Braucht es eine Anamnese in der Psychiatrie?

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 Präsentation transkript:

Braucht es eine Anamnese in der Psychiatrie? Prof. Dr. med. Daniele Zullino WHO collaborating center

Agenda Studien über Wirksamkeit / klinischer Nutzen Anamnese Diskurs und Dispositiv Macht-Wissen Disziplinierungs-Regimes Wahrheits-Regimes

Studien über Wirksamkeit / klinischer Nutzen Anamnese

Michel Foucault *15.10.1926 Poitiers - ♰ 25.6.1984 Paris 1970 - 1984, Collège de France : “Histoire des systèmes de pensée” Meist zitierter Autor 2 Suizidversuche, Psychotherapie ➛ Studium der Psychologie + Philosophie

Die exzessive Wahrheit Über das nötige hinausgehende, nicht ökonomishce Manifestationen der Wahrheit Die Art und Weise in welcher diese Wahrheit ausgedrückt wird gehört nicht in den Bereich des Wissens nicht nötig um zu regieren, zu führen Art der reinen Offenbarung der Wahrheit

Dispositiv „.. ein entschieden heterogenes Ensemble, das Diskurse, Institutionen, architekturale Einrichtungen, reglementierende Entscheidungen, Gesetze, administrative Maßnahmen, wissenschaftliche Aussagen, philosophische, moralische oder philanthropische Lehrsätze, kurz: Gesagtes ebenso wohl wie Ungesagtes umfasst.

Diskurs Kategorien des Wissens welche unser Bewusstsein bilden was sagbar ist was gesagt werden soll was nicht gesagt werden darf sprachlich produzierter Sinn­zusammenhang, der eine bestimmte Vorstellung forciert, die wiederum bestimmte Machtstrukturen und Interessen gleichzeitig zur Grundlage hat und erzeugt ➛ Bildet Wahrheits-Regimes (Erzeugt Realität)

Wahrheit und Macht Macht bestimmt die Bereiche des Lebens welche untersucht werden können, sollen, dürfen Macht grenzt die verschiedenen Arten des Sein- Könnens ein

Diskursive Schichten

Macht/Wissen Dominantes Merkmal moderner Gesellschaften: Entwicklung bürokratische Überwachung der Bevölkerung Entwicklung von Berufsgruppen, welche … behaupten, Menschen zu verstehen (Wissen) gutes Verhalten verschreiben (Macht)

Bio-Macht = Verinnerlichung wissenschaftlicher Konzepte von Gesundheit und Normalität Wird von Berufsgruppen auf der Grundlage ihrer angeblichen wissenschaftlichen Kenntnisse verwaltet (Biopolitik)

Zwei Organisationsprinzipien der modernen Disziplin und Selbstdisziplin Das Bekenntnis / Geständnis Der Blick

Panoptikum Ideales Gefängnismodell Zentrales Beobachtungsturm Wächter können sehen, von Häftlingen aber nicht gesehen werden ➛ Insassen: Gefühl der Beobachtung (Gestaltung der Wahrnehmung) Der Blick in die Abwesenheit eines sehenden Subjekts ➛ Selbstreguliertes Verhalten

Pastoralmacht Eine insbesondere christliche-religiöse Machttechnik Aufspüren einer „inneren Wahrheit“ durch Techniken der Versprachlichung (Diskursivierung) = Beichte Funktion: Subjektivierung (lat. sub-iacere) des Individuums unter die gesellschaftlichen Verhältnisse Ihr liegt die Konzeption einer „Regierung der Seelen“ (gouvernement des âmes) zugrunde

Entwicklung der kapitalistisch-bürgerlichen Gesellschaft Pastoralmacht wird säkularisiert und spielt wesentliche Rolle bei Aufrechterhaltung und Reproduktion der gesellschaftlichen Verhältnisse Während des Prozesses der Kasernierungen (Gefängnisse, Militärkasernen, Schulen, Fabriken) durch nichtkirchliche Institutionen übernommen Herausbildung der Humanwissenschaften, vor allem Psychologie und Psychoanalyse → Biomacht

Die exzessive Wahrheit Über das nötige hinausgehende, nicht ökonomishce Manifestationen der Wahrheit Die Art und Weise in welcher diese Wahrheit ausgedrückt wird gehört nicht in den Bereich des Wissens nicht nötig um zu regieren, zu führen Art der reinen Offenbarung der Wahrheit

Wahrheits-Regimes Zwingt die Individuen zu einer Reihe von Äusserungen der Wahrheit Bestimmt di Rituale der Alethurgie

Alethurgie Zeremonien mit theatralischem Charakter Kombination aus verbalen und non-verbalen Prozeduren der Wahrheitsbekundung Gewissensprüfung, Selbsterforschung Ziel: Quelle der Gedanken zu identifizieren (gut oder schlecht, d.h, von Gott oder dem Teufel inspiriert) Keine Machtausübung ohne Alethurgie Kulturelle Zentren = Orte der Manifestation der Wahrheit

Antikes Wahrheitsregime Die Wahrheit existiert ausserhalb der Person welche sie äussert Die Wahrheit transzendiert das Subjekt, sie drängt sich ihm von Oben auf, wie ein Gesetz (nomos) Das Schicksal des Subjekts besteht darin, die Wahrheit zu entdecken, welches es bestimmt

Antike Wahrheitsregimes Orakel Wahrsagung der Götter Schwur Wahrsagung der Könige und Führer Zeugnis / Geständnis Wahrsagung der Dienenden/Sklaven Gott wird konsultiert und auf seine Antwort wird gewartet Sobald die Antwort gegeben ist, lässt sich nichts mehr tun Setzten sich freiwillig der Rache der Götter aus Diejenigen, denen geschworen wird, müssen ihre Anschuldigungen fallen lassen 1. Verpflichtung sich auszuweisen 2. Verpflichtung, zu berichten was geschehen ist?

Göttliche Alethurgie Der Gott sieht alles Er ist co-natural mit den sichtbaren Dingen Die Welt ist nur sichtbar, weil der Gott sie sieht Gleiches gilt für das Gesagte Die Aussage des Gottes ist immer wahr Die Aussage ist gleichzeitig Enunziation und Macht ➛ Der Gott kann nicht anders, als die Wahrheit sehen/sagen

Alethurgie des Sklaven Er macht nicht sichtbar, indem er sieht Er wohnt machtlos einem Spektakel bei, welches ihm von aussen aufgezwungen wird Er ist ein Zu-Schauer Die Wahrheit seines Sehens gründet auf der Tatsache, dass er zugegen war, dass er mit seinen eigenen Sinnen wahr-genommen hat ➛ Das Gesetz der An-Wesenheit bewahrheitet seine Aussagen

Altehurgie und Zeitachse Das Wahr-Sagen des Orakels (Stimme des Gottes) bewegt sich auf der Achse der Gegenwart und der Zukunft Nimmt immer die Form einer Anweisung an Die Wahr-Sagen des Sklaven bewegt sich gänzlich auf der Achse der Vergangenheit Er sagt was wahr ist, weil er sich erinnert Er kann das Wahre nur in Form einer Erinnerung sagen

Christentum und Wahrheit Drei wesentliche Techniken der Subjektivierung Die Taufe Die Beichte / Reue Die Seelsorge

Die Wandlung der Taufe Zuerst als ein einheitliches Sakrament gedacht Mitte 2. Jh Einführung der Notion des Rückfalls ➛ Erneuerung der Busse, Wieder-Gut-Machung Taufe selber ist nicht mehr gleich wirksam, gleich reinigend Der Gläubige ist zwar geläutert, aber nicht vollständig: ein Rest an Sünde bleibt in ihm ➛ Zwei Auswirkungen Neue Definition des Menschen: von Ursprung an durch die Sünde gekennzeichnet Zusätzliche Dimension der Taufe: Bussfertigkeit, verstanden als « Akt der Wahrheit», Wahrheit geäussert vom Gläubigen selber über sich selber

Drei wesentliche Muster des moralistischen Denkens in der Geschichte des Okzidents Die zwei Wege Der Fall Die Beschmutzung Man muss den Richtigen wählen Man muss zum Urzustand zurückkehren Man muss sich Rein machen Christentum kombiniert die drei Modelle

Exomologese Diskurs über sich selber, mit seiner Theatralik (Selbstdemütigung, Hingebung…) Besteht darin, seine Fehler einzugestehen, zu sagen, an was man glaubt, und so seinen Glauben öffentlich zu machen Im Verlauf der Jahrhunderte immer weniger theatralisch Regelt sich zunehmend über Gesetze und wird zu einer Geständnisprozedur Das « Ich » wird zunehmend Objekt des Wissens und der Untersuchung / Prüfung Objekt eines ständigen Diskurses ➛ Die Führung / Seelsorge des Gläubigen wird unerlässlich, da er dessen selber nicht fähig sein kann ➛ Er muss sich folglich anderen anvertrauen, um zu wissen wer er selber ist

Unbedingter Gerhorsam Ein vollständiges Geständnis Die Seelsorge Religion des Zweifels. Menschen durch Stempel der Fehlbarkeit gekennzeichnet. → Notwendigkeit eines Programms der Unterwerfung 1 2 3 Unbedingter Gerhorsam Eine kontinuierliche Selbstuntersuchung Ein vollständiges Geständnis

Tauf-Exorzismus Ritual der Austreibung Heraustreiben eine Macht und Ersetzen durch eine andere Der Heilige Geist kann nicht in die Seele dringen, solange der Feind (der Teufel) noch im Besitz dieser Seele ist

Metus-die Furcht Je «christlicher» ein Mensch ist, desto mehr ist desto eher ist er den Angriffen des Teufels ausgesetzt ☛ auch wenn schon getauft : ständige Furcht, ständiger Kampf gegen das Andere welches in einem steckt ☛ ständiges sich Vergewissern, um zu wissen ob das Andere (noch) da ist

Schlussfolgerung Der Nutzen der Anamnese ist nicht klinisch Anamnese besteht (grösstenteils) aus exzessiven Wahrheiten Exzessive Wahrheiten sind ein Mittel der Disziplinierung Nicht-disziplinäre Psychiatrie ➛ Anamnese beschränkt sich auf pragmatische Informationen

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