Haftungsfragen im Winterdienst Dr

Slides:



Advertisements
Ähnliche Präsentationen
Sonder- und Wegerechte §§ 35 und 38 StVO
Advertisements

Was kann dabei schon passieren?
Der Tour Guide bleibt immer der erste Fahrer und fährt möglichst in der Fahrbahnmitte um gut gesehen zu werden Alle Mitfahrer ordnen sich versetzt.
Was versteht man unter Haftung? (1)
Feuerwehrverband Ostfriesland e. V.
Haftungsfragen bei Debit - Kartenzahlungsvorgängen
Geplant zum : Das Zweite Gesetz zur Änderung schadensersatzrechtlicher Vorschriften.
WS 08/09 Vertiefende Infrastrukturplanung, ISR, TU-Berlin
Gesunder Mensch im gesunden Unternehmen
Das Fahrlässigkeitsdelikt
Ergebnisse ZEB 2012 Landesstraßen ge
Verkehrssicherungspflichten des Gebäudeeigentümers
Die Bedeutung des Winterdienstes für den ÖPNV
Lehrgang: Maschinist 3. Rechtsgrundlagen
ÖWR-LV Kärnten, Haftungsfragen der Organisation 1 Haftungsfragen in der ÖWR Rechtliche Grundlagen für o Die Organisation o Funktionäre
ZÜCHTERTAGUNG RECHTSFRAGEN IM ZUSAMMENHANG MIT DER ZÜCHTUNG UND DEM KAUF/VERKAUF VON HUNDEN Von RA Daniel Haeberli und lic. iur. Janine Hofmann Sonntag,
Feuerwehr im Straßenverkehr
Übersicht 1 § 630b BGB Auf das Behandlungsverhältnis sind die Vorschriften über das Dienstverhältnis, das kein Arbeitsverhältnis im Sinne des § 622 ist,
Verantwortung Haftung
Grundlagen des Winterdienstes
UNS-Beratertreffen Rechtliche Aspekte und Haftungen aus Berateraufträgen 8. April 2005 Mag. Ferdinand Wallner.
… der BZB Krefeld für Lehrgangsteilnehmer
Anfahrt, Verhalten und Verkehrsabsicherung
Vertragsgestaltung im LARP. Entwicklung des LARP in Deutschland Zunehmende Professionalisierung LARPer der ersten Stunde wachsen raus oder werden anspruchsvoller.
Gemeinsame Tagung Bezirksleitung und Kreiswasserwachten
Kraftfahrerbelehrung
Haftung Ausbildung zum DKV-Fahrtenleiter.
Allgemeines Die Gemeinde ist eine juristische Person und damit Träger von Rechten und Pflichten. Sie handelt durch ihre Organe oder ihre Bediensteten.
3.) Sonder- und Wegerecht
Management, Führung & Kommunikation
Umgestaltung der Ortsdurchfahrt Kirchhatten
Spam Dr. Barbara Haindl - Rechtsabteilung (Wie) Kann rechtlich dagegen vorgegangen werden?
Aufsichts- und Sorgfaltspflicht
STRAFRECHT BT FAHRLÄSSIGE VERURSACHUNG EINER FEUERSBRUNST (ART.222)
Bezirkshauptmannschaft Hartberg-Fürstenfeld, Anlagenreferat, Mag. Klaus Ebner Wildbachbegehungen Rechtsgrundlagen und Konsequenzen der Nichtdurchführung.
Aufbauschema § 142 Abs. 1: Tatsituation Unfall im Straßenverkehr Tätertauglichkeit Möglichkeit der Mitverursachung (Beteiligung Abs. 5) Tathandlungsich.
Kap 7 - Gläubigerverzug 1 Barta: Zivilrecht online Gläubigerverzug; § 1419 ABGB (1) qDer Gläubiger gerät in Verzug, wenn er die ihm ordnungsgemäß – real.
SoWi Ü 6- 1 Barta: Zivilrecht online... muss bestimmt oder doch bestimmbar sein ! q... durch Vertrag: dies interpellat pro homine zB: "Zahlungsziel 14.
Europäisches Institut für das Ehrenamt Dr. Weller § Uffeln GbR Europäisches Institut für das Ehrenamt Dr. Weller § Uffeln GbR 1 Urheberrecht Persönlichkeitsrecht.
Ein Service von: Aufsichtspflicht für Jugendleiter und Ferienbetreuer.
Verantwortung für Fehler: Über den richtigen Umgang Vortrag von Prof. Dr. Carmen Kaminsky Sozialphilosophie; FH-Köln.
Erwartungen und finanzielle Auswirkungen. Winterdienst Finanzielle Auswirkungen und Erwartungen Gemeinde Steinbach an der Steyr AL Kurt Barteder Stadtgemeinde.
Ass.-Prof. Dr. iur. M. Hürzeler II.Grundlagen der Haftpflicht Abgeltung immaterieller Nachteile Gesetzliche Grundlagen im Obligationenrecht Art. 47 OR.
1 Organisation und Führung im Einsatz. Grundlagen der Führung im Einsatz 2  Führung ist ein kontinuierlicher Prozess.
Veranstaltungsrecht: Zivilrechtliche Haftung und strafrechtliche Verantwortlichkeit.
Krankenstand – aber richtig! Arbeitsrechtliche Fragen Ass.-Prof. Dr. Andreas Mair.
§ 1330 ABGB (1) Wenn jemandem durch Ehrenbeleidigung ein wirklicher Schade oder Entgang des Gewinnes verursacht worden ist, so ist er berechtigt, den Ersatz.
Herzlich willkommen zur «Stolperfallensafari»
Ass.-Prof. Dr. Gerhard Saria
Modul 7.3. Aufsichtspflicht
Ausbildungshilfe für den Ausbildungsabschnitt Rechtsgrundlagen
Konzept zur Verbesserung des Winterdienstes in Düsseldorf
Stolper- und Sturzunfälle: die häufigste Unfallursache im Visier
Anwaltschaft für Gleichbehandlungsfragen für Menschen mit Behinderung
Da ist was dran ! Michael war so eine Art Typ,
Aufgaben der Feuerwehr
Aufbauschema der a.l.i.c. Tatbestand des Delikts Obj. Tb. Subj. Tb.
Aufbauschema § 142 Abs. 1: Tatsituation Unfall im Straßenverkehr
Stolpern, Rutschen, Stürzen
Ars combinatoria § 23 Abs. 1 StGB § 12 Abs. 1 StGB § 22 StGB
Aufgaben der Feuerwehr
Brandsicherheitsdienst
Truppmannausbildung Teil 1 (Grundausbildungslehrgang)
Rep.-Kurs Öffentliches Recht
Meldung von unsicheren Situationen
Einheit 12: Der Folgenbeseitigungsanspruch
Einheit 2: Amtshaftungsanspruch Teil 1
Rechtliche Rahmenbedingungen der Telearbeit
Letter of Intent von Sophie Wolfram Management von Projekten
§ 113 Obj. Tatbestand Opfer: Amtsträger oder Soldat Tatsituation: während einer Vollstreckung Handlung: durch Gewalt oder Drohung mit Gewalt Widerstand.
 Präsentation transkript:

Haftungsfragen im Winterdienst Dr Haftungsfragen im Winterdienst Dr. Dietmar Tschenett, Amt der Tiroler Landesregierung, SG Fahrzeug- und Maschinenlogistik November 2019 Haftungsfragen im Winterdienst 2019 Dr. Dietmar Tschenett

Schadenersatzvoraussetzungen: Haftung = Das Einstehen - Müssen für die Folgen eigenen Verhaltens (Handlung oder Unterlassung) § 1295 ABGB: Wem durch das schuldhafte Verhalten eines andern Schaden zugefügt wird, der kann vom Schädiger Schadenersatz fordern. Schadenersatzvoraussetzungen: 1.) kausal: eine Handlung oder Unterlassung ist für den Schadenseintritt ursächlich 2.) rechtswidrig: Der Schädiger hat sich nicht so verhalten, wie es die Rechtsordnung von ihm verlangt 3.) schuldhaft: Der Schädiger hätte den Schaden bei rechtmäßigem Verhalten vermeiden können (= das rechtswidrige Verhalten kann dem Schädiger zum Vorwurf gemacht werden) 2

Arten des Verschuldens: Vorsatz: Rechtswidrigkeit muss dem Handelnden bewusst sein, er sieht den Schaden voraus und nimmt ihn in Kauf („Böse Absicht“, Schaden wird mit „Wissen und Willen“ herbeigeführt) Fahrlässigkeit: Außerachtlassung der objektiv gebotenen „gehörigen Sorgfalt“ Leichte Fahrlässigkeit: ein Fehler oder Versehen, das gelegentlich auch einem sorgfältigen Menschen unterlaufen kann. „das hätte man besser bleiben lassen“ Grobe Fahrlässigkeit: Auffallende Sorglosigkeit, die einem ordentlichen Menschen in der selben Situation keinesfalls unterläuft. Hohe Wahrscheinlichkeit eines Schadenseintritts „Wie konnte man nur“ 3

Grundlagen für die Haftung des Straßenerhalters im Winterdienst: Grundsatz der Verkehrssicherungspflicht (ABGB): Wer eine Gefahrenquelle schafft, hat die Pflicht zu deren Absicherung §46 Tiroler Straßengesetz: Die dem öffentlichen Verkehr dienenden Straßen sind so herzustellen und zu erhalten, dass sie von allen Verkehrsteilnehmern bei Beachtung der Straßenverkehrsvorschriften unter Bedachtnahme auf die Witterungsverhältnisse ohne besondere Gefahr benutzbar sind, soweit dies im Hinblick auf den Verkehr, dem die Straße allgemein dient, angemessen und zumutbar ist. Angemessenheit: Wichtigkeit des Straßenzuges Verkehrsfrequenz

Verzicht oder Einschränkung des Winterdienstes (§46 Tiroler Straßengesetz): Straße dient nicht der Deckung eines dringenden öffentlichen Verkehrsbedürfnisses und die Durchführung des Winterdienstes einen unverhältnismäßig hohen Aufwand erfordern würde. §20 StVO: Der Lenker hat die Fahrgeschwindigkeit den Straßen-, Verkehrs- und Sichtverhältnissen anzupassen.... (= wichtigster und meist erfolgreichster Einwand im Haftungsprozess)

Wenn was passiert: § 1319a ABGB (= Haftung des Wegehalters): Der Halter eines Weges (=Straße, auch Brücken, Stützmauern, Futtermauern, Durchlässe, Gräben und Pflanzungen, ebenfalls Parkplätze) haftet den Benützern, wenn durch den mangelhaften Zustand des Weges ein Schaden herbeigeführt wird UND dem Halter selbst oder seinen Leuten Vorsatz oder grobe Fahrlässigkeit vorzuwerfen ist (=Haftungsprivileg). Haftungsbefreiung: bei unerlaubter, auch widmungswidriger Benützung des Weges, wenn die Unerlaubtheit dem Benützer (Abschrankung, sonstige Absperrung) erkennbar gewesen (ACHTUNG: Verbotszeichen allein genügt oft nicht!! Verbotszeichen muss an absolut markanter und unmissverständlicher Stelle angebracht werden – z.B. 3-5m Abstand zum Straßenrand und kleines Schild genügt NICHT.)

Beurteilungsmaßstab für den mangelhaften Zustand eines Weges (hier gemeint auch Straße!): Verkehrsbedürfnis und Zumutbarkeit des Erhaltungsumfanges hängt von  der Art des Weges,  dessen Widmung (öffentl. Straße – Interssentenstraße),  der geografischen Lage und  der Natur der Benützung ab daher keine abschließende, konkrete, allgemein anwendbare Umschreibung der Pflichten des Wegehalters möglich! Der Bogen spannt sich vom Fußweg bis zur Hauptverkehrsstraße! 7

Hauptkriterien: Wichtigkeit des Verkehrsweges: höhere Anforderungen an die Streupflicht im Ortsgebiet oder auf stark frequentierten Durchfahrtsstraßen im Freilandgebiet als auf einer Zufahrt zu einer kleinen Siedlung einer Gemeinde kleinen Gemeinden ist weniger Aufwand zuzumuten als großen Wegabschnitten, die dem Straßenerhalter als gefährlich bekannt sind, ist besonderes Augenmerk zu schenken:  intensivere Streuung,  auch Kennzeichnung von nicht erkennbaren Gefahrenstellen z.B. durch Aufstellen von Gefahrenzeichen (§§ 49 und 50 StVO). Dagegen: Vom Wegehalter kann nicht verlangt werden, eine Straße so zu warten, dass absolut und ausnahmslos keine Gefahr einer Vereisung besteht (Straße mit nicht besonders gefährlichem Streckenverlauf; plötzliche, unvorhersehbare Vereisung, keine vorbeugende Salzstreuung; Unfallstelle vier Stunden vor dem Unfall ohne Auffälligkeiten kontrolliert; OLG Graz). 8

Vorab - Prüfungskriterien: Der konkrete Umfang der zu treffenden Maßnahmen hängt immer von den Umständen des Einzelfalls ab! (= Diktion in fast sämtlichen Urteilen des OGH zur Straßenhalterhaftung nach § 1319a ABGB) Vorab - Prüfungskriterien: Ist die konkrete Gefahr für den aufmerksamen Straßenerhalter schwer oder leicht erkennbar? Wie hoch ist die Wahrscheinlichkeit eines Schadens? (objektiv!) Was ist im Einzelfall zur Abwehr von Gefahren erforderlich, möglich und zumutbar? Welche Maßnahmen (Weiß- Schwarzräumung, Splitt- Salzstreuung, Umläufe) sind nach der „Verkehrsauffassung“ bei objektiver, sachkundiger Betrachtung „üblich.“ 9

Möglichkeiten des Organisationsverschuldens: A) unzureichende technische Infrastruktur: Dritte beauftragen (Frächter, Landwirte) B) mangelhafte Organisation des Winterdienstes (z. B. zu wenig Personal beschäftigt, unzureichende WD - Planung): WD – Planung: 1.) Einteilung der Straßenzüge nach Wichtigkeit bzw. Verkehrsaufkommen (Schwarz- oder Weißräumung). 2.) Routen- und zeitliche Umlaufsplanung GRUNDLAGE: RVS (Richtlinien und Vorschriften für das Straßenwesen, Hrsg: FSV, Forschungsgesellschaft Straße Schiene, Verkehr) verbindliche Dienstanweisung des BMVIT für Bundesstraßen mit der ANREGUNG, diese RVS auch außerhalb von Bundesstraßen anzuwenden = Stand der Technik und wird im Streitfall von den Gerichten als Maßstab angewendet!! Hier: RVS 12.04.12 (Schneeräumung und Streuung,; s. auch noch RVS 14.02.16 Einweisungsunterlagen für das Winterdienstpersonal u. RVS 12.04.92 ergänzende EinwUnterl.) C) mangelnde Dokumentation des geleisteten Winterdienstes 10

11

GRUNDSATZ: Winterdienst vor Sperre!!! OGH: Zulässig, Streuung und Schneeräumung einzustellen, wenn sie durch ständigen Schneefall nutzlos wird (nur dann wird eine ununterbrochene Streuung und Räumung als unzumutbar angesehen. ACHTUNG: nur bei extremen Verhältnissen) ABER: Bei Gefahr im Verzug (extreme Wetterlage, Lawinengefahr): Vorübergehendes Fahrverbot durch den Straßenerhalter (bzw. die Organe des Straßendienstes) ohne Verordnung (= Straßenmeister oder Winterdienst - Organisationsleiter der Gemeinde mit anschließender Verständigung der BH!) möglich, gleichzeitige Kundmachung durch Verkehrszeichen (§44b StVO) unbedingt erforderlich! GRUNDSATZ: Winterdienst vor Sperre!!! 12

Anrainerpflichten - § 93 StVO: Streu- und Räumpflicht von Liegenschaftseigentümern im Ortsgebiet:  öffentliche Gehsteige und Gehwege: Entfernung von nicht mehr als 3 m entlang der ganzen Liegenschaft von 6 bis 22 Uhr.  wenn Gehsteig/Gehweg nicht vorhanden: Straßenrand in der Breite von 1 m zu säubern und zu bestreuen (Ausnahme: unverbaute, land- und forstwirtschaftlich genutzte Flächen) Haftung bei Schäden: der nach §93 StVO verpflichtete Anrainer, Privileg nach §1319a ABGB gilt nicht, also Haftung auch für leichte Fahrlässigkeit!) 13

ACHTUNG: faktische Räumung und Streuung bestimmter Gehsteige oder Gehwege durch die Gemeinde über längeren Zeitraum = Annahme der stillschweigenden Übernahme der Räum- und Streupflicht des Anrainers (z.B. Aufnahme in Schneeräumplan) kann zu gleicher Haftung wie der des Anrainers führen!! Daher für die Gemeinde ratsam: Postwurf oder andere geeignete Info an die Liegenschaftseigentümer, dass die Schneeräumung auf den Gehsteigen durch die Gemeinde freiwillig und nur nach Maßgabe der Wetterlage und vorhandenen Personal- und Geräteressourcen stattfindet und die Liegenschaftseigentümer von ihrer Verpflichtung nach §93 StVO nicht befreit sind! 14

Viel Glück, wenig Unfälle und gute Anwälte 15

Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit 16

Literatur und Adressen: www.fsv.at verschiedene RVS, besonders 12.04.12, 14.02.16 und 12.04.92 div. Studien Kommunalhandbuch Winterdienst, Beckmann Verlag, Deutschland (rechtl. Teil daher nicht aussagekräftig), Neuerscheinung, aber nicht alles auf letztem Stand (insb. Salzlagerung, Solelagertechniken; Stand 2001) ca. € 35,00 17