Frühförderung – ein Unterstützungssystem im Wandel

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 Präsentation transkript:

Frühförderung – ein Unterstützungssystem im Wandel Prof. Dr. Klaus Sarimski PH Heidelberg

Für wen ist die Frühförderung da? Frühförderung hat das Ziel, bei Behinderungen und Entwicklungs-gefährdungen von Kindern die Hilfen anzubieten, die am ehesten dazu beitragen, dass die Kinder sich möglichst gut entwickeln, ihre Kompetenzen entfalten und sich in ihre Lebenswelt integrieren können. Thurmair & Naggl, 2000

Zielgruppe Kinder mit Behinderungen Kinder, die von Behinderung bedroht sind (Entwicklungsverzögerung) Säuglinge und Frühgeborene mit biologischen Entwicklungsrisiken Kinder mit Verhaltensbesonderheiten und Lern- und Leistungsstörungen ? Kinder aus sozial benachteiligten Familien? verunsicherte Eltern ??

Ziele der Frühförderung Kindbezogen: Förderung von Kompetenzen Förderung von Selbsterleben und Selbstwertgefühl Integration in die Lebenswelt Elternbezogen: fachliche Anleitung und Beratung Unterstützung bei der Auseinandersetzung mit ihrer Situation (Begleitung, Unterstützung, psychotherapeutisch orientierte Beratung) Integrationshilfen (Vermittlung von Kontakten, Elterngruppen, Zusammenarbeit mit Kindergärten)

Schnittstelle Pädagogik - Medizin

Frühförderstellen im interdisziplinären Arbeitsfeld überregionale Sozialpädia- trische Zentren und Abteilungen Überregionale Stellen für Hörgeschädigte oder Blinde Interdisziplinäre Frühförderstellen Sonderpädagogische Beratungsstellen Päd. Dienste: Krippe Kindergarten Schule mobile Hilfen Psychosoz. Dienste: Erziehungsberatung ASD sozialpäd. Familienhilfe u.a. Praxen: Kinder- und Fachärzte Therapeuten

Strukturelle Unterschiede und komplementäre Funktion (Wagner-Stolp, 1999) SPZ: ärztliche Leitung, mediz. Diagnostik und Therapie überregional Spezialisierung und Differenzierung konsultative Behandlung in größeren Abständen Behandlung bis ins Jugendalter Frühförderstellen: päd. oder psych. Leitung regional familiennah laufende Behandlung in kurzen Abständen Behandlung von 0-6 Jahren

Frühförderung in Baden-Württemberg

Versorgung in Baden-Württemberg Sonderpädagogische Beratungsstellen an Sonderschulen des Landes (seit 1971) Rahmenkonzeption (1983, 1993, 1998) 332 Sonderpädagogische Beratungsstellen Entfernung < 30 Min. für 90% der Eltern Finanzierung von Personal- und Reisekosten durch das Kultusministerium 36 interdisziplinäre Frühförderstellen

In sonderpäd. Beratungsstellen: 40.448 Kinder in Betreuung Wie viele Kinder werden in den sonderpäd. Beratungsstellen und Interdisziplinären Frühförderstellen betreut? (Landesamt für Schulentwicklung, 2009) In sonderpäd. Beratungsstellen: 40.448 Kinder in Betreuung zusätzlich 2655 Kinder in Kurzberatung In interdisziplinären FF-Stellen: 10.117 Kinder davon 2.917 in einmaliger Beratung

Welche Kinder werden betreut?

Welche Diagnosen haben die Kinder Welche Diagnosen haben die Kinder? (Landesinstitut für Schulentwicklung, 2009) In anderen Bundesländern wesentlich höherer Anteil von Kindern mit allg. Entwicklungsverzögerungen vs. Sprachbehinderung

Verteilung zwischen Beratungsstellen (Landesinstitut für Schulentwicklung, 2009)

Wer arbeitet in der Frühförderung in BW? 355 Personalstellen für Sonderschullehrer in sonderpäd. Beratungsstellen, d.s. 8724 Lehrerwochenstunden (3% Steigerung der Kapazität vs. 11% Steigerung der Anzahl der betreuten Kinder zwischen 2000 und 2007; LfS, 2009) teilweise (wohl immer noch) Frühförderstellen mit wöchentlicher Personalkapazität < 40 Stunden 152 Stellen in freien Frühförderstellen (LfS, 2009): Sonderpädagogen, medizinische Therapeuten, Diplompsychologen, Sozialpädagogen, Kinderärzte

Was können Sie von der Frühförderstelle erwarten? Diagnostik Förderung Beratung

Fachliche Diagnostik von Kindern mit Verdacht auf Entwicklungsstörungen Entwicklungs-/Fähigkeitstests, Verhaltens-beobachtungen: Grobmotorik Feinmotorik Wahrnehmung Kognitive Fähigkeiten Sprache Soziale Entwicklung Lebenspraktische Fähigkeiten

Fachliche Diagnostik von Kindern mit Verdacht auf Entwicklungsstörungen Spielbeobachtung: Was für ein Kind habe ich vor mir? Welche Kompetenzen hat es? Wo liegen seine Schwierigkeiten und Hilfebedürfnisse?

Tragende Arbeitsprinzipien einer zeitgemäßen Frühförderung Individualisierung (Beobachten) Familienorientierung (Beratung) Interaktions- und Beziehungsorientierung (Beziehungsförderung)

Individualisierung (Beobachtung von Kompetenzen und Hilfebedürfnissen) Abstimmung aller kindorientierten Fördermaßnahmen auf seine individuellen Kompetenzen und Hilfebedürfnisse und die Entwicklungsbedingungen seiner Lebensumwelt Kein isoliertes Üben von Funktionen und Fertigkeiten Keine diffuse, intuitive, von persönlichen Vorlieben bestimmte Ganzheitlichkeit

Interaktions- und Beziehungsberatung der Eltern Einbettung von Fördermaßnahmen in das Alltagshandeln mit dem Ziel, eine förderliche Interaktion von Eltern und Kind zu unterstützen „absichtsvolle Kontextgestaltung“ (Klaes & Walthes, 1999)

Identifikation von Hindernissen für das Gelingen des spielerischen Dialogs Gemeinsame Zielbestimmung für die spielerische Interaktion „Ankerung“ in Momenten des Gelingens Beratung in entwicklungs- förderlichen Strategien im Spiel und Alltag

Familienorientierung: Unterstützung der Eltern bei der Bewältigung der Belastung Enttäuschung und Trauer über die Behinderung Beschäftigung mit Schuldgefühlen, Vorwürfen oder Zorn Unsicherheit über die Entwicklungsperspektiven Belastung der Beziehung zu Partner, Verwandten und Freunden Probleme der Bewältigung von Pflege- und Behandlungsaufgaben Entscheidungen zwischen Behandlungsalternativen

Elternzentrierte Hilfen im Verlauf der Frühförderung Emotionale Entlastung durch stützendes Beziehungsangebot Auflösung von emotionalen Blockaden zwischen Eltern und Kind Stärkung der Zuversicht in die eigene Bewältigungskompetenz Mobilisierung sozialer Unterstützung

Konsultative Beratung in Kindertagesstätten Kinder mit Sinnesbehinderungen Kinder mit cerebralen Bewegungsstörungen und motorischen Behinderungen Kinder mit Sprachbehinderungen Kinder mit kognitiven Behinderungen

Beratung bei Kindern mit schweren Hör- oder Sehschädigungen Anpassung der räumlichen Umgebung Umgang mit Hilfsmitteln (z.B. Hörgerät) Anpassung von Spielmaterialien Anpassung der Interaktionsformen

Beratung bei Kindern mit sprachlichen oder kognitiven Behinderungen Systematische Unterstützung der sozialen Integration Gezielte Förderung von sozialen Kompetenzen: Kontaktaufnahme zu anderen Kindern Beteiligung am Spiel in der Gruppe Konfliktlösung

Gibt es dafür einen Bedarf Gibt es dafür einen Bedarf? Befragung von Mitarbeitern in Kindertagesstätten im Raum HD 42 Gruppenleiterin aus allgemeinen Kindergärten 39 Erzieherinnen Je eine Sozialpädagogin, Heilpädagogin und Elementarpädagogin (BA) Berufserfahrung 3-35 Jahre (M=18.4) Davon 27, die derzeit in ihrer Gruppe mindestens ein Kind mit sonderpädagogischem Förderbedarf haben (1-7 Kinder, M=2.37)

Kinder mit sonderpädagogischem Förderbedarf (n=27) Bis auf vier Kinder leichte oder mittlere Ausprägung des Förderbedarfs

Kooperationspartner (n=27) Kaum Hin und wieder Regelmäßig Sonderpäd. FF 1 13 11 Interdisz. FF 7 6 SPZ 2 Erziehungs-beratung 3 9 8 Therapeuten 12 Heil-pädagogen 4

Zufriedenheit mit Kooperation (n=27) Wenig Mäßig sehr Sonderpäd. FF 7 17 Interdisz. FF 1 5 2 SPZ 8 4 Erziehungs-beratung 6 11 Therapeuten 10 13 Heil-pädagogen

Selbsteinschätzungen der „Integrationskompetenz“ (n=27; Skala 1-6) Fähigkeiten im Umgang mit behinderten Kindern einschätzen 3.81 Umgebung an die Bedürfnisse anpassen 3.85 Spielsachen an die Bedürfnisse anpassen 4.07 Positive Beziehungsgestaltung mit Familien 4.52 Bedürfnisse von Kindern mit motorischen Handicaps kennen 3.89 Kooperationspartner für Unterstützung kennen 4.85 Mit Fachkräften anderer Ausbildung zusammenarbeiten 5.11 Umgang mit Hörgeräten und CI kennen 2.33 Hilfsmittel für sehgeschädigte Kinder kennen 2.56 Soziale Kompetenzen der Kinder gezielt fördern 4.30

Konsultative Beratung: Herausforderungen für die Kooperation Ausbildungs- und Erfahrungsunterschiede Ängste vor Abwertung der Arbeit Unterschiedliche pädagogische Grundhaltungen Rollenklärung und Absprachen „auf fremdem Terrain“ Erarbeitung eines gemeinsamen Problemverständnisses

Günstige Faktoren für das Gelingen von Kooperation (Behringer, 2004) Verbindlichkeit von Vereinbarungen mit Frühförderstelle Räume und Zeit Präsenz von Mitarbeitern der Frühförderung in der Kindertagesstätte regelmäßige vs. fallbezogene Kontakte (Risiko: Feuerwehrfunktion) Kontinuität von Personen und Arbeitskonzepten „exklusive Kooperation“ vs. Kooperation mit mehreren Fachstellen

Resümee Frühförderung ist ein Unterstützungssystem im Wandel: Individualisierung Beziehungsberatung Familienorientierung Kindertagesstätten können erwarten: Diagnostik von Kindern mit V.a. Entwicklungsstörungen kooperative Beratung bei der sozialen Beteiligung von Kindern mit sonderpädagogischem Förderbedarf