliche Güter/Leis-tungen mit klarer Begründung nicht geschützt (z.B. Killerlohn, Schutzgeld) Was gilt im illegalen Massen-/Bagatellgeschäft (BGE 117 IV 139 insb. in der Begründung, aber auch im Ergebnis str.: vgl. nur Boog, AJP 1993, 779 ff.)? Prof. Dr. H. Vest

JURISTISCH-WIRTSCHAFTLICHER VER-MÖGENSBEGRIFF 2: Probleme Abgrenzung von Problemfällen schwierig, z.B. Prostitution (Dirnenbetrug, BJM 1969, 28f.; Freierbetrug); da „Dirnenlohn“ steuer-, sozialversicherungs- und haftpflichtrechtlich erfasst, nicht länger sittenwidrig Drogenhandel: Abgrenzung nach Geld- (Hingabe „guten“ Geldes = Schaden; Stratenwerth/Jenny, BT I, § 15 N 46) vs. Erbringung der verpönten Sach- / Dienstleistung (kein Schaden) widersprüchlich Gleiches gilt von anderen sozial üblichen rechtswidrigen/unsittlichen Gütern/Dienstleistungen Differenzierung zw. Formeller und materieller Widerrechtlichkeit? wertende Abgrenzung nach sozialer Üblichkeit (bei „kleinem“ Drogen-handel etc. = Schaden)? und/oder Unrechtsschwere? Prof. Dr. H. Vest

PERSONALER VERMÖGENSBEGRIFF Vermögen = alles, was Gegenstand eine Rechtsgeschäfts „Tausch gegen Geld“ sein kann (BSK-Niggli, Vor Art. 137 N 13ff.) Nicht Vermögen ist schützenswertes Objekt, sondern dessen Träger und seine Selbstentfaltung; Vermögen ist Grundlage der Persönlichkeitsentfaltung Vermögensschaden ist hier nicht negativer Wertsaldo, sondern das Verfehlen des angestrebten wirtschaftlichen Zwecks Probleme führt zu einer reinen Subjektivierung des Vermögensschadens, der sich durch Gericht nicht ermitteln lässt eine solche Subjektivierung macht aus Vermögensdelikten Delikte gegen die Dispositionsfreiheit Prof. Dr. H. Vest