Dr. Marianne Soff Institut für Psychologie

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Dr. Marianne Soff Institut für Psychologie Gestaltpsychologische Begabtenförderung Schöpferische Freiheit – und was man sonst noch dafür braucht Beitrag zum 17. Forum für Begabungsförderung in Mathematik an der Pädagogischen Hochschule Karlsruhe am 28. März 2014

Gliederung: Gestalttheoretische „Basics“ Lewins Feldtheorie und Schlussfolgerungen Menschenbild und soziale Interaktion Metzgers „Schöpferische Freiheit“ zur Kreativitätsförderung im Mathematikunterricht Folgerungen und Randbedingungen: worauf kommt es an? (c) M. Soff, 2014

Bekannte Sätze aus Gestalttheorie und Feldtheorie: Nichts so praktisch wie eine gute Theorie (Kurt Lewin zugeschrieben) Das Ganze ist mehr als die Summe seiner Teile (Christian von Ehrenfels, Vorläufer)  Das Ganze ist etwas anderes als die Summe seiner Teile (Max Wertheimer) Verhalten ist eine Funktion von Person und Umwelt (Kurt Lewin)  V = f (P,U) (c) M. Soff, 2014

Was ist Gestalttheorie? eine differenziert-ganzheitliche Theorie in der Psychologie und in anderen Wissenschaften Thema: Verhältnis (Zusammenhang) von Ganzen und Teilen ein Ansatz zum Verständnis von Ordnung (W. Metzger) Grundannahme: wir nehmen die Welt in Zusammenhängen und i.d.R. geordnet wahr, nicht als chaotische Ansammlung von Einzelreizen Figur (Gestalt) und (Hinter-)grund beeinflussen sich gegenseitig In Erleben und Verhalten des Menschen besteht eine Tendenz zu möglichst guter Ordnung (= Tendenz zur guten Gestalt = Prägnanztendenz). (c) M. Soff, 2014

Prägnanztendenz in der Wahrnehmung Beispiel Was sehen Sie? Die durch die Prägnanztendenz entstehende Struktur / Ordnung ist die unter den gegebenen Umständen einfachste, regelmäßigste, stabilste, kohärenteste, „eleganteste“ Möglichkeit. Die Prägnanztendenz sorgt in der Wahrnehmung dafür, dass wir sogar Unvollständiges vollständig, Unvollkommenes (in Grenzen) „vollkommen“ sehen bzw. hören... alles u.U. „eindeutiger“ wahrnehmen, als es die Reizgrundlage hergibt... Wichtig ist aber zusätzlich und immer wieder die Annahme der Gestalttheorie der Berliner Schule, dass die Prägnanztendenz nicht nur in der Wahrnehmung, sondern auch im Denken und Handeln, im Bewusstsein der Welt, auch im Bereich der zwischenmenschlichen Beziehungen wirkt. (c) M. Soff, 2014

Einschub: Gestaltfaktoren in der Wahrnehmung (nach Metz-Göckel, 2012) Figur-Grund-Differenzierung Aber: nicht alle Reizgrundlagen sind eindeutig. Und je nachdem, wie man zentriert, ergeben sich andere prägnante Gestalten... hier eine Übernahme von Metz-Göckel, 2012 (Figur geht zurück auf Rubin, 19...). Wir können hier entweder zwei Gesichter, die sich anschauen, oder eine Vase sehen. Dies ist zugleich ein Bsp. für die durch die gestaltpsychologische Wahrnehmungsforschung berühmt gewordenen „Kippfiguren“, die man als Anschauungsmaterial für den Prozess der Umstrukturierung verwenden kann. (c) M. Soff, 2014

Kurt Lewins Feldtheorie, Grundzüge : dynamischer Ansatz, ausgerichtet auf die dem Verhalten zugrundeliegenden Kräfte  Beginn der Motivationspsychologie (Handlungs- u. Affektpsychologie) Das „Feld“ umfasst die Bedingungsfaktoren der äußeren Situation (Umgebung) und der inneren Situation der Person. psychologischer Ansatz: das Feld wird nicht in objektiv-physikalischen Begriffen beschrieben, sondern so, wie es für das Individuum zur gegebenen Zeit existiert. Ausgang der Analyse immer von der Gesamtsituation Verhalten ist immer eine Funktion des je gegenwärtigen Feldes (V=f (P,U)) Lewins Ansatz zielt ab auf Grundsätzliches in neuem Gebiet: Menschen als Ganzes verstehen wollen, ihre Beweggründe... dynamische Betrachtungsweise, die Menschen in ihrer Interaktion mit der Umwelt innere Situation: Wünsche, Bedürfnisse, Pläne, Vorsätze... aber auch Hindernisse für ihre Umsetzung, Befürchtungen, Verbote usw. besonders gut an Kindern zu beobachten (c) M. Soff, 2014

Kurt Lewin: „Untersuchungen zur Handlungs- und Affektpsychologie“ (1926) Teil I: Vorbemerkungen über die psychischen Kräfte und Energien und über die Struktur der Seele. In: Psychologische Forschung, 7, 1926, 294-329 Teil II: Vorsatz, Wille und Bedürfnis. In: Psychologische Forschung, 7, 1926, 330-385 berühmt geworden: die Untersuchungen zur Handlungs- und Affektpsychologie, vor allem der zweite Teil... © M.Soff, 2011

Lewin, 1926, aus Teil I, Vorbemerkungen über die psychischen Kräfte und Energien und über die Struktur der Seele. Äußerlich gleiche Einzel-Phänomene können etwas völlig Verschiedenes bedeuten, je nach dem Gesamtzusammenhang, in dem sie auftreten. Je nach Geschehensganzheit und ganzem Handlungsverlauf unterschiedlicher Sinn der Einzel-Tatsache aber auch im ersten Teil wichtige Gedanken: hier wendet er sich gegen Kategorisierungen von Einzelphänomenen nach rein äußeren Merkmalen ! Es muss immer der konkrete Einzelfall betrachtet werden, um den einzelnen Menschen wirklich verstehen zu können... © M.Soff, 2011

Dies führt zu Annäherung, u.U. auch zu motorischer Annäherung. Lewin, 1926: aus Teil I und Teil II, Vorbemerkungen / Vorsatz, Wille, Bedürfnis Ein Aufforderungscharakter (später: eine „Valenz“) ist eine gerichtete seelische Kraft. Sie geht zurück auf einen erlebten Spannungszustand, der von einem Bedürfnis, einer Vornahme oder einer halberledigten Handlung herrühren kann. Bei vorhandener Spannung geht von Dingen oder Ereignissen ein (positiver) Aufforderungscharakter aus. Etwas „verlockt“, „zieht an“. Dies führt zu Annäherung, u.U. auch zu motorischer Annäherung. jetzt wird‘s dynamisch: Auf Kurt Lewin geht das Wort Aufforderungscharakter zurück, etwas hat einen hohen (oder geringen) Aufforderungscharakter...

Illustration Feldtheorie: Motivationale Faktoren Lewin (1931) Die psychologische Situation bei Lohn und Strafe Die Situation bei Interesse an der Sache Typischer Fall eines positiven Aufforderungscharakters... für das Kind (K) ist die Puppe (P) ein positiver Aufforderungscharakter, von ihr gehen anziehende Kräfte aus... falls sich Hindernisse (Barrieren) in den Weg stellen, werden sie dank der Anziehungskraft des Aufforderungscharakters überwunden... Kräfte werden als Vektoren dargestellt. Vektoren: Mithilfe der Vektoren wird Stärke, vor allem aber Richtung und Ansatzpunkt der in einer Situation wirksamen Kräfte dargestellt. (c) M. Soff, 2014

Lewin, 1926: aus Teil I und Teil II Vorbemerkungen / Vorsatz, Wille, Bedürfnis Außer positiven gibt es auch negative Aufforderungscharaktere: Dinge oder Ereignisse, die abschrecken, ängstigen, ärgern. Sie führen als abstoßende Kräfte im Erleben (und oft auch im Verhalten) zu einer Rückzugstendenz, zur Entfernung:

Lewin (1931) Die psychologische Situation bei Lohn und Strafe II. Gebot mit Strafandrohung Gebot mit Strafandrohung Art und Lage der Aufforderungscharaktere

Lewin (1931) Die psychologische Situation bei Lohn und Strafe 2. Allgemeiner Exkurs über den Konflikt Annäherungs-Annäherungs- Konflikt Vermeidungs-Vermeidungs-Konflikt Konfliktsituation sind solche, in denen gleichzeitig unvereinbare Kräfte auf eine Person einwirken Buridans Esel Skylla und Charybdis... Ambivalenzkonflikt (Hund streicheln wollen, aber Angst haben) Annäherungs-Vermeidungs-Konflikt

ein paar Folgerungen aus Lewins Motivationspsychologie: „Interessenpädagogik“ statt „Lohn und Strafe“ Interesse wecken durch Einbettung von Aufgaben in interessante Zusammenhänge Konfliktspannung behindert Umstrukturierung Aufgaben anbieten mit „Zug des Ziels“, mit hohem Aufforderungscharakter mit Konkretem, Anschaulichem beginnen positive Grundspannung erhalten, immer wieder versuchen.... Denk- und Lern-Barrieren erkennen und bei der Überwindung helfen wie kann man Schüler „ansprechen“? Allerdings: wir können nicht „Schüler motivieren“, ihre Motivation nicht „machen“... wir können aber evtl. etwas anbieten, was sie motivieren kann... (c) M. Soff, 2014

Wichtige Aspekte des gestalttheoretischen Menschenbildes: Menschen stehen als Lebewesen von Beginn an im wechselseitigen Austausch / in aktiver wechselseitiger Auseinandersetzung mit ihrer Umwelt. Inhärentes Streben nach Entwicklung durch Aufnahme und Verarbeitung von Neuem  Lernen als natürlicher Prozess Für das Menschenbild der Gestalttheorie und der Feldtheorie gilt allgemein die Grundannahme: Menschen sind von sich aus aktiv und setzen sich von Anfang an aktiv mit ihrer Umwelt auseinander. Lernen als natürlicher, sich selbst organisierender Prozess, der im Innern des einzelnen Menschen abläuft... wie wir sehen werden, kann das nicht von außen gemacht oder erzwungen werden. (c) M. Soff, 2014

Wechselseitigkeit und Prägnanz Menschen bringen für die aktive Auseinandersetzung mit ihrer Umwelt eine auf Entwicklung hin angelegte Grundausstattung mit. Dazu gehört das „Prägnanzprinzip“ = die „Tendenz zur guten Gestalt“. Prägnanztendenz zeigt sich in Wahrnehmung, Denken, Erleben, Handeln und in sozialen Beziehungen Und für diese aktive Auseinandersetzung mit der Umwelt bringen sich sie eine „Grundausstattung“ mit, die auf Weiterentwicklung angelegt ist, darauf, möglichst „gut“ (also: sinnvoll, im Gleichgewicht, auch: „erfolgreich“ im Sinn von „selbstwirksam“) zurechtzukommen . Dazu gehört nun wieder das Prägnanzprinzip oder die Prägnanztendenz (Tendenz, Gestörtes in Ordnung zu bringen und „bei Unentwickeltem Geburtshelfer zu sein“) © Marianne Soff, 2012

Menschen als „offene Systeme“ - 1: soziale Bezogenheit von Anfang an: Menschen sind soziale Wesen und auf „Zugehörigkeit“ hin angelegt. Menschen als offene Systeme können sich als „Teil eines größeren Ganzen“ (Paar, Familie, Gruppe, Klasse, Staat usw. ) erleben, für das sie (Mit-)Verantwortung übernehmen. Menschen sind außerdem „offene Systeme“, sie sind offen gegenüber der Umwelt: Im allgemeinen erleben wir uns selbst als Teil der Welt. Besonders wichtig ist für uns die soziale Umwelt, d.h. die anderen Menschen. Noch eine Annahme: Die „anderen“ Menschen werden zumeist als „Mitmenschen“ erlebt. © Marianne Soff, 2009 (c) M. Soff, 2014

Menschen als „offene Systeme“ -2: Offenheit für die „Gefordertheit der Lage“ (Wertheimer) Suche nach der „besten Lösung“, dem „ausgezeichneten Zustand“ der Lage. Voraussetzung: Einblick in und Überblick über die gegenwärtige Lage. Diese postulierte Fähigkeit des Menschen (Offenheit für die „Gefordertheit der Lage“) kann sowohl in ethischer Hinsicht bedeutsam sein, als auch: beim Lösen von mathematischen Problemen! Sie ist aber nicht automatisch und jederzeit gegeben, sondern an Voraussetzungen gebunden. Einblick und Überblick in die gegenwärtige Lage: auch Empathie für die innere Lage der an einer Situation beteiligten anderen Menschen © Marianne Soff, 2009 (c) M. Soff, 2014

Einige Beiträge Wolfgang Metzgers zur Gestalttheorie: Wahrnehmungspsychologie „Gesetze des Sehens“ Grundlagenwerk zur Psychologie „Psychologie – Die Entwicklung ihrer Grundannahmen seit der Einführung des Experiments“ „Schöpferische Freiheit“ Ethik der freien Selbstbestimmung menschlichen Denkens und Handelns Gestalttheorie als Theorie der Persönlichkeit und der sozialen Zusammenhänge „Psychologie in der Erziehung“ div. Anwendungsfelder, auch: Kreativitätsförderung im Mathematikunterricht (c) M. Soff, 2014

Voraussetzungen für eine gesunde Entwicklung – (Auszüge): (nach Wolfgang Metzger, 1976, S.54ff): Möglichst große Freiheit in Handlung, Entscheidung und Selbsterprobung, innerhalb fester und sinnvoller Grenzen. Ermutigung bei Misserfolgen Entwicklung von „kritischem Vertrauen“ Förderung von Entscheidungsfreiheit und Selbstverantwortlichkeit aus: Psychologie in der Erziehung... damit Menschen sich so entwickeln können, wie sie in dem „optimistischen Menschenbild“ der Gestalttheorie beschrieben werden, braucht es Voraussetzungen... hier nur Auszüge aus Metzgers Katalog... und diese Voraussetzungen lassen sich auch fordern für gelungen Mathematikunterricht (c) M. Soff, 2014

Schöpferische Freiheit (W. Metzger) heißt... nicht: die Freiheit, Beliebiges zu tun! sondern: die Freiheit, das Richtige zu tun, sich möglichst unabgelenkt auf eine Situation einstellen, Hindernisse wahrnehmen und überwinden, zu einer „guten Gestalt“, einer angemessenen Lösung, einem sinnvollen Ergebnis für alle Beteiligten gelangen zu können. Der vielleicht wichtigste Beitrag W. Metzgers zur Weiterentwicklung der Gestalttheorie sind die in seinem Werk „Schöpferische Freiheit“ dargelegten Gedanken: Schöpferische Situationen in Metzgers Sinn sind kreative Situationen und Prozesse, an deren Ende etwas Neues steht. Können auftauchen beim Denken und Lernen, in Mathematik, in Sprachen, in Kunst und Musik, auch in Naturwissenschaften.... und natürlich auch in der Gestaltung von zwischenmenschlichen Beziehungen (Erziehung, Unterricht, Psychotherapie). Wichtig: es sind Situationen, in denen es keinen feststehenden, mechanistischen, starr festgelegten Ablauf gibt (keine „Zwangsordnung“, kein starres Regelsystem), sondern man braucht vor allem die Zeit und die Geduld, sich auf die jeweilige Situation (und in der Erziehung: auf die Kinder und Jugendlichen) einzulassen – Metzger spricht davon, „in Fühlung mit dem Gegenstand zu sein“... als Voraussetzung, dass sich etwas ereignen kann, was Schöpferischer Freiheit entspricht. Die dafür benötigte innere Haltung hat Metzger in seinen sechs „Kennzeichen der Arbeit am Lebendigen“ dargelegt... (c) M. Soff, 2014

Schöpferische Prozesse freie und dynamische Zielerreichung Ausgangspunkt: eine „Problemlage“ Zielpunkt: eine prägnante Lösung Weg zum Ziel wird gefunden durch die Auseinandersetzung mit der Sache enthält oft eine Umstrukturierung, Wendung, „Erleuchtung“ Umstrukturierung kann nicht erzwungen werden M. Soff, 2013

Randbedingungen schöpferischer Prozesse nach Metzger Anziehungskraft des Zieles in Fühlung mit dem Gegenstand bleiben können wenig Ablenkung durch Nebenziele Beweglichkeit in der Zielverfolgung unverkrampfte Aufmerksamkeit und Wachheit Denk- und Umstrukturierungsfähigkeit Vorwissen und Fertigkeiten abrufbar Geduld Freiheit des Bewegungsraumes keine starren Verfahrensvorschriften keine festgelegten Denk- und Handlungsmuster sich dem „freien Spiel der Kräfte“ überlassen M. Soff, 2013

Was bedeutet das nun konkret für Begabungsförderung in der Mathematik? aus dem Metzger-Aufsatz zur Förderung von Kreativität im mathematischen Unterricht: Didaktische Hinweise zu 4 Teilbereichen Problemeinführung Problemlösen als Kernvorgang des Unterrichts Überprüfung der Einsicht Sicherung der Einsicht in der Folgezeit (c) M. Soff, 2014

Einführung des Problems sachbedingte Neugier ansprechen, das „fruchtbare Staunen“ wecken: Freude am „Dahinterkommen, wie etwas funktioniert“  Anknüpfung an interessanter Frage... vermeiden: sachfremde Lernantriebe (Noten, Beliebtheit, Konkurrenz, Bewertungsangst...) wichtigste Bedingung schöpferischen Verhaltens: fruchtbares Staunen, das einen „ins Feld der Aufgabe hineinzieht“ (c) M. Soff, 2014

Problemlösen als Kernvorgang (1) Anleitung zur Durchführung der Auseinandersetzung mit dem Problem: welche Umstände sind günstig?  selbständige Auseinandersetzung mit der Problemlösung von Anfang an (allein oder in Gruppen, Lehrer als Berater)  erst danach: gebräuchliche Fachausdrücke einführen das wäre der günstigste Fall! was auch geht... (c) M. Soff, 2014

Problemlösen als Kernvorgang (2) Alternativen: a) Lösungsweg (Ableitung, Beweisführung) wird vom Lehrer eingeführt, aber Schüler können und sollen jederzeit Fragen stellen, sobald etwas unklar ist... b) freies Klassengespräch nach Anstoß durch den Lehrer nicht so günstig, aber auch sinnvoller Weg (c) M. Soff, 2014

Problemlösen als Kernvorgang (3) weitere Alternativen: c) Lehrereinführung durch eine Abfolge sokratischer Fragen, die geeignet sind, die Schüler auf Eigenschaften des Gegenstandes hinzuweisen, die für die Lösung bedeutsam sind d) Selbständige Lösung aufeinander aufbauender Aufgaben (einfach  verwickelt) weitere Alternativen (c) M. Soff, 2014

Problemlösen als Kernvorgang (4) e) selbständige Auseinandersetzung mit der Problemlösung von Anfang an: allein oder in Gruppen (gemischte Zusammensetzung empfohlen) Lehrer als Berater bei unübersteigbaren Barrieren, “guided detection“) noch einmal zum günstigsten Fall (c) M. Soff, 2014

Überprüfung von Verständnis und Einsicht Haben die Schüler das Prinzip verstanden? Transponierung: Aufgaben, die äußerlich bis zur Unkenntlichkeit entstellt sind, aber auf gleichem Prinzip beruhen, strukturell gleich sind, lösen können... Aufgaben, die ein anderes (bekanntes) Prinzip erfordern, erkennen und nach dem bekannten Prinzip lösen können... Verschachtelte Aufgaben verwenden (c) M. Soff, 2014

Sicherung gewonnener Einsichten Weitere Verfügbarkeit gewonnener Einsichten ist sehr störbar! Erhaltung durch immer wieder neues Durchdenken! nicht zu viele gleiche Aufgaben (sonst droht Mechanisierung: Funktionswert des Lösungsverfahren geht verloren) (c) M. Soff, 2014

Gestalttheoretische Anregungen zum Lernen und Denken als kreative Prozesse Betonung der Selbsttätigkeit beim Lernen problemhaltige Situationen schaffen Lernanlässe Selbständige Auseinandersetzung mit Lernstoffen anhand vielfältiger, sinnlich anregender Materialien Unabgelenkte Fühlung mit dem Gegenstand fördern emotionale Lernbarrieren (Angst, Mangel an Zugehörigkeit u. Gleichwertigkeit) erkennen und mindern individuelle Arbeitszeiten und – geschwindigkeiten Einsicht ermöglichen und Transfer fördern sinnvolles Üben (Achtung: Sättigung und Gestaltzerfall) (c) M. Soff, 2014

Literatur: Lewin, K. (1926): Untersuchungen zur Handlungs- und Affektpsychologie. PsyFo, 7, 294-385. Lewin, K. (1931): Die psychologische Situation bei Lohn und Strafe. In KLW, Bd. 6 (1982), 113-168. Metzger, W. (19622): Schöpferische Freiheit. Frankfurt: Kramer Metzger, W. (1973): Wie kann man Kreativität im mathematischen Unterricht fördern? Bayerische Schule, Wissenschaft und Praxis, 115-118 Soff, M. 2011: Gestaltpsychologische Prinzipien zu Begabung und Kreativität. In: Schenz, C. / Rosebrock, S. & Soff, M. (Hrsg): Von der Begabtenförderung zur Begabungsgestaltung. 63-84. Berlin: LIT Soff, M. (2014, im Druck): Klassenführung als schöpferischer Prozess: Beziehungsgestaltung und Randbedingung für gelingendes Lernen. Gestalt Theory, 36/2 (c) M. Soff, 2014

Danke für Ihre Aufmerksamkeit! Dr. Marianne Soff Institut für Psychologie Gestaltpsychologische Begabtenförderung Schöpferische Freiheit – und was man sonst noch dafür braucht Danke für Ihre Aufmerksamkeit!